Urteil des BVerwG vom 15.05.2009

Altersgrenze, Beamtenverhältnis, Wissenschaft Und Forschung, Berufliche Ausbildung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 19.08
OVG 6 A 406/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Mai 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele, Groepper und
Dr. Heitz sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 19. Dezember 2007 und das
Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 1. Dezem-
ber 2004 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom
15. Juli 2002 und des Widerspruchsbescheids vom
26. September 2002 verpflichtet, über den Antrag der Klä-
gerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts er-
neut zu entscheiden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Die am … 1962 geborene Klägerin wurde zunächst zur staatlich geprüften Mas-
seurin und medizinischen Bademeisterin ausgebildet und war bis 1984 in die-
sem Beruf tätig. Später erlernte sie den Beruf der Krankenschwester und übte
diesen ab 1987 aus. 1988 wurde ihr erstes Kind geboren. 1991 erwarb sie die
allgemeine Hochschulreife. 1992 wurde ihr zweites Kind geboren. Ab 1993
nahm sie das Studium für das Lehramt auf und legte am 10. November 2000
die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt der Primarstufe in den Fächern
Sachunterricht (Naturwissenschaft/Technik), Mathematik und Deutsch ab. An-
schließend war sie zunächst im Angestelltenverhältnis zum Beklagten als Ver-
tretungslehrkraft tätig. Seit 20. August 2001 war sie befristet als teilzeitbeschäf-
tigte Lehrkraft im Angestelltenverhältnis und seit 1. August 2003 im Angestell-
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tenverhältnis auf unbestimmte Zeit beim Beklagten tätig. Ihren Antrag auf
Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe lehnte der Beklagte mit Be-
scheid vom 15. Juli 2002 mit der Begründung ab, sie habe die Einstellungsal-
tersgrenze überschritten. Eine Ausnahmeentscheidung komme nicht in Be-
tracht, da die grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Zeiten der Kinderbetreu-
ung für die Überschreitung der Altersgrenze im Fall der Klägerin nicht allein ur-
sächlich seien. Neben der Kinderbetreuung habe sie eine Ausbildung zur Mas-
seurin und medizinischen Bademeisterin sowie zur Krankenschwester gemacht
und sei in beiden Berufen tätig gewesen. Außerdem habe sie das Abendgym-
nasium besucht und als Lehrkraft beim Schulamt B. gearbeitet. Den Wider-
spruch der Klägerin wies der Beklagte mit Bescheid vom 26. September 2002
zurück.
Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht
hat mit Urteil vom 19. Dezember 2007 im Wesentlichen ausgeführt, dass eine
Übernahme in das Beamtenverhältnis an der laufbahnrechtlichen Altersgrenze
von 35 Jahren scheitere, die mit höherrangigem Recht, insbesondere dem
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, vereinbar sei. Die Ungleichbehandlung
wegen des Alters sei objektiv und angemessen sowie durch ein legitimes Ziel
gerechtfertigt. Die Altersgrenze solle ein angemessenes Verhältnis zwischen
der Beschäftigungszeit als Beamter und dem Anspruch auf Versorgung
herstellen und eine ausgewogene Altersstruktur gewährleisten. Sie sei zur
Erreichung dieser Ziele erforderlich und angemessen. Dem Gesetzgeber stehe
ein Gestaltungsspielraum zu, bei dem er das öffentliche Interesse an einer
möglichst niedrigen Altersgrenze sowie das private Interesse des Bewerbers an
einer Verbeamtung auch noch im fortgeschrittenen Alter zu berücksichtigen
habe, ferner das öffentliche Interesse an der Gewinnung qualifizierter Lehrkräf-
te. Hinzu träten tatsächliche Umstände wie etwa die Entwicklung der Versor-
gungslasten. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers oder des ermächtigten Verord-
nungsgebers, den sich daraus ergebenden Wertungsspielraum auszufüllen. Die
gerichtliche Überprüfung beschränke sich darauf, ob die Grenzen des Ges-
taltungsspielraums eingehalten worden seien. Danach sei eine Altersgrenze
von 35 Jahren für den höheren Dienst nicht zu beanstanden. Die berufliche
Ausbildung könne in aller Regel bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres ab-
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geschlossen werden. Zudem werde bestimmten Verzögerungsgründen Rech-
nung getragen. Eine andere Altersgrenze in anderen Bundesländern begründe
angesichts des Gestaltungsspielraums und der länderspezifischen Besonder-
