Urteil des BVerwG vom 27.02.2003

Private Krankenversicherung, Brille, Verfügung, Erwerb

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 2.02
Verkündet
VG 3 K 1430/00
am 27. Februar 2003
Schütz
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S i l b e r k u h l und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Prof. D a w i n , Dr. K u g e l e ,
G r o e p p e r und Dr. B a y e r
für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom
11. Oktober 2001 wird aufgehoben, soweit es dem
Kläger mehr als 320 DM zugesprochen hat. Im
Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Der Kläger trägt 1/10, die Beklagte trägt 9/10
der Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger begehrt die Erstattung eines Teils der Anschaffungs-
kosten einer Bildschirmarbeitsbrille. Er ist Beamter im Dienst
der Beklagten. Deren Arbeitsmedizinischer Dienst empfahl ihm,
sich eine spezielle Sehhilfe für die Arbeit am Bildschirmar-
beitsplatz zu beschaffen. Der Kläger erwarb daraufhin eine vom
Augenarzt verordnete, nur für die Arbeit am Bildschirm geeigne-
te Bifokal-Brille. Die Brille ist mit Kunststoffgläsern ausge-
stattet. Sie kostete 800 DM. Auf das Brillengestell entfielen
319 DM. Die private Krankenversicherung des Klägers erstattete
368,40 DM. Die Übernahme der restlichen Kosten in Höhe von
431,60 DM lehnte die Beklagte ab. Der Widerspruch des Klägers
blieb erfolglos.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, dem Klä-
ger 400 DM zu erstatten und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der
Dienstherr verpflichtet sei, dem Beamten die für die Arbeit am
Bildschirm erforderlichen Sehhilfen zur Verfügung zu stellen.
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Werde dem Beamten stattdessen der Erwerb einer Sehhilfe freige-
stellt, seien alle erforderlichen Aufwendungen zu ersetzen, oh-
ne dass von dem Beamten eine Kostenbeteiligung verlangt werden
könne. Die Festsetzung von Erstattungsobergrenzen nach den Be-
stimmungen des Beihilferechts sei ebenso unzulässig wie die An-
rechnung privater Krankenversicherungsleistungen. Daher könne
der Kläger die Erstattung des Betrages verlangen, der nach Aus-
sage eines Sachverständigen für die Beschaffung einer geeigne-
ten Brille notwendig sei, ohne dass vom Kläger vor dem Kauf bei
verschiedenen Optikern umfangreiche Preisvergleiche gefordert
werden dürften.
Mit der Sprungrevision rügt die Beklagte die Verletzung mate-
riellen Rechts. Sie beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. Oktober
2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit der Kläger
mehr als 36,60 DM fordert.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet, soweit das Verwal-
tungsgericht dem Kläger mehr als 320 DM (entspricht 163,61 €)
zugesprochen hat. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger für
den Erwerb der Bildschirmarbeitsbrille 320 DM zu erstatten. Im
Übrigen ist die Revision unbegründet.
Im Revisionsverfahren geht es nur noch um eine Forderung in Hö-
he von 363,40 DM. Bereits rechtskräftig entschieden ist, dass
dem Kläger die Kosten der Kunststoffgläser in Höhe von 31,60 DM
nicht erstattet werden. Einen Anspruch auf einen Betrag von
36,60 DM hat die Beklagte im Revisionsverfahren anerkannt.
