Urteil des BVerwG vom 22.06.2006

Deutsche Bundespost, Betriebsrat, Beamtenverhältnis, Aufschiebende Wirkung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 2 C 11.05
am 22. Juni 2006
OVG 11 A 11253/04
Hardtmann
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juni 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kugele, Dr. Müller, Dr. Bayer
und Dr. Heitz
für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz
vom 18. Oktober 2004 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwie-
sen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfah-
rens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der … Beklagte ist Postdirektor (Besoldungsgruppe A 15 BBesG) im Dienst der
Klägerin.
Im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen war der damals bei der Gene-
raldirektion der Deutschen Post AG in B. beschäftigte Beklagte im Oktober
1998 („mit Wirkung vom 1. September 1998“) zur damaligen Direktion Briefpost
der Deutschen Post AG K. und - nach deren Auflösung - im Juni 1999 zur Ser-
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vice Niederlassung Einkauf K. versetzt worden. Hinsichtlich der zweiten Verset-
zung ist noch ein Klageverfahren anhängig.
Der Leiter der Service Niederlassung Einkauf K. leitete im Dezember 2002 ein
Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein. Dem Beamten wurde zur Last
gelegt, in der Zeit von Oktober 2001 bis zur vorläufigen Dienstenthebung am
14. Januar 2003 die Arbeit am Projektauftrag „X“ beharrlich verweigert zu ha-
ben.
Nachdem der Arbeitsdirektor der Deutschen Post AG beschlossen hatte, gegen
den Beklagten Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Beamten-
verhältnis zu erheben, wurde auf Antrag des Beklagten durch den Leiter der
Service Niederlassung Einkauf K. der dortige Betriebsrat mit der Disziplinarsa-
che befasst. Dessen Einwendungen wurden durch die Vertreterin des Nieder-
lassungsleiters zurückgewiesen. Der vom Betriebsrat angerufene Arbeitsdirek-
tor teilte diesem mit, er teile die Einwendungen gegen die Erhebung der Diszip-
linarklage nicht.
Die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost
stimmte anschließend der beabsichtigten Klageerhebung zu.
Das Verwaltungsgericht hat auf die Disziplinarklage den Beklagten aus dem
Beamtenverhältnis entfernt. Dessen Berufung hat das Oberverwaltungsgericht
im Wesentlichen aus folgenden Gründen zurückgewiesen:
Das personalvertretungsrechtliche Beteiligungsverfahren sei rechtsfehlerfrei
durchgeführt worden.
Das Verwaltungsgericht habe den Beklagten zu Recht aus dem Dienst entfernt.
Dieser habe sich geweigert, den Projektauftrag entsprechend den Vorgaben
seiner Vorgesetzten auszuführen. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Be-
klagte die Arbeit völlig verweigert habe. Denn es stehe fest, dass die vom Be-
klagten angeblich getätigten Projektarbeiten jedenfalls ohne die als unverzicht-
bar angesehene nähere Abstimmung mit dem Fachvorgesetzten und ohne Vor-
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lage von Zwischenberichten vorgenommen worden seien. Darin bestehe der
Kern des Disziplinarvorwurfs. Der Beklagte habe auch vorsätzlich gehandelt.
Die vollständige Verweigerung seiner Dienstleistung über einen Zeitraum von
mehr als einem Jahr stelle als Kernpflichtverletzung ein schweres Dienstverge-
hen dar. Der Beklagte habe dadurch das Vertrauen seines Dienstherrn endgül-
tig verloren mit der Folge, dass er aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden
müsse. Durchgreifende Milderungsgründe lägen nicht vor.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Er beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz
vom 18. Oktober 2004 und des Verwaltungsgerichts Trier
vom 27. Mai 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Verfahren einzustellen,
hilfsweise,
auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist der
Auffassung, dass die Mitwirkung des Betriebsrats und die erst daran anschlie-
ßende Vorkontrolle durch die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation
Deutsche Bundespost bei Erhebung der Disziplinarklage nicht zu beanstanden
seien.
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II
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht. Dies
führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO,
§ 70 Abs. 2 BDG).
1. Das Berufungsgericht ist mit Recht von der Zulässigkeit der im Namen des
Vorstands der Deutschen Post AG von einem Postdirektor bei der Service Nie-
derlassung Personalrecht erhobenen Disziplinarklage ausgegangen. Nach § 34
Abs. 2 Satz 1 BDG liegt die Befugnis zur Erhebung einer Disziplinarklage gegen
einen Beamten bei der obersten Dienstbehörde. Deren Befugnisse werden im
Bereich der Deutschen Post AG vom Vorstand wahrgenommen, der durch das
Personalvorstandsmitglied (Arbeitsdirektor) handelt (§ 1 Abs. 2 und 7
PostPersRG). Da eine gemäß § 34 Abs. 2 Satz 2 BDG mögliche Übertragung
der Zuständigkeit zur Klageerhebung gegen Beamte der Besoldungsgruppe
A 15 auf eine nachgeordnete Stelle nicht erfolgt war (vgl. Ziff. II der Anordnung
zur Übertragung disziplinarrechtlicher Befugnisse im Bereich der Deutschen
Post AG vom 13. November 2001, BGBl I S. 3355, geändert durch Anordnung
vom 29. Januar 2002, BGBl I S. 678), hatte zu Recht der Vorstand durch sein
Personalvorstandsmitglied den Entschluss zur Klageerhebung gefasst. Dass die
Disziplinarklageschrift (§ 52 Abs. 1 Satz 1 BDG) im Auftrag und mit Vollmacht
des Personalvorstandsmitglieds vom Postdirektor erstellt und unterzeichnet
worden war, ist unbedenklich. Der Inhalt der Klageschrift war im Entwurf vom
Personalvorstandsmitglied gebilligt worden.
