Urteil des BVerwG vom 10.06.2005

Staatliches Gericht, Rechtliches Gehör, Kausalität, Überprüfung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 97.04
OVG 2 LB 111/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Juni 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. D a w i n und Dr. K u g e l e
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 14. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 104 006,55 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Rechtssache wirft keine Fragen von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung im Sinn
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.
1.1 Die Frage 1 des Beklagten, ob "ein staatliches Gericht bei der Klärung vermö-
gensrechtlicher Ansprüche überhaupt einen streitigen kirchenrechtlichen Status zwi-
schen den Beteiligten entscheiden" kann, bedarf keiner revisionsgerichtlichen Über-
prüfung. Sie lässt sich ohne weiteres bejahen, soweit es sich um die Überprüfung ei-
ner Vorfrage handelt, wie hier der Aktivlegitimation des Klägers.
1.2 Die zum Vollzug der Vorschriften des Kirchenbeamtengesetzes der Vereinigten
Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (KBG) aufgeworfenen Fragen 2 und 3
würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Recht der als Körper-
schaften des öffentlichen Rechts organisierten Religionsgemeinschaften ist grundsätz-
lich kein revisibles Recht. Zwar ist diesen Religionsgemeinschaften durch § 135
Satz 2 BRRG die Möglichkeit eröffnet, die Rechtsverhältnisse ihrer Beamten dem
staatlichen Beamtenrecht entsprechend zu regeln und der revisionsgerichtlichen
Überprüfung nach § 127 BRRG zu unterwerfen, doch wurde hiervon kein Gebrauch
gemacht (vgl. § 80 KBG). Das Revisionsgericht ist daher an die Interpretation der
§§ 18 ff. KBG durch das Berufungsgericht gebunden, es sei denn, was hier nicht er-
sichtlich ist, dass die vorgenommene Auslegung ihrerseits gegen Bundesrecht ver-
stößt, insbesondere die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der Verhältnismäßigkeit,
des Willkürverbots und der Chancengleichheit verletzt.
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1.3 Auch Frage 4, welche Anforderungen und Voraussetzungen an die Vermeidbarkeit
eines Verbotsirrtums im Rahmen eines beamtenrechtlichen Regresses zu stellen sei-
en und ob es genüge, an die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums die gleichen Voraus-
setzungen zu stellen wie an die Annahme einer groben Fahrlässigkeit und insoweit
auf deren Begründung zu verweisen, würde sich in einem Revisionsverfahren nicht
stellen. Denn das Berufungsgericht ist nicht von der rechtlichen Prämisse ausgegan-
gen, grob fahrlässiges Handeln indiziere grundsätzlich die Vermeidbarkeit eines Ver-
botsirrtums. Das Berufungsgericht hat einen Verbotsirrtum des Beklagten vielmehr mit
der Erwägung für vermeidbar gehalten, der Beklagte habe bei Beachtung der gebote-
nen und ihm zumutbaren Sorgfalt erkennen müssen, dass die Beschlüsse des Vor-
standes des Kirchenverbandes H. vom 12. Juli 1990 und 27. Mai 1997 gegen höher-
rangige Vorschriften des einschlägigen Kirchenrechts verstoßen und er deshalb nicht
berechtigt gewesen sei, den Kauf und Ausbau des Wohnmobils ohne vorherige Zu-
stimmung des Vorstandes des Kirchenverbandes H. zu tätigen. Die von der Be-
schwerde aufgegriffene Bezugnahme des Berufungsgerichts auf S. 22 des Beru-
fungsurteils auf die Ausführungen zum Vorwurf des grobfahrlässigen Handelns be-
zieht sich auf die dort im Einzelnen dargelegten Gründe, dass und warum der Beklag-
te die Rechtswidrigkeit dieser Beschlüsse hätte erkennen können, besagt aber nicht,
dass im Rahmen eines beamtenrechtlichen Regresses an die Vermeidbarkeit eines
Verbotsirrtums schlechthin dieselben Anforderungen zu stellen sind wie an die An-
nahme grober Fahrlässigkeit.