heiten keine Unangemessenheit der hier festgesetzten Altersgrenze. Die Al-
tersgrenze stehe ferner im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht. Die Richtlinie
2000/78/EG sehe keine anderen Rechtfertigungsgründe vor als die nationale
Regelung. Eine Ausnahme durch Verwaltungserlass bestehe zugunsten der
Klägerin nicht. Die Kinderbetreuungszeiten seien nicht ursächlich für die Verzö-
gerung der Einstellung der Klägerin gewesen; denn die Klägerin hätte unab-
hängig hiervon mit ihren Examensleistungen nicht vor Vollendung des 35. Le-
bensjahres in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen werden können.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie einen
Verstoß der laufbahnrechtlichen Altersgrenze gegen höherrangiges Recht so-
wie eine rechtswidrige Ermessenspraxis des Beklagten bei der Zulassung von
Ausnahmen geltend macht. Sie beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 19. Dezember 2007 und das
Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 1. Dezem-
ber 2004 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung
des Bescheids vom 15. Juli 2002 und des Widerspruchs-
bescheids vom 26. September 2002 zu verpflichten, über
ihren Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf
Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Ge-
richts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte verteidigt das angegriffene Berufungsurteil. Er beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses tritt der Revision ebenfalls entgegen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
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II
Die Revision ist begründet. Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausge-
gangen, dass dem Begehren der Klägerin eine laufbahnrechtliche Altersgrenze
entgegensteht.
Nach § 52 Abs. 1 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im Lande
Nordrhein-Westfalen - LVO - vom 23. November 1995 (GV. NW 1996 S. 1) in
der Fassung des Gesetzes vom 3. Mai 2005 (GV. NW S. 498) darf in die Leh-
rerlaufbahnen als Laufbahnbewerber in ein Beamtenverhältnis auf Probe nur
eingestellt oder übernommen werden, wer das 35. Lebensjahr noch nicht voll-
endet hat. Nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 LVO können
auf Antrag der obersten Dienstbehörde durch Entscheidung des Innenmi-
nisteriums und des Finanzministeriums Ausnahmen von dem Höchstalter zuge-
lassen werden. Diese Bestimmungen sind unwirksam.
1. Die Bestimmung einer Altersgrenze für die Übernahme in ein öffentliches
Amt bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Denn Altersgrenzen schränken den
Leistungsgrundsatz ein, dessen Geltung durch Art. 33 Abs. 2 GG für den Zu-
gang zu jedem öffentlichen Amt unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistet
wird. Bewerber dürfen nur aus Gründen zurückgewiesen werden, die unmittel-
bar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung betreffen (Urteile vom
28. Oktober 2004 - BVerwG 2 C 23.03 - BVerwGE 122, 147 <150> = Buchholz
11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 30 und vom 17. August 2005 - BVerwG 2 C 37.04 -
BVerwGE 124, 99 <102> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32). Das Alter
kann nur dann ein Eignungsmerkmal im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG darstellen,
wenn daraus geschlossen werden kann, dass Bewerber typischerweise den
Anforderungen des Amtes nicht mehr genügen, wenn sie ein bestimmtes Alter
überschritten haben.
Durch Altersgrenzen für die Einstellung und Übernahme in ein Beamtenverhält-
nis kann der Leistungsgrundsatz gemäß Art. 33 Abs. 2 GG eingeschränkt wer-
den, weil sie im Lebenszeitprinzip als einem durch Art. 33 Abs. 5 GG gewähr-
leisteten hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums angelegt sind (Ur-
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teil vom 28. Oktober 2004 a.a.O. S. 153). Die Gewichtung der beiden gegenläu-
figen Verfassungsgrundsätze, wie sie in der Festsetzung von Altersgrenzen
zum Ausdruck kommt, erfordert eine normative Regelung. Sie darf nicht der
Verwaltungspraxis überlassen werden. Soweit in der früheren Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts teilweise eine Bestimmung von Altersgrenzen
durch Verwaltungserlasse für ausreichend erachtet wurde (Urteile vom
31. Januar 1980 - BVerwG 2 C 15.78 - Buchholz 232 § 15 BBG Nr. 11 und vom
23. Oktober 1980 - BVerwG 2 C 22.79 - Buchholz 238.4 § 37 SG Nr. 2), hält der
Senat daran nicht fest.
