Urteil des BVerwG vom 23.11.2009

Erfüllung, Vorschlag, Beamter, Strafverfahren

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 87.08
OVG 8 DO 113/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. November 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Maidowski
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwal-
tungsgerichts vom 19. Juni 2008 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde
ist unbegründet.
Der Beklagte ist Oberbrandmeister im Dienst der Klägerin und wurde seit 1997
als Disponent in der Leitstelle des Rettungsdienstes eingesetzt. Er wendet sich
gegen das Berufungsurteil, durch das wegen eines Dienstvergehens - grob un-
angemessene und einschüchternde Gesprächsführung gegenüber einem Hilfe
suchenden Bürger - auf eine Kürzung der Dienstbezüge im Umfang von 5 % für
die Dauer von zwölf Monaten erkannt worden ist. Ein gegen ihn geführtes
Strafverfahren war gegen Zahlung einer Geldbuße nach § 153a Abs. 2 StPO
eingestellt worden.
1. Die von dem Beklagten erhobenen Grundsatzrügen greifen nicht durch. Eine
Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wenn
sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revi-
siblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Be-
deutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder
im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden
muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene
Rechtsfrage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt
ist oder aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachge-
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rechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung
ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann.
Die Frage,
ob „die Geldbuße des Beklagten nach § 153a StPO maß-
nahmeverbrauchend“ ist,
lässt sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens aufgrund einer Ausle-
gung der maßgeblichen Vorschriften ohne Weiteres im verneinenden Sinne be-
antworten. § 13 Abs. 1 des Thüringer Disziplinargesetzes (ThürDG) vom
21. Juni 2002 (GVBl 2002, 257) enthält Maßnahmeverbote lediglich für den Fall
der unanfechtbaren Verhängung einer Strafe oder Ordnungsmaßnahme gegen
den Beamten, nicht aber für den Fall einer Einstellung des Strafverfahrens bei
Erfüllung von Auflagen und Weisungen (§ 153a StPO). Diese Entscheidung des
Landesgesetzgebers, an § 14 BDO anzuknüpfen, ohne die Neufassung der
Vorschrift durch § 14 des Bundesdisziplinargesetzes (BDG) vom 9. Juli 2001
(BGBl I S. 1510) aufzugreifen, ist entgegen der Auffassung der Beschwerde
weder verfassungsrechtlich zu beanstanden noch kann sie durch analoge An-
wendung des § 14 Abs. 1 BDG relativiert werden.
Der Ausspruch einer Disziplinarmaßnahme stellt keine Kriminalstrafe im Sinne
des Art. 103 Abs. 3 GG, sondern eine Maßnahme zur Sicherung der Funktions-
fähigkeit der öffentlichen Verwaltung dar (BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 1967
- 2 BvR 391/64 und 263/66 - BVerfGE 21, 378 <384ff.>). Verzichtet der Ge-
setzgeber auf die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme, weil der Beamte
wegen desselben Sachverhalts strafrechtlich verurteilt oder ein gegen ihn ein-
geleitetes Strafverfahren nach § 153a StPO eingestellt worden ist, geschieht
dies, weil die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes im Hinblick auf die
Verurteilung oder die Erfüllung von Auflagen und Weisungen des Strafgerichts
nicht mehr gefährdet ist. Der Gesetzgeber ist bei der Entscheidung, welche
Disziplinarmaßnahmen von einem Maßnahmeverbot erfasst sein sollen, unter
welchen Voraussetzungen das Maßnahmeverbot gelten und ob es nach einer
Einstellung des Strafverfahrens auf der Grundlage von § 153a StPO überhaupt
eingreifen soll, durch Art. 103 Abs. 3 GG nicht eingeschränkt (stRspr, vgl. Urteil
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vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002
Nr. 26 und vom 20. April 1999 - BVerwG 1 D 44.97 -). Er hat allerdings das aus
dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Verbot unverhältnismäßiger Regelungen
und Maßnahmen zu beachten. Dies schließt nicht aus, ein Maßnahmeverbot
auf die Fälle fehlender Erziehungsbedürftigkeit oder fehlenden Ansehensver-
lusts zu beschränken oder auf ein Maßnahmeverbot nach vorheriger Einstel-
lung des Strafverfahrens aufgrund des § 153a StPO ganz zu verzichten.
