Urteil des BVerwG vom 21.09.2006

Beförderung, Rektor, Ausnahme, Schule

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 2 C 13.05
am 21. September 2006
OVG 2 A 10994/04
Hardtmann
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kugele, Groepper,
Dr. Bayer und Dr. Heitz
für Recht erkannt:
Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz
vom 8. November 2004 und des Verwaltungsgerichts
Mainz vom 28. April 2004 werden aufgehoben. Es wird
festgestellt, dass die Entscheidung des Beklagten, den
Kläger nicht zum Rektor nach der Besoldungsgruppe A 14
zu befördern, rechtswidrig gewesen ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger ist Rektor (BesGr A 13 mit Amtszulage) im Dienst des Beklagten.
Von 1993 bis Ende Juli 2003 war er Schulleiter an einer Grundschule in W. Seit
September 2000 ist er freigestelltes Mitglied des Bezirkspersonalrats für die
Staatlichen Lehrerinnen und Lehrer an Grund-, Haupt- und Regionalen Schu-
len. Trotz der Freistellung gab er die Schulleitertätigkeit wegen der Doppelbe-
lastung erst ab August 2003 auf.
Im Juli 2002 bewarb sich der Kläger auf die zum 1. August 2003 ausgeschrie-
bene, nach BesGr A 14 bewertete Stelle eines Rektors an der „P.-Schule“, einer
Grund- und Hauptschule in W., und wurde als der von drei Bewerbern am
besten Geeignete ausgewählt. Die Benachrichtigung über diese Auswahlent-
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scheidung war verbunden mit dem Hinweis, dass die endgültige Übertragung
des Amtes und die damit verbundene Beförderung erst möglich sei, wenn die
Eignung für den neuen Dienstposten im Rahmen einer Erprobungszeit festge-
stellt werden konnte. Der Kläger entgegnete, er werde von der Freistellung als
Personalratsmitglied weiterhin uneingeschränkt Gebrauch machen; eine even-
tuell erforderliche Erprobungszeit wolle er fiktiv erbringen. Unter dem 8. August
2003 teilte der Beklagte dem Kläger mit, die Bewerbung sei aus rechtlichen
Gründen gegenstandslos geworden; es sei beabsichtigt, die Stelle mit dem
zweitbesten Bewerber kommissarisch zu besetzen.
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Kläger Klage mit dem sinn-
gemäßen Antrag erhoben festzustellen, dass der Beklagte nicht berechtigt ge-
wesen sei, seine Bewerbung zu verwerfen.
Die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Verwal-
tungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und zur Be-
gründung im Wesentlichen ausgeführt (u.a. ZfPR 2005, 8):
Eine Ausnahme von der gesetzlichen Voraussetzung, dass eine Beförderung
erst nach Feststellung der Eignung für den höher bewerteten Dienstposten in
einer Erprobungszeit zulässig ist, sei für Mitglieder von Personalvertretungen
nicht vorgesehen. Mit der Einführung des Eignungsnachweises der Erpro-
bungszeit habe der Landesgesetzgeber einer rahmenrechtlichen Vorgabe
Rechnung getragen. Zwar ordne die Ausführungsbestimmung des § 9a LbVO
für verschiedene Fallgruppen eine Fiktion des Eignungsnachweises an; die Tä-
tigkeit des freigestellten Mitglieds einer Personalvertretung sei in diesem Kata-
log jedoch nicht erwähnt. Aus dem personalvertretungsrechtlichen Benachteili-
gungsverbot könne kein Anspruch des Personalratsmitglieds abgeleitet werden,
auch von solchen Voraussetzungen für eine Beförderung befreit zu werden, die
- für alle Bewerber gleich - im Gesetz ausdrücklich und zwingend vorgesehen
seien. Die Vorgaben des Personalvertretungsrechts und das beamtenrechtliche
Erfordernis eines Eignungsnachweises in einer Erprobungszeit nähmen in der
Normenhierarchie den gleichen Rang ein. Die Nachteile, die das Ableisten einer
Erprobungszeit für die Personalratstätigkeit des bis dahin freigestellten Be-