Die Verordnungsermächtigung in § 15 Abs. 1 Satz 1 des Beamtengesetzes für
das Land Nordrhein-Westfalen - LBG - bildet eine ausreichende gesetzliche
Grundlage zur Regelung von laufbahnrechtlichen Altersgrenzen durch den Ver-
ordnungsgeber (Urteile vom 18. Juni 1998 - BVerwG 2 C 20.97 - Buchholz
237.7 § 15 NWLBG Nr. 2, vom 18. Juni 1998 - BVerwG 2 C 6.98 - Buchholz
237.7 § 15 NWLBG Nr. 3, vom 20. Januar 2000 - BVerwG 2 C 13.99 - Buchholz
237.7 § 15 NWLBG Nr. 4 und vom 13. Juli 2000 - BVerwG 2 C 21.99 - Buchholz
237.7 § 15 NWLBG Nr. 5). Die Vorschrift ermächtigt dazu, unter Beachtung der
Erfordernisse der einzelnen Laufbahnen durch Rechtsverordnung Regelungen
über die Laufbahnen der Beamten zu erlassen. Inhalt, Zweck und Ausmaß der
erteilten Ermächtigung sind auch in Bezug auf Altersgrenzen für die Einstellung
hinreichend bestimmt. Es ist unschädlich, dass die Ermächtigung die
Bestimmung von Altersgrenzen nicht ausdrücklich erwähnt. Die Befugnis des
Verordnungsgebers, bei der Regelung der Laufbahnen auch Altersgrenzen für
die Einstellung vorzusehen, lässt sich aus dem Gesetz ermitteln. Eine
Ermächtigung zum Erlass von Vorschriften über die Laufbahnen der Beamten
befugt den Verordnungsgeber zum Erlass derjenigen Vorschriften, durch die
herkömmlicherweise das Laufbahnwesen der Beamten gestaltet wird (vgl.
Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, § 15 BBG Rn. 1a; Zängl, in: GKÖD, § 15
BBG Rn. 3; Kathke, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht, Teil C § 15 LBG
Rn. 88). Hierzu gehören auch Altersgrenzen für die Einstellung in ein Beamten-
verhältnis (vgl. Urteil vom 31. Januar 1980 a.a.O.).
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Die vom Verordnungsgeber zu beachtenden Maßstäbe zur Bestimmung einer
Altersgrenze für eine konkrete Laufbahn sind durch ihren Zweck vorgegeben.
Dieser besteht vor allem darin, in Anbetracht der Dauerhaftigkeit des Beamten-
verhältnisses ein angemessenes Verhältnis von Arbeitsleistung und Versor-
gungsansprüchen sicherzustellen. Daneben kann dem Interesse des Dienst-
herrn an ausgewogenen Altersstrukturen Bedeutung beigemessen werden (Ur-
teil vom 28. Oktober 2004 a.a.O. S. 153).
2. Laufbahnrechtliche Altersgrenzen für Einstellung und Übernahme in das
Beamtenverhältnis werden durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
- AGG - vom 14. August 2006 (BGBl I S. 1897), zuletzt geändert durch Gesetz
vom 12. Dezember 2007 (BGBl I S. 2840), nicht ausgeschlossen. Mit dem Ge-
setz wurden die Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom
27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Ver-
wirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl Nr. L 303
S. 16) in nationales Recht umgesetzt.
a) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist auf Bewerber für den Beam-
tenstatus anwendbar. Nach § 24 Nr. 1 AGG gelten die Vorschriften des Geset-
zes entsprechend für Beamte unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechts-
stellung. Der Begriff der Beschäftigten im Sinne des Allgemeinen Gleichbe-
handlungsgesetzes schließt die Bewerber um ein Beschäftigungsverhältnis ein
(§ 6 Abs. 1 Satz 2 AGG). Die Altersgrenzen für die Einstellung oder Übernahme
in ein Beamtenverhältnis unterfallen auch dem sachlichen Anwendungsbereich
des Gesetzes. Es handelt sich, selbst wenn der Bewerber bei Überschreiten der
Altersgrenze nicht abgewiesen, sondern als Angestellter beschäftigt wird,
jedenfalls um eine unterschiedliche Ausgestaltung des Beschäftigungsverhält-
nisses im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Denn Beamten- und Angestellten-
verhältnisse weisen grundlegende Strukturunterschiede auf.
