Urteil des BVerwG vom 21.11.2013

Disziplinarverfahren, Straftat, Beamtenverhältnis, Vergehen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 86.13
OVG 8 DO 472/11
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. November 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:
- 2 -
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwal-
tungsgerichts vom 7. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO, § 66 Abs. 1 ThürDG) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat
keinen Erfolg.
Der im Jahre 1972 geborene Beklagte ist Polizeihauptmeister (Besoldungs-
gruppe A 9) in Diensten des Klägers. Im Februar 2002 wurde gegen den Be-
klagten ein Ermittlungsverfahren wegen Verbreitens pornografischer Schriften
eingeleitet. Im Folgemonat verurteilte ihn das Amtsgericht Chemnitz wegen
Verbreitens kinderpornografischer Schriften durch Strafbefehl zu einer Geldstra-
fe in Höhe von 70 Tagessätzen. Der Beklagte unterrichtete seinen Dienstherrn
weder vom Ermittlungsverfahren noch vom Strafbefehl. Der Kläger erhielt im
Juli 2008 von dem Strafbefehl Kenntnis, leitete im März 2009 ein Disziplinarver-
fahren gegen den Beklagten ein und erhob im September 2009 Disziplinarkla-
ge.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Dienst entfernt. Es hat
u.a. darauf abgestellt, dass dem Beklagten eine außerdienstliche Pflichtverlet-
zung zur Last falle. Er habe Ende Januar/Anfang Februar 2002 von einem Bild-
schirm abfotografierte Bilder kinderpornografischen Inhalts zur Entwicklung in
ein Fotogeschäft gegeben und dadurch gegen seine Pflicht zu achtungs- und
vertrauenswürdigem Verhalten verstoßen. Das Verwertungsverbot des § 51
Abs. 1 BZRG stehe der disziplinarrechtlichen Ahndung dieses Verhaltens nicht
entgegen. § 51 Abs. 1 BZRG hindere lediglich die Berücksichtigung getilgter
oder tilgungsreifer Eintragungen im Rahmen der Bemessung der Disziplinar-
maßnahme wegen anderer Vergehen. Für die Frage dagegen, ab welchem
1
2
3
- 3 -
Zeitpunkt nach Vollendung eines Dienstvergehens, das auch und gerade in ei-
ner Straftat liegen könne, eine Disziplinarmaßnahme nicht mehr verhängt wer-
den dürfe, enthalte das Disziplinarrecht eigenständige Regelungen.
Der Beklagte hält die Frage für rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO,
ob § 51 Abs.1 BZRG die Verwertung eines strafrechtlich
durch Verurteilung bereits abschließend gewürdigten
Sachverhalts im Disziplinarverfahren hindert, wenn die
disziplinaren Ermittlungen erst nach eingetretener Til-
gungsreife beziehungsweise Tilgung eingeleitet wurden.
Mit dieser Frage kann der Beklagte die Revisionszulassung nicht erreichen. Sie
ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu
beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens be-
darf.
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Beschluss vom 1. März 2012 - BVerwG
2 B 120.11 - IÖD 2012, 127 <129> in einem Fall betreffend das Disziplinarge-
setz des Landes Berlin (im nachfolgenden Zitat: DiszG), ausgeführt:
„Für die Frage, ab welchem Zeitraum nach Vollendung ei-
nes Dienstvergehens - das auch und gerade in einer Straf-
tat liegen kann - eine Disziplinarmaßnahme nicht mehr
verhängt werden darf (sog. Disziplinarmaßnahmeverbot),
treffen die Disziplinargesetze eine eigenständige, nach der
Schwere der Disziplinarmaßnahme abgestufte Regelung
(vgl. Die Disziplinargesetze ent-
halten auch Regelungen zu Verwertungsverboten früherer
Disziplinarmaßnahmen nach Ablauf bestimmter Fristen
(vgl. Das Verwertungsverbot nach
- BZRG -, wo-
nach die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im
Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu sei-
nem Nachteil verwertet werden dürfen, wenn die Eintra-
gung über eine Verurteilung im Register getilgt worden ist
oder zu tilgen ist, ist in Disziplinarverfahren daneben ledig-
lich insoweit von Bedeutung, als im Rahmen der Bemes-
sung der Disziplinarmaßnahme, bei der das Persönlich-
keitsbild des Beamten angemessen zu berücksichtigen ist
(vgl, nicht zu Lasten des Beamten auf
vonerfasste Verurteilungen wegen anderer
4
5
6
- 4 -
- nicht den Gegenstand des Disziplinarverfahrens bilden-
der - Vergehen abgestellt werden darf.“
Diese Ausführungen gelten nicht nur für den Fall der während eines Disziplinar-
verfahrens eintretenden Tilgungsreife nach § 51 Abs. 1 BZRG, sondern glei-
chermaßen auch für die bereits vor Einleitung des Disziplinarverfahrens einge-
tretene Tilgungsreife nach § 51 Abs. 1 BZRG.
