Urteil des BVerwG vom 27.11.2014

Anwendbares Recht, Dienstliche Tätigkeit, Dienstleistung, Verfügung

BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Recht des öffentlichen Dienstes einschließlich des
Beamtendisziplinarrechts und des Dienstrechts der Soldaten
sowie des Rechts der Wehrpflichtigen und der
Zivildienstpflichtigen
Rechtsquelle/n:
GG Art. 33 Abs. 5, Art. 100 Abs. 1
VwGO § 43 Abs. 1
BRRG § 123a
BeamtStG § 20, § 35 Satz 2, § 36 Abs. 2 Satz 3
LBG BW 1996 § 4 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4
LBGS BW §§ 7, 8
Titelzeile:
Keine Weisungsbefugnis für Nicht-Vorgesetzte; Privatisierung
der Bewährungshilfe in Baden-Württemberg
Stichworte:
Anordnungsbefugnis; Auslegung; Befolgungspflicht; Beleihung; Bestimmtheit;
Bewährungshelfer; Dienstherrnbefugnis; Dienstleistungsergebnis; Dienststelle;
Dienstvergehen; Dienstweg; Eingliederung; Feststellungsinteresse;
Gehorsamspflicht; Normenkollision; Remonstration; Übergangsregelung;
Unvollständigkeit; Versetzung; Vorgesetzter; Weisungsrecht; Widersprüchlichkeit;
Zuweisung.
Leitsatz/-sätze:
1. Beamte sind verpflichtet, dienstliche Anordnungen ihres Vorgesetzten zu
befolgen, sofern diese im Anwendungs- und Aufgabenbereich der dienstlichen
Weisungsbefugnis liegen und die grundrechtlich geschützte Sphäre des Beamten
nicht verletzen. Weisungen anderer Stellen oder privater Dritter darf ein Beamter
nicht entgegennehmen.
2. Vorschriften, die eine Befolgungspflicht des Beamten nach sich ziehen und
deren Nichtbeachtung ein Dienstvergehen begründen können, müssen so klar
und bestimmt sein, dass der Beamte erkennen kann, welche und wessen
Weisungen er zu befolgen hat.
3. Die Bestimmungen zur Weisungsbefugnis des privaten Trägers der
Bewährungs- und Gerichtshilfe in Baden-Württemberg sind unklar, von nicht
auflösbaren Widersprüchen geprägt und unvollständig und daher nicht geeignet,
eine Befolgungspflicht der an Dienststellen des Landes tätigen Beamten zu
begründen.
Urteil des 2. Senats vom 27. November 2014 - BVerwG 2 C 24.13
I. VG Sigmaringen vom 12. Oktober 2011
Az: VG 6 K 2306/11
II. VGH Mannheim vom 22. Januar 2013
Az: VGH 4 S 2968/11
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 24.13
VGH 4 S 2968/11
Verkündet
Am 27. November 2014
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz, Dr. Hartung,
Dr. Kenntner und Dollinger
für Recht erkannt:
Die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württem-
berg vom 22. Januar 2013 und des Verwaltungsgerichts
Sigmaringen vom 12. Oktober 2011 sowie der Bescheid
des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 19. März
2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
14. Juni 2007 werden aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Beigeladene gegenüber dem
Kläger keine Weisungs- und Aufsichtsrechte sowie sonsti-
ge Dienstherrnbefugnisse hat.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des
Verfahrens je zur Hälfte.
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G r ü n d e :
I
Zum 1. Januar 2007 übertrug der Beklagte aufgrund einer gesetzlichen Er-
mächtigung durch Vertrag die Aufgaben der Bewährungs- und Gerichtshilfe auf
die Beigeladene als Beliehene. Die Beigeladene ist eine gemeinnützige GmbH
mit Sitz in Stuttgart, die vollständig von einem österreichischen Verein getragen
wird und an der die öffentliche Hand nicht beteiligt ist.
Der Kläger steht als Sozialamtmann (Besoldungsgruppe A 11) im Dienst des
beklagten Landes. Er war als Bewährungshelfer an der Dienststelle für Bewäh-
rungshilfe des Landgerichts Tübingen in Reutlingen verwendet worden. Im Feb-
ruar 2008 wurde er an die "Einrichtung Reutlingen" versetzt. Dabei handelt es
sich um eine Dienststelle der Bewährungs- und Gerichtshilfe des Beklagten, in
der zugleich eine Niederlassung der Beigeladenen untergebracht ist und die
nach außen einheitlich unter der Bezeichnung "Einrichtung" in Erscheinung tritt.
Nach der Konzeption des Beklagten und der Beigeladenen sollen die beamte-
ten Bewährungshelfer dort ihre Dienstleistung nach den Vorgaben und Weisun-
gen der Beigeladenen erbringen. Eine Verfügung, mit der dem Kläger eine Tä-
tigkeit bei der Beigeladenen zugewiesen worden wäre, ist nicht ergangen.
Der Kläger hält die Privatisierung der Bewährungs- und Gerichtshilfe und damit
auch die Ausübung von Weisungs- und Dienstherrnbefugnissen durch einen
Privaten für unzulässig. Er beantragte, der Beigeladenen die Ausübung der
Weisungs- und Dienstherrnbefugnisse zu untersagen sowie festzustellen, dass
die Ausübung dieser Befugnisse durch die Beigeladene rechtswidrig ist. Der
Beklagte lehnte den Antrag ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch
des Klägers zurück.
Der Kläger hat Klage erhoben und beantragt, den ablehnenden Bescheid des
Beklagten und dessen Widerspruchsbescheid aufzuheben sowie festzustellen,
dass die Überlassung der übertragenen Weisungs- und Aufsichtsrechte sowie
sonstigen Dienstherrnbefugnisse an die Beigeladene zur Ausübung rechtswid-
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rig ist, hilfsweise die Aufhebung des bestimmte Einzelmaßnahmen betreffenden
Widerspruchsbescheids. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt
und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt.
Durch Beschluss vom 21. Juni 2011 (- 2 BvL 15/08 - BVerfGK 18, 498) hat die
1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Vorlage für
unzulässig erklärt. Daraufhin hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbe-
gründet abgewiesen.
