Urteil des BVerwG vom 01.09.2014, 2 B 93.13
Ablauf der Frist, Übermittlung, Versicherung, Fristablauf
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 93.13 OVG 8 DO 1055/10
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 1. September 2014 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hartung
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 9. April 2013 wird verworfen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
1Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist
des § 133 Abs. 3 VwGO begründet worden ist. Der Wiedereinsetzungsantrag
hat keinen Erfolg.
2Der 1956 geborene Beklagte ist Polizeibeamter in Diensten des Klägers, seit
1998 im Amt eines Kriminalhauptkommissars (Besoldungsgruppe A 12). Das
Landgericht Erfurt verurteilte den Beklagten im Jahre 2007 wegen Verletzung
des Dienstgeheimnisses, falscher eidesstattlicher Versicherung und Anstiftung
zur Urkundenunterdrückung in Tateinheit mit Anstiftung zum Verwahrungsbruch
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten auf Bewährung; die vom Landgericht getroffenen Feststellungen betrafen Vorkommnisse aus den Jahren
2000 und 2002. Auf die 2009 erhobene Disziplinarklage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Dienst entfernt, das Oberverwaltungsgericht hat
die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
31. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzulässig, weil
sie nicht innerhalb der Zweimonatsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet worden ist.
4Nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung
der Revision innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen
Urteils zu begründen. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist am 4. Juni
2013 zugestellt worden, sodass die Zweimonatsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1
VwGO am 5. August 2013, einem Montag, ablief. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist am 5. September 2013 und damit außerhalb der Frist
des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingegangen.
52. Dem Beklagten ist auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur
Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu gewähren.
6Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist bei unverschuldeter Versäumung einer gesetzlichen Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Wiedereinsetzungsantrag ist binnen eines Monats zu stellen, § 60 Abs. 2 Satz 1
VwGO. Innerhalb der Antragsfrist ist auch die versäumte Rechtshandlung
nachzuholen, § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO. Die Tatsachen zur Begründung des
Antrags sind glaubhaft zu machen, § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO.
7Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist zwar innerhalb der Monatsfrist des § 60
Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt worden. Auch die versäumte Rechtshandlung - die
Vorlage der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde - ist innerhalb der
Monatsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO nachgeholt worden. Aber es fehlt an
der Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes.
8Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 9. April 2013 wurde am 4. Juni
2013 zugestellt (Bl. 664a der GA). Am 6. August 2013, 0.12 Uhr und nochmals
um 0.16 Uhr, sind auf dem Faxgerät des Oberverwaltungsgerichts die Seiten 1
und 37 der Nichtzulassungsbeschwerdebegründungsschrift eingegangen
(Bl. 696 - 699 der GA). Am selben Tag erkundigte sich der Prozessbevollmächtigte des Beklagten beim Oberverwaltungsgericht, ob und wann sein Fax eingegangen sei und sprach von Problemen bei der Versendung des Faxes (Bl. 700
der GA). Nach dem Faxjournal des Oberverwaltungsgerichts (Bl. 710 der GA)
gab es zwischen dem 5. August 2013, 23.50 Uhr, und dem 6. August 2013,
00.09 Uhr, sieben Anwahlversuche des Beklagtenbevollmächtigten, von denen
zwei erfolgreich waren, bei denen jeweils zwei Seiten übermittelt wurden.
9Den am 5. September 2013 eingegangenen Wiedereinsetzungsantrag hat der
Prozessbevollmächtigte des Beklagten damit begründet, dass ein „externes
Hindernis im Telekommunikationsbereich“, eine unvorhergesehene Netzstörung, die rechtzeitige Übermittlung per Fax von der Rechtsanwaltskanzlei an
das Oberverwaltungsgericht verhindert habe. Der 37-seitige Schriftsatz habe
erst am letzten Tag der Frist diktiert und geschrieben werden können. Um
23.40 Uhr habe die Bürovorsteherin den Schriftsatz ausgedruckt und ausgefertigt. Er habe ihn dann unterschrieben und sich zum Faxgerät der Kanzlei begeben, sich dort von der Richtigkeit der Faxnummer des Oberverwaltungsgerichts
überzeugt und nach der Sichtkontrolle, dass alle 37 Blatt vom Faxgerät ordnungsgemäß eingezogen wurden, um 23.42 Uhr den Sendebefehl durch Drücken der Starttaste erteilt. Allerdings sei dann - ebenso wie nach zwei Wiederholungen des Sendeversuchs - ein Übertragungsfehler angezeigt worden. So
habe er um 23.56 Uhr versucht, wenigstens die erste und die letzte Seite des
Schriftsatzes zu versenden, was aber ebenfalls misslungen sei. Einen gesonderten Ausdruck oder Sendebericht zur Dokumentation der Übertragungsstörung habe das Telefaxgerät nicht geliefert. Nach Mitternacht habe er dann keine
weiteren Sendeversuche mehr unternommen. Dass der Schriftsatz auf den
6. August 2013 datiert sei, habe seine Ursache darin, dass die Uhr auf dem
Computer seiner Bürovorsteherin unbemerkt um 28 Minuten vorgegangen sei,
sodass der um 23.20 Uhr fertig gestellte Schriftsatz bereits das Datum des Folgetages trage. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat alle Angaben
anwaltlich versichert und eine eidesstattliche Versicherung seiner Bürovorsteherin angeboten.
