Urteil des BVerwG vom 24.06.2010

Treu Und Glauben, Einstellung des Verfahrens, Disziplinarverfahren, Mangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 15.09
OVG 14 LB 4/07
Verkündet
am 24. Juni 2010
Rüger
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 24. Juni 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski und Dr. Hartung
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab
für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des
Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom
16. Mai 2008 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der 1966 geborene Beklagte ist Beamter auf Lebenszeit und steht als Polizei-
obermeister im Dienst des Klägers. Das Amtsgericht Lübeck verurteilte ihn
durch Urteil vom 4. November 2004 wegen Besitzes kinderpornografischer
Schriften rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen und sprach ihn
von dem Vorwurf der versuchten Anstiftung zur Vornahme sexueller Handlun-
gen an Kindern frei. Bei einer Durchsuchung seiner Privatwohnung im straf-
rechtlichen Ermittlungsverfahren waren Ausdrucke aus der polizeilichen Er-
kenntnisdatei und dem zentralen Verkehrsinformationssystem gefunden wor-
den, die auf nicht dienstlich veranlasste Ermittlungen des Beklagten im privaten
Umfeld seiner ehemaligen Lebensgefährtin zurückgingen; dieses Geschehen
war in das Strafverfahren nicht einbezogen worden.
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Das behördliche Disziplinarverfahren nahm folgenden Verlauf:
Das am 28. August 2003 wegen des Verdachts der Beleidigung, der Beleidi-
gung auf sexueller Basis sowie des Besitzens und Verbreitens kinder- und tier-
pornografischer Schriften eingeleitete Disziplinarverfahren wurde durch Verfü-
gung vom 8. September 2003 für die Dauer des Strafverfahrens ausgesetzt.
Der Leiter der Polizeiinspektion Lübeck forderte den Beklagten auf, innerhalb
von drei Wochen mitzuteilen, ob er im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eine
Mitbestimmung nach § 51 Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H. wünsche. Dieser wies in
seiner Antwort darauf hin, er müsse sich vor einer Entscheidung mit seinem
Rechtsanwalt beraten. Im Juni 2004 wurde das Disziplinarverfahren auf den
Vorwurf ausgeweitet, dienstliche Datenbanken zu privaten Zwecken genutzt
und die Tochter seiner ehemaligen Lebensgefährtin unsittlich berührt und ge-
küsst zu haben; zugleich wurde es erneut im Hinblick auf das laufende Strafver-
fahren ausgesetzt. Durch Schreiben vom 26. April 2004 bat die Polizeidirektion
Schleswig-Holstein Süd den Beklagten nochmals um Mitteilung, ob er ein Mit-
bestimmungsverfahren wünsche. Der Beklagte äußerte sich hierzu nicht.
Das Disziplinarverfahren wurde nach Rechtskraft des strafgerichtlichen Urteils
ab dem 4. Mai 2005 fortgeführt. Der Leiter der Polizeiinspektion Lübeck legte
den Vorgang im Oktober 2005 dem Innenministerium vor, weil er seine Diszipli-
narbefugnis im Hinblick auf eine etwaige Entfernung aus dem Dienst nicht für
ausreichend erachtete. Das Innenministerium wandte sich mit Schreiben vom 7.
August 2006 an den Hauptpersonalrat der Polizei und bat unter Vorlage der
Disziplinar- und Personalakte um Zustimmung zur Erhebung der Disziplinarkla-
ge. In dem Schreiben hieß es, der Beamte habe bisher keine Erklärung zur
Frage der Mitbestimmung abgegeben, sodass von der Zuständigkeit des
Hauptpersonalrats auszugehen sei. Das Recht auf Einsicht in die Personalakte
sei aber auf den Vorsitzenden des Hauptpersonalrats beschränkt.
Der Hauptpersonalrat stimmte am 18. August 2006 der Erhebung der Diszipli-
narklage nach Beteiligung des örtlichen Personalrats der Polizeidirektion Lü-
beck ohne Begründung zu.
