Urteil des BVerwG vom 01.04.2004

Beförderung, Staatliches Handeln, Rechtsschutz, Ernennung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 26.03
Verkündet
OVG 2 A 11040/02
am 1. April 2004
Schütz
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 1. April 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. D a w i n , Dr. K u g e l e ,
G r o e p p e r und Dr. B a y e r
für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom
22. November 2002 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vor-
behalten.
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin begehrt, sie im Wege des Schadenersatzes so zu stellen, als wäre sie
bereits am 18. Mai 2001 zur Oberstudienrätin befördert worden.
Der Beklagte nimmt Beförderungen zum Oberstudienrat einmal jährlich am 18. Mai
vor. In den Jahren 2000 und 2001 kamen nur Beamte mit der Beurteilung "sehr gut"
und einer mindestens vierjährigen Verwendung im Eingangsamt in die engere Wahl.
Da die Zahl der Beförderungsaspiranten größer war als die der offenen Planstellen,
war für die Beförderung eine fiktiv ermittelte Dienstzeit ausschlaggebend; für jeden
Bewerber wurde ein fiktives Anstellungsdatum ermittelt, das zu einer bestimmten
Ranglistenposition führte. Die in Betracht kommenden Studienräte wurden sodann
unter Berücksichtigung der verfügbaren Beförderungsstellen befördert.
Die zuletzt mit "sehr gut" beurteilte Klägerin erreichte schon im Jahr 2000 mit ihrem
damaligen fiktiven Anstellungsdatum, dem 27. August 1992, keinen für eine Beförde-
rung ausreichenden Ranglistenplatz. Über ihr fiktives Anstellungsdatum für die Be-
förderungskampagne 2001 (11. September 1993) sowie dessen rechtliche Bedeu-
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tung wurde sie mit einem vom 5. April 2001 datierten, bei ihrer Dienststelle am
24. April 2001 eingegangenen Schreiben informiert.
Mit Schreiben vom 21. Mai 2001 legte die Klägerin Widerspruch gegen das festge-
setzte Anstellungsdatum mit der Begründung ein, der Beklagte habe eine dreijährige
Erziehungszeit für ihre Tochter Lisa nicht berücksichtigt. Zusätzlich machte sie im
Laufe des Widerspruchsverfahrens einen Schadensersatzanspruch wegen unterlas-
sener Beförderung geltend.
Sämtliche Rechtsmittel sind erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat zur Be-
gründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Schadensersatzanspruch sei unbegrün-
det, weil die Klägerin nicht rechtzeitig um primären Rechtsschutz nachgesucht habe.
Ihr sei die zentrale Bedeutung des fiktiven Anstellungsdatums bekannt gewesen.
Zudem habe sie aus dem Vorjahr gewusst, dass der Beklagte vor dem Beförde-
rungsstichtag am 18. Mai 2001 keine Negativmitteilungen über das Auswahlergebnis
verschicken werde. Sie hätte sich daher unverzüglich nach der Bekanntgabe ihres
fiktiven Anstellungsdatums bei ihrem Personalrat oder beim Beklagten über ihre Be-
förderungschancen erkundigen müssen. Dabei hätte sie erfahren, ob ihr Ranglisten-
platz zu einer Beförderung führte. Bis zum Beförderungsstichtag habe sie noch aus-
reichend Zeit gehabt, mit Rechtsmitteln auf eine Korrektur ihres fiktiven Anstellungs-
datums zu drängen sowie Beförderungen ihrer Mitbewerber vorläufig zu verhindern.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sie beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. November
2002 und des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 19. März
2002 sowie den Bescheid des Beklagten vom 24. Juli 2001 aufzuheben und
den Beklagten zu verpflichten, die Klägerin im Wege des Schadensersatzes
so zu stellen, als sei sie schon am 18. Mai 2001 zur Oberstudienrätin befördert
worden.