Die vom Kläger hiergegen eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Zur Be-
gründung hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt: Auf
Art. 33 Abs. 4 GG könne sich der Kläger nicht berufen, weil der Funktionsvor-
behalt keine subjektiven Rechte der Beamten begründe. Die vertragliche
Dienstleistungsüberlassung und die damit der Beigeladenen verliehenen Be-
fugnisse stünden auch in Einklang mit Art. 33 Abs. 5 GG. Einen hergebrachten
Grundsatz des Berufsbeamtentums, wonach der Beamte in einem uneinge-
schränkten Weisungs- und Verantwortungsstrang zu seinem Dienstherrn ste-
hen müsse, habe das Bundesverfassungsgericht nicht ausgesprochen. Aus den
verfassungsrechtlichen Vorgaben ergebe sich daher auch nicht, dass nur Be-
amte Vorgesetztenfunktionen oder Weisungsrechte wahrnehmen könnten. Ein
Verstoß gegen § 123a Abs. 2 BRRG liege nicht vor, weil die darin normierte
Privatisierungsform keinen abschließenden Charakter habe. Andere Gestal-
tungsmöglichkeiten stünden dem Landesgesetzgeber daher offen. Durch die
vorliegende Konstruktion werde nicht der Beamte selbst einem Privaten zuge-
wiesen, vielmehr werde dem Privaten nur das Ergebnis der von Beamten er-
brachten Dienstleistung zur Verfügung gestellt. Derartige Dienstleistungsüber-
lassungen entsprächen den Vorgaben der Rechtsprechung, insbesondere ver-
blieben alle wesentlichen und das Dienstverhältnis des Beamten betreffenden
Angelegenheiten beim Dienstherrn.
Mit der bereits vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt der
Kläger sein Begehren fort. Er beantragt,
die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württem-
berg vom 22. Januar 2013 und des Verwaltungsgerichts
Sigmaringen vom 12. Oktober 2011 sowie den Bescheid
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des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 19. März
2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
14. Juni 2007 aufzuheben und festzustellen, dass die
Übertragung von Weisungs- und Aufsichtsrechten sowie
sonstiger Dienstherrnbefugnisse aufgrund des Landesge-
setzes Baden-Württemberg über die Bewährungs- und
Gerichtshilfe sowie die Sozialarbeit im Justizvollzug
- LBGS - vom 1. Juli 2004 (GBl. S. 469 <504>) in der Fas-
sung des Änderungsgesetzes vom 11. Dezember 2007
(GBl. S. 580) auf die Beigeladene rechtswidrig ist.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt
sich am Verfahren; er hält die Revision für unbegründet.
II
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Verwaltungs-
gerichtshofs verletzt revisibles Landesbeamtenrecht (§ 191 Abs. 2 VwGO,
§ 127 Nr. 2 BRRG, § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG). Der Verwaltungsgerichtshof
hat zwar zutreffend entschieden, dass die Klage zulässig ist (1.) und die der
Beigeladenen eingeräumten Befugnisse nicht am Maßstab des § 123a BRRG
zu messen sind (2.). Er hat aber verkannt, dass die gesetzgeberische Konzep-
tion des Landesgesetzes über die Bewährungs- und Gerichtshilfe sowie die So-
zialarbeit im Justizvollzug - LBGS - vom 1. Juli 2004 (GBl. S. 469 <504>) in der
Fassung des Änderungsgesetzes vom 11. Dezember 2007 (GBl. S. 580) unauf-
lösbare Widersprüche enthält und angesichts seiner Unvollständigkeit von
vornherein nicht geeignet ist, Weisungsbefugnisse der Beigeladenen und eine
damit korrespondierende Befolgungspflicht des Klägers zu begründen (3.). Zu
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dieser Feststellung ist der Senat ohne Vorlage an das Bundesverfassungsge-
richt oder den Staatsgerichtshof Baden-Württemberg befugt (4.). Um eine Ge-
fährdung der ordnungsgemäßen Aufgabenerledigung der Bewährungs- und
Gerichtshilfe zu vermeiden, können die Regelungen des Landesgesetzes über-
gangsweise weiterhin angewandt werden (5.).
Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen des Streitfalls stellen sich wie folgt dar:
Nach § 7 Abs. 1 LBGS kann das Justizministerium durch Vertrag die Aufgaben
der Bewährungs- und Gerichtshilfe im ganzen Land auf einen freien Träger als
Beliehenen übertragen. Gemäß § 8 Nr. 1 Satz 1 LBGS kann dem freien Träger
dabei das Ergebnis der Dienstleistung der derzeit beschäftigten Bewährungs-
und Gerichtshelfer unter Wahrung ihrer Rechtsstellung zur Verfügung gestellt
werden. Einen entsprechenden Vertrag haben der Beklagte und die Beigelade-
ne am 6. Dezember 2006 mit einer Laufzeit von 10 Jahren geschlossen.
Nach § 8 Nr. 1 Satz 2 LBGS ist damit der Vorstand des freien Trägers zur Aus-
übung der Fachaufsicht und des fachlichen Weisungsrechts ermächtigt. Die
vom Vertrag erfassten Bewährungs- und Gerichtshelfer werden vom freien Trä-
ger nach seinem Organisationsermessen mit Aufgaben betraut (§ 8 Nr. 2
LBGS), den Anordnungen des freien Trägers hat der Beamte Folge zu leisten
(§ 8 Nr. 6 LBGS). Weitere Dienstherrnbefugnisse, die weder den Status der
Beschäftigten noch die Ausübung der Disziplinargewalt betreffen, können dem
Vorstand des freien Trägers durch Rechtsverordnung zur Ausübung übertragen
werden (§ 8 Nr. 4 LBGS). Hiervon ist durch die Verordnung des Justizministeri-
ums zur Durchführung des Landesgesetzes über die Bewährungs- und Ge-
richtshilfe sowie die Sozialarbeit im Justizvollzug - DVO LBGS - vom 2. Januar
2008 (GBl. S. 30), geändert durch Verordnung vom 15. Juni 2010 (GBl. S. 529),
Gebrauch gemacht worden.
1. Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof die Feststellungsklage als zulässig
erachtet.
