Urteil des BVerwG vom 18.02.2014

Mildernde Umstände, Beamtenverhältnis, Veruntreuung, Unterschlagung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 87.13
OVG 6 LD 1/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Februar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. von der Weiden
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 11. Juni 2013 wird zurückgewie-
sen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten kann keinen Erfolg haben. Die
Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, dass ein Revisionszulassungs-
grund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO vorliegt.
Der Beklagte ist Bundesbeamter im Amt eines Posthauptsekretärs (Besol-
dungsgruppe A 8). Er ist seit 2006 als Innenbetriebsleiter in einer Filiale der
Deutschen Postbank AG beschäftigt. Um die Kosten der Reparatur seines
Kraftfahrzeugs bezahlen zu können, buchte der Beklagte den Betrag von
3 145 € von einer von ihm geführten Kasse auf eine eigens eröffnete Kasse um,
entnahm Bargeld in dieser Höhe und schloss diese Kasse. Als einige Monate
später eine Kassenprüfung bevorstand, legte der Beklagte einen beschrifteten
Umschlag mit einem Geldbetrag von 3 145 € in das Schlüsselwertgelass des
Wertraums der Filiale, nachdem er sich vor Dienstbeginn unter dem Namen
eines Kollegen Zutritt zu diesem Raum verschafft hatte. Das Geld hatte er sich
im Familienkreis geliehen. Auf die Disziplinarklage hat das Oberverwaltungsge-
richt den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. In den Gründen des
Berufungsurteils heißt es im Wesentlichen:
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Die Unterschlagung oder Veruntreuung dienstlich anvertrauten Geldes (Zu-
griffsdelikt) stelle ein gravierendes Dienstvergehen dar, das regelmäßig die Ent-
fernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich ziehe. Davon könne nur abge-
sehen werden, wenn ein anerkannter Milderungsgrund oder sonstige mildernde
Umstände von vergleichbarem Gewicht vorlägen. Dies sei hier nicht der Fall.
Dem Beklagten sei erschwerend anzulasten, dass er die Tat unter Ausnutzung
seiner dienstlichen Stellung verschleiert und einen Kollegen dem Tatverdacht
ausgesetzt habe.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Beklagte geltend, das Oberver-
waltungsgericht sei bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme von den
Wertungen abgewichen, die das Bundesverwaltungsgericht für die Gesamtwür-
digung der be- und entlastenden Umstände bei einem Zugriffsdelikt vorgebe.
Handele es sich wie im vorliegenden Fall um ein einmaliges Fehlverhalten ohne
belastende Begleitumstände und mit einem begrenzten Schaden, müsse die
Fortführung des Beamtenverhältnisses ins Auge gefasst werden.
Der Beklagte hat sein Beschwerdevorbringen keinem Revisionszulassungs-
grund zugeordnet. Aus dem Vorbringen ergibt sich nicht, dass die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder das Oberverwal-
tungsgericht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewi-
chen ist (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nicht gege-
ben, weil die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Rechtsfragen von
allgemeiner Bedeutung in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
geklärt sind (vgl. Beschluss vom 24. Januar 2011 - BVerwG 2 B 2.11 -
NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4).
Danach folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG die Verpflichtung der Verwal-
tungsgerichte, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer pro-
gnostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall be-
und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Dabei ist die Schwere des
Dienstvergehens nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG Richtschnur für die Maßnahme-
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bemessung. Ein Zugriffsdelikt, d.h. die Unterschlagung oder Veruntreuung amt-
lich anvertrauter Gelder, zieht nach seiner Schwere im Regelfall die Entfernung
aus dem Beamtenverhältnis nach sich, wenn die veruntreuten Beträge oder
Werte die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich übersteigen. Diese Regelein-
stufung entbindet die Verwaltungsgerichte jedoch nicht von der Aufklärung und
Würdigung aller Umstände des Einzelfalls. Die Entfernung aus dem Beamten-
verhältnis kommt regelmäßig nicht in Betracht, wenn ein in der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts anerkannter Milderungsgrund vorliegt. Diese
Milderungsgründe erfassen typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen
des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitspro-
gnose geben (stRspr; Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 -
BVerwGE 124, 252 <258 ff.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 20 ff., vom
3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 13 ff. und
vom 23. Februar 2012 - BVerwG 2 C 38.10 - NVwZ-RR 2012, 479 Rn. 11 ff.).
