Urteil des BVerwG vom 26.06.2014

Dienstliche Tätigkeit, Berufliche Tätigkeit, Nebentätigkeit, Amtsführung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 23.13
VG 7 K 376.10
Verkündet
am 26. Juni 2014
Stowasser
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz, Dr. von der Weiden,
Dr. Hartung und Dollinger
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Berlin vom 8. Februar 2013 wird zurückge-
wiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger, ein emeritierter Hochschullehrer und Ruhestandsbeamter, wendet
sich dagegen, dass ihm die Beklagte eine im Ruhestand aufgenommene beruf-
liche Tätigkeit untersagt hat.
Der Kläger wurde 1984 vom Land … unter Berufung in das Beamtenverhältnis
auf Lebenszeit zum Universitätsprofessor an der … Universität für das Fach
„…“ ernannt. Er leitete das Universitätsinstitut für … und war als Chefarzt an
einem Universitätsklinikum tätig.
Um zu verhindern, dass der Kläger den Ruf einer anderen Universität annahm,
erteilte ihm die Universität im Jahr 1991 in einer Bleibevereinbarung die Zusa-
ge, er könne … Diagnostikleistungen für externe Auftraggeber, insbesondere
für Krankenhäuser, mit dienstlichen Mitteln als Nebentätigkeit erbringen und pri-
vat liquidieren. In der Folgezeit übte der Kläger diese Tätigkeit in einer von ihm
aufgebauten Einrichtung des Universitätsinstituts („…“) aus. Im Jahr 1996
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widerrief die Universität die Nebentätigkeitsgenehmigung, weil sie die Nebentä-
tigkeit dem dienstlichen Aufgabenbereich des Klägers zuordnen wollte. Dessen
Anfechtungsklage gegen den Widerruf hatte wegen der vorbehaltlos erteilten
Zusage in der Bleibevereinbarung Erfolg.
Der Kläger trat drei Jahre nach Erreichen der allgemeinen Altersgrenze am
1. Oktober 2010 in den Ruhestand. Seitdem setzt er seine berufliche Tätigkeit
in einer eigenen ärztlichen Praxis („…“) fort. Dort erbringt er weiterhin … Dia-
gnostikleistungen für externe Auftraggeber, aber auch als vertragsärztliche
Leistung für eigene Patienten.
Bei Eintritt in den Ruhestand untersagte die Beklagte dem Kläger den Betrieb
und die Unterhaltung seiner Praxis mit sofortiger Wirkung bis zum Ablauf des
Jahres 2014. Die Beklagte berief sich vor allem darauf, der Kläger unterliege
einem Konkurrenzverbot. Auch warf sie dem Kläger verschiedene Pflichtenver-
stöße vor, etwa die Mitnahme von Arbeitsmaterial (Gewebeproben) aus dem …
Institut und die Verwendung einer Patientenliste des Instituts.
Der Antrag des Klägers, ihm die Weiterführung seiner Praxis im Wege vorläufi-
gen Rechtsschutzes bis zum Abschluss des Klageverfahrens zu ermöglichen,
hat in beiden verwaltungsgerichtlichen Instanzen Erfolg gehabt. Auf die Anfech-
tungsklage hat das Verwaltungsgericht die Untersagungsverfügung aufgeho-
ben. Die Urteilsgründe decken sich weitgehend mit den Gründen des Beschlus-
ses des Oberverwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschut-
zes. Das Verwaltungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
Die ärztliche Tätigkeit, die der Kläger im Ruhestand ausübe, stehe in einem Zu-
sammenhang mit der früheren dienstlichen Tätigkeit, weil sie sich qualitativ
weitgehend mit den dienstlichen Aufgaben des Klägers vor Eintritt in den Ruhe-
stand decke. Sie dürfe jedoch nicht untersagt werden, weil sie nicht geeignet
sei, dienstliche Interessen zu beeinträchtigen. Dies sei bei einer Tätigkeit von
Ruhestandsbeamten nur der Fall, wenn sich daraus berechtigte Zweifel an der
Integrität der früheren Amtsführung ergäben. Daher seien Ruhestandsbeamte
zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet und dürften nicht für Dritte tätig werden,
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mit deren Angelegenheiten sie dienstlich befasst gewesen seien. Dagegen dürf-
ten sie ihre beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen nutzen und in Konkurrenz
zum Dienstherrn treten.