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Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält den Be-
werbungsverfahrensanspruch der Klägerin nicht für verletzt. Denn die Klägerin habe
ihre Beförderungschance bereits aus der im Verhältnis zum Vorjahr um ein Jahr ver-
kürzten fiktiven Dienstzeit realistisch einschätzen können. Ihr sei es deshalb zumut-
bar und möglich gewesen, rechtzeitig um Rechtsschutz nachzusuchen.
II.
Die Revision ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung des Rechtsstreits an die
Vorinstanz begründet. Zur Entscheidung über den Rechtsstreit bedarf es weiterer
tatsächlicher Feststellungen.
Das Berufungsgericht verletzt revisibles Recht mit seiner Auffassung, die Klägerin
habe schon deswegen keinen Anspruch auf Schadensersatz, weil sie es in zure-
chenbarer Weise unterlassen habe, ihren vermeintlichen Beförderungsanspruch
durch den Gebrauch von Rechtsmitteln zu sichern.
Nach dem auch im Beamtenrecht geltenden Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB
tritt die Ersatzpflicht für rechtswidriges staatliches Handeln nicht ein, wenn der Ver-
letzte mögliche Rechtsbehelfe unmittelbar gegen die beanstandete Entscheidung,
insbesondere gerichtlichen Rechtsschutz nach Durchführung des Vorverfahrens, oh-
ne hinreichenden Grund nicht in Anspruch genommen hat (vgl. Urteile vom 28. Mai
1998 - BVerwG 2 C 29.97 - BVerwGE 107, 29 <31> - m.w.N. und vom 3. Dezember
1998 - BVerwG 2 C 22.97 - Buchholz 237.2 § 12 BlnLBG Nr. 2 ). Denn der zeitnah in
Anspruch genommene Primärrechtsschutz ist nach Durchführung des Vorverfahrens
am ehesten zur Aufklärung und Würdigung komplexer Verwaltungsentscheidungen
- wie hier der Auswahl unter vielen Beförderungsbewerbern - geeignet (vgl. Urteil
vom 28. Mai 1998 - BVerwG 2 C 29.97 - a.a.O. S. 32). Ob es der Verletzte schuldhaft
unterlassen hat, ein Rechtsmittel einzulegen, hängt davon ab, welches Maß an
Umsicht und Sorgfalt von Angehörigen des Verkehrskreises verlangt werden muss,
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dem der Verletzte angehört (vgl. BGHZ 113, 17 <25>). Danach hat es die Klägerin
weder vorsätzlich noch fahrlässig unterlassen, vor dem Beförderungsstichtag
Rechtsmittel einzulegen.
Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf glei-
chen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher
Leistung (vgl. BVerfGE 1, 167 <184>). Dementsprechend hat ein Beförderungsbe-
werber einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr über seine Bewerbung ohne Er-
messens- und Beurteilungsfehler entscheidet (vgl. Urteil vom 25. April 1996
- BVerwG 2 C 21.95 - BVerwGE 101, 112 <114>). Dieser Bewerbungsverfahrensan-
spruch lässt sich allein mit einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1
VwGO sichern und muss von dem unter Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG abgelehn-
ten Bewerber vor Gericht nicht nur formell, sondern auch in der Sache durchgesetzt
werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 -
NVwZ 2003, 200 m.w.N.). Wird die im Streit stehende Stelle besetzt, bleibt dem un-
terlegenen Bewerber sowohl die erfolgreiche Inanspruchnahme gerichtlichen Eil-
rechtsschutzes als auch primärer Rechtsschutz in der Hauptsache in Form der Be-
scheidungsklage nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO versagt (stRspr; vgl. u.a. Urteil
vom 25. August 1988 - BVerwG 2 C 62.85 - BVerwGE 80, 127 <129 f.> sowie zuletzt
Urteil vom 21. August 2003 - BVerwG 2 C 14.02 - Buchholz 11 Art.
33 Abs.
2 GG
Nr. 27; BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. September 1989 - 2 BvR 1576/88 - NJW
1990, 501 f. und Kammerbeschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 - DVBl
2002, 1633 ff.).