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Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder
Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Zwischen den Be-
teiligten ist streitig, ob Weisungs- und Aufsichtsrechte sowie weitere Dienst-
herrnbefugnisse, die dem Beklagten gegenüber dem Kläger zustehen, wirksam
durch Vertrag im Sinne von § 7 LBGS auf die Beigeladene übertragen worden
sind. Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der erstrebten Feststel-
lung. Wegen des Risikos einer disziplinarischen Ahndung kann es ihm nicht
zugemutet werden, eine Weisung der Beigeladenen nicht zu befolgen und die
zwischen den Beteiligten umstrittene Rechtsfrage erst in diesem Zusammen-
hang gerichtlich klären zu lassen (BVerwG, Urteile von 30. November 2011
- 6 C 20.10 - BVerwGE 141, 223 Rn. 13 und vom 27. Juni 2013 - 3 C 21.12 -
BVerwGE 147, 100 Rn. 12).
Die Klagebefugnis folgt aus der Pflicht zur Befolgung dienstlicher Anordnungen
(§ 35 Satz 2 BeamtStG, § 37 Satz 2 BRRG a.F.). Die Gehorsamspflicht des
Beamten besteht grundsätzlich auch bei rechtswidrigen Weisungen, sofern sie
einen Bezug zur Dienstausübung des Beamten aufweisen (BVerwG, Urteil vom
18. September 2008 - 2 C 126.07 - BVerwGE 132, 40 Rn. 16 f.). Der Beamte
hat aber die Möglichkeit, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher An-
ordnungen geltend zu machen; nur so kann er sich von seiner eigenen Verant-
wortung befreien (§ 36 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG, § 38 Abs. 2 Satz 2 BRRG
a.F.). Er kann ggf. auch gerichtlich überprüfen lassen, ob die Weisung den zu-
lässigen dienstlichen Zusammenhang verlässt (BVerfG, Kammerbeschluss vom
7. November 1994 - 2 BvR 1117/94 u.a. - NVwZ 1995, 680 Rn. 6).
Sollten die Maßnahmen des Beklagten der Sache nach eine Zuweisung zur
Beigeladenen bewirken, wie der Kläger vorträgt, bestünde überdies die Mög-
lichkeit der Verletzung seiner Statusrechte. Anders als eine behördeninterne
Umsetzung entfaltet die Zuordnung eines Beamten zu einer anderen Behörde
oder Einrichtung Außenwirkung (BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1980 - 2 C 30.78 -
BVerwGE 60, 144 <147> zu Abordnung und Versetzung, vgl. auch Urteil vom
25. Oktober 2007 - 2 C 30.07 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 91 Rn. 12 ff.
zum Statusbezug der Zuweisung).
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Das für beamtenrechtliche Streitigkeiten stets erforderliche Vorverfahren (§ 126
Abs. 3 BRRG, § 54 Abs. 2 BeamtStG) ist ordnungsgemäß durchgeführt worden.
2. Die Privatisierung der Bewährungs- und Gerichtshilfe durch §§ 7 ff. LBGS
und den darauf gestützten Vertrag zwischen dem Beklagten und der Beigela-
denen unterfällt nicht dem Regelungsbereich des § 123a BRRG.
a) § 123a BRRG in der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landesgesetzes
Baden-Württemberg über die Bewährungs- und Gerichtshilfe sowie die Sozial-
arbeit im Justizvollzug gültigen Fassung vom 21. Juni 2002 (BGBl. I S. 2138
<2140>) regelt - weitgehend inhaltsgleich mit § 20 BeamtStG -, unter welchen
Voraussetzungen einem Beamten eine Tätigkeit bei einer nicht dienstherrnfähi-
gen Einrichtung zugewiesen werden kann.
Die Zuweisung stellt das Gegenstück zu Abordnung und Versetzung dar, wenn
die Einrichtung, bei der die Aufgabe erfüllt werden soll, keine Dienstherrnfähig-
keit besitzt. Die Rechtsstellung des Zugewiesenen bleibt dabei unberührt
(§ 123a Abs. 3 BRRG), sodass die Rechte und Pflichten aus dem Beamtenver-
hältnis zu seinem Dienstherrn fortbestehen; der Beamte erhält von diesem auch
weiterhin seine Bezüge. Mangels Dienstherrnfähigkeit stehen der Einrichtung
auch keine Dienstherrnbefugnisse zu, derartiges ist nur durch eine zusätzliche
Beleihung möglich. Die Tätigkeit des zugewiesenen Beamten wird aber für den
Träger der Zuweisungseinrichtung erbracht. Der Beamte muss daher auch in
den Betrieb der Einrichtung integriert werden und unterliegt "vor Ort" dem fach-
lichen Direktions- und Weisungsrecht dieser Einrichtung (BT-Drs. 11/6835
S. 56; vgl. hierzu Hoffmann, ZTR 1990, 327 <328>; Schönrock, ZBR 2010, 222
<227>).
b) Eine derartige Zuweisung des Klägers hat der Beklagte nicht verfügt; sie war
auch in der Sache nicht beabsichtigt.
Im Januar 2008 hat der Beklagte den Kläger vielmehr an eine landeseigene
Dienststelle versetzt. Zwar trägt die Dienststelle die Bezeichnung "Einrichtung"
(Ziffer I.2 Abs. 2 der Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums BW vom
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8. Mai 2009, Die Justiz 2009, 151). Gleichwohl handelt es sich hierbei um eine
Dienststelle der Bewährungs- und Gerichtshilfe des Landes (§ 1 Abs. 1 Nr. 9
DVO LBGS). Dem Kläger ist daher keine Tätigkeit bei der Beigeladenen zuge-
wiesen worden, er versieht seinen Dienst vielmehr weiterhin bei einer Dienst-
stelle des beklagten Landes. Dementsprechend ist der rechtstechnische Weg
und die Bezeichnung als Versetzung gewählt worden.
Dieser rechtstatsächliche Befund entspricht auch dem Willen des Beklagten.
Nach § 8 Nr. 1 Satz 1 LBGS soll dem freien Träger nur das Ergebnis der
Dienstleistung der Landesmitarbeiter zur Verfügung gestellt werden. Eine Zu-
weisung der Beamten selbst war dagegen ausdrücklich nicht beabsichtigt (Be-
gründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung, LT-Drs. 13/3201 S. 316).
