Urteil des BVerwG vom 14.07.2010

Echte Rückwirkung, Vorbehalt des Gesetzes, Verordnung, Rechtsgrundlage

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 96.09
OVG 1 Bf 190/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Juli 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberver-
waltungsgerichts vom 26. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 120 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO
gestützte Beschwerde der Klägerin ist nicht begründet.
Die Klägerin hält die Kostendämpfungspauschale des § 17a der Hamburgi-
schen Beihilfeverordnung (HmbBeihVO) für rechtswidrig und begehrt weitere
Beihilfe in Höhe der einbehaltenen Kostendämpfungspauschale. Das Oberver-
waltungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten das dem Begehren der
Klägerin stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben.
Die Klägerin wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO die Frage auf,
ob „die Beihilfevorschriften Hamburgs in der im Streitjahr
geltenden Fassung den Anforderungen des verfassungs-
rechtlichen Gesetzesvorbehalts“ genügen.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine abstrakte, in
dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer
über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im
Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechts-
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fortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss (Beschluss vom
2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310
§ 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f.; stRspr). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt,
wenn eine von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage bereits geklärt ist
oder aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der Regeln sachgerechter Aus-
legung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durch-
führung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann. Die Beschwerde
muss die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen
Rechtsfrage nachvollziehbar darlegen.
Es ist bereits zweifelhaft, ob die Beschwerdebegründung den Darlegungsanfor-
derungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Sie beschränkt sich auf die
Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass es sich bei § 85 HmbBG in der
maßgeblichen Fassung um ausgelaufenes Recht handelt, ohne deutlich zu
machen, ob die aufgeworfene Frage sich auf die Beihilfeverordnung insgesamt
beziehen soll - dafür spricht die gewählte Formulierung der Frage - oder ledig-
lich auf die Regelung zur Kostendämpfungspauschale, wofür die weiteren Aus-
führungen der Beschwerdebegründung sprechen. Unabhängig von diesem Ge-
sichtspunkt liegt eine grundsätzliche Bedeutung nicht vor.
Soweit sich die aufgeworfene Frage lediglich auf die Kostendämpfungspau-
schale bezieht, lässt sie sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens auf
der Grundlage der Senatsrechtsprechung beantworten. Die Kostendämpfungs-
pauschale des § 17a HmbBeihVO genügte im maßgeblichen Zeitpunkt den An-
forderungen des Gesetzesvorbehalts.
Der Vorbehalt des Gesetzes gilt wegen der außergewöhnlichen Bedeutung der
Beihilfevorschriften für die Wahrung eines verfassungsgemäßen Alimentations-
niveaus auch für das Beihilferecht. Die tragenden Strukturprinzipien des Beihil-
fesystems müssen gesetzlich festgelegt werden; der Gesetzgeber muss auch
die Verantwortung für wesentliche Einschränkungen des Beihilfestandards
übernehmen. Ansonsten könnte die Exekutive das durch Besoldungs- und Ver-
sorgungsgesetze festgelegte Alimentationsniveau durch Streichungen oder
Kürzungen von Beihilfeleistungen eigenmächtig absenken (Urteile vom 17. Juni
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2004 - BVerwG 2 C 50.02 - BVerwGE 121, 103 = Buchholz 232 § 79 BBG
Nr. 123 und vom 20. März 2008 - BVerwG 2 C 49.07 - BVerwGE 131, 20
= Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 94). Für die Einführung von pauschalen
Eigenbeteiligungsregelungen ist in der Senatsrechtsprechung geklärt, dass der
Gesetzgeber insbesondere die Verantwortung dafür übernehmen muss, wel-
chen Rahmen die Eigenbeteiligung der Beamten nicht überschreiten darf und
ob sowie ggf. nach welchen Gesichtspunkten die Kostendämpfungspauschale
der Höhe nach gestaffelt werden muss. Im Regelfall wird die Einführung einer
Kostendämpfungspauschale deshalb eines Parlamentsgesetzes bedürfen. Den
Anforderungen des Gesetzesvorbehalts kann es auch genügen, wenn der Ge-
setzgeber dadurch tätig wird, dass er - unter Beachtung der hierfür im Übrigen
maßgeblichen Voraussetzungen - Verordnungsrecht erlässt bzw. ändert (Urteil
vom 20. März 2008 a.a.O.) oder dass er eine Rechtsgrundlage in Ansehung der
sie ausfüllenden verordnungsrechtlichen Regelung schafft (Urteil vom 3. Juni
2009 - BVerwG 2 C 27.08 - Buchholz 237.7 § 88 NWLBG). Allerdings ist der
Verordnungsgeber in dem letztgenannten Fall gehindert, durch nachfolgende
Änderungen des Verordnungsrechts den durch Einbeziehung des seinerzeitigen
Verordnungsrechts bestimmten Rahmen des Gesetzesrechts zu verlassen. Will
er also das bestehende und vom Gesetzgeber in seinen Willen aufgenommene
Verordnungsrecht ändern, so bedarf es hierfür wiederum einer Legitimation
durch den Gesetzgeber (Urteil vom 3. Juni 2009 a.a.O.).