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Der Kläger hat am 29. August 2006 Disziplinarklage wegen des Besitzes kin-
derpornografischer Schriften und der Verletzung der Pflicht zur Amtsverschwie-
genheit erhoben. Der Beklagte hat im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht
eingeräumt, kinderpornografische Dateien besessen und unbefugt dienstliche
Dateien für private Zwecke abgefragt zu haben. Außerdem hat er innerhalb von
zwei Monaten nach Zustellung der Klage als Verfahrensfehler den Umstand
gerügt, dass er der Beteiligung des Personalrats nicht zugestimmt habe, dieser
aber dennoch beteiligt worden sei.
Das Verwaltungsgericht hat die Disziplinarklage durch Urteil vom 21. Mai 2007
mit der Begründung abgewiesen, es stehe zwar fest, dass der Beklagte ein
Dienstvergehen begangen habe, doch leide das Verfahren wegen der rechts-
widrigen Beteiligung des Personalrats an einem schweren Verfahrensfehler. Auf
die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche
Urteil aufgehoben und die Sache mit folgender Begründung an das Verwal-
tungsgericht zurückverwiesen:
Es sei bereits zweifelhaft, ob ein Verfahrensfehler vorliege. § 51 Abs. 5 Satz 1
MBG Schl.-H. sei restriktiv auszulegen. Der Beklagte habe auf die Anfragen des
Klägers nicht reagiert und sich damit nicht auf schützenswerte Belange berufen;
auch habe die Verhandlung vor dem Schöffengericht teilweise öffentlich
stattgefunden. Deshalb habe der Kläger annehmen dürfen, dass die Ein-
schaltung der Personalvertretung keinen unzumutbaren Eingriff in die Privat-
und Intimsphäre des Beklagten darstelle. Selbst wenn ein Verfahrensfehler an-
zunehmen sei, könne der Beklagte sich darauf nach dem Grundsatz von Treu
und Glauben nicht berufen. Er habe die Anfragen des Klägers nicht beantwor-
tet, obwohl er hierzu auf Grund seiner beamtenrechtlichen Treuepflicht ver-
pflichtet gewesen sei. Es stelle widersprüchliches Verhalten und damit eine un-
zulässige Rechtsausübung dar, wenn er nunmehr aus seinem Pflichtenverstoß
rechtliche Folgerungen ableite. Nehme man dennoch einen Verfahrensfehler
an, ändere dies im Hinblick auf den Rechtsgedanken der §§ 115 LVwG
Schl.-H., 46 VwVfG am Ergebnis nichts. Denn wenn der Personalrat im Hinblick
auf die fehlende Zustimmung des Beklagten nicht beteiligt worden wäre, wäre
es dennoch - und erst recht - zur Erhebung der Disziplinarklage gekommen.
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Der Beklagte rügt mit der Revision, das Berufungsgericht habe zu Unrecht das
Vorliegen eines wesentlichen Mangels des Disziplinarverfahrens verneint. Er
beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungs-
gerichts vom 16. Mai 2008 aufzuheben und die Berufung
des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
Schleswig vom 21. Mai 2007 zurückzuweisen,
hilfsweise,
auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil.
II
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Sa-
che im Ergebnis zu Recht (§ 144 Abs. 4 VwGO) an das Verwaltungsgericht zu-
rückverwiesen. Das Disziplinarverfahren leidet zwar an einem Mangel (1.), doch
ist dieser nicht wesentlich und hindert deshalb den Ausspruch einer Diszipli-
narmaßnahme nicht (2.). Da die hierfür erforderlichen Tatsachen im gerichtli-
chen Disziplinarverfahren bisher nicht festgestellt worden sind, ist der Hilfsan-
trag des Beklagten abzuweisen und die Zurückverweisung an das Verwal-
tungsgericht nicht zu beanstanden (3.).