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Nach § 6 Abs. 2 der Verordnung über Sicherheit und Gesundheits-
schutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Bildschirmarbeits-
verordnung – BildscharbV) vom 4. Dezember 1996 (BGBl I S. 1841
<1843>) sind den Beschäftigten im erforderlichen Umfang spe-
zielle Sehhilfen für ihre Arbeit an Bildschirmgeräten zur Ver-
fügung zu stellen, wenn eine Untersuchung nach Abs. 1 dieser
Vorschrift ergeben hat, dass diese Sehhilfen notwendig und nor-
male Sehhilfen nicht geeignet sind. § 6 BildscharbV dient der
Umsetzung von Art. 9 der Richtlinie des Rates der Europäischen
Gemeinschaften vom 29. Mai 1990 - 90/270/EWG - (ABlEG Nr. L 156
S. 14). Gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ist § 19 in Verbin-
dung mit § 18 ArbSchG. § 6 BildscharbV gilt auch für Beamte
(vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 4 Arbeitsschutzgesetz - ArbSchG - vom
7. August 1996, BGBl I S. 1246).
Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit darüber, dass der
Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf die Bildschirmar-
beitsbrille hat. Zwar haben die Beschäftigten nach dem Wortlaut
des § 6 Abs. 2 BildscharbV nur einen Anspruch darauf, dass ih-
nen der Arbeitgeber bzw., soweit es um Beamte geht, der Dienst-
herr eine spezielle Sehhilfe zur Verfügung stellt. Danach ist
die Bildschirmarbeitsbrille ein Arbeitsmittel, das der Dienst-
herr bereitzuhalten hat. Überlässt es der Dienstherr dem Beam-
ten mit dessen Einverständnis, die Bildschirmarbeitsbrille
selbst zu beschaffen, entsteht ein Kostenerstattungsanspruch,
der an die Stelle des vorrangigen Anspruchs auf Sachausstattung
tritt. In diesem Falle ist der Betrag zu erstatten, den der Ar-
beitgeber für die Anschaffung des erforderlichen Arbeitsmittels
hätte aufwenden müssen und der der Höhe nach weiterhin durch
die tatsächlich entstandenen Kosten begrenzt wird.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts,
an die der Senat mangels entsprechender Verfahrensrügen gebun-
den ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), kann der Kläger eine der ärztli-
chen Verordnung entsprechende Brille für 320 DM auf dem freien
Markt erhalten. Dabei sind für das Brillengestell 40 DM und für
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beide Gläser zusammen 280 DM zu veranschlagen. Zu Unrecht hat
das Verwaltungsgericht dem Kläger für die Gläser 360 DM zuge-
sprochen. Zwar entspricht auch dieser Betrag noch den durch-
schnittlichen Erwerbskosten. Dies ergibt sich aus der vom Gut-
achter vorgelegten Preisübersicht. Bei der Vergleichsberechnung
ist der Grundsatz der Sparsamkeit zu beachten. Danach sind der
Dienstherr und deshalb ebenso der Kläger gehalten, eine geeig-
nete Sehhilfe zu dem im Durchschnitt niedrigsten Marktpreis zu
erwerben. Will sich der Kläger nicht der Mühe eines gegebenen-
falls erforderlichen Kostenvergleichs unterziehen, hat er die
Möglichkeit, auf seinem Recht gegenüber seinem Dienstherrn zu
bestehen, ihm eine Bildschirmarbeitsbrille zur Verfügung zu
stellen.
Die vom Kläger begehrte Kostenerstattung ist das Surrogat für
den normativ vorgesehenen Anspruch auf Sachausstattung. Dies
schließt es aus, dass nur ein Zuschuss zu den tatsächlich ent-
standenen oder notwendigen Aufwendungen gezahlt wird oder dass
anderweitige zweckidentische Zahlungen angerechnet werden. Nach
Art. 9 Satz 2 Nr. 3 der Richtlinie 90/270/EWG darf die Ausstat-
tung der Arbeitnehmer mit der speziellen Sehhilfe in keinem
Fall zu einer finanziellen Mehrbelastung der Arbeitnehmer füh-
ren. Mit dieser Vorgabe ist es nicht zu vereinbaren, wenn der
Arbeitnehmer einen Teil der erforderlichen Aufwendungen im Er-
gebnis selbst tragen muss.