b) Eine Altersgrenze für die Einstellung bedeutet eine unmittelbare Ungleichbe-
handlung aufgrund des Alters im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG, die jedoch
nach § 10 AGG gerechtfertigt sein kann. Ungleichbehandlungen wegen des
Alters unterliegen anders als Diskriminierungen aufgrund der weiteren in § 1
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AGG aufgeführten Merkmale nicht einem strikten Verbot, sondern können unter
den Voraussetzungen des § 10 AGG gerechtfertigt sein. Danach ist eine unter-
schiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und an-
gemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Errei-
chung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein (§ 10 Satz 1 und
2 AGG). Die Vorschrift ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips (EuGH,
Urteil vom 22. November 2005 - Rs. C-144/04, Mangold - NJW 2005, 3695 ff.
Rn. 65).
Die unterschiedliche Behandlung der Laufbahnbewerber aufgrund ihres Alters
verfolgt ein legitimes Ziel im Sinne von § 10 Satz 1 AGG. Dazu zählen jeden-
falls gesetzlich gefasste oder aus dem Kontext der Maßnahme ableitbare Ge-
meinwohlinteressen, denen die Maßnahme dienen soll (EuGH, Urteile vom
22. November 2005 a.a.O. Rn. 60 und vom 16. Oktober 2007 - Rs. C-411/05,
Palacios - NZA 2007, 1219 Rn. 56 f.; Brors, in: Däubler/Bertzbach, AGG, 2008,
§ 10 Rn. 21). Die Ziele sind, wie bereits durch Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie
2000/78/EG klargestellt wird („insbesondere“), nicht auf die Bereiche Beschäfti-
gungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung beschränkt. Die Altersgrenzen
für die Einstellung und Übernahme als Beamter soll in erster Linie gewährleis-
ten, dass die Dienstzeit des Beamten mit dem Anspruch auf Versorgung wäh-
rend des Ruhestandes in ein angemessenes Verhältnis gebracht wird. Sie si-
chert zudem das Lebenszeitprinzip als ein wesentliches Strukturelement des
Berufsbeamtentums. Dadurch wird von Verfassungs wegen dem Umstand
Rechnung getragen, dass dem Beamtenverhältnis im Regelfall eine Dauerhaf-
tigkeit wesensgemäß ist und die Erfüllung der im Gemeinwohlinteresse liegen-
den öffentlichen Aufgaben ein bestimmtes Maß an personeller Kontinuität er-
fordert (vgl. Beschluss vom 16. Dezember 1970 - BVerwG 2 B 35.70 - Buchholz
232 § 15 BBG Nr. 7). Das somit durch Altersgrenzen verfolgte Ziel einer spar-
samen Haushaltsführung ist legitim im Sinne des § 10 Satz 1 AGG (vgl. EuGH,
Urteile vom 22. November 2005 a.a.O. Rn. 61 und vom 16. Oktober 2007
a.a.O. Rn. 66). Entsprechendes kann für das Interesse an ausgewogenen Al-
tersstrukturen gelten. Objektivität im Sinne des § 10 Satz 1 AGG bedeutet nicht,
dass das Ziel exakt in Zahlen definierbar sein müsste, sondern erfordert das
Vorliegen eines zusätzlichen sachlichen Differenzierungsgrundes, der eben
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nicht nur im Alter besteht (Brors, a.a.O. Rn. 31). Dem öffentlichen Interesse an
der Vermeidung einer übermäßigen Belastung durch Versorgungspflichten und
schließlich ganz allgemein an einer ausgewogenen Relation zwischen erfahre-
nen älteren Beamten und jüngeren Beamten kann eine solche Objektivität nicht
abgesprochen werden.
Die Bestimmung einer Altersgrenze zur Erreichung dieser Ziele kann erforder-
lich und angemessen im Sinne des § 10 Satz 2 AGG sein. Einer Prüfung an
diesem Maßstab steht nicht bereits entgegen, dass § 10 Satz 3 Nr. 3 AGG als
(eine) Möglichkeit der zulässigen unterschiedlichen Behandlung nach dem Alter
die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der Notwendig-
keit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand
nennt. Die Vorschrift zielt auf ältere Beschäftigte, deren Rentenalter bereits ab-
sehbar ist, und bei denen einer aufwändigen Einarbeitung am Arbeitsplatz eine
betriebswirtschaftlich sinnvolle Mindestdauer einer produktiven Arbeitsleistung
gegenüberstehen soll (BTDrucks 16/1780 S. 36). Das schließt die Rechtferti-
gung einer Altersgrenze aus anderen Gründen nicht aus. Der Katalog des § 10
Satz 3 AGG nennt lediglich Regelbeispiele („insbesondere“). Soweit sie nicht
einschlägig sind, kann sich eine Rechtfertigung aus § 10 Satz 2 AGG ergeben,
der entgegen der Revision keine geringeren Anforderungen stellt.