1.4 Die Frage 5, ob es für die erforderliche Kausalität für eine auf ein pflichtwidriges
Unterlassen gestützte Schadensersatzklage ausreichend sei, "(allein) auf die Erhe-
bung der Schadensersatzklage und deren Begründung zu verweisen", und welche
Anforderungen "insoweit an die Annahme der erforderlichen Kausalität zu stellen" sei-
en, kommt es nicht an. Denn die Voraussetzungen der Kausalität zwischen Schaden
und einer unterlassenen Handlung sind höchstrichterlich geklärt. So hat der Senat in
der von Beschwerde und Berufungsgericht in Bezug genommenen Entscheidung vom
22. Februar 1996 - BVerwG 2 C 12.94 - BVerwGE 100, 280 (286) klargestellt, dass
ein Unterlassen für den eingetretenen Schaden nur dann ursächlich ist, wenn pflicht-
gemäßes Handeln den Schaden verhindert hätte. Davon abgesehen hat das Beru-
fungsgericht diesen Rechtssatz angewandt und festgestellt, der Schaden wäre nicht
eingetreten, wenn sich der Beklagte pflichtgemäß verhalten hätte.
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1.5 Mit der Frage 6 will die Beschwerde geklärt wissen, auf welchen Zeitpunkt und auf
welche Umstände für die Beurteilung abzustellen sei, ob pflichtgemäßes Handeln den
Schaden im Fall einer pflichtwidrigen Unterlassung verhindert hätte. Zur Beantwortung
dieser Frage bedarf es keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens. Denn die
Antwort liegt auf der Hand. Das unterlassene pflichtgemäße Handeln muss zu einem
Zeitpunkt erfolgen, in dem der Eintritt des Schadens noch verhindert werden kann. E-
benso sind die tatsächlichen und rechtlichen Umstände maßgeblich, die in diesem
Zeitpunkt herrschen. Davon abgesehen, hat das Berufungsgericht weder einen ande-
ren Rechtssatz aufgestellt, noch diesen Rechtssatz falsch angewandt.
1.6 Mit der Frage 7 will die Beschwerde geklärt wissen, ob es ein Mitverschulden des
Dienstherrn darstelle, wenn die (pflichtwidrige) Amtsführung des Beamten ausdrück-
lich gefordert bzw. provoziert und in den anschließenden Rechnungsprüfungen - unter
anderem durch Mitglieder des Aufsicht führenden Gremiums - nicht beanstandet wer-
de. Diese Frage besitzt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, sondern
ist mit Blick auf die jeweilige konkrete Fallkonstellation zu beantworten. Sie ist daher
nicht von rechtsgrundsätzlicher Natur. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht ent-
sprechende Tatsachen mit konkretem Bezug zum Erwerb des Wohnmobils auch nicht
festgestellt.
1.7 Mit den Fragen 8 und 9 möchte die Beschwerde geklärt haben, welche Anforde-
rungen an die Kenntnis der Tatsachen zu stellen sind, die dem Dienstherrn - bzw.
dem für die Einberufung des entsprechenden Kollegialorgans zuständigen Amtsträ-
ger - bekannt sein müssen, damit gegen einen Beamten mit einigermaßen sicherer
Aussicht auf Erfolg eine Schadensersatzklage erhoben werden könne und somit die
Verjährungsfrist für einen Regressanspruch gegen den Beamten beginne, ferner, ob
für diese Tatsachenkenntnis auf den (normativen) Schaden (Schadenseintritt) abzu-
stellen sei. Beide Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision. Denn in der Recht-
sprechung des beschließenden Senats ist geklärt, dass die für den Beginn der Verjäh-
rungsfrist von Regressansprüchen maßgebliche Kenntnis des Dienstherrn von Scha-
den und Person des Ersatzpflichtigen vorhanden ist, wenn der Dienstherr aufgrund
der ihm bekannten Tatsachen gegen einen bestimmten Beamten eine Schadenser-
satzklage mit hinreichend sicherer Aussicht auf Erfolg geltend machen kann (vgl. Ur-
teil vom 9. März 1989 - BVerwG 2 C 21.87 - BVerwGE 81, 301 <304 ff.>).