Auch das Konzept des zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen ge-
schlossenen Vertrags beruht auf dieser Einordnung. Danach nimmt die Beige-
ladene das Ergebnis so in Anspruch, wie es ihr vom Land zur Verfügung ge-
stellt wird (§ 3 Abs. 2 Satz 4 des Vertrages vom 6. Dezember 2006). Dem Ge-
samtkonzept des Regelungsgefüges liegt damit die Vorstellung zugrunde, dass
die Dienstleistung der Beamten für und beim Beklagten erbracht wird und die-
ser das Ergebnis der Beigeladenen überlässt (vgl. hierzu auch Bericht der Lan-
desregierung zur Evaluation der Bewährungs- und Gerichtshilfe, LT-Drs.
15/5000 S. 42).
c) Dieses Regelungskonzept stellt keine Umgehung des § 123a BRRG dar, der
bei Inkrafttreten des Landesgesetzes als unmittelbar anwendbares Recht galt.
§ 123a BRRG ist zwar ist als Rahmengesetz erlassen worden, das der Ausfül-
lung durch Landesgesetzgebung fähig und ihrer bedürftig sein muss (BVerfG,
Urteil vom 27. Juli 2004 - 2 BvF 2/02 - BVerfGE 111, 226 <248> m.w.N.). Auch
aufgrund der Kompetenz zur Rahmengesetzgebung konnten jedoch für einzel-
ne Teile der Rechtsmaterie eine Vollregelung getroffen werden (BVerfG, Urteil
vom 1. Dezember 1954 - 2 BvG 1/54 - BVerfGE 4, 115 <128 f.>; Beschluss vom
28. November 1973 - 2 BvL 42/71 - BVerfGE 36, 193 <202>). Dies ist durch
Art. 75 Abs. 2 GG in der Fassung vom 27. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3146) auch
im Grundgesetz selbst zum Ausdruck gebracht worden. Von dieser Möglichkeit
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ist in den Vorschriften aus Kapitel II des Beamtenrechtsrahmengesetzes, die
"einheitlich und unmittelbar gelten", Gebrauch gemacht worden. Eine Umset-
zung durch den Landesgesetzgeber, die Anknüpfungspunkt für eine abwei-
chende Regelung hätte sein können, war hier nicht vorgesehen (Hoffmann,
ZTR 1990, 327). Die in § 123a Abs. 2 BRRG enthaltenen Bestimmungen haben
auch in der Sache eine abschließende Regelung darüber getroffen, in welchen
Fällen eine Zuweisung von Beamten ohne deren Einverständnis erfolgen kann
(BT-Drs. 13/5057 S. 64).
In diesem abschließend vorgegebenen Regelungsbereich liegt das Landesge-
setz aber nicht. Dem Kläger ist weder formal noch in der Sache eine Tätigkeit
bei der Beigeladenen übertragen worden. Er ist durch das erwähnte Gesetz
auch nicht in die Organisationsstruktur der Beigeladenen eingegliedert, sondern
vielmehr weiterhin an einer Dienststelle des Beklagten verwendet worden. Eine
zuweisungsähnliche Maßnahme, die als Umgehung des in § 123a BRRG vor-
gegebenen Rechtsinstituts bewertet werden könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom
7. Juni 1984 - 2 C 84.81 - BVerwGE 69, 303 <307> zur "versetzungs- oder ab-
ordnungsähnlichen Maßnahme"), ist damit nicht gegeben.
Das Regelungsgefüge für den Einsatz der beamteten Bewährungs- und Ge-
richtshelfer weist zwar insoweit Besonderheiten auf, als deren Dienstleistung
nach den fachlichen Vorgaben und Weisungen der Beigeladenen erfolgen soll
(§ 8 Nr. 1 Satz 2 und Nr. 2, 4 und 6 LBGS). Die hiermit ausgelöste Spannungs-
lage berührt aber nicht die mit dem Rechtsinstitut der Zuweisung geregelte Fra-
ge der Eingliederung eines Beamten in die Organisationsstruktur von nicht
dienstherrnfähigen Einrichtungen.
3. Die Einräumung von Weisungs- und Aufsichtsrechten zugunsten der Beige-
ladenen im Landesgesetz über die Bewährungs- und Gerichtshilfe sowie die
Sozialarbeit im Justizvollzug ist aber unklar, von nicht auflösbaren Widersprü-
chen geprägt und unvollständig. Die Vorschriften sind daher von vornherein
nicht geeignet, Weisungsbefugnisse der Beigeladenen und eine damit korres-
pondierende Befolgungspflicht des Klägers zu begründen.
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a) Die Pflicht zu Treue und Gehorsam des Beamten gegenüber seinem Dienst-
herrn gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums
(BVerfG, Urteil vom 27. April 1959 - 2 BvF 2/58 - BVerfGE 9, 268 <286>). Be-
amte sind seit jeher verpflichtet, den dienstlichen Anordnungen ihres Vorgesetz-
ten Folge zu leisten (vgl. § 1 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. März 1873,