Die ärztliche Tätigkeit des Klägers im Ruhestand lasse keine nachteiligen
Schlüsse auf die Wahrnehmung seiner früheren dienstlichen Aufgaben zu: Mit
der Diagnostik für Patienten der Beklagten sei der Kläger nicht mehr befasst.
Die Diagnostikleistungen für externe Auftraggeber habe er bereits während sei-
ner Dienstzeit jedenfalls in wesentlichen Teilen als Nebentätigkeit privat er-
bracht und liquidiert. Die Vorwürfe der Beklagten gegen den Kläger seien alle-
samt nicht erwiesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene
Sprungrevision der Beklagten. Sie macht geltend, Erwerbstätigkeiten von Ru-
hestandsbeamten seien nach den gleichen Rechtsgrundsätzen zu beurteilen
wie Nebentätigkeiten aktiver Beamter. Daher beeinträchtige eine Erwerbstätig-
keit im Ruhestand dienstliche Interessen, wenn der Ruhestandsbeamte dem
Dienstherrn Konkurrenz mache. Auch die Pflichtenverstöße des Klägers recht-
fertigten die Untersagung seiner Erwerbstätigkeit.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Februar
2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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II
Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig. Die Beklagte hat das vom Ver-
waltungsgericht zugelassene Rechtsmittel form- und fristgerecht eingelegt, ins-
besondere die schriftliche Zustimmungserklärung des Klägers zur Einlegung
der Sprungrevision fristgerecht vorgelegt (§ 134 Abs. 1 Satz 1 und 3 VwGO).
Die Sprungrevision der Beklagten ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil
ist mit Bundesrecht und revisiblem Landesbeamtenrecht vereinbar (§ 137
Abs. 1 Nr. 1 VwGO, § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG i.V.m. § 127 BRRG). Das
Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die berufliche Tätigkeit
des Klägers im Ruhestand nicht untersagt werden darf, weil durch diese keine
Beeinträchtigung dienstlicher Interessen zu besorgen ist.
Für die Anzeige und Untersagung einer Erwerbstätigkeit von Ruhestandsbeam-
ten der Länder und der ihrer Aufsicht unterstehenden dienstherrnfähigen juristi-
schen Personen gilt nunmehr unmittelbar § 41 des Beamtenstatusgesetzes
- BeamtStG - vom 17. Juni 2008 (BGBl I S. 1010). Nach Satz 1 dieser Vorschrift
haben Ruhestandsbeamte die Ausübung einer Erwerbstätigkeit außerhalb des
öffentlichen Dienstes anzuzeigen, die mit der früheren dienstlichen Tätigkeit im
Zusammenhang steht und durch die dienstliche Interessen beeinträchtigt wer-
den können. Der Zusammenhang muss innerhalb eines Zeitraums vor Eintritt in
den Ruhestand bestehen, den das Landesrecht zu bestimmen hat. Nach § 41
Satz 2 BeamtStG ist die Erwerbstätigkeit zu untersagen, wenn zu besorgen ist,
dass durch sie dienstliche Interessen beeinträchtigt werden. Nach Satz 3 endet
das Verbot spätestens mit Ablauf von fünf Jahren seit Beendigung des Beam-
tenverhältnisses. Das Landesrecht kann einen kürzeren Zeitraum festlegen.
1. Nach der gesetzlichen Systematik knüpft der Untersagungstatbestand des
§ 41 Satz 2 BeamtStG an die Anzeigepflicht nach Satz 1 der Vorschrift an. Die
Untersagung einer Erwerbstätigkeit setzt voraus, dass die Erwerbstätigkeit der
Anzeigepflicht unterliegt. Hierfür muss ein Zusammenhang zwischen der Er-
werbstätigkeit und der früheren dienstlichen Tätigkeit des Ruhestandsbeamten
bestehen. Das Berliner Landesrecht legt den Zeitraum, in dem der Ruhestands-
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beamte die den Zusammenhang begründende dienstliche Tätigkeit ausgeübt
haben muss, auf die letzten fünf Jahre vor Beendigung des Beamtenverhältnis-
ses, d.h. vor Beginn des Ruhestandes, fest (§ 68 Abs. 1 des Landesbeamten-
gesetzes Berlin - LBG Berlin - vom 19. März 2009, GVBl S. 70).