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1.8 Die Frage 10, ob der kirchenrechtliche Dienstherr frei wählen könne, "ob er seine
Ansprüche zivilrechtlich durchsetzt oder den Beamten stattdessen in Regress nimmt",
und unter welchen Voraussetzungen der Dienstherr davon absehen könne, seinen
Anspruch gegen den Beamten zivilrechtlich geltend zu machen oder ihn stattdessen
unter Rückgriff auf das Beamtenrecht in Regress zu nehmen, ist eine Frage, die sich
nach Kirchenrecht beantwortet, und unterliegt daher nicht der Revision.
1.9 Die Fragen 11 und 12 sind auf Einzelfallkonstellationen zugeschnitten und einer
abstrakten Klärung nicht zugänglich. Sie sind deshalb ohne rechtsgrundsätzliche Be-
deutung.
2. Die Berufungsentscheidung beruht auf keinem der geltend gemachten Verfahrens-
fehler.
2.1 Die Rüge, das Berufungsgericht habe das Vorbringen des Beklagten hinsichtlich
des wirklichen Kaufpreises des Wohnmobils unberücksichtigt gelassen, und daher
dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, ist unbegründet. Es trifft zwar zu,
dass die Angaben des Beklagtenvertreters in der Berufungsbegründung vom 16. Juli
2002 (vgl. die Gerichtsakte Bl. 435 ff.) über den Kaufpreis von der Berechnung des
Berufungsgerichts abweichen. Diese Abweichung begründet das Berufungsgericht
damit, dass der Beklagte die Kosten der Werbebeschriftung übersehen habe (UA
S. 18). Damit hat sich das Berufungsgericht mit dem Einwand des Beklagten, es sei
zu einer Überzahlung gekommen, auseinander gesetzt. Ob diese Auseinandersetzung
sachlich richtig erfolgt ist, ist keine Frage des Verfahrensrechts, sondern des materiel-
len Rechts. Das Berufungsurteil beruht hinsichtlich der Anschaffungskosten des
Wohnmobils auch nicht auf dem Denkfehler, dass es, wie die Beschwerde meint, von
der Zahlung des Klägers an den Verkäufer des Wohnmobils auf den Kaufpreis
schließt und so eine Überzahlung ausschließt. Vielmehr wird lediglich festgestellt, der
Beklagte habe in seiner Berufungsbegründung (a.a.O. Blatt 439) eingeräumt, dass
das Rechnungsprüfungsamt des Klägers die Zahlungsvorgänge und Zahlungsströme
zutreffend rekonstruiert hat. Daraus hat das Berufungsgericht aber nicht den Schluss
gezogen, dass sich aus diesen Zahlungen der zutreffende Rechnungsbetrag ergebe.
Vielmehr hat es zur Ermittlung der dem Verkäufer zustehenden Forderung die einzel-
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nen Rechnungsposten addiert und so den Gesamtkaufpreis ermittelt (S. 3 des Beru-
fungsurteils).