RGBl. S. 61, § 37 Satz 2 BRRG a.F. sowie heute § 35 Satz 2 BeamtStG und
§ 62 Abs. 1 Satz 2 BBG). Die Weisungsbefugnis ist das Instrument, mit dem die
Dienstleistungspflicht des Beamten konkretisiert und gesteuert wird. Ohne die
Möglichkeit, den Beamten verbindliche Anordnungen zur Wahrnehmung der
dienstlichen Aufgaben vorzugeben, kann der Dienstherr die ihm obliegenden
öffentlichen Aufgaben nicht erfüllen. Der Beamte ist daher zur Befolgung der
Anordnungen seines Vorgesetzten verpflichtet, sofern diese im Anwendungs-
und Aufgabenbereich der dienstlichen Weisungsbefugnis liegen und die grund-
rechtlich geschützte Sphäre des Beamten nicht verletzen (stRspr, BVerwG, Be-
schluss vom 20. Oktober 1967 - 1 WDB 7.67 - BVerwGE 33, 108 <110>; Urteile
vom 2. März 2006 - 2 C 3.05 - BVerwGE 125, 85 Rn. 13 und 29 sowie vom
18. September 2008 - 2 C 126.07 - BVerwGE 132, 40 Rn. 16 ff.).
Die Weisungsbefugnis ist das notwendige Bindeglied, um die demokratische
Legitimation für die Ausübung von Staatsgewalt sowie die parlamentarische
Verantwortlichkeit der Regierung gewährleisten zu können (BVerfG, Beschluss
vom 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37 <66 ff.>). Die erforderliche
Legitimationskette wird vom Dienstherrn durch das Mittel der ununterbrochenen
Weisungsabhängigkeit auch für nachgeordnete Amtswalter hergestellt (BVerfG,
Urteil vom 31. Oktober 1990 - 2 BvF 3/89 - BVerfGE 83, 60 <72>). Die verfas-
sungsrechtlichen Vorgaben werden in den Beamtengesetzen des Bundes und
der Länder konkretisiert. Nach dem zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Lan-
desgesetzes über die Bewährungs- und Gerichtshilfe sowie die Sozialarbeit im
Justizvollzug maßgeblichen § 74 Satz 2 des Landesbeamtengesetzes vom
19. März 1996 (- LBG BW 1996 - GBl. S. 85) ist der Beamte verpflichtet, die von
seinem Vorgesetzten erlassenen Anordnungen auszuführen und seine allge-
meinen Richtlinien zu befolgen, sofern es sich nicht um Fälle handelt, in denen
er nach besonderer gesetzlicher Vorschrift an Weisungen nicht gebunden und
nur dem Gesetz unterworfen ist (vgl. nunmehr § 35 Satz 2 und 3 BeamtStG).
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Vorgesetzter ist derjenige, der einem Beamten für seine dienstliche Tätigkeit
Anordnungen erteilen kann (§ 4 Abs. 2 Satz 2 LBG BW 1996). Dabei bestimmt
sich nach dem Aufbau der öffentlichen Verwaltung, wer Vorgesetzter ist (§ 4
Abs. 4 LBG BW 1996). Danach sind die Vorgesetzten vom Dienstherrn ermäch-
tigt, den ihnen nachgeordneten Beamten derselben Dienststelle Anordnungen
zu erteilen. Weisungen anderer Stellen oder privater Dritter darf der Beamte
nicht entgegennehmen; er ist zu unparteiischem Dienst für die Gesamtheit und
loyaler Pflichterfüllung verpflichtet (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 17. Ok-
tober 1957 - 1 BvL 1/57 - BVerfGE 7, 155 <163>; Urteil vom 27. April 1959
- 2 BvF 2/58 - BVerfGE 9, 268 <286 f.>).
Verletzt der Beamte die ihm obliegende Pflicht zur Befolgung dienstlicher An-
ordnungen, begeht er bei schuldhaftem Handeln ein Dienstvergehen (§ 47
Abs. 1 Satz 1 BeamtStG, § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG), das disziplinarisch geahndet
werden kann. Das weisungsrechtliche Regelungsgefüge muss daher so klar
und bestimmt sein, dass der Beamte erkennen kann, welche und wessen An-
ordnungen er zu befolgen hat. Eine Vorschrift entspricht nur dann rechtsstaatli-
chen Grundsätzen, wenn und soweit sich aus ihr mit ausreichender Bestimm-
barkeit ermitteln lässt, was von den pflichtigen Personen verlangt wird. Vom
Normgeber wird verlangt, die Rechtsvorschriften so genau zu fassen, wie dies
nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den
Normzweck möglich ist (BVerwG, Urteil 16. Oktober 2013 - 8 CN 1.12 -
BVerwGE 148, 133 Rn. 21 m.w.N.). Auf denselben Regelungsbereich bezoge-
ne Gesetze dürfen daher nicht zu widersprüchlichen Ergebnissen führen (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 1 BvR 1550/03 u.a. - BVerfGE 118, 168
<191>). Für sanktionsbewehrte Anordnungen gilt dies in besonderer Weise
(BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a. - BVerfGE 126,
170 <195>).
b) Diesen Vorgaben entspricht das Regelungsgefüge des Landesgesetzes für
die Weisungs- und Aufsichtsrechte der Beigeladenen gegenüber den beamte-
ten Bewährungs- und Gerichtshelfern des Landes nicht. Das Landesgesetz
weist im Hinblick auf das Verhältnis zwischen dem Beklagten und der Beigela-
denen in Bezug auf das Ergebnis der Diensttätigkeit der beamteten Bewäh-
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rungshelfer sowie auf die Person des Weisungsbefugten unauflösbare Wider-
sprüche auf, die die Annahme ausschließen, die Beigeladene habe gegenüber
einem Beamten, der - wie der Kläger - in einer "Einrichtung" tätig ist, tatsächlich
eine zu Weisungen berechtigende Stellung.
Mit der in §§ 7 und 8 LBGS gewählten Konstruktion hat das beklagte Land - be-
wusst - auf eine Zuweisung der Beamten an die Beigeladene verzichtet. Den
beamteten Bewährungs- und Gerichtshelfern ist nicht eine Tätigkeit bei der Bei-
geladenen übertragen worden. Sie sind auch organisatorisch nicht dem Betrieb
der Beigeladenen zugeordnet, sondern werden weiterhin an einer landeseige-
nen Dienststelle verwendet. Damit kommt der Beigeladenen und ihren Mitarbei-
tern auch keine Vorgesetzteneigenschaft gegenüber dem Kläger und den ande-
ren Bewährungs- und Gerichtshelfern des Landes zu. Nach dem Aufbau der
Verwaltung (§ 4 Abs. 4 LBG BW 1996) kann deren Vorgesetzter vielmehr nur
ein an der landeseigenen Dienststelle Beschäftigter des beklagten Landes sein.
Die Beigeladene ist daher bereits in personeller Hinsicht nicht anordnungsbe-
fugt.
Die fehlende Weisungsbefugnis der Beigeladenen gegenüber den beamteten
Bewährungs- und Gerichtshelfern des Landes folgt überdies aus dem Umstand,
dass Anordnungen in Bezug auf die Bewährungs- und Gerichtshilfe nicht im
Aufgabenbereich ihrer Dienststelle liegen. Die Aufgabe der Bewährungs- und
Gerichtshilfe im ganzen Land ist auf die Beigeladene als Beliehene übertragen
worden (§ 7 Abs. 1 LBGS i.V.m. § 1 des zwischen dem Beklagten und der Bei-
geladenen geschlossenen Vertrags vom 6. Dezember 2006). Hierauf bezogene
Anordnungen liegen daher nicht im sachlichen Anwendungsbereich der dienst-
lichen Aufgaben der beamteten Bewährungs- und Gerichtshelfer des Landes.