2. Das Revisionsvorbringen des Beklagten lässt nicht erkennen, dass das Beru-
fungsurteil auf einem Mangel des gerichtlichen Verfahrens beruht. Insbesonde-
re brauchte das Oberverwaltungsgericht der Klägerin keine Frist zur Beseiti-
gung eines wesentlichen Mangels des behördlichen Disziplinarverfahrens ge-
mäß § 55 Abs. 3 Satz 1, § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG zu setzen. Die vom Beklagten
geltend gemachten Mängel, die die Ausgestaltung der Mitwirkung des Betriebs-
rats und die Prüfung der Klageerhebung durch die Bundesanstalt für Post und
Telekommunikation betreffen, liegen entweder nicht vor oder haben sich nicht
rechtserheblich ausgewirkt.
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a) Die sich aus § 78 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 BPersVG, §§ 28, 29 Abs. 5
PostPersRG ergebende Mitwirkungsbefugnis des Betriebsrats bei der Erhebung
der Disziplinarklage ist zutreffend vom Betriebsrat der Service Niederlassung
Einkauf K. als dem Betriebsrat desjenigen Betriebes wahrgenommen worden,
bei dem der Beklagte beschäftigt war (sog. örtlicher Betriebsrat). Dies folgt aus
den Zuständigkeitsregeln des Betriebsverfassungsgesetzes, die gemäß § 24
Abs. 1 PostPersRG Anwendung finden. Danach ist der von den Arbeitnehmern
- im Bereich der Deutschen Post AG einschließlich der Beamten (§ 24 Abs. 2
Satz 1 PostPersRG) - in den einzelnen Betrieben gewählte Betriebsrat für die
Ausübung der gesetzlichen Beteiligungsbefugnisse zuständig. Er hat die
Interessen der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer - einschließlich der
Beamten - gegenüber dem Unternehmen wahrzunehmen.
Hat bei Erhebung der Disziplinarklage der Betriebsrat des Betriebes mitzuwir-
ken, bei dem der Beamte beschäftigt ist (vgl. Altvater, PersR 2001, 496;
Altvater/Hamer/Ohnesorg/Peiseler, BPersVG, 5. Aufl. 2004, Anhang IV B, § 24
PostPersRG Rn. 5; Gerhold, in: Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/
Faber, BPersVG, Stand 2006, § 69 Rn. 54 t am Ende), war hierfür der Betriebs-
rat der Service Niederlassung Einkauf K. zuständig. Die Niederlassung ist als
selbstständige Organisationseinheit ein Betrieb im Sinne des § 1 BetrVG. Der
Beklagte war im Mitwirkungszeitraum auf Grund der Versetzungsverfügungen
vom 6. Oktober 1998 und 24. Juni 1999 bei diesem Betrieb auch beschäftigt.
Zwar ist die letztgenannte Verfügung noch nicht bestandskräftig. Dieser Um-
stand ist jedoch rechtlich unerheblich, da Widerspruch und Anfechtungsklage
gegen eine Versetzung keine aufschiebende Wirkung haben (§ 126 Abs. 3 Nr. 3
BRRG i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und eine solche auch gerichtlich nicht
angeordnet worden ist; die Versetzungsverfügungen waren verbindlich und
daher zu befolgen (vgl. zur früheren Rechtslage Urteil vom 8. Mai 1969
- BVerwG 6 C 59.66 - Buchholz 232 § 26 BBG Nr. 12).
Eine Mitwirkungszuständigkeit des Gesamtbetriebsrats lag nicht vor. Nach § 50
Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat zuständig für die Behandlung
von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe
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betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe
geregelt werden können. Danach kommt bei personellen Einzelmaßnahmen
- wie der Erhebung der Disziplinarklage gegen einen Beamten - eine originäre
Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nur dann in Betracht, wenn das Arbeits-
oder Dienstverhältnis mehreren Betrieben des Unternehmens gleichzeitig zu-
zuordnen ist (vgl. zur Kündigung BAG, Urteil vom 21. März 1996 - 2 AZR
559/95 - BAGE 82, 316 <319>; vgl. auch BAG, Beschluss vom 10. Dezember
2002 - 1 ABR 27/01 - BAGE 104, 187 <204>). Dies ist hier nicht der Fall. Auch
wenn der Beklagte seine Projektaufträge von der Zentrale der Deutschen Post
AG in B. erhalten hatte und dort sein Fachvorgesetzter saß, war das Dienstver-
hältnis des Beklagten - versetzungsbedingt - nicht zugleich der Zentrale zuge-
ordnet; deshalb scheidet auch eine Zuständigkeit des Betriebsrats der Zentrale
aus. Der Gesamtbetriebsrat war auch nicht gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG vom
Betriebsrat beauftragt worden, die Mitwirkungsangelegenheit für ihn zu behan-
deln.
