Urteil des BVerwG vom 30.10.2014

Eugh, Entschädigung, Jura Novit Curia, Gesetzliche Frist

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 11.13
OVG 1 L 195/11
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Oktober 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden, Dr. Hartung,
Dr. Kenntner und Dollinger
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 50 € nebst
Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts des Landes
Sachsen-Anhalt vom 11. Dezember 2012 und des Verwal-
tungsgerichts Halle vom 28. September 2011 werden auf-
gehoben, soweit sie dem entgegenstehen.
Im Übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewie-
sen.
Die Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin rügt, die besoldungsrechtliche Ersteinstufung nach dem Lebensal-
ter benachteilige sie wegen ihres Lebensalters. Zum Ausgleich beansprucht sie
eine Besoldung nach der höchsten Stufe ihrer Besoldungsgruppe A 10.
Die 1967 geborene Klägerin wurde mit Wirkung vom 1. April 1995 durch die
damalige Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt in das Beamtenverhält-
1
2
- 3 -
nis auf Probe übernommen. Diese setzte das Besoldungsdienstalter der Kläge-
rin auf den 1. August 1988 fest. Zum 30. September 2005 wurde die Landes-
versicherungsanstalt Sachsen-Anhalt mit den Landesversicherungsanstalten
Sachsen und Thüringen zu einem neuen Regionalträger, der Beklagten, verei-
nigt.
Am 18. Dezember 2009 erhob die Klägerin Widerspruch gegen die Höhe ihrer
Besoldung und beantragte rückwirkend ab dem 1. Januar 2006 die Zahlung
ihrer Bezüge nach der höchsten Dienstaltersstufe. Die Beklagte wies den Wi-
derspruch der Klägerin zurück.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin rückwirkend ab
dem 1. Januar 2006 das Grundgehalt nach der höchsten Stufe ihrer Besol-
dungsgruppe zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwal-
tungsgericht das verwaltungsgerichtliche Urteil geändert und die Beklagte ver-
urteilt, die Klägerin rückwirkend ab dem 1. Januar 2009 so zu stellen, als hätte
sie im Zeitpunkt ihrer Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe bereits
das 35. Lebensjahr vollendet, wobei § 28 Abs. 2 BBesG in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 6. August 2002 keine Anwendung finde.
Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:
Die besoldungsrechtlichen Regelungen benachteiligten die Klägerin ungerecht-
fertigt aufgrund ihres Lebensalters. Zum Ausgleich dieser Diskriminierung kön-
ne die Klägerin aber nicht ihre Besoldung aus der höchsten Dienstaltersstufe
beanspruchen. Für die Bestimmung der Vergleichsgruppe, in die die Klägerin
einzustufen sei, sei vielmehr entscheidend, bis zu welchem Lebensalter Einstel-
lungen in ein Beamtenverhältnis des gehobenen allgemeinen Verwaltungs-
dienstes im Geschäftsbereich der Beklagten hätten erfolgen können. Ansprüche
für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2009 seien ausgeschlossen, weil die Kläge-
rin diese nicht zeitnah geltend gemacht habe.
Klägerin und Beklagte haben die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Re-
vision eingelegt.
3
4
5
6
- 4 -
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sach-
sen-Anhalt vom 11. Dezember 2012 insoweit aufzuheben,
als die Klage der Klägerin auf Verurteilung der Beklagten,
der Klägerin rückwirkend ab dem 1. Januar 2006 Grund-
gehalt nach der höchsten Stufe ihrer jeweiligen Besol-
dungsgruppe zu zahlen und den sich hieraus ergebenden
Nachzahlungsbetrag mit fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 17. Mai 2010 zu verzinsen, abge-
wiesen worden ist und die Berufung der Beklagten gegen
das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 28. Sep-
tember 2011 in vollem Umfang zurückzuweisen sowie
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts des Landes
Sachsen-Anhalt vom 11. Dezember 2012 sowie des Ver-
waltungsgerichts Halle vom 28. September 2011 abzuän-
dern und die Klage (vollumfänglich) abzuweisen und
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt
die Revision der Beklagten.
II
Der Senat entscheidet über die Revisionen im Einverständnis der Verfahrens-
beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 und § 101
Abs. 2 VwGO).
Die Revision der Klägerin ist unbegründet, diejenige der Beklagten überwie-
gend begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt revisibles
Recht (1.). Es erweist sich aber zum geringen Teil aus anderen Gründen als
richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Klägerin hat aufgrund von § 15 Abs. 2 i.V.m.
§ 24 Nr. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 14. August 2006
(- AGG -, BGBl I S. 1897) wegen des Verstoßes gegen das Benachteiligungs-
7
8
9
10
11
- 5 -
verbot des § 7 Abs. 1 AGG für den Zeitraum vom 18. bis zum 31. August 2006
einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 50 € (2.). Im Üb-
rigen, d.h. für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum Inkrafttreten des All-
gemeinen Gleichbehandlungsgesetzes am 18. August 2006 und für den Zeit-
raum ab dem 1. September 2006, steht der Klägerin dagegen kein Anspruch
zu (3.).
1. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klägerin hinsichtlich ihrer Besoldung
zum Ausgleich der von ihr zutreffend angenommenen Altersdiskriminierung in
eine höhere Stufe der Tabelle der Grundgehaltssätze der Besoldungsordnung A
eingestuft und ihr dementsprechend einen Anspruch auf ein höheres Grund-
gehalt zuerkannt. Dies verletzt revisibles Recht.
a) Grundlage der Besoldung der Klägerin im Zeitraum vom 1. Januar bis Ende
August 2006 sind §§ 27 und 28 BBesG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 6. August 2002 (- §§ 27 und 28 BBesG a.F. -, BGBl I S. 3020).
Nach §§ 27 und 28 BBesG a.F. bildet das in Abhängigkeit vom Lebensalter be-
stimmte Besoldungsdienstalter den Anknüpfungspunkt für die erstmalige Zu-
ordnung zu einer Besoldungsstufe der Tabelle der Grundgehaltssätze. An-
schließend steigt das Grundgehalt des Beamten nach der Dienstzeit im Beam-
tenverhältnis und seiner dort erbrachten Leistung an. Danach unterscheidet
sich das Grundgehalt, das zwei gleichzeitig ernannte Beamte mit der gleichen
oder einer vergleichbaren Berufserfahrung, aber unterschiedlichem Lebensalter
erhalten, allein aufgrund ihres Lebensalters zum Zeitpunkt ihrer Ernennung
(EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 - Rs. C-501/12, Specht - NVwZ 2014, 1294
Rn. 42 f.).
b) Dieses Besoldungssystem führt zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehand-
lung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des
Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für
die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (- RL
2000/78/EG -, ABl L 303 S. 16). Die Besoldungsbedingungen der Beamten der
12
13
14
15
- 6 -
Mitgliedstaaten fallen in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie
(EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 a.a.O. Rn. 37).
Die erstmalige Zuordnung des Beamten in eine Besoldungsstufe seiner Besol-
dungsgruppe knüpft an das Lebensalter an und führt damit zu einer unmittelbar
auf dem Kriterium des Lebensalters beruhenden Ungleichbehandlung. Diese ist
nicht nach Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG gerechtfertigt. Zwar stellt es ein
legitimes Ziel der Entgeltpolitik dar, das Aufsteigen der Besoldung an die im
Dienst erworbene Berufserfahrung zu knüpfen. Allerdings geht das System der
§§ 27 und 28 BBesG a.F. über das hinaus, was zur Erreichung dieses legitimen
Ziels erforderlich ist. Denn die Regelung führt dazu, dass auch ein älterer Be-
amter ohne jede Berufserfahrung bei seiner erstmaligen Berufung in ein Beam-
tenverhältnis allein aufgrund seines höheren Lebensalters höher eingestuft wird
(EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 a.a.O. Rn. 50 f.).