Wegen dieser besonderen Bedeutung des gerichtlichen Eilrechtsschutzes im beam-
tenrechtlichen Konkurrentenstreit für die Effektivität des Rechtsschutzes des unter-
legenen Bewerbers müssen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren so ausgestaltet
sein, dass der gerichtliche Rechtsschutz weder vereitelt noch unzumutbar erschwert
wird (stRspr; vgl. zuletzt Urteil vom 21. August 2003 - BVerwG 2 C 14.02 - a.a.O.,
m.w.N.). Unerlässlich ist es demzufolge, dass der Dienstherr seine Auswahlent-
scheidung dem unterlegenen Bewerber rechtzeitig vor Ernennung des Mitbewerbers
mitteilt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. September 1989 - 2 BvR 1576/88 -
a.a.O.) und ihm Gelegenheit gibt, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu
verhindern, dass die besetzbare Planstelle mit einem anderen Bewerber endgültig
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besetzt wird und für den unterlegenen Bewerber nicht mehr zur Verfügung steht. Die-
sen Anforderungen ist der Beklagte in dem streitigen Auswahlverfahren dadurch
nicht gerecht geworden, dass er der Klägerin die für deren Rechtsschutzentschei-
dung erforderlichen Informationen nicht hat zukommen lassen. Diese Unterrichtung
war nicht deswegen entbehrlich, weil der Klägerin das Auswahlverfahren im Einzel-
nen bekannt war oder das vom Beklagten gewählte jährliche Massenbeförderungs-
verfahren durch Negativmitteilungen an jeden Bewerber erschwert worden wäre.
Denn der unterlegene Bewerber hat stets Anspruch auf eine verbindliche Information
durch den Dienstherrn über das Ergebnis des Auswahlverfahrens, damit er nicht Ge-
fahr läuft, ein Rechtsmittel auf ungesicherter tatsächlicher oder rechtlicher Grundlage
zu ergreifen. Unterbleiben solche Informationen, kann dem Beamten nicht vorgewor-
fen werden, er habe die Inanspruchnahme primären Rechtsschutzes schuldhaft ver-
säumt.
Dem genügt die bloße Mitteilung des "fiktiven Anstellungsdatums" nicht. Mit deren
Kenntnis war es der Klägerin nicht möglich, abzuschätzen, welchen Ranglistenplatz
sie einnahm und ob sie mit dieser Rangstelle noch befördert worden wäre. Zwar war
für die Klägerin erkennbar, dass ihre fiktive Dienstzeit entsprechend dem ihr zugeteil-
ten fiktiven Anstellungsdatum im Verhältnis zum Vorjahr um ein Jahr verkürzt worden
war. Doch konnte sie daraus nicht mit der erforderlichen Gewissheit ableiten, ob sie
einen Ranglistenplatz einnahm, der zu einer Beförderung führen würde oder nicht.
Da sie vom Dienstherrn keine zusätzlichen verbindlichen Informationen erhalten hat-
te, kannte sie zuverlässig weder die Anzahl der zu besetzenden Beförderungsplan-
stellen noch die Anzahl ihrer Mitbewerber. Sich bei ihrem Dienstherrn oder beim
Personalrat zu erkundigen, war die Klägerin nicht verpflichtet, zumal der Personalrat
nicht berechtigt gewesen wäre, entsprechende Auskünfte zu erteilen.
Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs-
gericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO), weil der Senat nicht ab-
schließend klären kann, ob die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen
richtig ist (§ 144 Abs. 4 VwGO).
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Nach § 10 Abs. 1 Landesbeamtengesetz Rheinland-Pfalz in der Fassung vom
14. Juli 1970 (GVBl S. 242), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juli 2003 (GVBl
S. 155, 158), der eine Konkretisierung des Art. 33 Abs. 2 GG enthält, hat der Dienst-
herr die Auslese der Bewerber und die Ernennung der Beamten nach Eignung, Be-
fähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen. Hat eine schuldhafte Verletzung der
festgelegten Auslesekriterien durch den Dienstherrn adäquat kausal zu einem Scha-
den des Beamten geführt, so kann dies einen Anspruch auf Schadensersatz auslö-
sen (stRspr; vgl. u.a. Urteile vom 25. August 1988 - BVerwG 2 C 51.86 - BVerwGE
80, 123 <124 f.> und vom 28. Mai 1998 - BVerwG 2 C 29.97 - a.a.O. S. 31 m.w.N.).