2.2 Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe sich im Hinblick auf die Würdigung
der sachverständigen Stellungnahme des Direktors der Klinik für Psychiatrie, Psycho-
therapie und psychosomatische Medizin der Universität M. eigener Sachkunde be-
rühmt und die Stellungnahme nicht nur rechtlich, sondern insbesondere in fachlicher
Hinsicht gewürdigt, stellt keine Verfahrensrüge dar. Denn die Beweiswürdigung gehört
zum materiellen Recht und ist der Prüfung durch das Revisionsgericht grundsätzlich
entzogen. Die gerügte Beweiswürdigung ist weder willkürlich, noch enthält sie eine
offenbar unhaltbare Würdigung des medizinischen Gutachtens oder bewertet dies mit
unhaltbaren Schlussfolgerungen. Denn das Berufungsgericht hat die Beurteilung des
medizinischen Sachverständigen, die letztlich in die Feststellung mündet, dass ein
Mangel an ausreichender Sorgfalt und ein Mangel der Fähigkeit, eventuelle negative
Folgen vorauszusehen, aus dem beim Beklagten diagnostizierten Krankheitsbild ab-
leitbar sei, seiner Beweiswürdigung zugrunde gelegt. Bei der rechtlichen Bewertung
der Ausführungen in der Stellungnahme vom 1. März 2004 zur Beurteilung der Ver-
schuldensfähigkeit des Beklagten hat das Berufungsgericht lediglich im Einzelnen be-
nannte tatsächliche Umstände in den Blick genommen und rechtlich gewertet und ist
zu dem Schluss gekommen, dass diese auf aktuellen Kenntnissen beruhenden Äuße-
rungen für den maßgeblichen Zeitraum (bis 1998) ein zumindest grob fahrlässiges
Verhalten nicht ausschließen könnten. Dabei hat es die ausführlichen Bekundungen
des Beklagten zur Sinnhaftigkeit seines mit dem Ankauf des Wohnmobils bezweckten
Konzeptes besonders herausgestellt und daraus den Schluss gezogen, dass der Be-
klagte die Folgen seines Handelns genau einschätzen konnte. Aufgrund dieser Be-
weiswürdigung musste sich dem Berufungsgericht auch unter Berücksichtigung der
ohnehin nur knappen Stellungnahme die Notwendigkeit der Erhebung einer Sachver-
ständigenbegutachtung nicht aufdrängen. Einen entsprechenden Beweisantrag hatte
der anwaltlich vertretene Beklagte nicht gestellt, einen Hinweis nicht erbeten.
2.3 Die Rüge, das Berufungsgericht habe nicht sämtliche Gesichtspunkte berücksich-
tigt, die der Beklagte zur Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden vorgetra-
gen habe, ist unbegründet. Denn die Berufungsentscheidung beruht in diesem Punkt
hauptsächlich auf der Erwägung, der Beklagte habe als langjährig tätiger und erfahre-
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ner Verwaltungsleiter in einem Spitzenamt des gehobenen Dienstes die Rechtswidrig-
keit seines Verhaltens selbst erkennen müssen. Es kommt daher nicht darauf an, ob
der Kläger seine Aufsichtspflicht gegenüber dem Beklagten verletzt hat.
2.4 Die Verfahrensrüge, das Oberverwaltungsgericht habe bei der Feststellung des
Mitverschuldens den Vortrag des Beklagten unberücksichtigt gelassen, dass der Be-
schluss über die Veräußerung des Wohnmobils nichtig sein könnte, ist ebenfalls un-
begründet. Zur rechtlichen Überprüfung dieser Frage hatte das Berufungsgericht kei-
nen Anlass. Der Beklagte trägt selbst vor, dass sich Zweifel an der Wirksamkeit des
Beschlusses erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung ergeben hätten.
Kein Verfahrensfehler ist auch darin zu sehen, dass das Oberverwaltungsgericht nicht
geprüft hat, ob das Fahrzeug nicht zu einem höheren Preis hätte verkauft werden
können. Nach seiner Überzeugung ist der geringe Verkaufserlös auf Merkmale des
Fahrzeugs zurückzuführen, die nur ein geringes Kaufinteresse erzeugt hätten. Daraus
folgt, dass in dieser Hinsicht keine weiteren tatsächlichen Ermittlungen, insbesondere
die Erstellung eines - auch vom Beklagten nicht beantragten - Wertgutachtens, ange-
stellt werden mussten.
2.5 Schließlich gehen auch die weiteren Verfahrensrügen ins Leere. Weder hat es das
Berufungsgericht versäumt zu prüfen, ob der Kläger gehalten gewesen wäre, den Be-
klagten über die geringe Erlöserwartung zu informieren, noch ob der geringe Erlös mit
einer unsachgemäßen Behandlung des Fahrzeugs zusammenhängt. Die Rüge, dass
die Kosten der Pflege der Mutter des Beklagten nicht zivilrechtlich geltend gemacht
worden sind, ist ebenfalls kein Verfahrensfehler.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1 Halbsatz 2 GKG.
Albers
Prof. Dawin
Dr. Kugele