Das Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes am 18. August
2006, das auch der Umsetzung der RL 2000/78/EG dient (BTDrucks 16/1780
S. 1) und dessen Vorschriften nach § 24 Nr. 1 AGG unter Berücksichtigung ih-
rer besonderen Rechtsstellung entsprechend für Beamte gelten, hat an dieser
unmittelbar diskriminierenden Wirkung der §§ 27 und 28 BBesG a.F. nichts ge-
ändert. Zwar verstießen diese Bestimmungen seit dem 18. August 2006 gegen
das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. § 7 Abs. 2 AGG, wonach
Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot ver-
stoßen, unwirksam sind, erfasst aber lediglich Bestimmungen in Kollektiv- und
Individualvereinbarungen sowie einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers, nicht
aber gesetzliche Regelungen. § 7 Abs. 2 AGG setzt Art. 16 Buchst. b der
RL 2000/78/EG um, wonach ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot die
Nichtigkeit der entsprechenden Klausel in Individual- oder Kollektivverträgen zur
Folge hat (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/1780 S. 34).
Rechtsfolge eines Verstoßes einer gesetzlichen Regelung gegen das Benach-
teiligungsverbot ist die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie zur Entschädi-
gung nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG.
16
17
- 7 -
c) Zum Ausgleich dieser Ungleichbehandlung hat das Oberverwaltungsgericht
die Klägerin unter der Annahme ihrer spätest möglichen Berufung in ein Beam-
tenverhältnis auf Probe in eine höhere Dienstaltersstufe eingruppiert. Eine der-
artige „modifizierende“ Anwendung der vorhandenen Besoldungsgesetze
kommt hier aber nicht in Betracht, weil das Bezugssystem der §§ 27 und 28
BBesG a.F. insgesamt diskriminierend wirkt und daher nicht mehr herangezo-
gen werden kann.
Zwar verlangt das Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen
Rechts, dass das nationale Gericht unter Berücksichtigung des gesamten in-
nerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Ausle-
gungsmethoden alles ihm Mögliche tut, um die volle Wirksamkeit des Unions-
rechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem mit
der Richtlinie verfolgten Ziel in Einklang steht (stRspr; EuGH, Urteil vom
5. Oktober 2004 - Rs. C-390/01 bis C-403/01, Pfeiffer u.a. - Slg. 2004, I-8835
Rn. 114). Eine entsprechende unionskonforme Auslegung der §§ 27 und 28
BBesG a.F. ist hier aber nicht möglich. Die diesem Besoldungssystem inne-
wohnende Ungleichbehandlung gilt für jeden Beamten bei seiner erstmaligen
Berufung in ein Beamtenverhältnis, sodass die hieraus resultierende unmittel-
bare Diskriminierung potenziell alle Beamten betrifft. Es existiert damit bereits
kein gültiges Bezugssystem, an dem sich die diskriminierungsfreie Behandlung
der Klägerin orientieren könnte (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 a.a.O. Rn. 96).
Eine höhere Einstufung der Klägerin innerhalb des Systems der §§ 27 und 28
BBesG a.F. würde zudem zu einer Entwertung der vom Gesetzgeber beabsich-
tigten Honorierung bereits erworbener Berufserfahrung führen. Nach der Recht-
sprechung des EuGH darf die tatsächlich abgeleistete Dienstzeit Anknüpfungs-
punkt einer besoldungsrechtlichen Differenzierung sein. Der Rückgriff auf das
Kriterium des Dienstalters ist in der Regel zur Erreichung des legitimen Ziels
geeignet, die Berufserfahrung zu honorieren, die den Arbeitnehmer befähigt,
seine Arbeit besser zu verrichten (EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2006 - Rs.
C-17/05, Cadman - Slg. 2006, I-9583 Rn. 34 ff.). Mit der Höherstufung eines
Beamten innerhalb des Systems der §§ 27 und 28 BBesG a.F. zum Ausgleich
der Altersdiskriminierung würden aber diejenigen Beamten benachteiligt, die
18
19
20
- 8 -
diese höhere Stufe unionsrechtlich zulässig aufgrund ihrer Berufserfahrung er-
langt haben (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 28. November
2013 - Rs. C-501/12, Specht - Rn. 100).
Mangels gültigem Bezugssystem kann auch die vom EuGH zur Wahrung des
Gleichheitssatzes entwickelte Rechtsprechung, nach der bis zur Abhilfe der
Ungleichbehandlung den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben
Vorteile gewährt werden müssen, wie denjenigen der privilegierten Gruppe
(EuGH, Urteile vom 26. Januar 1999 - Rs. C-18/95, Terhoeve - Slg. 1999, I-345
Rn. 57 m.w.N. und vom 22. Juni 2011 - Rs. C-399/09, Landtová - Slg. 2011,
I-5573 Rn. 51), nicht angewandt werden.
2. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts stellt sich aber aus anderen Gründen
hinsichtlich der Nachzahlungsverpflichtung im Ergebnis zum geringen Teil als
richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum Inkrafttreten des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes am 18. August 2006 steht der Klägerin mangels
einer Anspruchsgrundlage kein Zahlungsanspruch zu. Die Klägerin kann aber
für den Zeitraum vom 18. bis zum 31. August 2006 eine Entschädigung in Höhe
von 50 € beanspruchen. Dies folgt zwar weder aus der RL 2000/78/EG (a) noch
aus dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch (b). Die Klägerin hat aber einen
Anspruch aus dem am 18. August 2006 in Kraft getretenen § 15 Abs. 2 AGG
(c).
a) Nach Art. 17 der RL 2000/78/EG legen die Mitgliedstaaten die Sanktionen
fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwen-
dung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle erforderlichen Maß-
nahmen, um deren Durchführung zu gewährleisten. Dabei müssen die Sanktio-
nen, die auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen können, wirk-
sam, verhältnismäßig und abschreckend sein.
Diese Vorgaben sind in § 15 Abs. 2 AGG umgesetzt (Urteil vom 25. Juli 2013
- BVerwG 2 C 12.11 - BVerwGE 147, 244 Rn. 57 f.). Im Übrigen folgt aus
21
22
23
24
25
- 9 -
Art. 17 der RL 2000/78/EG unmittelbar kein Anspruch der Klägerin auf Zahlung
einer Entschädigung oder eines Geldbetrages in Höhe des Unterschieds zwi-
schen ihrer tatsächlichen Besoldung und der Besoldung nach der höchsten Stu-
fe ihrer Besoldungsgruppe (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 a.a.O. Rn. 108).
b) Auch aus dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch kann die Klägerin für den
Zeitraum bis zum 31. August 2006 keine Ansprüche herleiten. Dessen Voraus-
setzungen sind erst mit der Verkündung des Urteils des EuGH in Sachen Hen-
nigs und Mai am 8. September 2011 (Rs. C-297/10 und C-298/10, Slg. 2011,
I-7965) erfüllt.
Der unionsrechtliche Haftungsanspruch setzt voraus, dass die unionsrechtliche
Norm, gegen die verstoßen worden ist, die Verleihung von Rechten an die Ge-
schädigten bezweckt, der Verstoß gegen diese Norm hinreichend qualifiziert ist
und dass zwischen diesem Verstoß und dem den Geschädigten entstandenen
Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (stRspr; EuGH, Urteil
vom 19. Juni 2014 a.a.O. Rn. 99).
Die erste sowie die dritte Voraussetzung sind hier gegeben. Art. 2 Abs. 1 der
RL 2000/78/EG, der in Verbindung mit Art. 1 allgemein und eindeutig jede sach-
lich nicht gerechtfertigte unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung in Be-
schäftigung und Beruf verbietet, verleiht dem Einzelnen Rechte, die er gegen-
über den Mitgliedstaaten geltend machen kann. Ferner besteht ein unmittelba-
rer Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen das Benachteiligungs-
verbot und dem der Klägerin entstandenen Schaden (EuGH, Urteil vom 19. Juni
2014 a.a.O. Rn. 101 und 106).