Weisungen der Beigeladenen sind folglich in sachlicher Hinsicht nicht auf die
Dienstausübung des Klägers sowie der anderen beamteten Bewährungs- und
Gerichtshelfer bezogen.
In Widerspruch hierzu gehen § 8 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2, 4 und 6 LBGS von Anord-
nungsrechten der Beigeladenen in Bezug auf Aufgaben der Bewährungs- und
Gerichtshilfe gegenüber den beamteten Bewährungs- und Gerichtshelfern aus.
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Wie diese Normen in Bezug zu den beamtenrechtlichen Regelungen stehen,
lässt sich den Vorschriften nicht entnehmen. Das durch die widersprüchlichen
Bestimmungen ausgelöste Spannungsverhältnis wird durch die weiteren Rege-
lungen des Landesgesetzes nicht aufgelöst.
Unklar ist dabei insbesondere, wessen Weisungen der Kläger und die anderen
beamteten Bewährungs- und Gerichtshelfer des Landes befolgen müssen. § 8
LBGS geht zwar von Weisungsbefugnissen der Beigeladenen aus, ordnet aber
nicht ausdrücklich an, dass dies auch für Beamte gilt, die einer Dienststelle des
Beklagten zugeordnet sind. Dort muss es nach dem allgemeinen Aufbau der
Verwaltung aber vom Beklagten bestimmte Vorgesetzte des Klägers geben (§ 4
Abs. 4 LBG BW 1996). Dass der beamtete Bewährungshelfer auch in dieser
Situation, trotz des Vorhandenseins eines Vorgesetzten seiner eigenen Dienst-
stelle, Weisungen von der Beigeladenen entgegennehmen muss, lässt sich
dem Regelungsgefüge nicht entnehmen.
Die Weisungsmöglichkeit zweier unterschiedlicher Stellen würde aber nicht nur
zu Unklarheiten führen, sondern die Gefahr begründen, dass der Beamte zum
"Diener zweier Herren" wird (BVerfG, Beschluss vom 19. September 2007
- 2 BvF 3/02 - BVerfGE 119, 247 <264 f.>). Er muss einerseits Weisungen sei-
nes Vorgesetzten befolgen (§ 4 Abs. 2 Satz 2 LBG BW 1996), unterliegt ande-
rerseits aber den fachliche Anordnungen der Beigeladenen. Da es sich bei der
Beigeladenen um einen privaten Dritten handelt, der erwerbswirtschaftlichen
Rationalitäten unterliegt, kann auch nicht unmittelbar von einer Abschirmung
des Gemeinwohlinteresses gegen potentiell nicht primär fachlich motivierte
Einwirkungen ausgegangen werden, so dass die Anordnungsbefugnis hier be-
sonderen Bedenken ausgesetzt ist (BVerfG, Urteil vom 18. Januar 2012 - 2 BvR
133/10 - BVerfGE 130, 76 <126 f.>; kritisch zur Weisungsbefugnis Privater auch
Lecheler, in: Badura/Dreier (Hrsg.): Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsge-
richt, Band II, 2001, S. 359 <373> sowie Blanke/Sterzel, Privatisierungsrecht für
Beamte, 1999, Rn. 146 und 151).
Eine Regelung zur Auflösung etwaiger Konfliktlagen sieht das Landesgesetz
über die Bewährungs- und Gerichtshilfe sowie die Sozialarbeit im Justizvollzug
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nicht vor. Hierzu hätte angesichts des mehrpoligen Verhältnisses, das zusätz-
lich durch das vorrangige Anweisungsrecht des Richters gekennzeichnet ist
(vgl. § 56d Abs. 4 Satz 2 StGB, § 25 Satz 2 JGG, § 160 Abs. 3 Satz 2 und
§ 463d StPO), in besonderer Weise Anlass bestanden. Entsprechende Kollisi-
onslagen sind vom Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung geschildert
worden.
Ebenso wenig ist ersichtlich, wie der Kläger oder die anderen beamteten Be-
währungs- und Gerichtshelfer im Falle einer rechtswidrigen Anordnung durch
die Beigeladene verfahren sollen. Die Gehorsamspflicht des Beamten besteht
grundsätzlich auch bei rechtswidrigen Weisungen. Deshalb hat der Beamte die
Möglichkeit und Pflicht, Bedenken an der Rechtmäßigkeit dienstlicher Anord-
nungen auf dem Dienstweg geltend zu machen. Nur so kann er sich - wie dar-
gestellt - von seiner eigenen Verantwortlichkeit befreien (§ 36 Abs. 2 Satz 3
BeamtStG, § 38 Abs. 2 Satz 2 BRRG a.F.) und kommt er gleichzeitig der Ver-
pflichtung nach, seinen Vorgesetzten zu beraten. Ein Dienstweg im Sinne des
§ 36 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG für die Remonstration gegen eine Anordnung der
Beigeladenen ist aber nicht gegeben, weil die Weisung nicht vom Vorgesetzten
stammt. Der anordnungsbefugten Beigeladenen kommt mangels Zuweisung
keine Vorgesetzteneigenschaft zu; sie könnte den Beamten auch nicht von sei-
ner Verpflichtung zu rechtmäßigem Handeln entbinden, weil sie keiner parla-
mentarischen Verantwortung unterliegt. Der Beamte müsste sich daher an den
Vorgesetzten seiner eigenen Dienststelle wenden. Dieser ist zu fachlichen Wei-
sungen im Aufgabenbereich der Beigeladenen aber weder befugt noch in der
Lage.
