Urteil des BVerwG vom 24.09.2014
Pflicht des Beamten, Pflicht zur Dienstleistung, Aufschiebende Wirkung, Lehrer
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 92.13 (2 C 24.14)
OVG 3 A 1879/11
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. September 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dollinger
beschlossen:
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Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision in
dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 2013 wird aufgehoben,
soweit das Oberverwaltungsgericht darin die Berufung des
Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gel-
senkirchen und die Bescheide der Bezirksregierung Müns-
ter über den Verlust seiner Dienstbezüge für die Zeit vom
15. Juli 2010 bis zum 9. August 2010 (Schulferien) zu-
rückgewiesen hat.
Insoweit wird die Revision zugelassen.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Klägers gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberver-
waltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
4. Juli 2013 zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens bleibt der Schlussentscheidung in der Hauptsache
vorbehalten.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf die
Wertstufe bis 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die zulässige Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 4. Juli 2013 ist begründet, soweit er sich gegen den Verlust seiner Dienst-
bezüge wegen schuldhaften Fernbleibens vom Dienst für die Zeit vom 15. Juli
2010 bis zum 9. August 2010 (Schulferien) wendet. Insoweit ist die Revision
gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache zuzulassen.
Im Übrigen ist die Beschwerde hinsichtlich des weiter streitgegenständlichen
Zeitraums des Verlustes der Dienstbezüge vom 28. Mai 2010 bis zum 14. Juli
2010 (Unterrichtszeit) unbegründet. Die von der Beschwerde weiter nach § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachten Revisionszulassungsgründe einer
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache liegen nicht vor.
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Der 1951 geborene Kläger steht seit 1975 als beamteter Lehrer im Dienst des
Beklagten. Seit November 2009 versah er krankheitsbedingt keinen Dienst.
Sein behandelnder Facharzt bescheinigte ihm fortwährend Arbeitsunfähigkeit.
Der vom Beklagten mit der Überprüfung der Dienstfähigkeit beauftragte Amts-
arzt befand den von ihm untersuchten Kläger als Lehrer hingegen für uneinge-
schränkt dienstfähig. Daraufhin forderte der Beklagte den Kläger auf, spätes-
tens am 17. Mai 2010 den Dienst an der M-Schule mit der bisherigen Stunden-
zahl wieder aufzunehmen. Gleichwohl trat der Kläger seinen Dienst erst an,
nachdem er dazu am 9. August 2010 seine Bereitschaft erklärt hatte. Zuvor hat-
te das Verwaltungsgericht eine vom Kläger beantragte einstweilige Anordnung
gegen die Aufforderung zur Dienstaufnahme am 5. August 2010 abgelehnt.
Mit weiterem Bescheid stellte der Beklagte den Verlust der Dienstbezüge des
Klägers wegen schuldhaften Fernbleibens vom Dienst fest. Die dagegen gerich-
tete Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Oberverwal-
tungsgericht hat darauf abgestellt, dass der Kläger auf der Grundlage der amts-
ärztlichen Feststellungen für den Zeitraum vom 28. Mai 2010 bis zum 9. August
2010 dienstfähig gewesen sei. Daher sei er dem Dienst auch während der Fe-
rien vom 15. Juli 2010 bis zum 9. August 2010 unerlaubt ferngeblieben. Zwar
habe während dieser Zeit für den Kläger keine in örtlicher Hinsicht konkretisier-
te Dienstleistungspflicht bestanden. Der Kläger habe seinem Dienstherrn mit
Ferienbeginn aber nicht zu erkennen gegeben, wieder Dienst tun zu wollen.
Insbesondere habe er nicht erklärt, eigenverantwortlich zu Hause zu arbeiten
oder Erholungsurlaub zu nehmen. Dazu sei er verpflichtet gewesen, weil sich
die in seiner Person liegenden Umstände weder objektiv noch subjektiv gegen-
über der Zeit seines schuldhaften Fernbleibens vom Dienst vor Ferienbeginn
verändert hätten.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO),
wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des
revisiblen Rechts aufwirft, die bislang bundesgerichtlich nicht geklärt ist und im
Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der
Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr; vgl. Beschlüsse vom
2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310
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§ 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f. und vom 2. Februar 2011 - BVerwG 6 B 37.10 -
NVwZ 2011, 507 Rn. 2). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die
Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder
des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig be-
antwortet werden kann (stRspr; vgl. Beschluss vom 24. Januar 2011 - BVerwG
2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4
237.7 § 15 NWLBG Nr. 9>).
Der Kläger wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage auf, ob und unter
welchen Voraussetzungen ein Lehrer während der Schulferien unerlaubt dem
Dienst fernbleiben kann.
Der gesetzliche Begriff des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst im Sinne von
§ 9 BBesG ebenso wie in § 96 Abs. 1 BBG, § 62 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW er-
fasst Verstöße gegen die formale Dienstleistungspflicht. Diese Pflicht verlangt
von Beamten, sich während der vorgeschriebenen Zeit an dem vorgeschriebe-
nen Ort aufzuhalten, um die dienstlichen Aufgaben zu erfüllen. Solange ein Be-
amter dienstunfähig ist, ist er von der Dienstleistungspflicht befreit, weil er sie
nicht erfüllen kann (stRspr; vgl. Urteile vom 25. September 2003 - BVerwG 2 C
49.02 - Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 26, vom 11. Oktober 2006 - BVerwG 1 D
10.05 - Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 30 Rn. 34 und vom 10. April 1997 -
BVerwG 2 C 29.96 - BVerwGE 104, 230 <232>).