Die Voraussetzung des hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen das Unions-
recht dagegen ist nicht erfüllt.
Ein Verstoß gegen das Unionsrecht ist hinreichend qualifiziert, wenn die ein-
schlägige Rechtsprechung des EuGH offenkundig verkannt wird (EuGH, Urteil
vom 25. November 2010 - Rs. C-429/09, Fuß - Slg. 2010, I-12167 Rn. 51 f.
m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26. Juli 2012 - BVerwG 2 C 29.11 - BVerwGE 143,
26
27
28
29
30
- 10 -
381 Rn. 18). Dementsprechend ist ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen
das Unionsrecht für den Zeitraum ab Verkündung des Urteils des EuGH in Sa-
chen Hennigs und Mai am 8. September 2011 anzunehmen. Denn in diesem
Urteil ist den Mitgliedstaaten der Bedeutungsgehalt von Art. 2 Abs. 2 und Art. 6
Abs. 1 der RL 2000/78/ EG in Bezug auf ein mit §§ 27 und 28 BBesG a.F. ver-
gleichbares Besoldungssystem verdeutlicht worden (EuGH, Urteil vom 19. Juni
2004 a.a.O. Rn. 104).
Die Bestimmung des Zeitpunkts, ab dem der Verstoß gegen das Unionsrecht
hinreichend qualifiziert ist, ist Sache des nationalen Gerichts. Es liegen hier
aber keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, bereits vor der
Verkündung des Urteils des EuGH am 8. September 2011 sei der Verstoß ge-
gen das Unionsrecht hinreichend qualifiziert gewesen. Für die Frage, ob ein
Verstoß eines Mitgliedstaates im genannten Sinne bereits hinreichend qualifi-
ziert ist, ist nach der Spruchpraxis des EuGH auch der jeweilige Stand der
Rechtsprechung der nationalen Gerichte von Bedeutung (EuGH, Urteil vom
5. März 1996 - Rs. C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur und Factorta-
me - Slg. 1996, I-1029 Rn. 63). Noch im Jahr 2010 hat das Bundesarbeitsge-
richt in der Sache Hennigs und Mai in einem Verfahren, das die vergleichbare
Bemessung der Grundvergütungen in den einzelnen Vergütungsgruppen nach
Lebensaltersstufen betrifft, den EuGH zur Auslegung von Bestimmungen der
RL 2000/78/EG angerufen (BAG, Beschluss vom 20. Mai 2010 - 6 AZR
148/09 (A) - BAGE 134, 327). Im Jahr 2010 und auch noch danach haben deut-
sche Verwaltungsgerichte wiederholt entschieden, das Lebensalter stelle im
System der §§ 27 und 28 BBesG a.F. lediglich einen pauschalierenden Berech-
nungsfaktor dar, sodass es bereits an einer Altersdiskriminierung fehle (z.B. VG
Berlin, Urteil vom 24. Juni 2010 - 5 K 17/09 - juris Rn. 16 und VG Lüneburg,
Urteil vom 15. Februar 2012 - 1 A 106/10 - juris Rn. 19).
c) Für den Zeitraum vom Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsge-
setzes am 18. August 2006 bis zum Ende dieses Monats hat die Klägerin An-
spruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG in Höhe von
50 €.
31
32
- 11 -
aa) Ohne Bedeutung ist, dass sich die Klägerin im behördlichen wie im gericht-
lichen Verfahren nicht ausdrücklich auf § 15 AGG als Anspruchsgrundlage be-
rufen hat. Das Gericht ist nicht an die von der Klägerin bezeichneten Rechts-
normen gebunden, sondern hat den geltend gemachten Anspruch im Rahmen
des Streitgegenstandes aus jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (jura
novit curia).
Die Sanktionenregelung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes setzt die
Vorgaben der RL 2000/78/EG umfassend in nationales Recht um (Urteil vom
25. Juli 2013 - BVerwG 2 C 12.11 - BVerwGE 147, 244 Rn. 57 ff.). Art. 17 der
RL 2000/78/EG schreibt den Mitgliedstaaten selbst keine bestimmten Sanktionen
vor. Die zur Umsetzung geschaffene nationale Sanktionenregelung muss aber
einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus der Richtlinie her-
geleiteten Rechte gewährleisten. Die Härte der Sanktionen muss der Schwere
der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen, indem sie insbesondere eine
wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet. Zugleich muss sie aber den all-
gemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren; eine rein symbolische
Sanktion genügt für eine ordnungsgemäße und wirksame Umsetzung nicht
(EuGH, Urteil vom 25. April 2013 - Rs. C-81/12, Asociatia Accept - EuZW 2013,
469 Rn. 63 f. m.w.N.).
Grundlage des abgestuften Sanktionensystems des Allgemeinen Gleichbe-
handlungsgesetzes ist die Regelung des § 15 Abs. 2 AGG. Der erforderliche
immaterielle Schaden liegt regelmäßig bei einer ungerechtfertigten Benachteili-
gung aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe vor. Der Vorgabe des
Art. 17 Satz 2 der RL 2000/78/EG, eine abschreckende Wirkung der Sanktion
zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber durch das Merkmal der Angemessenheit
der Entschädigung Rechnung getragen. Der Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG
ist verschuldensunabhängig. Damit ist das unionsrechtliche Erfordernis erfüllt,
dass die Haftung des Urhebers einer Diskriminierung keineswegs vom Nach-
weis eines Verschuldens oder vom Fehlen eines Rechtfertigungsgrundes ab-
hängig gemacht werden darf (EuGH, Urteil vom 22. April 1997 - Rs. C-180/95,
Draehmpaehl - Slg. 1997, I-2195 Rn. 17 und 22 unter Hinweis auf das Urteil
33
34
35
- 12 -
vom 8. November 1990 - Rs. C-177/88, Dekker - Slg. 1990, I-3941 Rn. 22 zur
RL 76/207/EWG).
Demgegenüber setzt die Verpflichtung des Arbeitgebers zum Ersatz des - re-
gelmäßig wesentlich höheren - materiellen Schadens, entsprechend dem Vor-
bild des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, das Verschulden des Pflichtigen voraus.
Auch diese Abstufung entspricht dem Gebot der Verhältnismäßigkeit (Art. 17
Satz 2 der RL 2000/78/EG). Denn es wiegt ungleich schwerer und bedarf stär-
kerer Sanktionen, wenn ein Arbeitgeber den Verstoß gegen das Benachteili-
gungsverbot zu vertreten oder sogar absichtlich begangen hat.
bb) Der Heranziehung des § 15 AGG als Grundlage für einen Zahlungsan-
spruch der Klägerin wegen der Diskriminierung aufgrund ihres Lebensalters
steht auch nicht entgegen, dass diese Benachteiligung durch den korrekten
Vollzug einer gesetzlichen Regelung (§§ 27 und 28 BBesG a.F.) eingetreten ist.
§§ 7 und 15 AGG, die Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 sowie Art. 17 der RL 2000/78/EG
in nationales Recht umsetzen, stellen nicht auf die Form der diskriminierenden
Maßnahme des Mitgliedstaates ab. Die Vorgaben der Richtlinie, insbesondere
das Verbot der Benachteiligung, gelten umfassend. Sie erfassen die Tätigkeit
des privaten Arbeitgebers ebenso wie die Maßnahmen des staatlichen Norm-
gebers. Auch dessen Unterlassen, die für Beschäftigung und Beruf geltenden
gesetzlichen Vorschriften an das Benachteiligungsverbot der Richtlinie anzu-
passen, muss zur Durchsetzung der durch die Richtlinie verliehenen Rechte
eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion zur Folge ha-
ben. Die unionsrechtliche Haftung, deren Konkretisierung Art. 17 für den An-
wendungsbereich der RL 2000/78/EG dient, kennt seit jeher eine Haftung für
unterlassene oder unvollständige Umsetzung von Richtlinien (stRspr; EuGH,
Urteil vom 19. November 1991 - Rs. C-6/90 u.a., Francovich u.a. - Slg. 1991,
I-5357) und knüpft daher an Maßnahmen oder Unterlassungen der Gesetzge-
ber an. Für die nationale Umsetzung in § 15 AGG kann nichts anderes gelten.