10Mit diesem Vortrag ist nicht dargetan, dass die Fristversäumnis unverschuldet
war.
11Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein „Verschulden“ im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO vor, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht
gelassen wird, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten
sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach
den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (stRspr; Beschlüsse vom 6. Juni 1995 - BVerwG 6 C 13.93 - Buchholz 310 § 60 VwGO
Nr. 198 S. 14 und vom 9. September 2005 - BVerwG 2 B 44.05 - Buchholz 310
§ 60 VwGO Nr. 257 Rn. 2).
12Danach gehört es zu den Sorgfaltspflichten jedes Rechtsanwalts in Fristensachen, den Betrieb seiner Anwaltskanzlei so zu organisieren, dass fristwahrende
Schriftsätze rechtzeitig hergestellt werden und vor Fristablauf beim zuständigen
Gericht eingehen. Bei Fristen für die Begründung eines Rechtsmittels muss der
Rechtsanwalt dafür Sorge tragen, dass er sich rechtzeitig auf die Fertigung der
Rechtsmittelbegründung einstellen sowie Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen vor Fristablauf Rechnung tragen kann (Beschluss vom 21. Februar 2008
- BVerwG 2 B 6.08 - juris Rn. 7 ff. m.w.N.).
13Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Nutzer mit
der Wahl des Telefaxes als eines anerkannten und für die Zusendung fristwahrender Schriftsätze an das Gericht eröffneten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten
Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung
getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass unter normalen
Umständen mit ihrem Abschluss bis 24 Uhr zu rechnen ist (BVerfG, Beschluss
vom 1. August 1996 - 1 BvR 121/95 - NJW 1996, 2857 <2858>). Dabei ist zu
berücksichtigen, dass häufig gerade die Abend- und Nachtstunden wegen
günstigerer Tarife oder wegen drohenden Fristablaufs genutzt werden, um
Schriftstücke noch fristwahrend per Telefax zu übermitteln. Dem ist vom Rechtsuchenden gegebenenfalls durch einen zeitlichen „Sicherheitszuschlag“ Rechnung zu tragen (BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2001 - 1 BvR 436/01 - NJW
2001, 3473 <3474>). Bei einer Fristausnutzung bis zuletzt ist somit besondere
Vorsicht geboten. Scheitert etwa die Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes wenige Minuten vor Ablauf der Frist daran, dass das Empfangsgerät des
Gerichts zu dieser Zeit durch eine andere Sendung belegt war, stellt dies ein
gewöhnliches und wegen des drohenden Fristablaufs vorhersehbares Ereignis
dar, auf das sich der Nutzer einstellen muss und das keine Wiedereinsetzung
rechtfertigt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. November 1999 - 2 BvR
565/98 - NJW 2000, 574; BVerwG, Beschluss vom 14. August 2013 - BVerwG
8 B 14.13 - LKV 2013, 468 Rn. 3).
14In der Rechtsprechung ist eine Erfüllung dieser Anforderungen angenommen
worden bei einer Faxübermittlung 9 Minuten vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, wenn die ordnungsgemäße Übermittlung am Folgetag lediglich
1:33 Minuten gedauert hat und die Übermittlung nach den Angaben in der eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der
Beklagten nicht daran gescheitert ist, dass die Telefonleitung besetzt war (BGH,
Beschluss vom 20. Dezember 2007 - III ZB 73/07 - JurBüro 2009, 168), bzw.