Die Annahme der Kausalität setzt voraus, dass die Behörde ohne den Rechtsverstoß
voraussichtlich zu Gunsten des Bewerbers entschieden hätte (vgl. Beschluss vom
16. Oktober 1991 - BVerwG 2 B 115.91 - Buchholz 237.4 § 7 HmbLBG Nr. 1).
Ob das strittige Auswahlverfahren diesen Maßstäben gerecht wurde, kann der Senat
nicht beurteilen. Denn tatrichterlich ist weder festgestellt, ob die Berechnung des fik-
tiven Anstellungsdatums der Klägerin zutreffend ist, noch ist geprüft, ob die Aus-
wahlentscheidung des Beklagten im Übrigen fehlerfrei ist. Bei seiner erneuten Ent-
scheidung wird das Oberverwaltungsgericht daher zu prüfen haben, ob die Nichtbe-
rücksichtigung der von der Klägerin in Anspruch genommenen dreijährigen Kinderer-
ziehungszeit allein darauf beruht, dass die Klägerin diese in dem Personalfragebo-
gen zur Berechnung des fiktiven Anstellungsdatums für den Beförderungstermin
18. Mai 2001 nicht angegeben hat. Ferner wird zu berücksichtigen sein, dass es
nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats dem bei der Beförde-
rung zu beachtenden Grundsatz der Bestenauslese entspricht, zur Ermittlung des
Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungs-
bezogene Kriterien zurückzugreifen. Regelmäßig sind dies die - bezogen auf den
Zeitpunkt der Auswahlentscheidung - aktuellsten Beurteilungen. Neben diesen aktu-
ellen dienstlichen Beurteilungen können auch frühere dienstliche Beurteilungen - und
zwar nicht als bloße Hilfskriterien - zu berücksichtigen sein. Bei einem Vergleich zwi-
schen den Bewerbern um ein Beförderungsamt ermöglichen frühere Beurteilungen
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Rückschlüsse und Prognosen für die künftige Bewährung in dem Beförderungsamt
(vgl. Urteil vom 21. August 2003 - BVerwG 2 C 14.02 - a.a.O. m.w.N.).
Albers Prof. Dawin Dr. Kugele
Groepper Dr. Bayer
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 27 050
€ fest-
gesetzt (vgl. § 13 Abs. 4 Satz 2 und § 14 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Albers Prof. Dawin Dr. Kugele
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Beamtenrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
BGB § 839 Abs. 3
Stichworte:
Schadensersatzanspruch wegen zu später Beförderung; Auswahlverfahren; Bewer-
bungsverfahrensanspruch; Pflicht des Dienstherrn zur Benachrichtigung des unterle-
genen Bewerbers über das Ergebnis des Auswahlverfahrens; Massenbeförderung.
Leitsätze:
1. Auch bei Beförderungsaktionen, bei denen eine große Zahl von Beamten zur glei-
chen Zeit befördert wird ("Massenbeförderung"), hat der Dienstherr die nicht für eine
Beförderung Vorgesehenen rechtzeitig vor der Ernennung der anderen über das Er-
gebnis der Auswahlentscheidung und die maßgebenden Gründe dafür zu unterrich-
ten.
2. Unterlässt er die Benachrichtigung, kann dem Beamten im Schadensersatzpro-
zess wegen unterbliebener Beförderung regelmäßig nicht der Vorwurf gemacht wer-
den, schuldhaft ein Rechtsmittel gegen die Besetzung der Beförderungsstellen ver-
säumt zu haben.
Urteil des 2. Senats vom 1. April 2004 - BVerwG 2 C 26.03
I. VG Neustadt an der Weinstraße vom 19.03.2002 - Az.: VG 6 K 1770/01 -
II. OVG Koblenz vom 22.11.2002 - Az.: OVG 2 A 11040/02 -