Auch die Regelung in § 24 Nr. 1 AGG, wonach die Vorschriften des Gesetzes
unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung entsprechend für Be-
36
37
38
39
- 13 -
amte gelten, führt nicht dazu, dass wegen des im Besoldungsrecht geltenden
strikten Gesetzesvorbehalts (§ 2 Abs. 1 BBesG) die gesetzeskonforme Berech-
nung der Bezüge der Beamten keinen Verstoß gegen das Benachteiligungsver-
bot des § 7 AGG darstellte, sodass Ansprüche nach § 15 AGG ausgeschlossen
wären. Zum einen ist der Richtlinie eine solche erhebliche Einschränkung der
Reichweite des Benachteiligungsverbots nicht zu entnehmen. Zum anderen
stünde die Richtlinie andernfalls unter dem Vorbehalt, dass die gesetzlichen
Vorschriften der Mitgliedstaaten keine anderslautenden Vorgaben regeln. Der
Vorrang des Unionsrechts wäre in sein Gegenteil verkehrt.
Aus der Rechtsprechung des EuGH folgt auch nicht, dass im Falle der unzu-
reichenden Anpassung des nationalen Rechts (hier §§ 27 und 28 BBesG a.F.)
an das Unionsrecht (hier das aus der RL 2000/78/EG folgende Verbot der Be-
nachteiligung wegen des Lebensalters) allein dann ein Anspruch des Bürgers in
Betracht kommt, wenn die besonderen Anforderungen des unionsrechtlichen
Haftungsanspruchs erfüllt sind. Schließlich ist für die Ansprüche nach § 15 AGG
unerheblich, ob und unter welchen Voraussetzungen im innerstaatlichen Recht
im Übrigen ein Anspruch eines Betroffenen gegen den Gesetzgeber wegen le-
gislativen Unrechts anerkannt ist.
cc) Auf § 15 Abs. 1 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG kann die Klägerin ihren Zahlungsan-
spruch nicht stützen.
Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber bei einem von ihm zu vertretenden
Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet, den hierdurch entstan-
denen Schaden zu ersetzen. Im Zeitraum vor dem 8. September 2011 hat die
Beklagte den Verstoß der §§ 27 und 28 BBesG a.F. gegen § 7 Abs. 1 AGG
nicht zu vertreten.
Hinsichtlich des Vertretenmüssens der Pflichtverletzung im Sinne von § 15
Abs. 1 Satz 2 AGG kann auf die Vorschriften der §§ 276 bis 278 BGB zurück-
gegriffen werden (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/1780
S. 38). Gemäß § 276 Abs. 2 BGB handelt derjenige fahrlässig, der die im Ver-
kehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Maßgeblich ist, ob die der Maß-
40
41
42
43
- 14 -
nahme zugrunde liegende Rechtsauffassung aufgrund sorgfältiger rechtlicher
und tatsächlicher Prüfung gewonnen wurde und im Ergebnis vertretbar ist. Eine
letztlich vom Gericht als unzutreffend erkannte Rechtsauffassung stellt sich da-
nach als vertretbar dar, wenn die Rechtsfrage nicht einfach zu beurteilen und
weder durch die Rechtsprechung geklärt noch im Schrifttum abschließend be-
handelt worden war (Urteil vom 25. Februar 2010 - BVerwG 2 C 22.09 -
BVerwGE 136, 140 Rn. 26 m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für eine Verpflichtung
der Beklagten zum Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG bis Ende August
2006 nicht vor. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage der Vereinbarkeit ei-
nes mit §§ 27 und 28 BBesG a.F. vergleichbaren Entlohnungssystems mit der
RL 2000/78/EG ist erst durch das Urteil des EuGH vom 8. September 2011 (Rs.
C-297/10 und C-298/10, Hennigs und Mai) geklärt worden (EuGH, Urteil vom
19. Juni 2014 - Rs. C-501/12, Specht - NVwZ 2014, 1294 Rn. 104). Bis zur Ver-
kündung dieses Urteils war die Rechtsauffassung, §§ 27 und 28 BBesG a.F.
seien nicht unionsrechtswidrig, jedenfalls vertretbar. Noch in den Jahren 2010
und 2011 haben - wie dargestellt - Verwaltungsgerichte wiederholt entschieden,
es liege bereits keine Altersdiskriminierung vor, weil das Lebensalter im System
der §§ 27 und 28 BBesG a.F. lediglich einen pauschalierenden Berechnungs-
faktor darstelle (vgl. die Nachweise oben Rn. 31).
dd) Aufgrund von § 15 Abs. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG hat die Klägerin für den
Zeitraum vom 18. bis zum 31. August 2006 Anspruch auf Entschädigung in Hö-
he von 50 €.
(1) Nach § 15 Abs. 2 AGG i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG kann der Beamte wegen ei-
nes Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädi-
gung in Geld verlangen. Der Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt nicht den
Nachweis eines konkreten immateriellen Schadens, d.h. die Feststellung von
persönlich belastenden Folgen einer Benachteiligung, voraus. Vielmehr liegt ein
solcher Schaden bereits im Falle einer ungerechtfertigten Benachteiligung aus
einem der in § 1 AGG genannten Gründe vor (Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung, BTDrucks 16/1780 S. 38; BVerwG, Urteil vom 3. März 2011 - BVerwG 5 C
44
45
46
- 15 -
16.10 - BVerwGE 139, 135 Rn. 14; BAG, Urteil vom 22. Januar 2009 - 8 AZR
906/07 - BAGE 129, 181 Rn. 74 bis 76). Diese Sichtweise entspricht der Funk-
tion, die § 15 Abs. 2 AGG im Sanktionensystem des Allgemeinen Gleichbe-
handlungsgesetzes zukommt. Art. 17 der RL 2000/78/EG erfordert für jeden
Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot eine angemessene und verhältnis-
mäßige Sanktion. Auf diese Weise soll der wirksame Schutz der aus der Richt-
linie hergeleiteten Rechte gewährleistet werden.
(2) Die Klägerin hat die Frist des § 15 Abs. 4 AGG von zwei Monaten zur
schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG eingehal-
ten. Der schriftliche Antrag der Klägerin bei der Beklagten vom 18. Dezember
2009 wahrt die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG für den Zeitraum ab dem
18. August 2006.
Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss der Anspruch nach Absatz 2 innerhalb
einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Nach Satz 2
beginnt die Frist zu dem Zeitpunkt, in dem die Klägerin von der Benachteiligung
Kenntnis erlangt hat.
Die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG ist mit Art. 9 der RL 2000/78/EG ver-
einbar (Urteil vom 25. Juli 2013 - BVerwG 2 C 12.11 - BVerwGE 147, 244
Rn. 59; BAG, Urteil vom 21. Juni 2012 - 8 AZR 188/11 - BAGE 142, 143
Rn. 20 ff.). Die Forderung, dass die Frist nicht weniger günstig sein darf, als
diejenige für vergleichbare innerstaatliche Rechtsbehelfe (Äquivalenzgrund-
satz), wird erfüllt. Denn beim Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG
handelt es sich um einen neuartigen, im nationalen Recht bislang nicht ausge-
stalteten Anspruch. Im Bereich des Beamtenrechts gibt es keinen vergleichba-
ren Anspruch, der auf Entschädigung zum Ausgleich eines immateriellen Scha-
dens gerichtet ist (Beschluss vom 16. April 2013 - BVerwG 2 B 145.11 - juris
Rn. 10). Die Frist von zwei Monaten, die der Rechtssicherheit dient, macht die
Ausübung der der Klägerin vom Unionsrecht verliehenen Rechte weder unmög-
lich noch erschwert sie diese übermäßig (Effektivitätsgrundsatz, EuGH, Urteil
vom 8. Juli 2010 - Rs. C-246/09, Bulicke - Slg. 2010, I-7003 Rn. 39).