So liegt der Fall hier. Der Hamburgische Landesgesetzgeber hat mit Wirkung
vom 15. Juni 2005 die bis dahin geltende Anlehnung des hamburgischen Beihil-
ferechts an die Beihilfevorschriften des Bundes aufgehoben und zugleich eine
Verordnungsermächtigung zur Einführung einer Kostendämpfungspauschale
geschaffen. Nach dieser Rechtsgrundlage - § 85 Satz 3 des HmbBG - muss
eine Kostendämpfungspauschale, falls sie eingeführt wird, in Form jährlicher
Beträge festgesetzt und durch eine Staffelung nach sozialen Gesichtspunkten
sowie nach Besoldungsgruppen strukturiert werden. Die höchstzulässigen Be-
träge der Kostendämpfungspauschale sowie Fallgruppen und Beträge der Staf-
felungen enthielt die bis Ende 2007 geltende Gesetzesfassung nicht, doch ist
dem Landesgesetzgeber im Zuge der Änderung des HmbBG der vollständige
Entwurf der 7. Verordnung zur Änderung der HmbBeihVO übermittelt worden
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(Bü-Drucks 18/1924 vom 8. März 2005). Aus diesem Entwurf ergaben sich An-
wendungsbereich, Beträge einschließlich Staffelung sowie Fallgruppen einer
Minderung oder eines Wegfalls der Kostendämpfungspauschale aus sozialen
Gründen und für Teilzeitbeschäftigte. Diesen Entwurf hat der Haushaltsaus-
schuss der Hamburgischen Bürgerschaft zustimmend zur Kenntnis genommen
(Bü-Drucks 18/2134 vom 22. April 2005); nach Inkrafttreten des neu gefassten
§ 85 Satz 3 HmbBG am 15. Juni 2005 ist die Verordnung mit dem Wortlaut des
der Bürgerschaft übermittelten Entwurfs mit Wirkung vom 1. August 2005 er-
lassen worden (7. Verordnung zur Änderung der Hamburgischen Beihilfever-
ordnung vom 5. Juli 2005, HmbGVBl S. 280). Damit hat der Landesgesetzgeber
die Verantwortung nicht nur für die Einführung, sondern auch für die Aus-
gestaltung der Kostendämpfungspauschale übernommen. Allerdings war der
Verordnungsgeber in der Folgezeit gehindert, Änderungen an diesem System
ohne neuerliche Legitimation durch den parlamentarischen Gesetzgeber vorzu-
nehmen; dieser hat die Regelungen zur Kostendämpfungspauschale mit Wir-
kung vom 1. Januar 2008 unmittelbar in § 85 HmbBG übernommen.
Damit ist zugleich entschieden, dass die in diesem Zusammenhang gerügte
Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zu den Senatsurteilen vom 17. Juli 2004
(richtig: 17. Juni 2004) - BVerwG 2 C 50.02 - und vom 20. März 2008 - BVerwG
2 C 49.07 - nicht vorliegt.
Soweit sich die Grundsatzbeschwerde über § 17a HmbBeihVO hinaus auf die
Hamburgische Beihilfeverordnung insgesamt bezieht, ist die aufgeworfene Fra-
ge nicht entscheidungserheblich und deshalb nicht grundsätzlich bedeutsam im
Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Auch wenn die Beihilfevorschriften im
streitgegenständlichen Zeitraum insgesamt nicht dem Gesetzesvorbehalt ge-
nügten, war für den Übergangszeitraum bis zum Inkrafttreten des § 85 HmbBG
in der ab dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung jedenfalls von einer weiteren
Anwendung der HmbBeihVO auszugehen, weil andernfalls die Bewilligung von
Leistungen bei Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen nach einem ein-
heitlichen Handlungsprogramm nicht sichergestellt gewesen wäre (vgl. Senats-
urteil vom 17. Juni 2004 a.a.O. zu den Beihilfevorschriften des Bundes).