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amten und damit auch für die Arbeit des Personalrats insgesamt habe, müssten
im Interesse einer bestmöglichen Besetzung der Ämter, zumal solcher mit
Führungsverantwortung, hingenommen werden. Da der aktuelle Leistungsstand
langjährig freigestellter Personalräte bereits aufgrund einer Nachzeichnung ih-
rer letzten dienstlichen Beurteilung ermittelt worden sei, bestehe in besonderem
Maße ein Interesse, dass die daran anknüpfende Auswahlentscheidung durch
einen tatsächlich erbrachten Eignungsnachweis bestätigt werde. Den Mitglie-
dern der Personalvertretungen sei es auch zumutbar, wegen der Notwendigkeit
der Erprobung die Freistellung aufzugeben.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die
Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz
vom 8. November 2004 und des Verwaltungsgerichts
Mainz vom 28. April 2004 aufzuheben und festzustellen,
dass die Entscheidung des Beklagten, den Kläger nicht
zum Rektor nach der Besoldungsgruppe A 14 zu beför-
dern, rechtswidrig gewesen ist.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht vertritt
die Auffassung, dass auch bei freigestellten Personalratsmitgliedern auf gesetz-
lich geforderte Bewährungszeiten nicht verzichtet werden dürfe.
II
Die Revision ist begründet. Die Entscheidung des Beklagten, den Kläger als
bestgeeigneten Bewerber wegen fehlender tatsächlicher Erprobung auf dem
Dienstposten des Rektors an der Grund- und Hauptschule „P.-Schule“ in W.
nach Ablauf einer fiktiven Erprobungszeit nicht zum Rektor nach der Besol-
dungsgruppe A 14 zu befördern, ist rechtswidrig gewesen.
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Gemäß § 12 Satz 3 des Landesbeamtengesetzes Rheinland-Pfalz - LBG -, der
durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. a des Vierten Landesgesetzes zur Änderung dienst-
rechtlicher Vorschriften vom 20. Juli 1998 (GVBl S. 205) eingefügt worden ist,
ist eine Beförderung erst nach Feststellung der Eignung für einen höher bewer-
teten Dienstposten in einer Erprobungszeit zulässig, die mindestens sechs Mo-
nate beträgt. Die Vorschrift sieht zwar ausdrücklich nur eine Ausnahme für die
Mitglieder des Rechnungshofs vor. Eine weitere Ausnahme rechtfertigt jedoch
das Verbot der beruflichen Benachteiligung von Mitgliedern der Personalvertre-
tungen.
§ 12 Satz 3 LBG - und in Ausführung dieser Bestimmung § 9a der Laufbahn-
verordnung des Landes Rheinland-Pfalz - LbVO - vom 26. Juni 1971 (GVBl
S. 143), der durch die Zehnte Landesverordnung zur Änderung der Laufbahn-
verordnung vom 9. September 2003 (GVBl S. 275) eingefügt und durch § 15
der Laufbahnverordnung vom 20. Februar 2006 (GVBl S. 102) ersetzt worden
ist, konkretisiert § 12 Abs. 2 Nr. 4 BRRG, wonach der Beamte nicht befördert
werden darf „vor Feststellung der Eignung für einen höher bewerteten Dienst-
posten in einer Erprobungszeit, für die durch Rechtsvorschrift eine Dauer von
mindestens drei Monaten festzulegen ist“. Die bundeseinheitlich vorgeschrie-
bene laufbahnrechtliche Erprobung dient der Bestätigung der im Auswahlver-
fahren getroffenen Prognose, dass der ausgewählte Bewerber um das Beförde-
rungsamt unter den Bedingungen praktischer Tätigkeit auf einem höher bewer-
teten Dienstposten den Anforderungen des angestrebten höheren Statusamtes
genügen werde (vgl. Urteil vom 16. August 2001 - BVerwG 2 A 3.00 - BVerwGE
115, 58 = Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 54; Beschluss vom 7. August 2001
- BVerwG 2 VR 1.01 - Buchholz 232.1 § 11 BLV Nr. 2). Nur der erfolgreich Er-
probte hat die Chance der Beförderung. Andere Interessenten, die bislang nicht
auf einem höherwertigen Dienstposten erprobt worden sind, kommen für eine
Beförderung aus laufbahnrechtlichen Gründen nicht in Betracht.