Dem Normgeber und den einzelnen Mitgliedstaaten ist nicht nur bei der Be-
stimmung der Ziele, sondern auch bei der Wahl der Mittel, mit denen sie ein
legitimes Ziel erreichen wollen, ein Gestaltungsspielraum für einen gerechten
Ausgleich der widerstreitenden Interessen eingeräumt, bei dem politische, wirt-
schaftliche, soziale, demografische und auch haushaltsbezogene Erwägungen
Berücksichtigung finden können (EuGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 a.a.O.
Rn. 68 ff.).
Der Einwand der Revision, zu hohen Versorgungslasten dürfe nicht durch eine
Altersgrenze begegnet werden, sondern allenfalls durch eine Änderung des
Versorgungsrechts, geht aus zwei Gründen fehl. Zum einen entspricht die da-
hinter stehende Vorstellung, eine Ungleichbehandlung wegen des Alters sei
nicht erforderlich, solange der Gesetzgeber nicht alle Maßnahmen ergriffen ha-
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be, um sie auf andere Weise zu vermeiden, von vornherein nicht dem Rege-
lungsmodell des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der Richtlinie
2000/78/EG. Die Vermeidung einer Ungleichbehandlung wegen des Alters hat
keinen absoluten Vorrang, der sich unbeschadet gegenläufiger Belange stets
durchsetzen könnte. Es geht vielmehr um einen gerechten Ausgleich der wi-
derstreitenden Interessen, der auf der Ebene der Angemessenheit der Maß-
nahme stattzufinden hat. Zum anderen würde eine Änderung des Versorgungs-
rechts derart, dass die Versorgung bei erst in höherem Alter eingestellten Be-
amten unter das bisherige Maß abgesenkt würde, ihrerseits eine Ungleichbe-
handlung wegen des Alters bedeuten und außerdem daran scheitern, dass die
angemessene Versorgung des Beamten ein unlösbarer Bestandteil des wech-
selseitigen Treueverhältnisses ist und rechtlich geschütztes Äquivalent der Ar-
beitsleistung. Darin liegt keine Privilegierung der Beamtenversorgung. Die Ver-
sorgungslasten der pensionierten Beamten werden im Gegensatz zu dem um-
lagefinanzierten Rentenversicherungssystem in vollem Umfang aus dem Haus-
halt der Anstellungskörperschaft finanziert. Ein angemessenes Verhältnis zwi-
schen aktiver Dienstzeit und den Versorgungslasten hat deshalb für das Ein-
stellungsalter bei einem Beamten ein gänzlich anderes Gewicht als bei einem
Tarifbeschäftigten.
Ebenso wenig ist eine Altersgrenze von weniger als 45 Jahren bereits deshalb
ausgeschlossen, weil die nach einer Dienstzeit von fünf Jahren gewährte Min-
destversorgung von 35% der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge nach rund
20 Dienstjahren ohnehin erdient ist. Entscheidend ist nicht die Relation zwi-
schen aktiver Dienstzeit und Ruhegehaltsatz, sondern ein angemessenes Ver-
hältnis zu den gesamten Versorgungslasten. Das fiskalische Interesse des
Dienstherrn kann deshalb nur dahin gehen, eine möglichst lange aktive Dienst-
zeit seiner Beamten sicherzustellen.
Ob die Altersgrenze von 35 Jahren für die Einstellung als Lehrer im Beamten-
verhältnis angemessen im Sinne von § 10 Satz 2 AGG ist, kann hier dahinge-
stellt bleiben. Der Verordnungsgeber wird einerseits vor allem die Bedeutung
der Altersgrenze für das Lebenszeitprinzip, insbesondere das Interesse an
möglichst langen aktiven Dienstzeiten zu gewichten haben. Das Interesse an
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ausgewogenen Altersstrukturen kann allerdings nur auf der Grundlage einer
plausiblen und nachvollziehbaren Planung berücksichtigt werden. Es darf sich
nicht in formelhaften Behauptungen erschöpfen, ohne dass tatsächliche Grund-
lagen ersichtlich sind (Beschluss vom 11. Dezember 2008 - BVerwG 2 C
121.07 - Rn. 46, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung des Bun-
desverwaltungsgerichts vorgesehen). Zweifel sind insbesondere angebracht,
wenn die Schulverwaltung Bewerber um eine Anstellung als Lehrer ohne Rück-
sicht auf ihr Alter als Teilzeitbeschäftigte einstellt.