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Auch die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfene
Frage,
„ob die mit Wirkung zum 1. August 2005 eingeführte Kos-
tendämpfungspauschale im Jahr 2005 in voller Höhe ab-
gezogen werden darf, obwohl im Jahre 2005 die Kosten-
dämpfungspauschale erst ab August in Kraft gesetzt wur-
de, mithin für einen Zeitraum im Jahr 2005 von 5 Monaten,
oder ob nicht eine Quotelung vorzunehmen ist“,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Die mit dieser Frage beanstandete
echte Rückwirkung entfaltet § 17a HmbBeihVO nicht. Nach § 2 der 7. Ver-
ordnung zur Änderung der Hamburgischen Beihilfeverordnung ist die Kosten-
dämpfungspauschale auf Beihilfen zu Aufwendungen, die bis zum Inkrafttreten
der Änderungsverordnung entstanden sind, nicht anzuwenden. Ansprüche auf
Kostenerstattung werden also unabhängig vom Zeitpunkt des jeweiligen Beihil-
feantrags insoweit nicht nachträglich gemindert. Die Kostendämpfungspau-
schale mindert lediglich Ansprüche im Zusammenhang mit Aufwendungen, die
in der Zeit ab dem 1. August 2005 - Inkrafttreten des § 17a HmbBeihVO - ent-
standen sind. Der Umstand, dass die Kostendämpfungspauschale von diesem
Zeitpunkt an in voller Höhe und nicht nur anteilsmäßig auch für das Jahr 2005
erhoben worden ist, stellt ebenfalls keine echte Rückwirkung dar. Die Vorschrift
erstreckt zwar die wirtschaftlichen Auswirkungen der Kostendämpfungspau-
schale auf das gesamte Jahreseinkommen der betroffenen Beamten, greift je-
doch in abgeschlossene Sachverhalte nicht ein. Denn derjenige, der im Jahr
2005 keine Aufwendungen für den Zeitraum August bis Dezember 2005 geltend
gemacht hat, war von der Kostendämpfungspauschale nicht betroffen. Dass der
Verordnungsgeber rechtlich gehindert gewesen sein sollte, eine Belastung des
Jahreseinkommens in der hier relevanten Größenordnung von deutlich unter
0,5% des Bruttojahreseinkommens erst in den letzten fünf Monaten des Jahres
einzuführen, ist im Übrigen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ersichtlich.
Auf die Frage, ob eine echte Rückwirkung - läge sie vor - im Hinblick darauf,
dass die Klägerin sich durch ihr Verhalten auf die geänderte Rechtslage nicht
hätte einstellen können, überhaupt zu beanstanden gewesen wäre (vgl. Urteil
vom 3. Juli 2003 - BVerwG 2 C 36.02 - BVerwGE 118, 277 <286 ff.> =
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Buchholz 237.6 § 87c NdsLBG Nr. 1), kommt es vor diesem Hintergrund nicht
an.
Soweit die Beschwerde schließlich eine Divergenz zu dem Zulassungsbe-
schluss des Senats in der Sache 2 B 15.08 (2 C 70.08) behauptet, ist diese
weder dargelegt noch gegeben. In dem genannten Beschluss hat der Senat die
Revision gegen das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom
17. Dezember 2007 - 1 Bf 191/07 - wegen nachträglicher Divergenz zu der Se-
natsentscheidung vom 20. März 2008 (a.a.O.) zugelassen, weil das Berufungs-
gericht den Rechtssatz aufgestellt hatte, die Einführung einer Kostendämp-
fungspauschale im Beihilferecht sei nicht so wesentlich, dass eine Delegation
an die Exekutive ausgeschlossen sei. Von dieser Rechtsauffassung ist das Be-
rufungsgericht jedoch in der Folge - auch in der angegriffenen Entscheidung
vom 26. Juni 2009 - abgerückt, so dass eine Divergenz nicht mehr besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über
den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
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