Eine dienstliche Tätigkeit im Sinne von § 41 Satz 1 BeamtStG liegt vor, wenn
die Tätigkeit zu dem Aufgabenbereich des früheren Hauptamtes des Ruhe-
standsbeamten gehört hat; sie muss von der beamtenrechtlichen Dienstleis-
tungspflicht umfasst gewesen sein. Demzufolge sind Nebentätigkeiten keine
dienstlichen Tätigkeiten, weil sie nicht zu den Aufgaben des Hauptamtes gehö-
ren (vgl. § 60 Abs. 2 LBG Berlin). Sie sind dem Bereich der privaten Lebensfüh-
rung zuzurechnen.
Dies gilt auch für Nebentätigkeiten leitender Krankenhausärzte (Chefärzte) im
Beamtenverhältnis, die sich in tatsächlicher Hinsicht nicht von deren dienstli-
chen Aufgaben im Bereich der Krankenversorgung unterscheiden. Sie umfas-
sen ärztliche Tätigkeiten, in der Regel die Behandlung von Privatpatienten, die
der Dienstherr aufgrund einer Vereinbarung oder Zusicherung aus dem Aufga-
benbereich des Hauptamtes des Arztes herausgenommen und diesem zur
Wahrnehmung in eigenem Namen und auf eigene Rechnung zugewiesen hat.
Der Arzt übt die Nebentätigkeit während der Arbeitszeit aus und nimmt hierfür
gegen Zahlung eines angemessenen Entgelts an den Dienstherrn das Personal
und die Sachausstattung des Krankenhauses in Anspruch (vgl. § 64 Abs. 1 und
2 LBG Berlin). Auf diese Weise erhalten leitende Krankenhausärzte im Beam-
tenverhältnis die Gelegenheit, während des Dienstes ein zusätzliches Erwerbs-
einkommen zu erzielen (BVerfG, Beschluss vom 7. November 1979 - 2 BvR
513/13, 558/74 - BVerfGE 52, 303 <343 f.>; Kammerbeschluss vom 8. Dezem-
ber 2006 - 2 BvR 385/05 - NVwZ-RR 2007, 185; BVerwG, Urteil vom 27. Fe-
bruar 2008 - BVerwG 2 C 27.06 - BVerwGE 130, 252 = Buchholz 237.7 § 72
NWLBG Nr. 6 ).
Ein Zusammenhang im Sinne von § 41 Satz 1 BeamtStG zwischen der Er-
werbstätigkeit im Ruhestand und der früheren dienstlichen Tätigkeit besteht,
wenn die Erwerbstätigkeit einen Anknüpfungspunkt in der dienstlichen Tätigkeit
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hat und die dienstliche Tätigkeit für das frühere Hauptamt des Ruhestandsbe-
amten nicht nur untergeordnete Bedeutung hat. Dieser Bedeutungsgehalt des
gesetzlichen Begriffs des Zusammenhangs folgt aus dem Zweck der dadurch
begründeten Anzeigepflicht. Die Anzeige einer Erwerbstätigkeit im Ruhestand
soll die Prüfung ermöglichen, ob sie nach § 41 Satz 2 BeamtStG untersagt wer-
den muss. Daher erweist sich eine Anzeige nur als sinnvoll, wenn eine Unter-
sagung ernsthaft in Betracht kommt.
Nach den bindenden, nach § 134 Abs. 4 VwGO nicht mit Verfahrensrügen an-
greifbaren tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts kann nicht
abschließend beurteilt werden, ob zwischen der im Ruhestand aufgenommenen
Erwerbstätigkeit und den Aufgaben des früheren Hauptamtes des Klägers ein
Zusammenhang im Sinne des § 41 Satz 1 BeamtStG besteht. Das Verwal-
tungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger im Ruhestand … Diagnostikleis-
tungen für externe Auftraggeber und für eigene Patienten als vertragsärztliche
Leistung erbringt. Die Leistungen für externe Auftraggeber können einen Zu-
sammenhang nicht begründen, weil der Kläger diese Tätigkeit vor Eintritt in den
Ruhestand nicht aufgrund seines Hauptamtes, sondern als Nebentätigkeit aus-
geübt hat. Insoweit führt er im Ruhestand eine private, aus dem früheren dienst-
lichen Aufgabenbereich herausgenommene Tätigkeit in anderem Rahmen fort.