Demgegenüber wird der Verordnungsgeber in seine Überlegungen einzubezie-
hen haben, dass Altersgrenzen eine empfindliche Beeinträchtigung des durch
Art. 33 Abs. 2 GG gewährleisteten Leistungsgrundsatzes darstellen. Weiterhin
wird die Angemessenheit der (neu) festzusetzenden Altersgrenze auch davon
abhängen, in welchem Umfang Ausnahmen vorgesehen werden. Diese können
etwa Verzögerungen wegen Kindererziehungszeiten, Zeiten des Wehr- oder
Wehrersatzdienstes oder des Erwerbs der erforderlichen Vor- und Ausbildung
im sogenannten zweiten Bildungsweg betreffen. Je weiterreichend die Aus-
nahmeregelung, desto niedriger kann die Altersgrenze gesetzt werden.
3. Aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt sich nichts Abweichendes. Maßstab ist
insoweit allein die Richtlinie 2000/78/EG. Da Vorschriften über eine Altersgren-
ze für die Einstellung in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, besteht
der notwendige gemeinschaftsrechtliche Bezug. Nach der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs wird ein gemeinschaftsrechtlicher Bezug weder
durch Art. 13 EG hergestellt noch durch die Richtlinie 2000/78/EG vor Ablauf
der dem betreffenden Mitgliedstaat für die Umsetzung dieser Richtlinie gesetz-
ten Frist. Im Umkehrschluss ist daraus zu folgern, dass ein gemeinschaftsrecht-
licher Bezug unter anderem dann besteht, wenn eine Maßnahme in den Rah-
men der Richtlinie 2000/78/EG nach Ablauf der Umsetzungsfrist fällt (vgl.
EuGH, Entscheidung vom 23. September 2008 - Rs. C-427/06, Bartsch - NJW
2008, 3417 Rn. 18; Bauer/Arnold, NJW 2008, 3377 <3379>). Das ist hier der
Fall. In der Sache folgt aus der Richtlinie aber nichts anderes als aus dem All-
gemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Soweit eine Benachteiligung wegen des
Alters grundsätzlich unzulässig ist, ergibt sich eine Rechtfertigung der Alters-
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grenze aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Richtlinie. Die Vorschrift stimmt mit
der nahezu wortgleichen Regelung des § 10 Satz 1 und 2 AGG inhaltlich über-
ein und rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
4. Der Klägerin kann eine Überschreitung der laufbahnrechtlichen Altersgrenze
gleichwohl nicht entgegengehalten werden. Denn die Regelungen in § 52
Abs. 1, § 84 Abs. 1 Satz 1 LVO sind unwirksam, weil sie von der Verordnungs-
ermächtigung nicht gedeckt sind. Dem steht nicht entgegen, dass die Lauf-
bahnverordnung wiederholt durch Parlamentsgesetz geändert worden ist und
diese Änderungen auch Vorschriften über Altersgrenzen betreffen (s. etwa Ge-
setz vom 3. Mai 2005, GV. NW S. 498). Die Kompetenz der Verwaltungsgerich-
te zur inzidenten Kontrolle und Verwerfung von Verordnungen wird dadurch
nicht eingeschränkt. Auch eine durch den Gesetzgeber geänderte Verordnung
ist insgesamt als Rechtsverordnung zu qualifizieren (BVerfG, Beschluss vom
13. September 2005 - 2 BvF 2/03 - BVerfGE 114, 196 <233 ff., 239 f.>).
Da es erforderlich ist, die Altersgrenze und ihre Ausnahmetatbestände normativ
zu regeln (vgl. oben 1.), darf es der Verordnungsgeber nicht der Verwaltung
überlassen, unter welchen Voraussetzungen sie an der Altersgrenze festhalten
will. Es ist nicht Aufgabe der Verwaltung, eigenverantwortlich zu bestimmen,
wann der Leistungsgrundsatz gemäß Art. 33 Abs. 2 GG durch eine Altersgren-
ze eingeschränkt wird. Das lässt die Laufbahnverordnung jedoch zu.