Der Eignungsnachweis auf der Grundlage einer Erprobung ist grundsätzlich vor
jeder Beförderung zu erbringen. Ob die Ausnahmen von dem Gebot der Erpro-
bung auf einem Beförderungsdienstposten - neben den Mitgliedern des Rech-
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nungshofes nach § 12 Satz 3 LBG - gemäß § 9a LbVO a.F./§ 15 LbVO n.F. den
Vorgaben des § 12 Abs. 2 Nr. 4 BRRG entsprechen, bedarf keiner weiteren
Erörterung. Jedenfalls sind Mitglieder von Personalvertretungsorganen nicht in
den Katalog der Ausnahmen aufgenommen, der einer erweiternden Auslegung
nicht zugänglich ist.
Indessen ergibt sich auch ohne ausdrückliche Ausnahmeregelung eine Modifi-
zierung des Erprobungserfordernisses für freigestellte Mitglieder von Personal-
vertretungen aus § 39 Abs. 1 Satz 3 - für die Mitglieder der Stufenvertretungen
i.V.m. § 55 Abs. 1 - des Personalvertretungsgesetzes für das Land Rheinland-
Pfalz - LPersVG - i.d.F. vom 24. November 2000 (GVBl S. 529). Danach darf
die Tätigkeit im Personalrat nicht zur Beeinträchtigung des beruflichen Werde-
gangs führen. Diese Vorschrift, die das in den Ländern bundeseinheitlich und
unmittelbar geltende Benachteiligungsverbot gemäß § 107 BPersVG konkreti-
siert, enthält eine für die Arbeit der Personalvertretungen konstituierende Rege-
lung (vgl. Lorenzen/Eckstein/Faber, Bundespersonalvertretungsgesetz, Stand
Juli 2006, § 8 Rn. 2 - „tragende Vorschrift“). Sie bezweckt den Schutz sowohl
der Institutionen als auch der beteiligten Personen (vgl. Ilbertz/Widmaier, Bun-
despersonalvertretungsgesetz, 10. Aufl., § 8 Rn. 1; Fischer/Goeres, GKÖD,
Stand Juli 2006, Band V K § 8 Rn. 1; Altvater/Hamer/ Ohnesorg/Peiseler, Bun-
despersonalvertretungsgesetz, 5. Aufl., § 8 Rn. 1). Das Benachteiligungsverbot
dient ebenso wie das Ehrenamtsprinzip und das Begünstigungsverbot der inne-
ren und äußeren Unabhängigkeit der Personalratsmitglieder (so BAG, Urteile
vom 31. Oktober 1985 - 6 AZR 129/83 - PersV 1988, 406, vom 29. Oktober
1998 - 7 AZR 676/96 - BAGE 90, 106, vom 27. Juni 2001 - 7 AZR 496/99 -
BAGE 98, 164 und vom 16. Februar 2005 - 7 AZR 95/04 - PersV 2005, 429).
Die Schutznorm soll gewährleisten, dass die Personalratsmitglieder ihr Amt un-
beeinflusst von der Furcht vor Benachteiligungen und unbeeinflusst von der
Aussicht auf Begünstigungen wahrnehmen. Darüber hinaus wird vermieden,
dass qualifizierte Bedienstete von einer Mitarbeit in den personalvertretungs-
rechtlichen Organen Abstand nehmen, weil sie Sorge haben, aus Anlass der
ehrenamtlichen Tätigkeit ihre beruflichen Perspektiven zurückstellen zu müs-
sen. Demzufolge stellt es auch eine verbotene Benachteiligung dar, wenn das
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berufliche Fortkommen eines Personalratsmitglieds davon abhängig gemacht
wird, dass er seine Freistellung aufgibt.