bei einer Faxübermittlung 15 Minuten vor Ablauf der Frist bei einem 18-seitigen
Schriftsatz, wenn zuvor ein 22-seitiger Schriftsatz in rund 11 Minuten übersandt
werden konnte und bei Nichtzustandekommen der Verbindung noch die Übermittlung des Schriftsatzes auf anderem Wege möglich gewesen wäre (BGH,
Urteil vom 25. November 2004 - VII ZR 320/03 - NJW 2005, 678 <679>). Auch
ein Empfangsbeginn acht Minuten vor Fristablauf durch das Faxgerät des Gerichts bei einem 13-seitigen Schriftsatz wurde noch als ausreichend angesehen,
wenn der Absender über Erfahrungswerte verfügte, dass frühere Sendungen an
das Gericht in einer Zeitspanne erfolgten, die bei einem 13-seitigen Schriftsatz
unter 8 Minuten gelegen hätte (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2012 - VIII ZB
15/12 - NJW-RR 2012, 1341 <1342>). Anders wurde dies gesehen beim Absenden eines 11-seitigen Schriftsatzes allenfalls zwei Minuten vor Mitternacht,
dessen Übertragung vier Minuten gedauert hat, sodass eine schuldhafte Verspätung angenommen worden ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. November 1999 a.a.O.; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 1. August 2013 - 5 U
368/12 - NJW 2013, 3797 <3797 f.> ).
15Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann dem Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gewährt werden. Trotz der anwaltlichen Versicherung kann nicht von der Glaubhaftmachung des vorgetragenen Sachverhaltes ausgegangen werden. Dagegen spricht, dass weder die
Fehlermeldungen des Faxgerätes des Oberverwaltungsgerichts (Bl. 701 ff. der
GA) noch das u.a. den 5. und 6. August 2013 erfassende Faxjournal des Faxgerätes des Prozessbevollmächtigten des Beklagten (Bl. 711 der GA) den - gescheiterten - Versuch der Übermittlung eines 37-seitigen Faxes aufweisen. Es
ist auch nicht nachvollziehbar, dass das Faxgerät in der Anwaltskanzlei einen
solchen gescheiterten Übermittlungsversuch nicht durch den Ausdruck einer
Fehlermeldung dokumentiert haben soll; auch im vom Prozessbevollmächtigten
des Beklagten vorgelegten Journal vom 6. August 2013 findet sich hierauf kein
Hinweis (Bl. 711 der GA). Die Vermutung des Prozessbevollmächtigten des
Beklagten, Ursache für die gescheiterte Übermittlung sei ein Hindernis in der
Verbindung zwischen den beiden Faxgeräten, also eine technische Störung im
Übertragungsnetz, ist vor diesem Hintergrund nicht plausibel. Sie ist auch nicht
- etwa durch eine Auskunft der Telekom zu dem fraglichen Zeitraum - plausibel
gemacht worden. Eine solche Netzstörung ist auch deshalb unplausibel, weil in
diesem Zeitraum die beiden Seiten 1 und 37 des anwaltlichen Schriftsatzes
ihren Weg vom Senderfaxgerät zum Empfängerfaxgerät gefunden haben, wenn
auch erst kurz nach Mitternacht (vgl. das Journal des Faxgerätes des Oberverwaltungsgerichts, Bl. 710 der GA). Wieso es dann im fraglichen Zeitraum eine
Netzstörung gegeben haben soll und wieso nur diese beiden Seiten, nicht aber
der gesamte Schriftsatz von 37 Seiten übermittelt werden konnte, erschließt
sich nicht. Abgesehen davon war es auch fahrlässig, erst - die Richtigkeit der
Angaben des Prozessbevollmächtigten des Beklagten angenommen - 18 Minuten vor Mitternacht mit der Faxübertragung eines 37-seitigen Schriftsatzes zu
beginnen. Im Falle eines Übermittlungsproblems - wie hier - gibt es bei einer so
relativ kurzen Zeitspanne keine zeitliche Reserve mehr für weitere Übermittlungsversuche.
16Die Kostenentscheidung folgt aus § 73 Satz 1 ThürDG, § 154 Abs. 2 VwGO.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 77 Abs. 4 ThürDG), sodass es keiner
Streitwertfestsetzung bedarf.
Domgörgen Dr. von der Weiden Dr. Hartung
Letze Urteile des Bundesverwaltungsgerichts
BVerwG: wohnsitz in der schweiz, wohnsitz im ausland, ausbildung, liechtenstein, aeuv, ohne erwerbstätigkeit, subjektives recht, besuch, unzumutbarkeit, anwendungsbereich
5 C 19.11 vom 10.01.2013
Wir finden den passenden Anwalt für Sie! Nutzen Sie einfach unseren jusmeum-Vermittlungsservice!
Zum Vermittlungsservice