47
48
49
- 16 -
Der bei der Beklagten am 18. Dezember 2009 eingegangene schriftliche Antrag
der Klägerin reicht für die Geltendmachung nach § 15 Abs. 4 AGG aus.
Er erfüllt die Funktion, die dem Erfordernis der schriftlichen Geltendmachung
zum Schutz des Schuldners zukommt. Dieser soll über etwaige Ansprüche in
Kenntnis gesetzt werden und die Möglichkeit erhalten, Beweise zu sichern und
rechtzeitig Rücklagen zu bilden. Der Gläubiger ist gehalten, die Erfolgsaussich-
ten seiner Ansprüche zügig zu prüfen. Es soll dem Arbeitgeber angesichts der
in § 22 AGG geregelten Beweislastverteilung nicht zugemutet werden, Doku-
mentationen über relevante Sachverhalte bis zum Ablauf der allgemeinen Ver-
jährungsfrist von drei Jahren aufbewahren zu müssen (Gesetzentwurf der Bun-
desregierung, BTDrucks 16/1780 S. 38). In ihrem Antrag hat die Klägerin zutref-
fend darauf hingewiesen, dass das für ihre Besoldung maßgebliche Bundesbe-
soldungsgesetz wegen der „altersabhängigen Bezahlung“ mit dem Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz unvereinbar ist.
Der Antrag war auch rechtzeitig. Der schriftliche Antrag der Klägerin vom De-
zember 2009 deckt auch die zweite Hälfte des Monats August 2006 ab, für die
die Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG beanspruchen kann.
Grundsätzlich hat der Beschäftigte Kenntnis von der Benachteiligung, wenn er
die anspruchsbegründenden Tatsachen kennt. Dass er aus diesen Tatsachen
die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht, ist nicht erforderlich. Von diesem
Grundsatz ist eine Ausnahme für den Fall einer unsicheren und zweifelhaften
Rechtslage geboten. Der Lauf der Ausschlussfrist beginnt dann zu dem Zeit-
punkt, ab dem die Erhebung einer Klage für den Betroffenen zumutbar ist, d.h.
die Klage hinreichend aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos ist (BAG, Urteil
vom 15. März 2012 - 8 AZR 160/11 - juris Rn. 61; BGH, Urteile vom 25. Februar
1999 - IX ZR 30/98 - NJW 1999, 2041 <2042> und vom 23. September 2008
- XI ZR 262/07 - NJW-RR 2009, 547 Rn. 15 zu dem gleich behandelten Fall des
Beginns der Verjährung nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Danach ist in diesen
Fällen die objektive Klärung der Rechtslage durch höchstrichterliche Entschei-
dungen maßgeblich (BGH, Urteil vom 23. September 2008 a.a.O. Rn. 19).
50
51
52
53
- 17 -
Die entscheidungserhebliche Rechtslage ist hier durch die Verkündung des Ur-
teils des EuGH in Sachen Hennigs und Mai am 8. September 2011 geklärt wor-
den.
Beim Erfordernis des hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen das Unions-
recht ist ebenso auf dieses Urteil abzustellen wie beim Merkmal des Vertreten-
müssens im Sinne von § 15 Abs. 1 AGG. Erst in diesem Urteil sind die für die
genannten Merkmale maßgeblichen Rechtsfragen beantwortet worden. Dies gilt
entsprechend für den Zeitpunkt, an dem die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4
AGG in Gang gesetzt wird. Aus dem Urteil vom 8. September 2011 ergibt sich,
dass ein mit den §§ 27 und 28 BBesG a.F. vergleichbares System zur Entloh-
nung von Beschäftigten unionsrechtswidrig ist und wegen des Verstoßes gegen
das Benachteiligungsverbot Ausgleichsansprüche entstehen können.
Die Regelung der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG ist abschließend. Hat
der Beamte, wie hier, diese gesetzliche Frist gewahrt, kann der Grundsatz der
zeitnahen Geltendmachung von nicht unmittelbar durch Gesetz begründeten
Ansprüchen (Urteile vom 29. September 2011 - BVerwG 2 C 32.10 - BVerwGE
140, 351 Rn. 19 f. und vom 26. Juli 2012 - BVerwG 2 C 29.11 - BVerwGE 143,
381 Rn. 26) daher keine Anwendung finden.
(3) Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG steht der Klägerin für die Hälfte
des Monats August 2006 zu.
Zwar hat die Bezügestelle die für den Verstoß gegen das Benachteiligungsver-
bot maßgebliche Handlung bereits im Juli 2006 vorgenommen. Denn die Bezü-
ge der Klägerin sind bereits im Juli 2006 berechnet und entsprechend § 3
Abs. 5 Satz 1 BBesG a.F. im Voraus gezahlt worden. Maßgeblich ist aber, dass
ab dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes am 18. Au-
gust 2006 ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG vorliegt, der einen Entschädi-
gungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG begründet.
Für den Entschädigungsanspruch ist auch unerheblich, dass die Beklagte als
sozialer Versicherungsträger im Sinne von Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG für die Be-
54
55
56
57
58
59
- 18 -
soldung der Klägerin nicht die Gesetzgebungskompetenz besitzt und ihr dem-
entsprechend nicht vorgehalten werden kann, die Besoldung der Klägerin im
August 2006 noch nicht an die Vorgaben der RL 2000/78/EG angepasst zu ha-
ben. Denn § 15 AGG räumt den Beschäftigten Ansprüche gegen ihren Arbeit-
geber ein. Bei einem Beamten, dessen besondere Rechtsstellung bei der An-
wendung der Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nach
§ 24 Nr. 1 AGG zu berücksichtigen ist, ist „Arbeitgeber“ der Dienstherr.
(4) Der Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist auch nicht verjährt. Die regelmäßi-
ge Verjährungsfrist begann mit dem Schluss des Jahres 2006 (vgl. § 199 Abs. 1
BGB) und endete damit auch bei Annahme der kürzesten Verjährungsfrist von
drei Jahren erst mit dem Ablauf des Jahres 2009. Die Erhebung des Wider-
spruchs gegen die Höhe der Besoldungsbezüge am 18. Dezember 2009 hat die
Verjährung des Anspruchs nach § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB daher gehemmt.
(5) Als Ausgleich für die Benachteiligung wegen des Lebensalters sieht der Se-
nat einen Pauschalbetrag von 100 €/Monat als angemessen im Sinne von § 15
Abs. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG an. Hieraus ergibt sich für die Hälfte des Monats
August 2006 der Entschädigungsanspruch von 50 €.
Vergleichbar der Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes nach
§ 253 Abs. 2 BGB ist die Bestimmung der Höhe der Entschädigung nach § 15
Abs. 2 AGG dem Gericht überlassen, das die Besonderheiten jedes einzelnen
Falles zu berücksichtigen hat (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks
16/1780 S. 38). Dazu zählen die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre
Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad
der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung
oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalles. Fer-
ner ist auch der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, sodass die Höhe
auch danach zu bemessen ist, was zur Erzielung einer abschreckenden Wir-
kung erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entschädigung geeignet
sein muss, eine abschreckende Wirkung gegenüber dem Dienstherrn zu haben
und dass sie in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden ste-
hen muss (vgl. BAG, Urteile vom 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - EzA
60
61
62
- 19 -
AGG § 15 Nr. 6 Rn. 38, vom 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - BAGE 129, 181
Rn. 82 m.w.N. und vom 23. August 2012 - 8 AZR 285/11 - NZA 2013, 37
Rn. 38).
In § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG sowie § 97a Abs. 2 Satz 3 BVerfGG hat der Ge-
setzgeber - im Falle der überlangen Dauer von Gerichtsverfahren - eine Ent-
schädigung für einen Nachteil bestimmt, der nicht Vermögensnachteil ist. In
Anlehnung an diese Regelungen bewertet der Senat in Bezug auf den An-
spruch aus § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung von 100 €/Monat als ange-
messen.
3. Für den Zeitraum ab dem 1. September 2006 sind Ansprüche der Klägerin
ausgeschlossen. Das ab diesem Zeitpunkt für die Besoldung der Klägerin maß-
gebliche Recht des Freistaats Sachsen (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG) steht mit
den Vorgaben der RL 2000/78/EG in Einklang. Mangels eines Verstoßes gegen
das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG ist damit auch der Anspruch
aus § 15 Abs. 2 AGG ausgeschlossen.
a) Für die Besoldung der Klägerin ab dem 1. September 2006 ist das Besol-
dungsrecht des Freistaats Sachsen in der Fassung des Sächsischen Dienst-
rechtsneuordnungsgesetzes vom 18. Dezember 2013 (SächsGVBl S. 970)
maßgeblich. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Beklagte ist aufgrund von § 141 Abs. 1 SGB VI durch den Zusammen-
schluss mehrerer Landesversicherungsanstalten zu einem Regionalträger ent-
standen (vgl. Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG). Mit dem Wirksamwerden dieser Verei-
nigung am 30. September 2005 trat die Klägerin kraft Gesetzes in den Dienst
der Beklagten über (§ 128 Abs. 4 Alt. 1 i.V.m. Abs. 1 BRRG). Da die Beklagte
nach § 1 Nr. 2 ihrer Satzung ihren Sitz in Leipzig hat, untersteht sie der Aufsicht
des Freistaats Sachsen (vgl. Art. 1 Abs. 1 des Staatsvertrages über die Be-
stimmung aufsichtsführender Länder nach Artikel 87 Abs. 2 Satz 2 des Grund-
gesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Gesetz vom 20. Februar 1997,
SächsGVBl S. 106). Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Sächsischen Besoldungsge-
setzes vom 18. Dezember 2013 (- SächsBesG -, SächsGVBl S. 970 <1005>)
63
64
65
66
- 20 -
regelt dieses Gesetz auch die Besoldung der Beamten der der Aufsicht des
Freistaats unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffent-
lichen Rechts.
Nach Art. 28 Abs. 3 des Sächsischen Dienstrechtsneuordnungsgesetzes sind
die Bestimmungen der §§ 27 bis 29 sowie § 80 SächsBesG, die die Besoldung
der Klägerin als einer Beamtin der Besoldungsordnung A regeln, mit Wirkung
vom 1. September 2006 in Kraft getreten. Obwohl diese Vorschriften danach
erst nach Erlass des Berufungsurteils in Kraft getreten sind, sind sie der Prü-
fung im Revisionsverfahren zugrunde zu legen. Denn Änderungen der Rechts-
lage im Revisionsverfahren, die sich nach Erlass des Berufungsurteils ergeben
haben, sind für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beachtlich,
wenn das Berufungsgericht, entschiede es nunmehr anstelle des Bundesver-
waltungsgerichts, die Rechtsänderung zu beachten hätte (stRspr, Urteile vom
1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = Buch-
holz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15 S. 32, vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C
10.07 - BVerwGE 129, 367 = Buchholz 402.242 § 54 AufenthG Nr. 4, jeweils
Rn. 40 und vom 24. Juni 2010 - BVerwG 2 C 14.09 - Buchholz 239.1 § 52
BeamtVG Nr. 1 Rn. 8). Hätte das Berufungsgericht nunmehr zu entscheiden,
müsste es seinen rechtlichen Erwägungen zu einem Anspruch der Klägerin auf
eine höhere Besoldung für den Zeitraum ab dem 1. September 2006 die Vor-
schriften des Sächsischen Besoldungsgesetzes vom 18. Dezember 2013 zu-
grunde legen.
b) Das durch das Sächsische Besoldungsgesetz vom 18. Dezember 2013 ein-
geführte Besoldungssystem ist mit den Vorgaben der RL 2000/78/EG vereinbar.
Denn die Ersteinstufung des Beamten orientiert sich nicht mehr am Lebensalter
und der Aufstieg nach Stufen knüpft an die bisher erlangte Berufserfahrung des
Arbeitnehmers an (EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2006 - Rs. C-17/05, Cadman -
Slg. 2006, I-9583 Rn. 34 ff.).
Wird ein Beamtenverhältnis mit Anspruch auf Dienstbezüge begründet, so wird
der neu ernannte Beamte nach § 27 Abs. 1 SächsBesG der ersten mit einem
Grundgehaltssatz ausgewiesenen Stufe der maßgeblichen Besoldungsgruppe
67
68
69
- 21 -
(Anfangsstufe) zugeordnet. Liegen berücksichtigungsfähige Zeiten nach § 28
Abs. 1 bis 3 SächsBesG vor (z.B. Zeiten einer hauptberuflichen Tätigkeit im
Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn; Zeiten des Wehrdienstes oder
des Zivildienstes), wird dieser Beamte einer höheren Stufe als der Anfangsstufe
zugeordnet. Bestimmte Zeiten (z.B. Zeiten einer Tätigkeit für das Ministerium
für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik) sind
von vornherein nicht berücksichtigungsfähig (§ 29 SächsBesG). Gemäß § 27
Abs. 2 SächsBesG erfolgt der Aufstieg in eine nächsthöhere Stufe nach be-
stimmten Dienstzeiten (zwei, drei und schließlich vier Jahre). Für Beamte der
Besoldungsordnung A, denen im Zeitraum vom 1. September 2006 bis zum
31. März 2014 wegen dauerhaft herausragender Leistungen die nächsthöhere
Stufe als Grundgehalt vorweg festgesetzt worden war (Leistungsstufe), be-
stimmt § 80 Abs. 7 Satz 1 SächsBesG durch den Verweis auf § 27 Abs. 3
Satz 1 BBesG a.F., dass ihnen diese Vorteile aus Vertrauensschutzgründen
verbleiben. Das Entsprechende gilt für eine in diesem Zeitraum gegenüber ei-
nem Beamten ausgesprochene Hemmung des Aufstiegs in den Stufen des
Grundgehalts. Damit knüpft das neue Besoldungssystem anstelle des über-
kommenen Besoldungsdienstalters an die tatsächlich geleisteten Dienstzeiten
und die erbrachte Leistung an (Gesetzentwurf der Landesregierung zum Säch-
sischen Dienstrechtsneuordnungsgesetz, LTDrucks 5/12230 S. 338 zu § 27).
c) Zwar perpetuiert die Überleitungsregelung des § 80 SächsBesG für Beamte
der Besoldungsordnung A, die wie die Klägerin am 31. August 2006 in einem
Dienstverhältnis zum Freistaat Sachsen oder zu einer der Aufsicht des Frei-
staats unterstehenden Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen
Rechts standen, die unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters.
Denn die Neuzuordnung der Stufe des Grundgehalts orientiert sich an der
Grundgehaltsstufe, die dem Beamten am 1. September 2006 nach dem frühe-
ren diskriminierenden System nach Maßgabe der §§ 27 und 28 BBesG a.F.
zugestanden hätte. Diese Überleitungsregelung ist jedoch zur Wahrung des
Besitzstands und zur Vermeidung eines übermäßigen Verwaltungsaufwands für
die Regulierung der in der Vergangenheit liegenden Zeiten nach der Recht-
sprechung des EuGH gerechtfertigt (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 - Rs.
C-501/12, Specht - NVwZ 2014, 1294 Rn. 64 ff. und 78 ff.).
