Urteil des BVerwG vom 29.03.2012

Rechtliches Gehör, Disziplinarverfahren, Versuch, Betrug

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 96.11
VGH 16b D 10.2447
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. März 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 23. März 2011 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf Divergenz und einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3
VwGO und § 69 BDG) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der Beklagte, ein Bundesbahnobersekretär, wurde im Jahr 1999 wegen fahr-
lässiger Trunkenheit im Verkehr und im Jahr 2001 wegen Urkundenfälschung in
Tateinheit mit versuchtem Betrug jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Jahr
2003 wurde gegen den Beklagten wegen Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit
13 sachlich zusammenhängenden Fällen des Missbrauchs von Scheck- und
Kreditkarten eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verhängt, die zur
Bewährung ausgesetzt wurde. Die jeweils sachgleichen Disziplinarverfahren
wurden eingestellt (§ 27 BDO und § 32 Abs. 1 Nr. 3 BDG). Im November 2006
wurde der Beklagte wegen versuchten Betrugs in zwei Fällen, in einem Fall in
Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Mona-
ten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die sachgleiche
Disziplinarklage erkannte das Verwaltungsgericht wegen eines außerdienstli-
chen Dienstvergehens auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. In seinem
ersten Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Beklagten zu-
rückgewiesen. Nach Aufhebung dieses Urteils und Zurückverweisung an den
Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 10. September 2010 - BVerwG 2 B
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97.09 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 14) hat der Verwaltungsgerichtshof die
Berufung des Beklagten erneut zurückgewiesen.
2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulas-
sen. Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen in-
haltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten
Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben
Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. Beschluss vom 21. Juni 1995
- BVerwG 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 18). Das Aufzeigen
einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das
Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt
weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer
Grundsatzrüge (vgl. Beschluss vom 17. Januar 1995 - BVerwG 6 B 39.94
- Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55).
In der Beschwerde wird kein Widerspruch zwischen einem tragenden Rechts-
satz des Berufungsurteils und einem tragenden Rechtssatz des Urteils des
Bundesverwaltungsgerichts vom 8. März 2005 - BVerwG 1 D 15.04 - (Buchholz
232 § 77 BBG Nr. 24) oder des Beschlusses vom 24. Februar 2005 - BVerwG
1 D 1.05 - aufgezeigt. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. März
2005 wird bei den Ausführungen zum Zulassungsgrund der Divergenz nicht
weiter herangezogen. Dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom
24. Februar 2005 ist auch nicht der Rechtssatz zu entnehmen, dass bei einem
Gesamtschaden von über 5 000 € die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis
nur bei einem vollendeten Betrug in Betracht kommt, nicht aber bei einem blo-
ßen Versuch. Der Sache nach beschränkt sich die Beschwerde im Wesentli-
chen darauf, die Zumessungserwägungen des Verwaltungsgerichtshofs unter
dem Gesichtspunkt anzugreifen, dieser habe nicht ausreichend berücksichtigt,
dass es sich bei den Straftaten des Beklagten um (untaugliche) Versuche han-
dele.
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Im Übrigen unterscheidet das Disziplinarrecht - im Gegensatz zum Strafrecht -
nicht zwischen Versuch und Vollendung der Tat. Verletzt ein Beamter schuld-
haft ihm obliegende Dienstpflichten im Sinne von § 77 BBG, kann es sich dabei
begrifflich immer nur um eine vollendete Pflichtverletzung handeln, auch wenn
nach strafrechtlichen Grundsätzen der Versuch eines Delikts anzunehmen wä-
re. Disziplinarrechtlich entscheidend ist allein, ob der Beamte durch ein be-
stimmtes Dienstvergehen seine Dienstpflichten verletzt hat. Für die im Diszipli-
narrecht gebotene Persönlichkeitsbeurteilung eines Beamten kommt es allein
auf den gezeigten Handlungswillen an. Wenn der Erfolg der Tat nicht eingetre-
ten ist, so ist dies dann von Bedeutung, wenn der Nichteintritt auf zurechenba-
rem Verhalten des Beamten beruht (Urteil vom 7. Dezember 1993 - BVerwG
1 D 32.92 - BVerwGE 103, 54 <56 f.>; Müller, Grundzüge des Beamtendiszipli-
narrechts, 1. Aufl., 2010, Rn. 24 m.w.N.).
3. Die Revision ist auch nicht wegen des vom Beklagten geltend gemachten
Verfahrensmangels eines Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Ge-
hör (Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO) zuzulassen.
Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich
nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern
auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der
Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei kann es
in besonderen Fällen auch geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine
Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde
legen will. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtsla-
ge gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtli-
chen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger
Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer
Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Allerdings ist zu beachten,
dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem
Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage
umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten
grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Be-
tracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom
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19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.> und Urteil vom 14. Juli
1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <263> jeweils m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen hat der Verwaltungsgerichtshof den Anspruch des
Beklagten auf rechtliches Gehör in Bezug auf die Berücksichtigung der Gründe,
die für die Einstellung der zuvor gegen den Beklagten eingeleiteten Disziplinar-
verfahren maßgebend waren, nicht verletzt. Bereits der Senat hat in seinem
Beschluss vom 10. September 2010 (a.a.O.
fentlicht> juris Rn. 9) ausgeführt, dass in die Zumessungsentscheidung auch
die Gründe einzubeziehen sind, die für die Einstellung der früheren Disziplinar-
verfahren maßgebend waren. Ausweislich der Niederschrift über die Beru-
fungsverhandlung vom 23. März 2011 hat der Verwaltungsgerichtshof die Frage
der Verwertung von Disziplinarvorgängen erörtert, die nicht zu einer Diszipli-
narmaßnahme geführt haben (§ 16 Abs. 4 und 2 BDG). Dementsprechend
musste der Beklagte damit rechnen, dass der Verwaltungsgerichtshof diese
Umstände bei seiner Bemessungsentscheidung nach § 13 BDG berücksichtigt.
Dass der Verwaltungsgerichtshof Umstände anders würdigte, als ein Beteiligter,
begründet keinen Gehörsverstoß.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung
des Streitwerts bedarf es nach § 78 Satz 1 BDG nicht, weil die Gebühren nach
dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden.
Herbert
Thomsen
Dr. Hartung
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