Der Zusammenhang kann aber durch die früheren Diagnostikleistungen für Pa-
tienten der Beklagten hergestellt werden, die dem Kläger als dienstliche Aufga-
be im Rahmen der Krankenversorgung oblegen haben. Diese dienstliche Tätig-
keit begründet den Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit im Ruhestand,
wenn sie im Vergleich zu den anderen Aufgaben des früheren Hauptamtes des
Klägers in Forschung, Lehre und Krankenversorgung qualitativ oder quantitativ
nicht nur von untergeordneter Bedeutung waren. Hierzu fehlen aussagekräftige
Feststellungen des Verwaltungsgerichts.
2. Auch bei Bestehen eines Zusammenhangs im Sinne von § 41 Satz 1
BeamtStG durfte die Beklagte die Tätigkeit des Klägers im Ruhestand nicht
nach Satz 2 dieser Vorschrift untersagen, weil durch die Tätigkeit eine Beein-
trächtigung dienstlicher Interessen nicht zu besorgen ist. Dem Verwaltungsge-
richt ist darin zuzustimmen, dass der Bedeutungsgehalt des gesetzlichen Be-
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griffs der dienstlichen Interessen im Sinne des § 41 Satz 2 BeamtStG inhaltlich
nicht mit dem wortgleichen Begriff des Nebentätigkeitsrechts übereinstimmt.
Insbesondere stellt es kein dienstliches Interesse dar, dass der Dienstherr vor
der Konkurrenz durch einen Ruhestandsbeamten geschützt wird.
Nach den Beamtengesetzen des Bundes und der Länder steht die Ausübung
von Nebentätigkeiten regelmäßig unter Genehmigungsvorbehalt. Die Genehmi-
gung ist zu versagen, wenn zu besorgen ist, dass durch die Ausübung dienstli-
che Interessen beeinträchtigt werden (vgl. § 99 Abs. 2 Satz 1 BBG und § 62
Abs. 2 Satz 1 LBG Berlin). Ergibt sich eine derartige Beeinträchtigung nach der
Erteilung, muss die Genehmigung widerrufen werden (§ 99 Abs. 4 Satz 3 BBG
und § 62 Abs. 4 Satz 2 LBG Berlin). Die Auslegung dieses allgemeinen gesetz-
lichen Versagungs- und Widerrufsgrundes muss sich an dessen Zweck orientie-
ren, der darin besteht, den Vorrang des Hauptamtes sicherzustellen. Dieser
Vorrang folgt aus dem durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten Grundsatz der
Hauptberuflichkeit des Beamtendienstes sowie aus den ebenfalls in Art. 33
Abs. 5 GG verankerten Dienstpflichten zum vollen beruflichen Einsatz und zur
unparteiischen und uneigennützigen Amtsführung.
Daher erfasst das dienstliche Interesse jeden Belang, der die Erledigung der
dienstlichen Aufgaben und die integere Amtsführung der Beamten, insbesonde-
re deren Unparteilichkeit und Uneigennützigkeit, betrifft oder sich darauf aus-
wirken kann. Dementsprechend muss das Verbot, eine Nebentätigkeit auszu-
üben, stets einen dienstlichen Bezug aufweisen. Öffentliche Interessen ohne
Bezug zu dem Hauptamt und den für die Amtsführung geltenden Dienstpflich-
ten, etwa das arbeitsmarktpolitische Interesse an der Einstellung von Berufsan-
fängern, können ein Nebentätigkeitsverbot nicht rechtfertigen (Urteile vom
26. Juni 1980 - BVerwG 2 C 37.78 - BVerwGE 60, 254 <257> = Buchholz 237.2
§ 29 LBG Berlin Nr. 1 S. 4, vom 30. Juni 1983 - BVerwG 2 C 57.82 - BVerwGE
67, 287 <293 ff.> = Buchholz 238.5 § 40 DRiG Nr. 1 S. 3 ff., vom 25. Januar
1990 - BVerwG 2 C 10.89 - BVerwGE 84, 299 <301 f.> = Buchholz 237.2 § 29
BlnLBG Nr. 2 S. 2 f. und vom 24. November 2005 - BVerwG 2 C 32.04 -
BVerwGE 124, 347 <350 f.> = Buchholz 230 § 42 BRRG Nr. 3 S. 5 f.).