1. Die Beteiligung des Personalrats im Rahmen der Entscheidung über die Er-
hebung der Disziplinarklage ohne Zustimmung des Beklagten verstößt gegen
§ 51 Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H. und stellt einen Mangel des Disziplinarverfah-
rens dar.
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Nach der gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG, § 127 Nr. 2 BRRG in beamten-
rechtlichen Streitigkeiten revisiblen (Urteil vom 1. Dezember 1982 - BVerwG
2 C 59.81 - BVerwGE 66, 291 = Buchholz 238.37 § 72 PersVG NW Nr. 7; Be-
schluss vom 15. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 63.95 - Buchholz 251.8 § 122
RhPPersVG Nr. 1) Vorschrift des § 51 Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H. ist die Mit-
bestimmung von der vorher einzuholenden Zustimmung der Betroffenen ab-
hängig, soweit über die beabsichtigten Maßnahmen hinaus schutzwürdige per-
sönliche Interessen von Beschäftigten berührt sind. Aus dem systematischen
Zusammenhang der Vorschrift mit dem Grundsatz der Allzuständigkeit der Per-
sonalvertretung (§ 51 Abs. 1 MBG Schl.-H.) und ihrem Zweck einer möglichst
umfassenden Mitbestimmung folgt, dass eine restriktive Auslegung der Norm
geboten ist. Die Beteiligung des Personalrats im Rahmen der Disziplinarklage
darf nur dann auf eine bloße Unterrichtung durch die Dienststelle (§ 51 Abs. 5
Satz 2 MBG Schl.-H.) beschränkt werden, wenn der betroffene Beamte durch
das Mitbestimmungsverfahren in seinen schutzwürdigen persönlichen Interes-
sen stärker belastet würde, als dies durch die beabsichtigte Maßnahme selbst
bewirkt wird. Der Umstand, dass persönliche Belange etwa durch die Offenle-
gung disziplinarisch relevanter Verhaltensweisen berührt werden, reicht daher
für sich genommen auch dann nicht aus, wenn es sich um besonders gewichti-
ge oder verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtspositionen - etwa das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung - handelt. Hinzukommen muss vielmehr,
dass sich aus der Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens für den Beam-
ten Belastungen ergeben, die über die durch das Disziplinarverfahren hervorge-
rufenen Belastungen hinausgehen. Wann dies der Fall ist, hängt von den kon-
kreten Umständen des Einzelfalls ab.
Liegt ein Fall des § 51 Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H. vor, so ist dem eindeutigen
Wortlaut der Norm allerdings zu entnehmen, dass es einer ausdrücklichen Zu-
stimmung des Betroffenen bedarf, die vor der Einleitung des Mitbestimmungs-
verfahrens eingeholt werden muss. Der Dienstherr ist gehindert, aus dem Ver-
halten des Beamten oder den Umständen des Falles ein vermutetes Einver-
ständnis abzuleiten; liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 51 Abs.
5 Satz 1 MBG Schl.-H. vor, darf das Mitbestimmungsverfahren ohne aus-
drückliche Zustimmung nicht eingeleitet werden. Es besteht auch keine Pflicht
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des Beamten, sich zu der Durchführung eines Mitbestimmungsverfahrens zu
äußern; beantwortet der Beamte eine entsprechende Anfrage nicht, so fehlt es
an der Zustimmung und damit an einer nicht ersetzbaren Verfahrensvorausset-
zung. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts verletzt revisibles
Recht und wird dem Zweck der Vorschrift nicht gerecht. Dies gilt auch für die
Annahme des Berufungsgerichts, ein Beamter, der sich trotz entsprechender
Aufforderung des Dienstherrn zur Frage der Zustimmung nicht geäußert hat, sei
nach Treu und Glauben gehindert, dem Dienstherrn das Fehlen der Zu-
stimmung entgegenzuhalten.