Allerdings genießen das Recht auf Freistellung und der Schutz vor beruflicher
Benachteiligung keinen absoluten Vorrang. Obgleich es sich bei dem Erpro-
bungsgebot gemäß § 12 LBG um Landesrecht und bei dem Benachteiligungs-
verbot gemäß § 107 BPersVG um unmittelbar geltendes Bundesrecht handelt,
dem Art. 31 GG den Vorrang einräumt, begegnen sich Erprobungspflicht und
Benachteiligungsverbot hinsichtlich der Normqualität auf gleicher Stufe. § 12
Abs. 2 Nr. 4 BRRG ist ebenso Bundesrecht wie § 107 BPersVG; die das Bun-
desrecht ausfüllenden und konkretisierenden § 12 LBG und § 39 LPersVG sind
ranggleiches Landesrecht. Das durch Rahmenrecht vorgeschriebene Landes-
recht kann nicht durch - vermeintlich - widerstreitendes unmittelbar geltendes
Bundesrecht gebrochen werden.
Andererseits besitzt - entgegen der Auffassung des Beklagten - § 12 LBG nicht
deshalb einen höheren Rang, weil die Vorschrift durch Art. 33 Abs. 2 GG legi-
timiert ist. Das in Art. 33 Abs. 2 GG verankerte Gebot der Bestenauslese
schreibt den Eignungsnachweis für die Beförderungsstelle in einer praktischen
Erprobungszeit nicht zwingend vor. Vielmehr geht die Besetzungsentscheidung
davon aus, dass der Bewerber sämtlichen Anforderungen des probehalber
übernommenen Dienstpostens und damit des angestrebten Amtes bereits ge-
recht wird. Der Grundsatz, dass öffentliche Ämter nach Eignung, Befähigung
und fachlicher Leistung zu besetzen sind, bleibt davon unberührt. Eine beson-
dere Form des Nachweises fordert das Verfassungsrecht nicht und war in
Rheinland-Pfalz bei unveränderter Verfassungslage bis 1998 auch nicht vorge-
sehen.
Von dem „ganz freigestellten“ Personalratsmitglied kann nicht prinzipiell ver-
langt werden, dass es seine Freistellung vollständig oder teilweise aufgibt, um
die Chance der Beförderung zu erhalten. Die Erprobung besteht darin, dass
Aufgaben des höherwertigen Dienstpostens tatsächlich wahrgenommen wer-
den, und ist somit Dienst, von dem das Personalratsmitglied nach § 40
LPersVG (entsprechend § 46 BPersVG) befreit ist, um den Aufgaben des Per-
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sonalrats gerecht zu werden. Über die Freistellung bestimmen mittelbar die
wahlberechtigten Beschäftigten und im Übrigen der Personalrat (vgl. § 40
Abs. 4 LPersVG). Der Dienstherr hat hierauf keinerlei Einfluss. Selbst dienstli-
che Notwendigkeiten sind nicht geeignet, die Befugnis der Personalvertretun-
gen zu beschränken, sich selbst zu organisieren. Das Erfordernis tatsächlicher
Erprobung zwingt das freigestellte Personalratsmitglied jedoch zu der Entschei-
dung, entweder die Freistellung und damit seine durch die Personalratswahl
erlangte Stellung aufzugeben oder - da die Erprobung ausnahmslos vor Beför-
derungen verlangt wird - jegliches berufliche Fortkommen zurückzustellen. Ge-
rade dieser Konflikt soll vermieden werden.