Eine Mitwirkungszuständigkeit des Konzernbetriebsrats war ebenfalls nicht ge-
geben. Die Zuständigkeitsregelung des Konzernbetriebsrats ist derjenigen des
Gesamtbetriebsrats nachgebildet (BAG, Beschluss vom 20. Dezember 1995
- 7 ABR 8/95 - BAGE 82, 36 <45>). Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der
Konzernbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die den
Konzern oder mehrere Konzernunternehmen betreffen und nicht durch die ein-
zelnen Gesamtbetriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen geregelt werden kön-
nen. Ein solcher Fall lag hier ebenso wenig vor wie eine Zuständigkeitsübertra-
gung kraft Auftrags (§ 58 Abs. 2 BetrVG).
b) Fraglich ist, ob der Leiter der Service Niederlassung Einkauf K. trotz der sich
aus § 34 Abs. 2 BDG, § 1 Abs. 2 PostPersRG ergebenden Zuständigkeit des
Vorstands der Post AG (bzw. gemäß § 1 Abs. 7 PostPersRG des Arbeitsdirek-
tors) für die Erhebung der Disziplinarklage das Mitwirkungsverfahren mit dem
örtlichen Betriebsrat durchführen durfte. Dies kann dahingestellt bleiben, weil
ein etwaiger Mangel durch die nachträgliche Einschaltung des Arbeitsdirektors
geheilt worden wäre. Dieser hat sich mit den schriftlichen Einwendungen des
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Betriebsrats befasst, nachdem er von diesem angerufen worden war. Die Vor-
gehensweise entspricht § 29 Abs. 6 PostPersRG.
Wenn es in § 29 Abs. 6 Satz 2 PostPersRG heißt, dass „nach Verhandlung mit
dem Betriebsrat“ endgültig entschieden wird, muss dies nicht zwingend eine
mündliche Verhandlung sein. Der Begriff „Verhandlung“ entspricht dem gleich-
namigen Begriff im personalvertretungsrechtlichen Stufenverfahren nach § 72
Abs. 4 Satz 2 BPersVG. Dort ist mit „Verhandlung“ inhaltlich das Gleiche ge-
meint wie mit „erörtern“ in § 72 Abs. 1 BPersVG (vgl. Gerhold, in: Lorenzen/
Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber, BPersVG a.a.O., § 72 Rn. 31 m.w.N.).
Nichts anderes ergibt sich aus der amtlichen Gesetzesbegründung zu § 29
Abs. 6 PostPersRG. Die Vorschrift eröffnet dem Betriebsrat die Möglichkeit,
seine Vorstellungen, nach Ablehnung seiner Einwendungen durch den Arbeit-
geber, dem zuständigen Vorstandsmitglied vor dessen endgültiger Entschei-
dung vorlegen und „erörtern“ zu können (vgl. BTDrucks 12/6718 S. 103 - zu
§ 28 Abs. 6 des Entwurfs ~ § 29 Abs. 6 PostPersRG). Wie bei einer „Erörte-
rung“ im Sinne des § 72 Abs. 1 BPersVG kann, sofern vom Betriebsrat nicht
ausdrücklich anders gewünscht, eine „Verhandlung“ im Sinne des § 29 Abs. 6
Satz 2 PostPersRG durch den Austausch schriftlicher Äußerungen erfolgen. Ein
solcher Fall ist hier gegeben. Der Zweck der Mitwirkung des Betriebsrats bei
Erhebung der Disziplinarklage ist damit letztlich erreicht worden.
c) Das Prüfverfahren der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deut-
sche Bundespost (im Folgenden: Bundesanstalt) ist zutreffend erst nach Ab-
schluss des personalvertretungsrechtlichen Mitwirkungsverfahrens durchgeführt
worden. Beabsichtigt der Vorstand der Deutschen Post AG oder ein ihm nach-
geordneter Stelleninhaber mit den Befugnissen eines Dienstvorgesetzten, Dis-
ziplinarklage zu erheben, hat er die Klageschrift vor ihrer Einreichung bei Ge-
richt unverzüglich unter Vorlage der Akten von der Bundesanstalt auf Recht-
mäßigkeit und sachgerechte Ausübung des Ermessens prüfen zu lassen; dem
Prüfergebnis hat er Rechnung zu tragen (§ 1 Abs. 5 PostPersRG i.V.m. § 3
Abs. 2 Nr. 8 und § 15 BAPostG in der Fassung vom 9. Juli 2001 - BAPostG
a.F.).