70
- 22 -
Die Neuzuordnung zu den Stufen des Grundgehalts erfolgt nach § 80 Abs. 1
Satz 1 und 2 SächsBesG bei Beamten der Besoldungsordnung A zu der Stufe,
die der Stufe entspricht, die dem Beamten am 1. September 2006 nach § 27
Abs. 1 und 2 BBesG a.F. zugestanden hätte. Diese Einstufung hängt aber vom
Besoldungsdienstalter, d.h. dem Lebensalter des betreffenden Beamten ab und
benachteiligt diesen deshalb unmittelbar wegen seines Lebensalters. Ist der
Beamte zu einer Stufe des Grundgehalts nach § 80 Abs. 1 SächsBesG zuge-
ordnet, bestimmt sich das weitere Aufsteigen nach § 27 Abs. 2 und 5
SächsBesG (§ 80 Abs. 2 Satz 1 SächsBesG). Zeiten, die der Bestandsbeamte
vor dem 1. September 2006 in dieser Stufe verbracht hat, werden bei dem Auf-
steigen nach Maßgabe des § 27 Abs. 2 SächsBesG angerechnet (§ 80 Abs. 2
Satz 2 SächsBesG).
Die mit dieser Neuzuordnung der Grundgehaltsstufe verbundene Ungleichbe-
handlung wegen des Lebensalters ist aber nach der Rechtsprechung des EuGH
gemäß Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG gerechtfertigt. Die Neuregelung wird
durch die Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Wahrung des am 1. Sep-
tember 2006 erreichten Status quo bestimmt. Denn die Zuordnung zu den Stu-
fen der neuen Grundgehaltstabelle orientiert sich an der bis zum 31. August
2006 erreichten Stufe (Gesetzentwurf der Landesregierung, LTDrucks 5/12230
S. 386 f. zu § 80). Die Ablösung der bisherigen, am Besoldungsdienstalter ori-
entierten Stufenzuordnung hat auch weder zu Änderungen an der Struktur der
Besoldungstabelle der Besoldungsordnung A geführt noch die leistungsbezo-
genen Elemente des Stufenaufstiegs (Stufenhemmung und Leistungsstufe)
substanziell geänderten materiellen Kriterien unterworfen (Gesetzentwurf der
Landesregierung, LTDrucks 5/12230 S. 478 zu Art. 31 des Entwurfs). Die Wah-
rung des Besitzstands einer Personengruppe ist ein zwingender Grund des All-
gemeininteresses, sodass mit dieser Regelung ein legitimes Ziel verfolgt wird
(EuGH, Urteile vom 6. Dezember 2007 - Rs. C-456/05, Kommission/Deutsch-
land - Slg. 2007, I-10517 Rn. 63 und vom 8. September 2011 - Rs. C- 297/10
und C-298/10, Hennigs und Mai - Slg. 2011, I-7965 Rn. 90).
71
72
- 23 -
Die Neuregelung durch das Sächsische Dienstrechtsneuordnungsgesetz geht
auch nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinaus.
Die mit der Anknüpfung an das bisherige Grundgehalt tatsächlich verbundenen
Nachteile sind begrenzt. Infolge der früher für die Klägerin maßgeblichen Al-
tersgrenzen für die erstmalige Begründung eines Beamtenverhältnisses war
sichergestellt, dass der Unterschied in der Besoldung nicht die Differenz zwi-
schen der ersten und der letzten Stufe einer Besoldungsgruppe erreichen konn-
te.
Zwar wäre es auch möglich gewesen, das neue Einstufungssystem im Interes-
se einer materiellen Beseitigung der Altersdiskriminierung rückwirkend auf
sämtliche Bestandsbeamten anzuwenden oder hierfür eine Übergangsregelung
zu schaffen, die den bevorzugten Bestandsbeamten die Besoldung in der vor-
herigen Höhe solange garantiert hätte, bis sie die nach dem neuen Besol-
dungssystem für die Erreichung einer höheren Besoldungsstufe erforderliche
Erfahrung erworben hätten. Die vom Freistaat Sachsen gewählte Lösung ist
nach der Rechtsprechung des EuGH aber in rechtlicher Hinsicht nicht zu bean-
standen. Denn die nachträgliche individuelle Feststellung von Vordienstzeiten
wäre in Anbetracht der hohen Zahl von Beamten (ca. 27 000), der Länge des
betroffenen Zeitraums, der Verschiedenheit der jeweiligen Laufbahnen und der
Schwierigkeiten, die sich bei der Bestimmung der Vordienstzeiten ergeben
könnten, übermäßig kompliziert und in erhöhtem Maß fehleranfällig gewesen
(Gesetzentwurf der Landesregierung, LTDrucks 5/12230 S. 478 zu Art. 31 des
Entwurfs). Der EuGH hat diese besonderen administrativen Schwierigkeiten
hier ausnahmsweise für einen Übergangszeitraum als ausreichend gewichtig
angesehen (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 a.a.O. Rn. 78 ff.). Entgegen dem
Vorbringen der Klägerin setzt die Rechtmäßigkeit der Übergangsregelung nach
Auffassung des EuGH auch nicht voraus, dass die Besoldungsdifferenz zwi-
schen den diskriminierten und den nicht diskriminierten Beamtengruppen
schrittweise verkleinert wird.
d) Die rückwirkende Inkraftsetzung der hier maßgeblichen Vorschriften der
§§ 27 bis 29 sowie § 80 SächsBesG zum 1. September 2006 durch Art. 28
73
74
75
- 24 -
Abs. 3 des Sächsischen Dienstrechtsneuordnungsgesetzes ist nicht zu bean-
standen.
aa) Diese Rückwirkung ist verfassungsrechtlich selbst dann zulässig, wenn zu
Gunsten der Klägerin angenommen wird, dass hier der Fall einer echten Rück-
wirkung vorliegt.
Die verfassungsrechtliche Problematik der echten Rückwirkung folgt aus den
Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Bis zur Verkün-
dung einer rechtlichen Norm muss der Bürger grundsätzlich darauf vertrauen
können, dass seine auf das bisherige Recht gegründete Rechtsposition nicht
durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der Rechtsfolgenanordnung nachtei-
lig verändert wird (BVerfG, Beschluss vom 3. Dezember 1997 - 2 BvR 882/97 -
BVerfGE 97, 67 <78 f.> und Urteil vom 27. September 2005 - 2 BvR
1387/02 - BVerfGE 114, 258 <300>). Verfassungsrechtlich unzulässig ist da-
nach die belastende Tendenz eines rückwirkenden Gesetzes (BVerfG, Be-
schluss vom 17. Januar 1979 - 1 BvR 446/77, 1 BvR 1174/77 - BVerfGE 50,
177 <193> m.w.N.). An einer solchen belastenden Wirkung für bereits am
31. August 2006 ernannte Beamte der Besoldungsordnung A fehlt es hier aber,
weil die zum 1. September 2006 in Kraft gesetzte landesrechtliche Regelung
weder nach dem früheren Recht begründete Besoldungsansprüche beseitigt
noch ihre Geltendmachung erschwert.
Die Zuordnung dieser Bestandsbeamten zu den neuen Stufen des Grundge-
halts zum 1. September 2006 orientiert sich nach § 80 Abs. 1 SächsBesG an
den nach dem bisherigen Recht erreichten Stufen. Der anschließende Stufen-
aufstieg nach § 80 Abs. 2 und § 27 Abs. 2 SächsBesG entspricht hinsichtlich
der Zahl der Stufen sowie des Rhythmus des Aufstiegs der früher maßgebli-
chen Vorschrift des Bundesrechts. Die Gewährung von Leistungsstufen oder
der Ausspruch einer Hemmung des Aufstiegs in den Stufen des Grundgehalts
im Zeitraum bis zum 31. März 2014 bleiben nach § 80 Abs. 7 SächsBesG wirk-
sam. Auch sind die Grundgehaltssätze für Besoldungsempfänger der Besol-
dungsordnung A für den Zeitraum vom 1. September 2006 bis Ende März 2014
nachträglich nicht abgeändert worden. Eine belastende Wirkung der rückwir-
76
77
78
- 25 -
kenden Regelung durch das Sächsische Dienstrechtsneuordnungsgesetz ergibt
sich auch nicht daraus, dass der Klägerin rückwirkend ein etwa zuvor beste-
hender Anspruch auf höhere Besoldung entzogen worden sei. Denn mangels
eines gültigen Bezugssystems hatte die Klägerin aufgrund der RL 2000/78/EG
zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch auf eine höhere als die gesetzliche Besol-
dung.
bb) Selbst wenn man von einer belastenden Wirkung der rückwirkenden In-
kraftsetzung der Neuregelung ausginge, ergäbe sich daraus für deren verfas-
sungsrechtliche Beurteilung nichts anderes.