Widersprüchlich ist auch die Ausgestaltung der in § 8 LBGS selbst angeordne-
ten Befugnisse der Beigeladenen. Nach § 8 Nr. 1 Satz 2 LBGS ist "der Vor-
stand" des freien Trägers zur Ausübung der Fachaufsicht und des fachlichen
Weisungsrechts ermächtigt. Entsprechendes ordnet § 8 Nr. 4 Satz 1 LBGS so-
wie der hierauf gestützte § 2 DVO LBGS hinsichtlich der Ausübung von Dienst-
herrnbefugnissen an. So bleibt unklar, welche Person bei einem aus mehreren
Personen bestehenden Vorstand weisungsbefugt sein soll: Jede Person allein
oder alle Vorstandsmitglieder zur gesamten Hand oder jedes Vorstandsmitglied
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für seinen jeweiligen Geschäftsbereich. Eine gesetzliche Delegationsermächti-
gung findet sich nicht. § 8 Nr. 2 und 6 LBGS sprechen dagegen Anordnungsbe-
fugnisse und Weisungsrechte "des freien Trägers" aus, ohne die weisungsbe-
fugte Person zu bestimmen. Die Unklarheit dieser Regelung kann nicht durch
Rückgriff auf § 8 Nr. 1 Satz 2 LBGS behoben werden, weil diese Bestimmung
ihrerseits keinen eindeutigen Regelungsgehalt hat. Damit wären auch Maß-
nahmen erfasst, die von nachgeordneten Beschäftigten der Beigeladenen er-
lassen werden. Entsprechend wird - wie der Vertreter der Beigeladenen in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat - in der Praxis offenbar
auch verfahren. Dem Regelungsgefüge des § 8 LBGS ist damit nicht zu ent-
nehmen, ob die beamteten Bewährungs- und Gerichtshelfer nur Weisungen der
Geschäftsführer der Beigeladenen (als gemeinnützige GmbH hat die Beigela-
dene keinen Vorstand) befolgen müssen oder auch Anordnungen von nachge-
ordneten Mitarbeitern der Beigeladenen.
Das Regelungskonzept des Beklagten ist damit nicht nur unklar, sondern in sich
widersprüchlich. Es verzichtet zwar auf eine Zuweisung der beamteten Bewäh-
rungs- und Gerichtshelfer an die Beigeladene und versetzt die Beamten an eine
landeseigene Dienststelle der Bewährungs- und Gerichtshilfe. An diesen
Dienststellen können der Kläger und die anderen beamteten Bewährungs- und
Gerichtshelfer aber keine dienstliche Aufgabe des Beklagten mehr versehen.
Die Aufgabe der Bewährungs- und Gerichtshilfe (mit der die Landesbeamten
gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 des zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen
geschlossenen Vertrags vom 6. Dezember 2006 weiterhin zu befassen sind) im
ganzen Land ist auf die Beigeladene übertragen worden. An ihrer Dienststelle
haben die Landesbeamten damit zwar einen Vorgesetzten, aber keine dienstli-
che Aufgabe. Umgekehrt werden der Beigeladenen Weisungs- und Aufsichts-
rechte gegenüber den beamteten Bewährungs- und Gerichtshelfern des Landes
eingeräumt, obwohl diesen keine Tätigkeit bei der Beigeladenen übertragen ist.
Die Beigeladene hat daher Anordnungsbefugnisse, ist aber nicht Vorgesetzte
der Beamten. Diese Weisungsrechte betreffen Angelegenheiten, die den Beam-
ten nicht als dienstliche Aufgabe obliegen. Schließlich widersprechen die Wei-
sungsbefugnisse auch der Regelung des Gesetzes, dass der Beigeladenen nur
das Ergebnis der Dienstleistung zur Verfügung gestellt wird (§ 8 Nr. 1 Satz 1
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LBGS) - auf das bereits vom Beklagten erbrachte Ergebnis kann sich das fach-
liche Weisungsrecht, das gerade dem Zustandekommen dieses Ergebnisses
dient, nicht beziehen.
Diese Brüche und Gegensätze können im Wege der Auslegung nicht beseitigt
werden. Es ist keine Anwendung der in § 8 LBGS enthaltenen Befugnisse der
Beigeladenen denkbar, mit der ein Widerspruch zur Einschränkung des Anord-
nungsrechts auf Vorgesetzte (§ 4 Abs. 4 LBG BW 1996) vermieden werden
könnte. Derartiges wäre nur in Anlehnung an das Rechtsinstitut der Zuweisung
vorstellbar, das indes eine Zustimmung der Beamten voraussetzt (§ 123a
Abs. 1 BRRG, § 20 Abs. 1 BeamtStG) und vom Beklagten bewusst nicht ge-
wählt worden ist.
Auch das vom Beklagten geschaffene umfassende Instrumentarium der Dienst-
und Fachaufsicht über die Beigeladene - einschließlich aufsichtsrechtlicher Be-
anstandungs- und Weisungsrechte bis hin zur Vollstreckung durch Ersatzvor-
nahme (vgl. § 8 Nr. 5 Satz 2, Nr. 7 LBGS und § 7 Abs. 2 und 3 des zwischen
dem Beklagten und der Beigeladenen geschlossenen Vertrags vom 6. Dezem-
ber 2006) - hilft über die dargestellten Brüche und Gegensätze nicht hinweg.
Denn Adressat dieser Aufsichtsrechte ist allein die Beigeladene, nicht aber der
Kläger als Bewährungshelfer. Ihn schützen diese Aufsichtsrechte des Beklagten
allenfalls mittelbar. Er kann daraus insbesondere nicht erkennen, wer sein Vor-
gesetzter im Sinne des Dienstrechts ist und wessen Weisungen er zu befolgen
hat.
Das bestehende Regelungskonzept ist darüber hinaus in wesentlichen Punkten
lückenhaft und unvollständig, weil Zentralfragen des Anordnungsrechts der Bei-
geladenen nicht normiert worden sind. Dem Gesetz kann nicht mit ausreichen-
der Bestimmtheit entnommen werden, welche Mitarbeiter der Beigeladenen
dem Kläger gegenüber anordnungsbefugt sind. Die Bestimmungen klären nicht,
in welcher Beziehung das Weisungsrecht des Vorgesetzten zur Anordnungsbe-
fugnis der Beigeladenen steht. Die Normen lassen schließlich offen, wie und auf
welchem Wege der Kläger sich gegen rechtswidrige Anordnungen der Beigela-
denen wenden kann. Der Beamte wird damit einerseits mit dem vollen Risiko
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der Rechtmäßigkeit seiner Tätigkeit für die Beigeladene belastet, andererseits
aber mit einer Disziplinarmaßnahme im Falle der Weigerung bedroht.
Enthält eine Bestimmung die für ihre Anwendung notwendigen Regelungen
nicht und kann die für einen Vollzug unverzichtbare Vollständigkeit auch nicht
im Wege der Auslegung gewonnen werden, kann sie jedenfalls keine diszipli-
narmaßnahmenbewehrte Befolgungspflicht für Beamte auslösen (vgl. BVerwG,
Urteil vom 24. November 2011 - 2 C 50.10 - Buchholz 230 § 128 BRRG Nr. 9
Rn. 7 ff.). Die in § 8 LBGS enthaltenen Bestimmungen sind daher nicht geeig-
net, Anordnungsbefugnisse der Beigeladenen und eine hiermit korrespondie-
rende Befolgungspflicht des Klägers zu begründen.