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Aus dem Wortlaut der Vorschriften sowie aus Sinn und Zweck des Prüfverfah-
rens ergibt sich, dass die Bundesanstalt erst nach Abschluss des gesamten
Verfahrensganges vor Einreichung der Disziplinarklageschrift bei Gericht einzu-
schalten ist. Zweck des Prüfverfahrens ist es, im Bereich der privatisierten
Postunternehmen das Vertrauen der Beamten in die Rechtmäßigkeit des Dis-
ziplinarverfahrensganges und in die sachgerechte Ausübung des disziplinari-
schen Ermessens - schwerwiegende Eingriffe in Beruf und Status eines Beam-
ten - dadurch zu stärken, dass diese in jedem Einzelfall vorab von der Bundes-
anstalt als einer unabhängigen Behörde geprüft werden (vgl. BTDrucks 12/8060
S. 184 - zu § 12a BAPostG ~ § 15 BAPostG a.F.). Um dem gerecht werden zu
können, hat die Bundesanstalt den gesamten bisherigen Disziplinar-
verfahrensgang auf Rechtmäßigkeit in formeller und materieller Hinsicht sowie
auf sachgerechte Ermessensausübung zu überprüfen. Dies ist aber nur dann
möglich, wenn zuvor alle Verfahrensabschnitte einschließlich des Beteiligungs-
verfahrens abgeschlossen sind; erst dann sind die Akten und der Entwurf der
Klageschrift der Bundesanstalt vorzulegen (vgl. Altvater, PersR 2001, 496;
Wendt/Elicker, ZBR 2002, 76).
3. Das Berufungsurteil ist jedoch deshalb aufzuheben, weil es gegen § 13
Abs. 1 und 2 BDG verstößt.
Welche Disziplinarmaßnahme angemessen ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1
Satz 2 und 3 BDG nach der Schwere des nachgewiesenen Dienstvergehens
unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten. Die Entfernung aus
dem Beamtenverhältnis setzt gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG voraus, dass der
Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn
oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Die Schwere des Dienstverge-
hens beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Be-
deutung der Dienstpflichtverletzung, Häufigkeit und Dauer eines wiederholten
Fehlverhaltens, subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des
Verschuldens des Beamten und Beweggründen für sein Verhalten sowie den
unmittelbaren Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für
Dritte. Ein endgültiger Vertrauensverlust gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG ist
eingetreten, wenn die Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände ergibt,
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dass der Beamte auch künftig seinen Dienstpflichten nicht nachkommen wird
oder die Ansehensschädigung nicht wiedergutzumachen ist (Urteil vom
20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - NVwZ 2006, 469 <471>).
a) Die Urteilsgründe müssen zunächst nachvollziehbar und in sich stimmig er-
kennen lassen, welches konkrete und objektiv dienstpflichtwidrige Handeln das
Gericht dem Beamten zur Last legt. Schon daran fehlt es im vorliegenden Fall.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2
VwGO, § 69 BDG) ist der Beklagte seiner dienstlichen Verpflichtung, den Pro-
jektauftrag entsprechend den Vorgaben seiner Vorgesetzten auszuführen, im
Zeitraum von Oktober 2001 bis Januar 2003 nicht nachgekommen. Dies hat es
nicht durch (festzustellende) nähere Einzelheiten konkretisiert und insoweit eine
mögliche weitere Sachverhaltsaufklärung fehlerhaft unterlassen. Der Frage, ob
der Beklagte für die Erfüllung des Projektauftrags überhaupt dienstlich tätig ge-
worden ist, ist das Berufungsgericht nicht weiter nachgegangen, weil feststehe,
dass die vom Beklagten angeblich getätigten Projektarbeiten jedenfalls ohne
die als unverzichtbar angesehene nähere Abstimmung mit dem Fachvorgesetz-
ten und ohne Vorlage von Zwischenberichten vorgenommen worden seien. Der
Kern des Disziplinarvorwurfs bestehe gerade darin, dass sich der Beklagte über
die dienstlichen Anordnungen seiner Vorgesetzten bezüglich der Art und Weise
der Erfüllung des Projektauftrags hinweggesetzt habe. Wenn aber offen bleibt,
ob und in welchem Umfang der Beamte überhaupt Leistungen erbracht hat, und
damit mangels weiterer Feststellungen zwangsläufig auch, ob und gege-
benenfalls inwieweit diese Leistungen verwertet worden sind oder doch objektiv
verwertbar oder aber mangels Abstimmung nach der Natur des Auftrags in je-
dem Falle vollkommen wertlos gewesen sind, lässt sich der disziplinarrechtliche
Vorwurf nicht mehr ausreichend konturieren: Es bleibt im Grunde ungeklärt, ob
der Beamte in einer Art und Weise und in einem Umfang Leistungen verweigert
hat, dass dies in seinen Wirkungen einem Fernbleiben vom Dienst vergleichbar
ist, und er zusätzlich seiner Pflicht, Weisungen zu befolgen, nicht nachgekom-
men ist, oder aber der Beamte im Wesentlichen „nur“ seiner Pflicht zur Ab-
stimmung weisungswidrig nicht gefolgt ist und daneben - in welchem Umfang
auch immer - Leistungen erbracht hat, die möglicherweise teilweise oder sogar
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ganz verwertbar gewesen sind. Ein derart offener Sachverhalt ist unterschiedli-
chen disziplinarrechtlichen Wertungen zugänglich und daher als Grundlage ei-
ner disziplinarrechtlichen Verurteilung nicht bestimmt genug (vgl. auch BVerfG,
Kammerbeschluss vom 14. Juni 2000 - 2 BvR 993/94 - ZBR 2001, 208 <209>).