Im vorliegenden Fall ist der Hauptpersonalrat im Rahmen einer auf zwei Vor-
würfe - Besitz kinderpornografischer Schriften (§ 184b Abs. 4 n.F. StGB) und
Missbrauch dienstlicher Datenbanken zu privaten Zwecken - beschränkten Dis-
ziplinarklage beteiligt worden. Durch die Überlassung der Personal- und Diszip-
linarakten sind dem Personalrat jedoch darüber hinaus die Ermittlungsergeb-
nisse zum Vorwurf der versuchten Anstiftung zum Kindesmissbrauch und zu
dem weiteren Vorwurf des Kindesmissbrauchs (§ 176 StGB) zugänglich ge-
macht worden, obwohl der Beklagte hinsichtlich dieser Vorwürfe freigesprochen
bzw. das Strafverfahren vor Anklageerhebung eingestellt worden war. Insbe-
sondere waren in den Akten Abdrucke zahlreicher SMS-Nachrichten enthalten,
die der Beklagte mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin gewechselt hatte und
die sexuelle Fantasien zum Inhalt hatten. Sie bezogen sich ausschließlich auf
Vorwürfe, die nicht Gegenstand der beabsichtigten Disziplinarklage waren.
Durch die Übermittlung dieser über den Gegenstand der beabsichtigten Maß-
nahme hinausgehenden Informationen sind schutzwürdige persönliche Interes-
sen des Beklagten berührt worden, da er ein gewichtiges Interesse daran hatte,
die Weitergabe seiner für die Disziplinarklage nicht relevanten intimen Fanta-
sien zu verhindern. Unerheblich ist dabei, dass die Akteneinsicht auf den Vor-
sitzenden des Personalrats beschränkt worden ist und dass die Mitglieder des
Personalrats zum Stillschweigen verpflichtet sind (§ 9 Abs. 1 MBG Schl.-H.), da
auch eine nur personalratsöffentliche Erörterung derart intimer Informationen
ohne Bezug zum Disziplinarverfahren bereits eine schwere Beeinträchtigung
schutzwürdiger persönlicher Interessen des Beamten darstellt.
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Die Verletzung des § 51 Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H. stellt einen Mangel des
Disziplinarverfahrens dar, denn es handelt sich um die Verletzung von Verfah-
rensregeln, die im behördlichen Verfahren von Bedeutung sind (vgl. Beschluss
vom 18. November 2008 - BVerwG 2 B 63.08 - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1)
und Rechte des Beamten nicht nur im Mitbestimmungs-, sondern auch im
Disziplinarverfahren berühren (Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C
12.04 - BVerwGE 124, 252 <254> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1).
2. Der in der Beteiligung des Personalrats ohne die erforderliche Zustimmung
liegende Mangel des Disziplinarverfahrens ist unter den hier gegebenen Um-
ständen jedoch als unwesentlich einzustufen und hindert deshalb den Aus-
spruch einer Disziplinarmaßnahme nicht.
Nach § 41 Abs. 1 LDG Schl.-H., § 55 Abs. 3 Satz 3 BDG können wesentliche
Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens, die der Beamte rechtzeitig ge-
rügt (Abs. 1) und deren Beseitigung der Dienstherr trotz Aufforderung nach § 55
Abs. 3 Satz 1 BDG versäumt hat, zu einer Einstellung des Verfahrens mit der
Folge führen, dass die Disziplinargewalt hinsichtlich der betroffenen Vorwürfe
verbraucht ist. Führt das Gericht das Mängelbeseitigungsverfahren des § 55
Abs. 3 BDG nicht ordnungsgemäß durch, liegt darin ein Fehler des gerichtlichen
Verfahrens (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, Beschluss vom 26. Februar 2008
- BVerwG 2 B 122.07 - Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 2), der im Revisi-
onsverfahren zu einer Zurückverweisung an das Tatsachengericht führen kann.