Vielmehr ist die Kollision der widerstreitenden Rechtsgrundsätze auf der Ebene
des materiellen Rechts auszugleichen. Bei diesem Ausgleich ist von folgenden
Überlegungen auszugehen: Aufgrund des Benachteiligungsverbotes hat der
Dienstherr dem Personalratsmitglied eine berufliche Entwicklung zukommen zu
lassen, wie sie ohne Freistellung verlaufen wäre (vgl. Urteil vom 10. April 1997
- BVerwG 2 C 38.95 - Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 16; Beschluss vom 7. Novem-
ber 1991 - BVerwG 1 WB 160.90 - BVerwGE 93, 188; BAG, Urteile vom
31. Oktober 1985 a.a.O. und vom 27. Juni 2001 a.a.O.). Wie dieser Grundsatz
im Einzelnen zu verwirklichen ist, liegt im Ermessen des Dienstherrn (Urteil vom
10. April 1997 a.a.O.). Da der Dienstherr nach einhelliger Auffassung gehindert
ist, vom Dienst freigestellte Personalratsmitglieder für die Zeit der Freistellung
dienstlich zu beurteilen (vgl. z.B. Beschluss vom 7. November 1991 a.a.O.),
auch wenn dies - ebenfalls - die Vorschriften über die dienstliche Beurteilung
nicht ausdrücklich vorsehen, ist der berufliche Werdegang des Personalrats-
mitglieds mangels aktueller dienstlicher Beurteilungen fiktiv nachzuzeichnen
(vgl. Beschluss vom 7. November 1991 a.a.O.; BAG, Urteile vom 31. Oktober
1985 a.a.O. und vom 27. Juni 2001 a.a.O.; Schnellenbach, ZfPR 2002, 51
m.w.N.; Goeres, PersV 2004, 124 m.w.N.).
Der Ausgleich zwischen dem personalvertretungsrechtlichen Benachteiligungs-
verbot und dem Gebot, die Eignung für den Beförderungsdienstposten zu ver-
gewissern, kann dadurch hergestellt werden, dass aufgrund des bisherigen be-
ruflichen Werdegangs des Personalratsmitglieds und vergleichbarer Bedienste-
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ter prognostisch festgestellt wird, ob der vom Dienst freigestellte Bewerber den
Anforderungen der Erprobung aller Voraussicht nach gerecht werden würde.
Die Prognose ist auf sämtliche Erkenntnisse über den Bewerber zu stützen, die
auch für dienstliche Beurteilungen verwertet werden. Insbesondere sind die
dienstlichen Anforderungen, denen das Personalratsmitglied bis zu seiner Frei-
stellung gerecht werden musste und die das angestrebte Beförderungsamt
stellt, wie auch die bisherigen Leistungen zu berücksichtigen. Je ähnlicher die
dienstlichen Aufgaben, die das Personalratsmitglied bereits vorher wahrge-
nommen hat, den auf dem Erprobungsdienstposten anfallenden Aufgaben sind,
je länger und je qualifizierter das Personalratsmitglied seine früheren dienstli-
chen Aufgaben erledigt hat und je kürzer dies zurückliegt, umso gesicherter ist
die Erwartung, dass der Bewerber dauerhaft den Anforderungen des höherwer-
tigen Statusamtes gerecht werden wird. Haben sich die dem freigestellten Per-
sonalratsmitglied nach Leistungsstand und Tätigkeit vergleichbaren Beamten
später bei einer Erprobung ähnlicher Art überwiegend bewährt, ist ebenfalls
abzusehen, dass auch das freigestellte Personalratsmitglied Erfolg haben wür-
de. Andererseits wird die Prognose umso ungewisser, wenn und je mehr das
freigestellte Personalratsmitglied einer seinem Statusamt entsprechenden Tä-
tigkeit seit längerer Zeit nicht mehr nachgegangen ist oder wenn es sich um
einen Dienstposten bewirbt, der erhebliche Unterschiede zu der bisherigen
dienstlichen Tätigkeit aufweist.
Lässt sich eine belastbare Prognose nicht treffen, dass das freigestellte Perso-
nalratsmitglied den Anforderungen des Beförderungsdienstpostens während
der Erprobungsphase gerecht würde, kann von einer tatsächlichen Erprobung
nicht abgesehen werden. Das personalvertretungsrechtliche Benachteiligungs-
verbot findet seine Grenzen in den Auswahlkriterien des Art. 33 Abs. 2 GG.