Die in diesem Zusammenhang vermissten Feststellungen lassen sich hier auch
nicht durch in den Zumessungserwägungen enthaltene Feststellungen ergän-
zen. Dort heißt es zwar, dass der Beklagte „seine Dienstleistungen über einen
langen Zeitraum vollständig verweigert“ habe; es ist auch von einer „vollkom-
mene(n) Verweigerungshaltung“ die Rede. Wie lange dieser Zeitraum währte,
wird indessen nicht gesagt. Die bloße Annahme einer wahrhaft vollständigen
Verweigerung jeglicher Leistung wiederum wäre mangels Benennung konkreter
Einzelheiten nicht geeignet, die diesbezüglich zuvor ausdrücklich offen gehal-
tenen Tatsachenfeststellungen zu ergänzen.
b) Weiterhin hat das Berufungsgericht festgestellt, der Beklagte habe auch vor-
sätzlich schuldhaft gehandelt. Insoweit könne er sich nicht mit Erfolg auf das
verwaltungsgerichtliche Urteil von Mai 2001 berufen, das seine Auffassung von
der fehlerhaften ersten Projektbeauftragung geteilt habe. Er habe gewusst,
dass das Urteil nicht rechtskräftig geworden sei und sich außerdem auf einen
anderen Projektauftrag bezogen habe. Diese Würdigung erfasst den festge-
stellten Sachverhalt nur unvollständig und ist daher fehlerhaft.
Die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Dienstpflichtverletzungen vor-
sätzlich schuldhaft im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen worden
sind, ist insoweit rechtsfehlerhaft, als dabei unberücksichtigt geblieben ist, dass
der Beklagte auf anwaltlichen Rat gehandelt hat. Im Berufungsurteil sind tat-
sächliche Feststellungen zur anwaltlichen Beratung des Beklagten im Tatzeit-
raum getroffen worden - so die Empfehlung, an vorgesehenen dienstlichen Ge-
sprächsterminen nicht teilzunehmen, dienstliche Anordnungen über die Verfah-
rensbevollmächtigten laufen zu lassen, Einlegung eines Widerspruchs gegen
die Erteilung des Projektauftrags -, ohne dass das Berufungsgericht diesen
zwischen den Beteiligten unstreitigen Sachverhalt in seine disziplinarrechtliche
Würdigung einbezogen hat. Dies hindert jedoch nicht seine revisionsrechtliche
Verwertbarkeit gemäß §§ 3, 69 BDG, § 137 Abs. 2, § 173 VwGO i.V.m. § 559
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Abs. 2 ZPO (vgl. Urteile vom 15. Dezember 1983 - BVerwG 5 C 26.83 -
BVerwGE 68, 290 <296 f.>, vom 8. März 1984 - BVerwG 6 C 6.83 - Buchholz
310 § 137 VwGO Nr. 116 und vom 23. März 1999 - BVerwG 1 C 12.97 -
Buchholz 402.44 VersG Nr. 12).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Disziplinarsenats (vgl. z.B. Urteil vom
29. Oktober 1981 - BVerwG 1 D 50.80 - BVerwGE 73, 263 <285>; Beschlüsse
vom 19. Juni 2000 - BVerwG 1 DB 13.00 - BVerwGE 111, 246 <254> und vom
17. Januar 2003 - BVerwG 1 DB 18.02 - Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 24 S. 37)
erfolgt ein Handeln in dienstlichen Angelegenheiten nach anwaltlichem Rat
zwar grundsätzlich auf eigenes Risiko. Im Einzelfall ist jedoch nicht ausge-
schlossen, dass sich ein entsprechendes Verhalten des Beamten entschei-
dungserheblich als so genannter Tatbestands- oder Verbotsirrtum auswirken
kann (vgl. zum Arbeitsrecht: Kliemt/Vollstädt, NZA 2003, 357 ff.).