Hat eine rückwirkende Norm eine belastende Wirkung, so ist diese nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht in jedem Fall unzulässig.
Denn das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes
nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Es gilt nicht, soweit sich
kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (BVerfG,
Beschlüsse vom 15. Oktober 1996 - 1 BvL 44/92, 1 BvL 48/92 - BVerfGE 95, 64
<86 f.> und vom 18. Februar 2009 - 1 BvR 3076/08 - BVerfGE 122, 374 <394>)
oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt
und daher nicht schutzwürdig war (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1979
a.a.O. S. 193 f.). Bei den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts anerkannten, nicht abschließend definierten Fallgruppen handelt es sich
um Typisierungen ausnahmsweise fehlenden Vertrauens in eine bestehende
Gesetzeslage. Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechts-
lage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objekti-
ver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe
auf ihren Fortbestand zu begründen (BVerfG, Beschlüsse vom 20. Oktober
1971 - 1 BvR 757/66 - BVerfGE 32, 111 <123> und vom 17. Dezember 2013
- 1 BvL 5/08 - NVwZ 2014, 577 Rn. 65).
Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit einer echten Rückwirkung
ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegeben, wenn
die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird,
nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, son-
79
80
81
- 26 -
dern mit deren Änderung rechnen mussten (Beschlüsse vom 18. Februar 2009
a.a.O. und vom 17. Dezember 2013 a.a.O.).
An der Schutzwürdigkeit des Vertrauens eines Betroffenen in den Fortbestand
der bisherigen Vorschriften fehlt es auch im hier vorliegenden Fall, in der ein
kompetenz- und unionsrechtskonformes Landesgesetz rückwirkend an die Stel-
le eines unionsrechtswidrigen Bundesgesetzes getreten ist. Die Klägerin ist
nicht schutzwürdig, weil sie selbst zutreffend geltend gemacht hatte, die Be-
stimmungen der §§ 27 und 28 BBesG a.F. diskriminierten sie ungerechtfertigt
wegen ihres Lebensalters. Sie musste dementsprechend damit rechnen, dass
der hierfür zuständige Gesetzgeber die mit Ablauf der Umsetzungsfrist wegen
des Verstoßes gegen das Unionsrecht unanwendbaren Bestimmungen der
§§ 27 und 28 BBesG a.F. durch solche Vorschriften ersetzen wird, die den Vor-
gaben der RL 2000/78/EG genügen.
Das Urteil des EuGH vom 19. Juni 2014 (Rs. C-501/12, Specht - NVwZ 2014,
1294) hat die von der Klägerin bereits in ihrem Widerspruch vom 18. Dezember
2009 geäußerte Rechtsansicht bestätigt, dass die §§ 27 und 28 BBesG a.F. zu
einer nicht gerechtfertigten unmittelbaren Diskriminierung wegen des Lebensal-
ters führen. Damit waren diese für die Besoldung der Klägerin maßgeblichen
gesetzlichen Vorschriften wegen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht un-
anwendbar. Diese Anknüpfung an das Lebensalter eines Beamten erfasste po-
tenziell sämtliche Beamte und damit die gesamte Tabelle der Grundgehaltssät-
ze der Besoldungsordnung A. Da auch keine Kategorie bevorzugter Beamter
benannt werden kann, ist es nach der Rechtsprechung des EuGH insbesondere
auch nicht möglich, Beamte in die höchste Dienstaltersstufe einzuordnen und
danach zu besolden (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 a.a.O. Rn. 95 bis 97).
Durch die rückwirkende Regelung zum 1. September 2006 hat der Gesetzgeber
des Freistaats Sachsen, soweit ihm dies aus kompetenzrechtlichen Gründen
möglich war, d.h. für den Zeitraum ab dem 1. September 2006, für die Besol-
dung der Klägerin eine unionsrechtskonforme gesetzliche Regelung geschaf-
fen.
82
83
- 27 -
cc) Die Rückwirkung scheitert auch nicht daran, dass hierdurch der Klägerin der
zumindest ab dem 8. September 2011 bestehende unionsrechtliche Haftungs-
anspruch entzogen worden ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH ermöglicht
die rückwirkende Anwendung von Maßnahmen des Mitgliedstaates zur voll-
ständigen Durchführung einer Richtlinie die Behebung des Schadens, der durch
die unzureichende Umsetzung der Richtlinie entstanden ist. Denn hierdurch
werden den von der Richtlinie Begünstigten diejenigen Rechte garantiert, die
ihnen zugestanden hätten, wenn die Richtlinie fristgerecht umgesetzt worden
wäre. Danach ist die rückwirkende Inkraftsetzung unionsrechtskonformer Ge-
setze eine zulässige Form der Wiedergutmachung und lässt einen etwaigen
unionsrechtlichen Haftungsanspruch entfallen (EuGH, Urteile vom 10. Juli
1997 - Rs. C-94/95 und C-95/95, Bonifaci u.a. - Slg. 1997, I-3969 Rn. 51 ff.
und - Rs. C-373/95, Maso - Slg. 1997, I-4051 Rn. 39 ff.). Für den ursprünglich
auch ab dem 1. September 2006 bestehenden Entschädigungsanspruch nach
§ 15 Abs. 2 AGG gilt dies entsprechend. Auch insoweit steht im Vordergrund,
dass erst durch das rückwirkend in Kraft gesetzte Landesgesetz die für die Be-
soldung der Beamten der Besoldungsordnung A erforderliche unionsrechtskon-
forme gesetzliche Grundlage geschaffen worden ist. Auch in der Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs zum Amtshaftungsanspruch ist anerkannt, dass
eine rückwirkende Rechtsänderung einen ursprünglich bestehenden Haftungs-
anspruch wieder beseitigen kann (BGH, Urteil vom 13. Oktober 1994 - III ZR
24/94 - BGHZ 127, 223 <227 f.> und Beschluss vom 19. März 2008 - III ZR
49/07 - NVwZ 2008, 815 f.).
4. Ergänzend und vorsorglich merkt der Senat an, dass das Urteil des EuGH
vom 11. November 2014 (Rs. C-530/13, Schmitzer - NVwZ-RR 2015, 43, er-
gangen in einem Fall aus Österreich) an der vorstehenden Beurteilung nichts
ändert. Diese Entscheidung betrifft eine andere, mit dem vorliegenden Streitfall
nicht vergleichbare Fallkonstellation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die
dort Betroffenen durch eine Verlängerung des für eine „Vorrückung“ erforderli-
chen Zeitraums zusätzlich benachteiligt wurden (EuGH, Urteil vom 11. Novem-
ber 2014 a.a.O. Rn. 31 und Ziff. 1 des Tenors). Letzteres hat der EuGH als
nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung beanstandet.
84
85
- 28 -
5. Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich aus § 90 VwGO i.V.m. §§ 291
und 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
Domgörgen Dr. von der Weiden Dr. Hartung
Dr. Kenntner Dollinger
Beschluss
vom 30. Oktober 2014
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren gemäß § 47
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG auf 5 157,84 € festgesetzt.
Domgörgen Dr. Hartung Dr. Kenntner
86
87