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Aufgrund des Vorrangs des Hauptamtes ist eine Versagung oder ein Widerruf
der Nebentätigkeitsgenehmigung nicht erst dann angezeigt, wenn feststeht,
dass die Ausübung der Nebentätigkeit der Erledigung der dienstlichen Aufga-
ben abträglich ist und dem Vertrauen in die integere Amtsführung schadet.
Vielmehr reicht es aus, dass eine derartige Beeinträchtigung zu besorgen ist.
Dies ist bereits anzunehmen, wenn bei verständiger Würdigung der Umstände
des Einzelfalles nachteilige Auswirkungen der Nebentätigkeit für die bestmögli-
che Erfüllung der Dienstpflichten ernsthaft möglich sind. Es muss bereits der
Eindruck vermieden werden, der Beamte könne seine Dienstpflichten nicht um-
fassend und ordnungsgemäß erfüllen, weil er möglicherweise nicht mehr unpar-
teiisch sei (stRspr; vgl. Urteile vom 26. Juni 1980 a.a.O. S. 257 f. bzw. S. 4 f.,
vom 30. Juni 1983 a.a.O. S. 293 f. bzw. S. 5 f. und vom 24. November 2005
a.a.O. S. 350 f. bzw. S. 3 f.). Sind nachteilige Auswirkungen auf die Erfüllung
der Dienstpflicht nicht zu besorgen, hat der Dienstherr keine Handhabe, um die
Nebentätigkeit zu unterbinden. Der Beamte hat einen Anspruch auf Erteilung
der Nebentätigkeitsgenehmigung (stRspr; vgl. Urteil vom 25. Januar 1990
a.a.O. S. 300 f. bzw. S. 1 f.).
Diese zweckgebundene Auslegung der gesetzlichen Begriffe der dienstlichen
Interessen und der Besorgnis ihrer Beeinträchtigung im Nebentätigkeitsrecht
kann schon deshalb nicht auf die Auslegung des wortgleichen Begriffes des
§ 41 Satz 2 BeamtStG übertragen werden, weil Ruhestandsbeamte kein
Hauptamt und keine Dienstleistungspflicht haben. Ruhestandsbeamten steht es
frei, ihre Arbeitskraft zu verwerten; auf Erfordernisse der Dienstausübung müs-
sen sie keine Rücksicht mehr nehmen. Folgerichtig kann die Untersagung von
Erwerbstätigkeiten im Ruhestand nicht darauf gestützt werden, dass der Vor-
rang des Hauptamtes sichergestellt werden müsse. Stellt die Erwerbstätigkeit
im Ruhestand Berufsausübung dar, ist sie durch Art. 12 Abs. 1 GG, ansonsten
ist sie durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.
Daher können Erwerbstätigkeiten von Ruhestandsbeamten nur untersagt wer-
den, wenn dies notwendig ist, um das Vertrauen in die Integrität des Berufsbe-
amtentums zu erhalten. Dies ist anzunehmen, wenn die Tätigkeit nachteilige
Rückschlüsse auf die frühere Amtsführung des Ruhestandsbeamten zulässt.
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Nur dieser Gesichtspunkt stellt ein dienstliches Interesse dar, das die Untersa-
gung rechtfertigen kann. Da auch hier die Besorgnis der Interessensbeeinträch-
tigung ausreicht, genügt der durch die Tätigkeit im Ruhestand begründete An-
schein, der Ruhestandsbeamte habe sich in seinem früheren Hauptamt womög-
lich nicht in jeder Hinsicht pflichtgemäß verhalten. Diese Besorgnis erscheint in
zwei Fallgestaltungen regelmäßig als begründet:
Zum einen darf die Erwerbstätigkeit nicht den Eindruck erwecken, der Ruhe-
standsbeamte beachte eine im Ruhestand nachwirkende Dienstpflicht - wie et-
wa die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit - nicht. Dies ist anzunehmen, wenn er
durch die Tätigkeit dienstlich erworbene, der Amtsverschwiegenheit unterlie-
gende Kenntnisse verwertet. Davon abgesehen kann der Ruhestandsbeamte
berufliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen verwerten, die er aufgrund
einer langjährigen beruflichen Tätigkeit als Beamter im öffentlichen Dienst er-
worben und vertieft hat.