Unter der Geltung der Bemessungsvorgaben des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG
dürfen entlastende Umstände bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme für
ein Zugriffsdelikt nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie für das Vorlie-
gen eines anerkannten Milderungsgrundes ohne Bedeutung sind oder nicht
ausreichen, um dessen Voraussetzungen - im Zusammenhang mit anderen
Umständen - zu erfüllen. Die Verwaltungsgerichte müssen bei der fallbezoge-
nen Aufklärung und Würdigung der bemessungsrelevanten Umstände dafür
offen sein, dass mildernden Umständen auch dann ein beachtliches Gewicht für
die Maßnahmebemessung zukommen kann, wenn sie zur Erfüllung eines an-
erkannten Milderungsgrundes nicht ausreichen. Auch solche Umstände dürfen
nicht von vornherein als nebensächlich oder geringfügig zurückgestellt werden,
ohne dass sie in ihrer Gesamtheit in Bezug zur Schwere des Dienstvergehens
gesetzt werden (stRspr; Urteile vom 23. Februar 2012 a.a.O. Rn. 14 und vom
25. Juli 2013 - BVerwG 2 C 63.11 - NVwZ-RR 2014, 105 Rn. 25 und 32
Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und Buchholz
bestimmt>).
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Daher können mildernde Umstände bei einem Zugriffsdelikt das Absehen von
der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen, wenn sie in ihrer Ge-
samtheit das Gewicht eines anerkannten Milderungsgrundes aufweisen. Diese
Gründe bieten Vergleichsmaßstäbe für die Bewertung, welches Gewicht entlas-
tenden Gesichtspunkten in der Summe zukommen muss, um das Beamten-
verhältnis mit einer pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahme, in aller Regel
mit einer Zurückstufung nach § 9 BDG, fortführen zu können. Das Gewicht der
Entlastungsgründe muss umso größer sein, je schwerer das Zugriffsdelikt auf-
grund der Höhe des Schadens, der Anzahl und Häufigkeit der Zugriffshandlun-
gen, der Begehung von „Begleitdelikten“ und anderer belastender Gesichts-
punkte im Einzelfall wiegt. Im umgekehrten Fall eines weniger schwerwiegen-
den, etwa die Geringfügigkeitsgrenze nur unwesentlich überschreitenden Zu-
griffsdelikts kann ein geringeres Gewicht der Entlastungsgründe ausreichen.
Danach kommt jedenfalls bei einem einmaligen Fehlverhalten ohne belastende
Begleitumstände mit einem begrenzten Schaden ernsthaft in Betracht, von der
Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen (stRspr; Urteile vom 24. Mai
2007 - BVerwG 2 C 25.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4 Rn. 20 f. und vom
23. Februar 2012 a.a.O. Rn. 15).
Das Oberverwaltungsgericht hat diese Rechtsgrundsätze zum Bedeutungsge-
halt des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG dem Berufungsurteil zugrunde gelegt und
auf den festgestellten Sachverhalt angewandt. Ausgehend von seiner Würdi-
gung, dass kein anerkannter Milderungsgrund eingreift, hat es die belastenden
Umstände, insbesondere die Höhe des Schadens und das Nachtatverhalten
des Beklagten, in Bezug zu den entlastenden Umständen gesetzt. Die Würdi-
gung, die entlastenden Umstände reichten in ihrer Gesamtheit nicht aus, um
angesichts der Tatumstände von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis
abzusehen, hält sich innerhalb des Rahmens, den die Bemessungsvorgaben
des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG den Tatsachengerichten für das Ergebnis der
Gesamtabwägung belassen. Zum einen ist die Höhe des entwendeten Geldbe-
trags durchaus beachtlich. Zum anderen hat das Oberverwaltungsgericht zutref-
fend herausgearbeitet, dass der Beklagte nahe liegende Möglichkeiten, sich
das Geld für die Bezahlung der Reparaturkosten auf legale Weise zu beschaf-
fen, nicht wahrgenommen hat.
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Nach alledem liegt auch der Revisionszulassungsgrund der Divergenz im Sinne
von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht ist nicht
von einem abstrakten Rechtssatz abgewichen, den das Bundesverwaltungsge-
richt für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme im Wege der Gesamtabwä-
gung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG aufgestellt hat (vgl. Beschluss vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14). Vielmehr hat das Oberverwaltungsgericht dem Berufungsurteil die
entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssätze des Bundesverwaltungsge-
richts zugrunde gelegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Streitwert für das
Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil die Höhe der Ge-
richtsgebühren betragsgenau festgelegt ist (§ 85 Abs. 12 Satz 1 und 2, § 78
Satz 1 BDG i.V.m. Nr. 10 und 62 des Gebührenverzeichnisses der Anlage zu
diesem Gesetz).
Domgörgen Dr. Heitz Dr. von der Weiden
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