Ein Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist wesentlich im Sinne des
§ 55 BDG, wenn sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt,
dass er sich auf das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ausge-
wirkt haben kann (vgl. BTDrucks 14/4659 S. 49 zur Abgrenzung wesentlicher
Mängel von der Verletzung „bloßer Ordnungsbestimmungen“). Hingegen kommt
es für die Frage der Wesentlichkeit eines Mangels weder darauf an, ob er
behebbar ist noch darauf, ob und ggf. wie intensiv schutzwürdige - insbe-
sondere grundrechtsbewehrte - Rechtspositionen Betroffener durch den Mangel
berührt worden sind. Maßgeblich ist wegen der Funktion des Disziplinarver-
fahrensrechts, bei der Prüfung und ggf. Ahndung von Dienstvergehen gesetz-
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mäßige Ergebnisse zu erzielen, vielmehr die Ergebnisrelevanz. Nur solche
Mängel sind wesentlich und bedürfen einer Korrektur oder führen zur Einstel-
lung des Verfahrens nach § 55 Abs. 3 Satz 3 BDG, bei denen nicht mit hinrei-
chender Sicherheit auszuschließen ist, dass sie das Ergebnis eines fehlerfreien
Verfahrens verändert haben könnten; der vom Berufungsgericht herangezoge-
ne Rechtsgedanke der §§ 115 LVwG, 46 VwVfG tritt hinter § 41 Abs. 1 LDG
Schl.-H., § 55 BDG zurück. Wann ein Mangel in diesem Sinne wesentlich ist, ist
eine Frage des Einzelfalles. Bei Mängeln im Zusammenhang mit der Mitwirkung
der Personalvertretung sind daher alle konkreten Umstände des Mitbestim-
mungsverfahrens zu berücksichtigen.
Im vorliegenden Fall hat die Personalvertretung im Rahmen der Entscheidung
über die Erhebung der Disziplinarklage rechtswidrig mitgewirkt und der Klage-
erhebung zugestimmt. Sie hat diese Entscheidung allerdings nicht begründet,
sondern sich auf eine bloße Zustimmung beschränkt. Es kann mit hinreichender
Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die beabsichtigte Maßnahme anders
ausgefallen wäre, hätte es die rechtswidrige Beteiligung des Hauptpersonalrats
nicht gegeben. Denn nach dem maßgeblichen Landesrecht ist die Erhebung
der Disziplinarklage in der vorliegenden Konstellation nach bloßer Information
der Personalvertretung zulässig, sodass auch bei rechtmäßigem Verhalten des
Dienstherrn eine Disziplinarklage hätte erhoben werden können. Auch lässt sich
den vom Berufungsgericht festgestellten tatsächlichen Umständen entnehmen,
dass die inhaltsleere Äußerung des Hauptpersonalrats die
Entscheidungsfindung des Dienstherrn nicht beeinflusst hat. Ob bzw. unter
welchen Umständen ein wesentlicher Verfahrensfehler vorliegt, wenn eine
rechtswidrige Personalratsbeteiligung zu einer begründeten Stellungnahme ge-
führt hat oder wenn im umgekehrten Falle die Mitbestimmung rechtswidrig un-
terblieben ist, muss der Senat aus Anlass des vorliegenden Falles nicht ent-
scheiden.
3. Die rechtswidrige Beteiligung des Hauptpersonalrats steht als unwesentlicher
Mangel des Disziplinarverfahrens der Prüfung und ggf. disziplinarischen Ahn-
dung des dem Beklagten vorgeworfenen Dienstvergehens nicht entgegen. Zu
diesem Zweck hat das Berufungsgericht das Verfahren zu Recht an das Ver-
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waltungsgericht zurückverwiesen (§ 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der auf eine Ent-
scheidung in der Sache durch den Senat zielende, im Revisionsverfahren ge-
stellte Hilfsantrag des Beklagten bleibt erfolglos.