Der Verordnungsgeber hat in § 52 Abs. 1 LVO eine Altersgrenze von 35 Jahren
für die Übernahme in eine Lehrerlaufbahn normiert und daneben in § 6 LVO für
alle Altersgrenzen der Laufbahnverordnung eng begrenzte Ausnahmen vorge-
sehen. Alle weiteren möglichen Ausnahmen hat er voraussetzungslos durch
§ 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO in das Ermessen der Verwaltung gestellt. Dies
betrifft zum einen rechtlich gebotene Ausnahmen für weitere Verzögerungs-
gründe, zu denen insbesondere Dienstverpflichtungen nach Art. 12a GG zäh-
len, und zum anderen gerade bezogen auf die Lehrerlaufbahnen die in diesem
Bereich praktisch relevante Zulassung einer Überschreitung der Altersgrenze
bei Bedarfssituationen, also die Übernahme von Bewerbern mit einer Ausbil-
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dung in Mangelfächern als Beamte auf Probe trotz Überschreitung der lauf-
bahnrechtlichen Altersgrenze.
Aus diesem Grund hat sich ein für die Bewerber schwer durchschaubares Er-
lasswesen der Verwaltung zur Einhaltung der Altersgrenze entwickelt. Durch
den sogenannten Mangelfacherlass des Ministeriums für Schule, Wissenschaft
und Forschung vom 22. Dezember 2000, weitere Erlasse zur Begründung von
Ausnahmen und Gegenausnahmen etwa für sogenannte Vorgriffseinstellungen
oder Weiterqualifizierungen, verschiedene Erlasse zur Verlängerung und Aus-
weitung des Mangelfacherlasses und zu sonstigen Sonderregelungen für be-
stimmte Laufbahnen, etwa für Grundschullehrer, bis hin zu Dispensen für be-
stimmte Einstellungskampagnen („1000-Stellen-Aktion“) ist die verordnungs-
rechtliche Altersgrenze in weitem Umfang und für einen erheblichen Bewerber-
kreis durch Behördenentscheidungen überlagert worden. Das entspricht nicht
dem Gebot der Normklarheit und begegnet mit Blick auf Art. 33 Abs. 2 GG er-
heblichen Bedenken. So verbietet es sich, Bewerber um Beamtenstellen bereits
deshalb abzulehnen, weil sie bereits als Tarifbeschäftigte im Schuldienst tätig
sind.
Die dargestellten Mängel beschränken sich nicht auf die Verwaltungspraxis,
sondern betreffen die Verordnung selbst, weil sie durch die an keinerlei Vorga-
ben gebundene Ausnahmemöglichkeit des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO den
Weg zu dieser Verwaltungspraxis eröffnet hat. Die Ausnahmeregelung steht
ihrerseits in einem inneren Zusammenhang mit der Bestimmung der Alters-
grenze für die Lehrerlaufbahnen in § 52 Abs. 1 LVO. Der rechtliche Mangel er-
fasst deshalb nicht nur § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO, sondern die Regelung
über die Altersgrenzen für Lehrerlaufbahnen insgesamt, also auch die Grund-
norm des § 52 Abs. 1 LVO. Der Verordnungsgeber ist ersichtlich davon ausge-
gangen, dass über Ausnahmen von der Altersgrenze die Verwaltung auf der
Grundlage des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO entscheiden kann und hat sich
deshalb, abgesehen von den allgemeinen Ausnahmetatbeständen des § 6
LVO, auf die Festlegung der Altersgrenze beschränkt.
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Die Klägerin kann deshalb verlangen, dass über ihren Antrag auf Übernahme in
ein Beamtenverhältnis auf Probe ohne Berücksichtigung der laufbahnrechtli-
chen Altersgrenze entschieden wird. Da mit Eignung, Befähigung und fachlicher
Leistung (einschließlich der gesundheitlichen Eignung) weitere Vorausset-
zungen durch den Beklagten zu beurteilen sind, kommt nur eine Verpflichtung
zur Neubescheidung unter Beachtung der vorstehenden Rechtsauffassung des
Gerichts in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Herbert Prof. Dr. Kugele Groepper
Dr. Heitz Thomsen
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren gemäß § 47
Abs. 1, § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG auf 23 350 € festgesetzt.
Herbert Prof. Dr. Kugele Thomsen
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