Demzufolge ist geklärt, dass der dienstfähige Beamte dem Dienst unerlaubt
fernbleibt, wenn er die zeitlich und örtlich konkretisierte Pflicht zur Dienstleis-
tung nicht erfüllt, d.h. nicht (rechtzeitig) zum Dienst erscheint oder sich vor der
Zeit entfernt. Dagegen hat das Bundesverwaltungsgericht bislang nicht ent-
schieden, ob unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst im Sinne von § 9 BBesG
auch ohne zeitliche und örtliche Konkretisierung der Dienstleistungspflicht in
Betracht kommt, wie dies bei Lehrern während der Zeiten der Schulferien der
Fall ist.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat zu der Frage der Dienstleistung von Lehrern
während der Unterrichtszeit im Urteil vom 30. August 2012 – BVerwG 2 C
23.10 - BVerwGE 144, 93 Rn. 13 ausgeführt:
Für Lehrer ist zu beachten, dass die zeitliche Festlegung
der Unterrichtsverpflichtung, nicht aber der übrigen
Dienstpflichten der Besonderheit Rechnung trägt, dass
Lehrer nur während ihrer Unterrichtsstunden und weiteren
anlassbezogenen Dienstpflichten (wie Teilnahme an Klas-
senkonferenzen, Gespräche mit Eltern, Pausenaufsicht
u.a.) zur Anwesenheit in der Schule verpflichtet sind. Da-
gegen bleibt es ihnen überlassen, wo und wann sie die
Dienstpflichten der Vor- und Nachbereitung des Unter-
richts einschließlich der Korrektur von Klassenarbeiten er-
füllen (vgl. Urteile vom 23. September 2004 - BVerwG 2 C
61.03 - BVerwGE 122, 65 <66 f.> = Buchholz 240 § 6
BBesG Nr. 23 S. 5 m.w.N. und vom 23. Juni 2005
- BVerwG 2 C 21.04 - BVerwGE 124, 11 <13> = Buchholz
240 § 6 BBesG Nr. 24 S. 13).
Dagegen hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, soweit das Oberverwaltungsgericht ein schuldhaftes
unerlaubtes Fernbleiben des Klägers vom Dienst für die Zeit vom 28. Mai 2010
bis zum 14. Juli 2010 angenommen hat. Für diesen Zeitraum bestand eine zeit-
lich und örtlich konkretisierte Dienstleistungspflicht des Klägers während der
Unterrichtsstunden und weiterer dienstlicher Anlässe, die seine Anwesenheit in
der Schule erforderten. Die entscheidungserhebliche Frage nach der Feststel-
lung der Dienstfähigkeit eines abwesenden Beamten ist in der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts geklärt: Danach kommt der medizinischen Be-
urteilung des Amtsarztes hinsichtlich desselben Krankheitsbildes im Grundsatz
Vorrang vor der Beurteilung des behandelnden Privatarztes zu (vgl. zu den Vo-
raussetzungen des Vorrangs: Urteil vom 11. Oktober 2006 a.a.O. Rn. 36). Das
Oberverwaltungsgericht hat diese Rechtsprechung dem Berufungsurteil zu-
grunde gelegt.
Auch die weitere Frage der Beschwerde, ob der Kläger dem Dienst während
des von ihm angestrengten einstweiligen Anordnungsverfahrens gegen die Auf-
forderung zur Dienstaufnahme zum 17. Mai 2010 habe fernbleiben dürfen, lässt
sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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eindeutig beantworten. Die Aufforderung zur Dienstaufnahme nach Feststellung
der Dienstfähigkeit durch den Amtsarzt ist ein bloßer Hinweis auf die gesetzli-
che Pflicht des Beamten zur Dienstleistung im Sinne einer innerdienstlichen
Weisung (Urteil vom 13. Juli 1999 - BVerwG 1 D 81.97 - Buchholz 232 § 73
BBG Nr. 13 S. 6). Der dagegen vom Kläger beantragten einstweiligen Anord-
nung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kommt deshalb keine aufschiebende
Wirkung zu, sodass er die Weisung bis zur Entscheidung des Verwaltungsge-
richts hätte befolgen müssen (Beschluss vom 27. Januar 1995 - BVerwG 2 VR
5.94 - Buchholz 310 § 80 Nr. 60).
Des Weiteren rechtfertigt auch die Frage nach dem Verhältnis von Urlaubs- und
Eigenarbeitszeit während der Schulferien keine Zulassung der Revision wegen
grundsätzlicher Bedeutung, weil sie im angestrebten Revisionsverfahren nicht
entscheidungserheblich wäre. Entscheidungserheblich ist allein, ob der Kläger
dem Dienst gemäß § 9 Satz 1 BBesG schuldhaft ferngeblieben ist. Für die Ent-
scheidung, ob es daran fehlt oder ein schuldhaftes Fernbleiben zu bejahen ist,
kommt es auf die Verteilung von Urlaub und Eigenarbeit während der (Som-
mer-)Schulferien nicht an.
Soweit sich die Beschwerde für ein erlaubtes Fernbleiben des Klägers vom
Dienst schließlich auf die Verwaltungsvorschrift des § 12 Abs. 1 der Allgemei-
nen Dienstordnung für Lehrer und Lehrerinnen, Schulleiter und Schulleiterinnen
an öffentlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen vom 20. September 1992
(ADO, GABl. NW I S. 235) beruft, handelt es sich nicht um revisibles Recht im
Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO (Beschluss vom 1. April 2009 - BVerwG
2 B 90.08 - juris Rn. 6).
Die Feststellung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47
Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.
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Rechtsbehelfsbelehrung
Soweit die Revision zugelassen worden ist, wird das Beschwerdeverfahren als
Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 2 C 24.14 fortgesetzt. Der
Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu
begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simson-
platz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom
26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung
der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von
§ 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.
Domgörgen
Dr. Heitz
Dollinger