Der Senat ist an einer abschließenden eigenen Entscheidung über die Diszipli-
narklage gehindert, weil die nach § 13 LDG Sch.-H. maßgeblichen Umstände
noch aufgeklärt werden müssen (Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 C 59.07 -
Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3). Zwar hat der Beklagte den Besitz kinderpor-
nografischer Schriften bzw. Dateien und die unberechtigte Nutzung dienstlicher
Datenbanken eingeräumt. Nach § 13 LDG Sch.-H. bedarf es indes der Ermitt-
lung weiterer tatsächlicher Umstände, damit eine Entscheidung über die gegen
den Beklagten erhobene Disziplinarklage getroffen werden kann. Wenn das
Dienstvergehen festgestellt und nach seiner Schwere einer Disziplinarmaß-
nahme zugeordnet ist, müssen zusätzlich alle relevanten be- und entlastenden
Umstände ermittelt und gewichtet sowie in einem dritten Schritt in Relation zur
Schwere des Dienstvergehens bewertet werden (Urteile vom 20. Oktober 2005
a.a.O., vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3
und vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - juris). In diesem Zusammenhang
ist auch die Frage von Bedeutung, ob sich aus der rechtswidrigen Beteiligung
der Personalvertretung trotz der ihre Mitglieder treffenden Verschwiegenheits-
pflicht (§ 9 MBG Schl.-H.) Beeinträchtigungen des Beklagten ergeben haben,
die das Maß der disziplinarischen Ahndung beeinflussen könnten. An einer Zu-
rückverweisung an das Verwaltungsgericht war das Berufungsgericht auch un-
ter Berücksichtigung des das Disziplinarverfahren beherrschenden Beschleuni-
gungsgrundsatzes nicht gehindert; ein entsprechender Vorschlag (vgl.
BTDrucks 14/4659 S. 51, zu § 66 Abs. 2 des Entwurfs) hat sich im Gesetzge-
bungsverfahren nicht durchgesetzt (a.a.O. S. 62; BRDrucks 467/1/00 S. 11).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 41 Abs. 1 LDG Schl.-H., § 77 BDG,
§ 154 Abs. 2 VwGO.
Herbert Thomsen Dr. Maidowski
Dr. Hartung
Ri’inBVerwG Dr. Held-Daab
ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben.
Herbert
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Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Öffentliches Dienstrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
BDG
§ 55
LDG Schl.-H. § 41 Abs. 1
MBG Schl.-H.
§ 51 Abs. 5
Stichworte:
Disziplinarverfahren; Mangel; Verfahrensfehler; Wesentlichkeit; Personalvertre-
tung; Mitbestimmung; Zustimmung; Disziplinarklage; Unterrichtung.
Leitsätze:
1. Äußert sich ein Beamter trotz Aufforderung nicht zu der Frage, ob er der Be-
teiligung der Personalvertretung an der Entscheidung über die Erhebung einer
Disziplinarklage gegen ihn zustimmt, so ist nach der Rechtslage in Schleswig-
Holstein eine ohne Zustimmung des Beamten durchgeführte Beteiligung rechts-
widrig, soweit hierdurch über die beabsichtigte Disziplinarmaßnahme hinaus
schutzwürdige persönliche Interessen des Beamten berührt werden (§ 51
Abs. 5 Satz 1 des schleswig-holsteinischen Gesetzes über die Mitbestimmung
der Personalräte, MBG Schl.-H.). Der Dienstherr ist in einem solchen Fall dar-
auf beschränkt, die Personalvertretung über die beabsichtigte Maßnahme zu
unterrichten (§ 51 Abs. 5 Satz 2 MBG Schl.-H.).
2. Ein Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist wesentlich im Sinne
des § 55 BDG, wenn sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt,
dass er sich auf das Ergebnis des Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben
kann.
3. Ob die ohne die erforderliche Zustimmung des Beamten durchgeführte Be-
teiligung der Personalvertretung einen wesentlichen Mangel des Disziplinarver-
fahrens im Sinne des § 55 BDG darstellt, ist eine Frage des Einzelfalls.
Urteil des 2. Senats vom 24. Juni 2010 - BVerwG 2 C 15.09
I. VG Schleswig vom 21.05.2007 - Az.: VG 17 A 7/06 -
II. OVG Schleswig vom 16.05.2008 - Az.: OVG 14 LB 4/07 -