Der Kostenersatz erfolgt nicht auf der Grundlage der allgemei-
nen Fürsorgepflicht (§ 79 BBG), die die Gewährung von Beihilfen
des Dienstherrn in Krankheitsfällen zusätzlich zu der zumutba-
ren Eigenbelastung des Beamten vorsieht. Hiervon unterscheidet
sich die Pflicht des Dienstherrn, die erforderlichen Arbeits-
mittel zur Verfügung zu stellen und für den Schutz des Beamten
vor Unfällen und sonstigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen
am Arbeitsplatz zu sorgen. Diese Schutzpflicht verbietet es
auch, die Kosten für die Anschaffung der Bildschirmarbeitsbril-
le nach beihilferechtlichen Grundsätzen zu erstatten.
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Für eine Anrechnung der Zahlungen, die die private Krankenver-
sicherung des Klägers zu der Anschaffung der Brille geleistet
hat, bedürfte es einer Rechtsgrundlage. Die Anrechnung würde
die Höhe des Anspruchs, wie sie sich aus § 6 Abs. 2 BildscharbV
ergibt, mindern. Vermögensleistungen, die Dritte aus Anlass des
den gesetzlichen Anspruch begründenden Umstands erbringen, wer-
den angerechnet, wenn dies ausdrücklich vorgeschrieben ist. Ei-
ne Anrechnung kommt ferner in Betracht, wenn der Schuldner eine
Vermögenslage auszugleichen hat, für die - wie z.B. für einen
Schaden i.S. des § 249 BGB - anerkannt ist, dass sie in ihrem
Umfang dadurch bestimmt sein kann, dass das schadenstiftende
Ereignis gleichzeitig zu einem Vermögensvorteil für den Geschä-
digten geführt hat (stRspr, vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2001
- II ZR 331/99 - NJW-RR 2001, 1450). Diese Voraussetzungen sind
nicht gegeben.
Auch nach dem Rechtscharakter der Leistung, die nach § 6 Abs. 2
BildscharbV zu erbringen ist, verbietet sich eine Anrechnung
des von der Versicherung gezahlten Betrages. § 6 Abs. 2
BildscharbV statuiert die Pflicht des Dienstherrn, dem Beamten
ein Arbeitsmittel zu verschaffen. Ebenso wenig wie die Pflicht
des Dienstherrn zur gegenständlichen Überlassung einer Bild-
schirmarbeitsbrille dadurch beeinflusst wird, dass der Beamte
sich bereits eine derartige, z.B. für den häuslichen Gebrauch
bestimmte Brille auf eigene Kosten angeschafft hat, ist es für
die Pflicht zur Erbringung der Surrogatleistung, der Erstattung
des Marktpreises der Brille, von Belang, dass der Beamte von
Dritten aufgrund seiner speziellen Rechtsbeziehungen zu ihnen
ebenfalls eine - partielle - Kostenerstattung erhält.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
Dr. Silberkuhl Prof. Dawin Dr. Kugele
Groepper Dr. Bayer
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren
auf 185,80 € (entspricht 363,40 DM) festgesetzt (vgl. § 13
Abs. 2, § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Dr. Silberkuhl Prof. Dawin Dr. Kugele
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Dienstrecht
Fachpresse:
ja
Arbeitsschutzrecht
Rechtsquellen:
ArbSchG
§§ 18, 19; § 2 Abs. 2 Nr. 4
BildScharbV
§ 6
EGRL 90/270/EWG Art. 9
Stichworte:
Bildschirmarbeitsbrille; Kostenerstattung durch den Arbeitge-
ber; keine Anrechnung einer Versicherungsleistung.
Leitsatz:
Der Dienstherr darf bei der Erstattung der Kosten für die An-
schaffung einer Bildschirmarbeitsbrille eine dem Beamten ge-
währte Versicherungsleistung nicht anrechnen.
Urteil des 2. Senats vom 27. Februar 2003 - BVerwG 2 C 2.02
I. VG Freiburg vom 11.10.2001 - Az.: VG 3 K 1430/00 -