Dem Prinzip der Auslese nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung
sind auch Personalratsmitglieder unterworfen (vgl. BAG, Urteile vom 29. Ok-
tober 1998 a.a.O. und vom 27. Juni 2001 a.a.O.). Erfüllt das Personalratsmit-
glied nicht das Anforderungsprofil des zur Erprobung vorgesehenen Dienstpos-
tens - fehlen ihm also die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrun-
gen -, so verschafft das Benachteiligungsverbot keinen Anspruch darauf, von
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bestimmten Qualifikationsmerkmalen dispensiert zu werden (vgl. auch z.B.
Beschluss vom 3. Juli 2001 - BVerwG 1 WB 24.01 - Buchholz 236.1 § 3 SG
Nr. 26). Die verfassungsrechtliche Beschränkung des Benachteiligungsverbots
hat zugleich zur Folge, dass verbleibende Zweifel an der Eignung des Perso-
nalratsmitglieds für ein höherwertiges Statusamt zu dessen Lasten gehen und
diese Zweifel erst ausgeräumt sind, wenn sich der Beamte auf dem Erpro-
bungsdienstposten tatsächlich bewährt hat (vgl. Urteil vom 10. Februar 2000
- BVerwG 2 A 10.98 - Buchholz 232.1 § 11 BLV Nr. 1).
Nach diesen Maßstäben war die Entscheidung des Beklagten, dem Kläger die
Beförderung zur versagen, weil er die Erprobung auf dem Posten des Schullei-
ters der Grund- und Hauptschule „P.-Schule“ in W. abgelehnt hat, rechtswidrig.
Der Beklagte war zu Unrecht der Auffassung, dass sich freigestellte Personal-
ratsmitglieder vor einer Beförderung ausnahmslos der Erprobung unterziehen
müssten. Vielmehr hatte der Beklagte zunächst das Ergebnis einer „fiktiven
Erprobung“ des Klägers prognostisch zu ermitteln. Insoweit liegt die Annahme
nahe, dass der Kläger aufgrund seiner bisherigen Leistungsstärke im Dienst
und aufgrund seiner langjährigen und erst kurze Zeit zurückliegenden Tätigkeit
auf einem Schulleiterposten aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Erprobung
auf dem ausgeschriebenen Posten des Leiters einer Grund- und Hauptschule
mit Erfolg abgeschlossen hätte. Wegen der dem Beklagten vorbehaltenen Er-
messens- und Beurteilungsspielräume hat er die fiktive Nachzeichnung bei
nächster Gelegenheit nachzuholen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da der Beklagte ab-
schließend unterliegt, hat er die Kosten des Verfahrens aller Instanzen zu tra-
gen.
Albers Dr. Kugele Groepper
Dr. Bayer Dr. Heitz
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B e s c h l u s s
Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 28 255 € festgesetzt (§ 52
Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 GKG).
Albers Groepper Dr. Bayer
Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Beamtenrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BRRG
§ 12 Abs. 2 Nr. 4
BPersVG
§ 107
LBG Rheinland-Pfalz
§ 12
LPersVG Rheinland-Pfalz
§ 39 Abs. 1
Stichworte:
Beförderung freigestellter Personalratsmitglieder; Benachteiligungsverbot für -;
laufbahnrechtliche Erprobung; fiktive Laufbahnnachzeichnung.
Leitsatz:
Vom Dienst freigestellte Mitglieder von Personalvertretungen sind vor einer Be-
förderung nicht ausnahmslos verpflichtet, die Aufgaben eines höherwertigen
Dienstpostens zum Zwecke der Erprobung tatsächlich wahrzunehmen und da-
mit auf die Freistellung zu verzichten.
Urteil des 2. Senats vom 21. September 2006 - BVerwG 2 C 13.05
I. VG Mainz vom 28.04.2004 - Az.: VG 7 K 1255/03 -
II OVG Koblenz vom 08.11.2004 - Az.: OVG 2 A 10994/04 -