Dass § 13 ThürDG weniger weitgehende Ahndungsverbote vorsieht als § 14
BDG, kann auch nicht durch eine analoge Anwendung des § 14 BDG umgan-
gen werden. Denn § 13 ThürDG ist vor dem Hintergrund des bereits bestehen-
den § 14 BDG und damit in bewusster Abkehr von diesem geschaffen worden
(vgl. LT-Drs 3/1943 S. 62: Vorschlag des Thüringer Beamtenbundes, das Maß-
nahmeverbot auf die Fälle des § 153a StPO zu erstrecken, sowie ablehnende
Stellungnahme der Landesregierung zu diesem Vorschlag). Diese Entschei-
dung des Gesetzgebers darf nicht mit Hilfe einer Analogie umgangen werden
(Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand März 2009, § 14 BDG
Rn 7f. und 56ff.; vgl. zur alten Rechtslage Urteil vom 24. November 1976
- BVerwG 1 D 27.76 - BVerwGE 53, 211). Die vom Beklagten gezahlte Geldbu-
ße führt daher, wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, nicht dazu,
dass eine Kürzung der Dienstbezüge nicht mehr ausgesprochen werden durfte.
Auch die weitere Frage,
ob „ein Beamter ohne ausreichende Fortbildung für einen
bestimmten Teil seiner Arbeit disziplinarrechtlich belangt
werden , wenn er in genau diesem Teil fehlerhaft
arbeitet“,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie sich in einem Revisions-
verfahren nicht stellen würde. Die Fragestellung zielt auf eine Situation, in der
ein Beamter seinen Dienstpflichten ohne vorherige Schulung - beispielsweise
zur Erfassung und Bewertung von Krankheitssymptomen - nicht gerecht werden
kann. Ob in einem solchen Fall disziplinarische Maßnahmen ergriffen werden
dürfen, wenn die erforderliche Fortbildung nicht in ausreichendem Maße
angeboten worden ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn der gegenüber
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dem Beklagten erhobene Vorwurf betrifft die Verletzung von Verhaltenspflich-
ten, denen jeder Beamte auch ohne Fortbildung gerecht werden kann und
muss. Der Senat verkennt zwar nicht, dass die Kunst der telefonischen Ge-
sprächsführung sowie des Umgangs mit Personen, die aufgrund einer Notlage
in ihrer Artikulationsfähigkeit eingeschränkt sind, durch geeignete Schulungen
verbessert werden kann. Dass ein Telefongespräch mit einem Bürger, der ei-
nen Notarzt zu Hilfe rufen möchte, nicht aggressiv und einschüchternd geführt
werden darf und dass sich Formulierungen wie sie der Beklagte nach den Fest-
stellungen des Berufungsgerichts verwendet hat („Ja, was soll ich denn schi-
cken, Müllwagen?“, „das ist Scheiße“), dabei verbieten, versteht sich jedoch
- zumal für einen Beamten mit mehrjähriger Erfahrung auf dem zugewiesenen
Dienstposten - von selbst und bedarf keiner besonderen Schulung. Ein höfli-
ches und korrektes Verhalten muss, wie das Berufungsgericht zu Recht ausge-
führt hat, unabhängig von Schulungsmaßnahmen von jedem Beamten als
Selbstverständlichkeit im zwischenmenschlichen Umgang erwartet werden.
Auch soweit die Beschwerdebegründung die aufgeworfene Frage dahin konkre-
tisiert hat, es sei zu klären, ob der Dienstherr „auf Schulung verzichten und
dennoch von seinen Beamten ein absolut korrektes Verhalten erwarten“ dürfe,
rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision. Denn auch diese Fragestel-
lung geht von der unzutreffenden Prämisse aus, dass der Verzicht auf ein-
schüchternde, den Anrufenden herabwürdigende Formulierungen nur durch
eine Schulung zu erreichen sei. Im Übrigen hat das Berufungsgericht das
Dienstvergehen des Beklagten nicht darin gesehen, dass sein Verhalten nicht
„absolut korrekt“ gewesen sei, sondern darin, dass er auch die durchschnittli-
chen Anforderungen an Höflichkeit und Korrektheit im Umgang mit Bürgern in
besonders krasser Weise verfehlt hat.
2. Die vom Beklagten behauptete Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) des
Berufungsurteils von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom
12. Februar 1992 - BVerwG 1 D 2.91 - liegt nicht vor.
Eine Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift ist gegeben, wenn das Beru-
fungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen das Urteil tragenden abstrakten
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Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widersprochen hat,
den eines der in den § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 127 Nr. 1 BRRG genannten
Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Ein solcher
Fall ist hier nicht gegeben.