4. Diese Feststellung kann und muss der Senat selbst ohne vorherige Vorlage
an das Bundesverfassungsgericht oder den Staatsgerichtshof Baden-Württem-
berg aussprechen.
a) Nach Art. 100 Abs. 1 GG hat ein Gericht die Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei
der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig (Satz 1) oder bundesrechts-
widrig (Satz 2) hält. Kann eine begehrte Feststellung nur bei Annahme der Un-
gültigkeit eines Landesgesetzes wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz
oder sonstiges Bundesrecht ausgesprochen werden, ist ein Verwaltungsgericht
daher an einer eigenständigen Entscheidung gehindert. Der Ausspruch setzt
die Ungültigkeit des Landesgesetzes voraus, zu dessen Feststellung nur das
Bundesverfassungsgericht berufen ist (Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG).
Dem Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts sind aber nur die-
jenigen Fälle unterstellt, in denen sich die Ungültigkeit des Landesgesetzes aus
höherrangigem Bundesrecht ergibt (Art. 31 GG). Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts gilt auch dies nur dann, wenn es um später erlas-
senes Bundesrecht geht. Sinn des Art. 100 Abs. 1 GG ist es nicht, den Gerich-
ten die Kompetenz zur Prüfung der Gültigkeit von Gesetzen allgemein, sondern
nur dann zu entziehen, wenn damit der Vorwurf an den Landesgesetzgeber
verbunden ist, er habe bei Erlass seines Gesetzes übergeordnetes Bundes-
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recht nicht beachtet (BVerfG, Beschlüsse vom 6. Oktober 1959 - 1 BvL 13/58 -
BVerfGE 10, 124 <128>, vom 23. März 1982 - 2 BvL 13/79 - BVerfGE 60, 135
<153> und vom 6. Dezember 1983 - 2 BvL 1/82 - BVerfGE 65, 359 <373>;
ebenso BVerwG, Urteile vom 16. Mai 2000 - BVerwG 3 C 2.00 - Buchholz 316
§ 13 VwVfG Nr. 2 S. 1 <3> und vom 26. April 2006 - BVerwG 7 C 15.05 -
BVerwGE 126, 1 Rn. 8).
Entsprechend setzt eine Vorlage an den Staatsgerichtshof Baden-Württemberg
voraus, dass die Vereinbarkeit eines Landesgesetzes mit der Landesverfas-
sung in Frage gestellt ist (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG; Art. 68 Abs. 1 Nr. 3 der
Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 1953, GBl.
S. 173, zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011, GBl. S. 46, so-
wie § 51 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof vom 13. Dezember 1954,
GBl. S. 171, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. November 2012, GBl.
S. 569).
Außerhalb der durch Art. 100 Abs. 1 GG geregelten Fallkonstellationen von
Normenkollisionen verbleibt es bei der Entscheidungskompetenz der zuständi-
gen Gerichte (Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 753;
vgl. auch BVerwG, Urteil vom 27. November 1992 - 8 C 9.91 - Buchholz 406.11
§ 127 BBauG/BauGB Nr. 64 S. 77).
b) Um einen Fall der vermeintlichen Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit
Bundesrecht oder der Landesverfassung geht es hier aber nicht. Der Feststel-
lungsausspruch des Senats beruht nicht auf der Annahme, das Landesgesetz
über die Bewährungs- und Gerichtshilfe sowie die Sozialarbeit im Justizvollzug
sei mit höherrangigem Recht nicht vereinbar. Die Entscheidung beruht vielmehr
zum einen darauf, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die Weisungsgebun-
denheit der Beamten beim Erlass des Landesgesetzes das Verhältnis zu den
allgemeinen Bestimmungen des Landesbeamtengesetzes vom 19. März 1996
im Unklaren gelassen hat. Zum anderen hat der Gesetzgeber im Landesgesetz
in Bezug auf die Weisungsbefugnisse gegenüber den Beamten, deren Übertra-
gung auf die Beigeladene sich der Beklagte und die Beigeladene berühmen,
eine Regelung voller schwerwiegender Widersprüche geschaffen, die auch im
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Wege der Auslegung des Gesetzes nicht aufzulösen sind. Der einfachgesetzli-
che Normbefund ergibt vielmehr, dass es sich - wie dargestellt - um ein in mehr-
facher Hinsicht "imperfektes" Regelungsgefüge handelt.
5. Um die Funktionsfähigkeit der Bewährungs- und Gerichtshilfe in Baden-
Württemberg nicht zu gefährden und das Regelungsdefizit für die in diesem
Bereich notwendigen Weisungen nicht zu vertiefen, kann der Zustand, der sich
in der Praxis auf Grundlage des Landesgesetzes über die Bewährungs- und
Gerichtshilfe sowie die Sozialarbeit im Justizvollzug und des zwischen dem Be-
klagten und der Beilgeladenen geschlossenen Vertrags herausgebildet hat,
noch für einen Übergangszeitraum, längstens aber bis Ende 2016, hingenom-
men werden (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Juni 2004 - 2 C 50.02 - BVerwGE
121, 103 <111> und vom 30. August 2012 - 2 C 23.10 - BVerwGE 144, 93
Rn. 16).
Allerdings muss gewährleistet werden, dass die beamteten Bewährungs- und
Gerichtshelfer generelle Standards und Vorgaben der Beigeladenen nur dann
befolgen müssen, wenn der Beklagte diesen vorab zugestimmt und sie seinen
Beamten gegenüber für verbindlich erklärt hat. Darüber hinaus muss sicherge-
stellt sein, dass sich die beamteten Bewährungs- und Gerichtshelfer mit Beden-
ken gegen die Anordnungen der Beigeladenen unmittelbar an eine Stelle ihres
Dienstherrn wenden können, ohne vorab den betriebsinternen Dienstweg der
Beigeladenen durchlaufen zu müssen.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO.
Domgörgen Dr. Heitz Dr. Hartung
Dr. Kenntner Dollinger
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B e s c h l u s s
vom 27. November 2014
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG).
Domgörgen Dr. Kenntner Dollinger