Zum anderen darf die Erwerbstätigkeit im Ruhestand nicht den Anschein be-
gründen, der Beamte habe bereits während des Dienstes die Integrität der
Amtsführung, d.h. die Pflichten zur unparteilichen und uneigennützigen Amts-
führung, zurückgestellt, um sich die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit im Ruhe-
stand zu eröffnen oder nicht zu verbauen. Dieser Eindruck drängt sich auf,
wenn der Beamte im Ruhestand für Personen oder Unternehmen tätig wird, auf
deren Angelegenheiten er in dem gesetzlich festgelegten Zeitraum dienstlich
Einfluss nehmen konnte. Die Untersagung einer Tätigkeit für derartige Perso-
nen oder Unternehmen, sei es aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Werkver-
trags, ist geboten, weil sie den Anschein erweckt, der Beamte habe bei seiner
Amtsführung übermäßige Rücksicht auf deren Belange genommen. Zugleich
soll durch das Tätigkeitsverbot präventiv auf die Beamten eingewirkt werden:
Ihnen soll deutlich gemacht werden, dass sich übermäßiges Wohlwollen
gegenüber Dritten im Dienst nach Eintritt in den Ruhestand nicht auszahlt
(stRspr; vgl. Urteile vom 6. Dezember 1989 - BVerwG 6 C 52.87- BVerwGE 84,
194 <195 f.> = Buchholz 236.1 § 20a SG Nr. 1 S. 2 f., vom 24. September 1992
- BVerwG 2 A 6.91 - BVerwGE 91, 57 <60 f.> = Buchholz 236.1 § 20a SG Nr. 4
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S. 24 f. und vom 12. Dezember 1996 - BVerwG 2 C 37.95 - BVerwGE 102, 326
<328 f.> = Buchholz 236.1 § 20a SG Nr. 5 S. 2 f.).
Daraus folgt zum einen, dass sich eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen
im Sinne von § 41 Satz 2 BeamtStG nur aus der Amtsführung, d.h. aus der frü-
heren dienstlichen Tätigkeit, nicht aber aus einer Nebentätigkeit ergeben kann.
Zum anderen stellt der Schutz vor der Konkurrenz durch einen Ruhestandsbe-
amten für sich genommen kein dienstliches Interesse dar, das die Untersagung
seiner Erwerbstätigkeit rechtfertigen kann.
Danach liegt auf der Hand, dass die Erwerbstätigkeit des Klägers im Ruhestand
nicht geeignet ist, dienstliche Interessen zu beeinträchtigen:
Der Kläger nutzt seine beruflichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen,
die er auch als beamteter Universitätsprofessor, Leiter eines Universitätsinsti-
tuts und Chefarzt gewonnen hat. Tatsächliche Anhaltspunkte für die Möglichkeit
eines Konflikts mit der Amtsverschwiegenheit hat das Verwaltungsgericht nicht
festgestellt. Auch lässt sich ausschließen, dass sich der Kläger bei seiner frühe-
ren dienstlichen Tätigkeit im Rahmen der Krankenversorgung, d.h. bei seiner
ärztlichen Tätigkeit für Patienten der Beklagten, von der Aussicht hat beeinflus-
sen lassen, daraus nach Eintritt in den Ruhestand Nutzen zu ziehen. Das Ver-
waltungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger im Ruhestand nicht mehr für
Patienten der Beklagten tätig wird. Die Behandlung ehemaliger Patienten der
Beklagten im Ruhestand ist nicht geeignet, Zweifel an der unparteiischen und
uneigennützigen Ausübung der früheren dienstlichen Tätigkeit zu begründen.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich der Kläger auch insoweit ausschließ-
lich von medizinischen Erfordernissen hat leiten lassen.
Die Beeinträchtigung dienstlicher Interessen aufgrund der von der Beklagten
erhobenen Vorwürfe, z.B. der Kläger habe unbefugt Gewebeproben aus dem
Universitätsinstitut und dessen Patientenliste für seine Erwerbstätigkeit im Ru-
hestand verwendet, scheidet schon deshalb aus, weil das Verwaltungsgericht
diesen Vortrag der Beklagten nicht für erwiesen gehalten hat. In Bezug auf die-
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se Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Beklagte im Verfahren der
Sprungrevision keine Verfahrensrügen erheben (§ 134 Abs. 4 VwGO).