Die aus dem angegriffenen Urteil zitierten Sätze sind keine Rechtssätze im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, sondern tatsächliche Würdigungen des
festgestellten Sachverhalts. Hiervon abgesehen hat das Bundesverwaltungsge-
richt in der vom Beklagten herangezogenen Entscheidung nicht, wie die Be-
schwerde meint, den Rechtssatz aufgestellt, dass die Ahndung eines Dienst-
vergehens stets mehrfache gleichartige Verstöße voraussetze. Die Entschei-
dung betrifft in dem in Bezug genommenen Zusammenhang - Unterlassung
einer Benachrichtigung über die Niederlegung eines Schriftstücks durch den
zuständigen Beamten - vielmehr lediglich die disziplinarische Bewertung eines
„nachlässigen Gesamtverhaltens“ bzw., soweit der Kernbereich der dienstlichen
Tätigkeit betroffen ist, ein Versagen, für das der Beamte unwidersprochen Ar-
beitsüberlastung und Einarbeitung in einen neuen Aufgabenbereich (Übernah-
me eines neuen Zustellbezirks) geltend machen konnte. Im vorliegenden Fall
hat das Berufungsgericht die dem Beklagten zur Last gelegte Pflichtverletzung
hingegen nicht als bloße Nachlässigkeit gewertet, sondern als eine durch derar-
tige Umstände nicht zu entschuldigende, besonders schwerwiegende Verlet-
zung seiner den Kernbereich der dienstlichen Tätigkeit betreffenden Pflicht zur
Höflichkeit und Sachlichkeit. Eine solche Pflichtverletzung kann auch bei ein-
maligem Verstoß disziplinarisch geahndet werden.
3. Die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
Soweit der Beklagte rügt, das Berufungsgericht sei seiner Beweisanregung zur
Vernehmung der Zeugen F., Dr. W. und T. sowie zur Einholung eines Sachver-
ständigengutachtens dazu, dass ein Dispositionsfehler nicht vorgelegen habe,
nicht nachgegangen, fehlt es bereits an einem in der mündlichen Verhandlung
gestellten förmlichen Beweisantrag. Der Grundsatz der Sachverhaltsermittlung
von Amts wegen gemäß § 53 Abs. 1 ThürDG, § 86 Abs. 1 VwGO verpflichtet
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das Tatsachengericht, diejenigen Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen, insbe-
sondere Beweise zu erheben, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dabei
bestimmt sich die Notwendigkeit einer Sachaufklärung nach der materiellrecht-
lichen Auffassung des Gerichts. Ein anwaltlich vertretener Verfahrensbeteiligter
kann darüber hinaus mit der Aufklärungsrüge nur geltend machen, das Gericht
habe Aufklärungsmaßnahmen unterlassen, die er beantragt hat (Urteil vom
22. Februar 1996 - BVerwG 2 C 12.94 - Buchholz 237.6 § 86 NdsLBG Nr. 4
S. 11 ; Beschlüsse vom 14.
Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1 und vom
19. Februar 2007 - BVerwG 2 B 19.07 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO
Nr. 49). Vorliegend war eine Erhebung der genannten Beweise schon deshalb
nicht erforderlich, weil das Berufungsgericht seine Entscheidung nicht auf den
Vorwurf fehlerhafter Disposition, sondern allein auf den Verstoß des Beklagten
gegen die Pflicht zur Höflichkeit und Sachlichkeit gestützt hat. Die Annahme der
Beschwerde, das Berufungsgericht habe sich unausgesprochen trotzdem zu-
sätzlich auf einen Dispositionsfehler gestützt, trifft nicht zu. Die entsprechenden
Ausführungen des Berufungsurteils (S. 17 des Entscheidungsabdrucks) dienen
nicht dazu, einen Dispositionsfehler zu belegen, sondern sollen die Bedeutung
einer sachlichen und höflichen Gesprächsführung für die Vollständigkeit der
Sachverhaltsermittlung durch den Disponenten deutlich machen.
Auch die weitere Verfahrensrüge führt nicht zur Revisionszulassung. Das Beru-
fungsgericht musste den Zeugen T. nicht zu der Frage hören, ob dem Beklag-
ten eine Schulung zur korrekten Gesprächsführung angeboten worden war oder
nicht. Denn der vom Berufungsgericht zur Grundlage seiner Entscheidung
gemachte disziplinarische Vorwurf zielt - zu Recht - darauf, dass der Beklagte
eine Dienstpflicht verletzt hat, deren Erfüllung von jedem Beamten auch ohne
Fortbildungsmaßnahmen verlangt werden muss. Auf die Frage, ob Schulungen
zur Gesprächsführung eine weitere Verbesserung des von jedem Beamten zu
fordernden Verhaltens bewirken könnten, kommt es daher nicht an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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