Erkennt der Beamte zutreffend den von ihm verursachten Geschehensablauf,
der objektiv einen Dienstvergehenstatbestand erfüllt, glaubt er aber gleichwohl,
nicht pflichtwidrig gehandelt zu haben, so beruft er sich auf einen so genannten
Verbotsirrtum. Ein solcher Rechtsirrtum über das Bestehen, den Umfang oder
den Inhalt dienstlicher Pflichten (vgl. z.B. Urteile vom 25. März 1980 - BVerwG
1 D 14.79 - BVerwGE 63, 353 <364 f.> und vom 11. Dezember 1991 - BVerwG
1 D 75.90 - BVerwGE 93, 202 <210 f.>) kann das Bewusstsein der Pflichtwid-
rigkeit (Unrechtsbewusstsein) entfallen lassen. Wenn dem Beamten nicht wi-
derlegt werden kann, die Pflichtverletzung unter einem Verbotsirrtum begangen
zu haben, schließt ein solcher Irrtum die Schuld - und damit das Dienstverge-
hen - nur dann aus, wenn er unvermeidbar war (vgl. § 17 Satz 1 StGB). Die
Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums bestimmt sich nach der von dem Beamten
nach seiner Amtsstellung (Status, Dienstposten) und seinen persönlichen
Kenntnissen und Fähigkeiten (Vorbildung, dienstlicher Werdegang) zu fordern-
den Sorgfalt unter Berücksichtigung ihm zugänglicher Informationsmöglichkei-
ten. Das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit setzt in der Regel keine juristisch
genaue Kenntnis der verletzten Rechtsvorschriften und Verwaltungsanordnun-
gen voraus. Es genügt, wenn der Beamte Umfang und Inhalt seiner auf diesen
Regelungen beruhenden Dienstpflichten im weitesten Sinne erfasst. Davon ist
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im Regelfall auf Grund der Ausbildung der Beamten und der Praxis dienstzeit-
begleitender Belehrungen über Rechte und Pflichten im Dienstverhältnis aus-
zugehen. Im Zweifel wird von einem Beamten - im eigenen Interesse - erwartet,
dass er sich bei seiner Dienststelle rechtzeitig über Umfang und Inhalt seiner
Dienstpflichten erkundigt. So kann er verhindern, dass ihm gegebenenfalls ent-
gegengehalten wird, er habe zwar in einem Verbotsirrtum gehandelt, der jedoch
vermeidbar gewesen sei; ein solcher vermeidbarer Irrtum, der die Vorsatz-
schuld nicht ausschließt, „kann“ bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme
mildernd berücksichtigt werden (vgl. § 17 Satz 2 StGB).
Auch wenn bei anwaltlicher Beratung - insbesondere bei einem Beamten des
höheren Dienstes - im Regelfall ein unvermeidbarer Verbotsirrtum nicht vorlie-
gen dürfte, war es disziplinarrechtlich nicht zulässig, diesen Sachverhalt völlig
unberücksichtigt zu lassen. Der Beklagte hatte als Nichtjurist nicht nur im Ver-
trauen auf die Richtigkeit der Auskünfte seiner Berater, rechtskundiger Dritter,
gehandelt. Er sah den ihm erteilten Rechtsrat auch durch das von seinem An-
walt erstrittene Urteil des VG Köln vom 3. Mai 2001 bestätigt, das die Verset-
zungsverfügung vom 6. Oktober 1998 im Hinblick auf die Durchführung des
ersten Projektauftrags aufgehoben hatte. Die gegenteilige Berufungsentschei-
dung des OVG Münster erging erst am 3. März 2004, als die Disziplinarklage
bereits anhängig war.
c) Die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Bemessung der Disziplinarmaß-
nahme sind ebenfalls mit Bundesrecht nicht vereinbar.
Dies gilt zunächst hinsichtlich der Einstufung der vorsätzlich schuldhaft began-
genen Dienstpflichtverletzungen als schweres Dienstvergehen im Sinne des
§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG. Nach dieser Vorschrift ist ein Beamter aus dem Beam-
tenverhältnis zu entfernen, wenn er durch ein schweres Dienstvergehen das
Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Bei
der Frage nach der Schwere des Dienstvergehens ist maßgebend auf das
Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein ob-
jektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der
Dienstpflichtverletzung sowie besondere Umstände der Tatbegehung), subjek-
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tive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld, Beweg-
gründe für das Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für
den dienstlichen Bereich und für Dritte (z.B. materieller Schaden). Eine objekti-
ve und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt voraus, dass die sich aus
§ 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ergebenden Bemessungskriterien - Schwere des
Dienstvergehens, Persönlichkeitsbild des Beamten, Umfang der Vertrauensbe-
einträchtigung - mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht bei jedem
Dienstvergehen, gleichgültig zu welcher Disziplinarmaßnahme es letztlich führt,
ermittelt und in die Entscheidung eingestellt werden. Dieses Erfordernis beruht
letztlich auf dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot). Danach muss die ausge-
sprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung aller belastenden und
entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur
Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (Ur-
teil vom 20. Oktober 2005 a.a.O. m.w.N.).