3. In Einklang mit der Vorgabe des § 41 Satz 3 BeamtStG legt das Berliner
Landesrecht zwei Fristen für die Pflicht zur Anzeige einer Erwerbstätigkeit
außerhalb des öffentlichen Dienstes und damit zugleich für die zulässige Dauer
ihrer Untersagung fest: Nach § 68 Abs. 1 LBG Berlin beträgt der Zeitraum ent-
weder fünf Jahre ab Beendigung des Beamtenverhältnisses, d.h. ab Eintritt in
den Ruhestand, oder drei Jahre, wenn der Beamte mit Erreichen der Alters-
grenze in den Ruhestand tritt.
Der Gesetzeswortlaut legt nahe, dass der kürzere Zeitraum von drei Jahren nur
für Ruhestandsbeamte gilt, die wegen des Erreichens der Altersgrenze in den
Ruhestand getreten sind. Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Recht ange-
nommen, dass es sich mit dem Normzweck nicht vereinbaren lässt, Beamte wie
den Kläger, die über die gesetzliche Altersgrenze hinaus Dienst geleistet ha-
ben, in Bezug auf den zulässigen Untersagungszeitraum für eine Erwerbstätig-
keit Beamten gleichzustellen, die vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden.
Daher kann davon ausgegangen werden, dass der Landesgesetzgeber den
Untersagungszeitraum bei einem Hinausschieben des Eintritts in den Ruhe-
stand über die gesetzliche Altersgrenze hinaus nicht geregelt hat. Insoweit liegt
eine planwidrige, weil mit dem Regelungszweck unvereinbare Regelungslücke
vor. Mangels anderer Anhaltspunkte ist anzunehmen, dass der Landesgesetz-
geber die Lücke, wenn er sie erkannt hätte, durch die Anwendung des bei Ru-
hestandseintritt wegen Erreichens der Altersgrenze geltenden Untersagungs-
zeitraums von höchstens drei Jahren, beginnend mit dem Eintritt in den Ruhe-
stand, geschlossen hätte (vgl. zur Analogie: Urteil vom 28. Juni 2012 - BVerwG
2 C 13.11 - BVerwGE 143, 230 = Buchholz 239.1 § 52 BeamtVG Nr. 2
Rn. 24>).
Dieser Zeitraum ist im Fall des Klägers seit dem 1. Oktober 2013 verstrichen,
sodass die Beklagte die Untersagung ungeachtet der fehlenden materiell-
rechtlichen Voraussetzungen nicht bis Ende 2014 aussprechen durfte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Domgörgen
Dr. Heitz
Dr. von der Weiden
Dr. Hartung
Dollinger
B e s c h l u s s
vom 11. Juli 2014
Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 256 000 € festgesetzt (§ 47
Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG).
Domgörgen
Dr. Heitz
Dr. von der Weiden
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Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Beamtenrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BeamtStG § 41 Satz 1 bis 3
LBG Berlin §§ 62, 68
VwGO
§ 134
Stichworte:
Ruhestandsbeamter; Beeinträchtigung dienstlicher Interessen; Nebentätigkeit;
Privatliquidation beamteter Chefärzte; Untersagung einer Erwerbstätigkeit im
Ruhestand; gesetzliche Befristung der Untersagung; Vorrang des Hauptamtes;
Unparteilichkeit und Uneigennützigkeit der Amtsführung; Verwertung dienstlich
erworbener Kenntnisse; Nutzen von Fähigkeiten und Erfahrungen im Ruhe-
stand.
Leitsatz:
Die Erwerbstätigkeit eines Ruhestandsbeamten kann nur dann wegen der Be-
sorgnis der Beeinträchtigung dienstlicher Interessen untersagt werden, wenn
sie nachteilige Rückschlüsse auf dessen frühere Amtsführung zulässt.
Eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen kann sich nur aus einem Zusam-
menhang mit der früheren dienstlichen Tätigkeit, nicht aber aus einem Zusam-
menhang mit einer früheren Nebentätigkeit ergeben.
Dienstliche Interessen werden nicht dadurch beeinträchtigt, dass ein Ruhe-
standsbeamter mit einer Erwerbstätigkeit in Konkurrenz zum Dienstherrn tritt.
Urteil des 2. Senats vom 26. Juni 2014 - BVerwG 2 C 23.13
I. VG Berlin vom 08.02.2013 - Az.: VG 7 K 376.10 -