Das Berufungsgericht hat ein schweres Dienstvergehen darin gesehen, dass
„der Beklagte seine Dienstleistung über einen langen Zeitraum vollständig ver-
weigert“ hat. Er habe sich den zur Erfüllung des Auftrags dringend notwendigen
Detailbesprechungen mit seinem Fachvorgesetzten entzogen. „Stattdessen“ sei
„er nur zu Verhandlungen mit dem Personalvorstand mit dem Ziel der Rückkehr
auf den einmal innegehabten Beförderungsdienstposten - oder vergleichbare
Stellen - bereit“ gewesen. Dieses eigenmächtige Verhalten zeige, dass er sich
von seiner Kernpflicht als Beamter, dienstlichen Anordnungen Folge zu leisten,
vollkommen gelöst habe. Erschwerend komme hinzu, dass er die Dienstleistung
verweigert habe, obwohl ein solches Verhalten in früherer Zeit bereits dis-
ziplinarisch verfolgt worden sei (Einstellungsverfügung vom 10. September
2001) und ihm auch im Jahr 2002 mehrfach disziplinarische Schritte angedroht
worden seien.
Diese Zumessungserwägungen des Berufungsgerichts beruhen auf unzurei-
chenden tatsächlichen Feststellungen.
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Die Vorinstanz ist - wie schon ausgeführt - dem in der Klageschrift erhobenen
Vorwurf der vollständigen, beharrlichen Dienstverweigerung, d.h. der nur unre-
gelmäßigen (körperlichen) Anwesenheit im Büro im Zeitraum von Oktober 2001
bis Januar 2003, nicht nachgegangen. Sie hat sich bei der Annahme eines
schuldhaft begangenen Dienstvergehens (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG) tatsächliche
Feststellungen dazu, ob der Beklagte für die Erfüllung des Projektauftrags
überhaupt dienstlich tätig geworden ist, erspart, weil die behaupteten Arbeiten,
sollten sie tatsächlich erbracht worden sein, jedenfalls ohne Abstimmung mit
dem Fachvorgesetzten und damit entgegen der ausdrücklichen dienstlichen
Anweisung erfolgt seien. Zudem habe es der Beklagte unterlassen, innerhalb
der festgelegten Zeiträume Zwischenberichte vorzulegen. Demnach hat das
Berufungsgericht zugunsten des Beklagten als möglich unterstellt, dieser habe
an dem Projektauftrag gearbeitet (UA S. 14).
Davon ausgehend hat es die Entfernung des Beklagten aus dem Dienst nicht
auf eine Dienstverweigerung in der Zeit von Oktober 2001 bis Januar 2003
(„Nichtstun“), sondern auf dessen Weigerung gestützt, sich mit seinen Vorge-
setzten in Verbindung zu setzen bzw. deren Weisungen einzuholen.
Jedenfalls durfte das Berufungsgericht die Frage, ob der Beklagte an dem Pro-
jektauftrag überhaupt gearbeitet hat, auch in diesem Zusammenhang nicht of-
fen lassen. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG kommt es für die Maßnahmebe-
messung maßgeblich auf die Schwere des Dienstvergehens an. Um diese rich-
tig und vollständig beurteilen zu können, sind Feststellungen über Art und Um-
fang der vom Beklagten behaupteten Tätigkeit - so er sie denn erbracht hat -
erforderlich. Auch das Gewicht der Weigerung, mit dem Fachvorgesetzten zu-
sammenzuarbeiten, bemisst sich danach, ob die behauptete Arbeitsleistung
brauchbar war. Ferner hat es das Berufungsgericht unterlassen, zu prüfen, ob
es - wenn ein schuldhaftes Handeln vorliegt - für die Schuldform und den Ver-
schuldensgrad und damit letztlich auch für die Zumessung von Bedeutung ist,
dass der Beklagte auf anwaltlichen Rat gehandelt hat.
Das Berufungsurteil verletzt auch insoweit Bundesrecht, als es bei seiner Ent-
scheidung gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG einen endgültigen Verlust des Ver-
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trauens des Dienstherrn angenommen hat, ohne zuvor eine umfassende Prog-
noseentscheidung unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände des
Einzelfalls zu treffen. Bei der prognostischen Frage, ob bei einem Beamten auf
Grund eines schweren Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust ein-
getreten ist, gehören zur Prognosebasis alle für diese Einschätzung bedeutsa-
men belastenden und entlastenden Bemessungsgesichtspunkte. Dies gebieten
sowohl das gesetzliche Bemessungskriterium „angemessene Berücksichtigung
des Persönlichkeitsbildes des Beamten“ (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BDG) als auch der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot). Die gesamte Prognose-
grundlage muss in der Entscheidung des Gerichts dargelegt werden; ob sie
dann den Schluss auf einen noch verbleibenden Rest an Vertrauen in die Per-
son des Beamten zulässt, ist eine Frage der Gesamtabwägung im Einzelfall
(Urteil vom 20. Oktober 2005 a.a.O.).
Diesen Anforderungen wird das Berufungsgericht auch unter Berücksichtigung
der gemäß § 130b Satz 2 VwGO, § 3 BDG in Bezug genommenen erstinstanz-
lichen Ermessenserwägungen nicht gerecht. Für die erneute Verhandlung und
Entscheidung ist auf Folgendes hinzuweisen: Nach der ständigen Rechtspre-
chung des Disziplinarsenats gelten im Falle einer Dienstverweigerung - sofern
und soweit sie im eigentlichen Sinne vorliegt - dieselben disziplinarrechtlichen
Bemessungserwägungen wie für vorsätzlich unerlaubtes Fernbleiben vom
Dienst (vgl. z.B. Urteil vom 8. Juli 1987 - BVerwG 1 D 140.86 -; Beschluss vom
26. Februar 2003 - BVerwG 1 DB 1.03 - Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 25
S. 38 f.; vgl. auch Urteil vom 25. September 2003 - BVerwG 2 C 49.02 -
Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 26 S. 41 f.). Auch wenn im Falle des unerlaubten
Fernbleibens vom Dienst der Fernbleibensdauer bei der Bemessung der Dis-
ziplinarmaßnahme regelmäßig ein wesentliches Gewicht zukommt, hat der Dis-
ziplinarsenat doch wiederholt hervorgehoben, dass es auch auf die Ursachen
der Dienstsäumnis oder -verweigerung und damit auf die Persönlichkeit des
Beamten, seine Motive und - vor allem - auf die Prognose seines zukünftigen
Verhaltens ankommt. Er hat insbesondere auch bei ungenehmigtem Fernblei-
ben vom Dienst von insgesamt nicht unerheblicher Dauer die Fortsetzung des
Beamtenverhältnisses dann für möglich gehalten, wenn es sich bei den Ursa-
chen für das Fernbleiben um im Grunde persönlichkeitsfremde, durch bestimm-
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te äußere Ereignisse oder Einwirkungen verursachte Umstände gehandelt hat
und die Aussicht auf künftiges pflichtgemäßes Verhalten deshalb begründet war
(vgl. z.B. Urteil vom 26. Februar 2004 - BVerwG 1 D 3.03 - m.w.N.). Ent-
sprechendes hat im Falle einer Dienstverweigerung zu gelten. Allerdings wird
im Regelfall davon auszugehen sein, dass auch bei Anwesenheit im Dienst eine
länger dauernde beharrliche Dienstverweigerung zur Entfernung aus dem
Beamtenverhältnis führt, falls keine in ihrer Gesamtheit durchgreifenden mil-
dernden Umstände vorliegen (vgl. zum vorsätzlich unerlaubten Fernbleiben
vom Dienst z.B. Urteil vom 26. Februar 2004 a.a.O. m.w.N.). Es bedarf also
einer Gesamtabwägung aller belastenden und entlastenden Umstände (vgl.
Urteil vom 20. Oktober 2005 a.a.O.).
Da auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen
nicht abschließend beurteilt werden kann, ob unter den Voraussetzungen des
§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszu-
sprechen ist, ob die Verhängung einer milderen Disziplinarmaßnahme oder ob
der Ausspruch einer anderen Entscheidung in Betracht kommt, ist die Sache
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht
zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Albers Dr. Kugele Dr. Müller
Dr. Bayer Dr. Heitz
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Beamtendisziplinarrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BAPostG F. 2001 § 3 Abs. 2 Nr. 8, § 15
BBG
§ 77 Abs. 1 Satz 1
BDG
§ 13 Abs. 1 und 2 Satz 1, § 34 Abs. 2, § 52 Abs. 1 Satz 1,
§§ 55, 65 Abs. 1
BetrVG
§§ 1, 50, 58
BPersVG
§ 72 Abs. 1 und 4 Satz 2, § 78 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2
BRRG
§ 126 Abs. 3 Nr. 3
PostPersRG
§ 1 Abs. 2, 5 und 7, §§ 24, 28, 29 Abs. 5 und 6
StGB
§ 17
Stichworte:
Postbeamter des höheren Dienstes; Disziplinarklage(-schrift); Mitwirkung des
Personalrats (Betriebsrats); Verfahrensmangel (Heilung); Prüfverfahren der
Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost; Dienst-
verweigerung; dienstliches Handeln nach anwaltlichem Rat; Tatbestands-/Ver-
botsirrtum; Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (schweres Dienstvergehen,
endgültiger Vertrauensverlust); Zumessungserwägungen.
Leitsatz:
Im Geschäftsbereich der Deutschen Post AG hat bei Erhebung der Disziplinar-
klage regelmäßig der Betriebsrat des Betriebes mitzuwirken, bei dem der Be-
amte beschäftigt ist; eine Mitwirkungszuständigkeit des Gesamt- oder Konzern-
betriebsrats ist nur ausnahmsweise gegeben.
Die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost hat
den gesamten Disziplinarverfahrensgang auf Rechtmäßigkeit in formeller und
materieller Hinsicht sowie auf sachgerechte Ermessensausübung im Regelfall
erst dann zu überprüfen, wenn zuvor alle Verfahrensschritte einschließlich des
Beteiligungsverfahrens abgeschlossen sind.
Urteil des 2. Senats vom 22. Juni 2006 - BVerwG 2 C 11.05
I. VG Trier vom 27.05.2004 - Az.: VG 4 K 1133/03.TR -
II. OVG Koblenz vom 18.10.2004 - Az.: OVG 11 A 11253/04 -