§ 12 Thüringer Disziplinargesetz (ThürDG) enthält wie § 15 Bundesdisziplinar-
gesetz (BDG) ein abgestuftes System von disziplinarrechtlichen Verhängungs-
verboten wegen Zeitablaufs. Bestimmte Disziplinarmaßnahmen dürfen nach
einer bestimmten Zeitspanne nach Beendigung des Dienstvergehens nicht
mehr verhängt werden. Je schwerer die Disziplinarmaßnahme, desto länger ist
der Zeitraum, in dem diese Disziplinarmaßnahme verhängt werden darf. Für die
Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst sieht § 12 ThürDG (wie § 15
BDG) kein Verhängungsverbot vor. Daneben beschränkt § 13 ThürDG ebenso
wie § 14 BDG den Katalog zulässiger Disziplinarmaßnahmen nach Verurteilun-
gen in Straf- und Bußgeldverfahren; auch hier ist bei der Höchstmaßnahme der
Entfernung aus dem Dienst eine Beschränkung nicht vorgesehen.
Die eigenständige Regelung des Disziplinarrechts trägt dem besonderen Zweck
des Disziplinarrechts Rechnung. Zweck der Disziplinarbefugnis ist nicht, be-
gangenes Unrecht zu vergelten. Vielmehr geht es darum, die Integrität des Be-
rufsbeamtentums und die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung auf-
rechtzuerhalten. Daher ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung
und Wertung die Frage, ob ein Beamter, der in vorwerfbarer Weise gegen
Dienstpflichten verstoßen hat, nach seiner Persönlichkeit noch im Beamtenver-
hältnis tragbar ist und, falls dies zu bejahen ist, durch welche Disziplinarmaß-
nahme auf ihn eingewirkt werden muss, um weitere Pflichtenverstöße zu ver-
hindern (Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 62.11 - NVwZ-RR 2013,
693 ff. Rn. 34 m.w.N.). Demgegenüber ist Zweck des Verwertungsverbots des
§ 51 Abs. 1 BZRG, den verurteilten Straftäter nach einer gewissen Zeit vom
Makel der Bestrafung zu befreien, um seine Resozialisierung zu erleichtern (Ur-
teil vom 3. Dezember 1973 - BVerwG 1 D 62.73 - BVerwGE 46, 205 <206>). Mit
dem Zweck des Disziplinarrechts wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Um-
7
8
9
- 5 -
stand, dass eine Dienstpflichtverletzung zugleich auch eine Straftat darstellt und
deshalb als solche geahndet wird, privilegierende Wirkung in der Weise hätte,
dass sie eine disziplinarrechtliche Ahnung bei Eintritt der Tilgungsreife nach
§ 51 Abs. 1 BZRG ausschließen würde.
Das Verwertungsverbot nacRG, wonach die Tat und die Verur-
teilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu
seinem Nachteil verwertet werden dürfen, wenn die Eintragung über eine Ver-
urteilung im Register getilgt worden ist oder zu tilgen ist, hat deshalb in Diszipli-
narverfahren nur die Bedeutung, dass im Rahmen der Bemessung der Diszipli-
narmaßnahme, bei der das Persönlichkeitsbild des Beamten angemessen zu
berücksichtigen ist (vgl.
, nicht zu Lasten des Beamten auf verfasste Verurteilungen
wegen anderer - nicht den Gegenstand des Disziplinarverfahrens bildender -
Vergehen abgestellt werden darf (vgl. Urteile vom 13. März 1969 - BVerwG 2 D
2.69 - BVerwGE 33, 268 <269>, vom 28. August 1973 - BVerwG 1 WD 10.73 -
NJW 1974, 515, vom 25. November 1974 - BVerwG 2 D 44.74 - BVerwGE 46,
335 <336>, vom 5. Februar 1991 - BVerwG 1 D 29.90 - juris Rn. 13 und vom
25. Juli 2013 - BVerwG 2 C 63.11 - Rn. 22
und Buchholz vorgesehen>; Beschluss vom 1. März 2012 - BVerwG 2 B
120.11 - IÖD 2012, 127 <129>). Es hindert dagegen nicht die disziplinarrechtli-
che Ahndung eines Dienstvergehens, das zugleich eine Straftat darstellt und
auch als solche strafrechtlich geahndet worden ist. Ist der Eintritt der Tilgungs-
reife nach § 51 BZRG ohne Bedeutung für die disziplinarrechtliche Ahndung
des Dienstvergehens, ist es auch ohne Belang, ob die Tilgungsreife vor oder
nach Einleitung des Disziplinarverfahrens eintritt.
Von wem die späte Einleitung des Disziplinarverfahrens zu verantworten ist, ist
insoweit ebenfalls unerheblich und kann nur in den Fällen Bedeutung erlangen,
in denen lediglich auf eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme zu erken-
nen ist. Ergibt die Gesamtwürdigung hingegen, dass wegen eines schwerwie-
genden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten
ist, so lässt sich allein aufgrund einer unangemessenen langen Verfahrensdau-
10
11
- 6 -
er nicht der Verbleib im Beamtenverhältnis rechtfertigen (vgl. Urteil vom 28. Fe-
bruar 2013 - BVerwG 2 C 62.11 - NVwZ-RR 2013, 693 Rn. 59 ff. m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 73 Satz 1
ThürDG. Ein Streitwert für das Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt
werden, weil die Verfahren nach dem Thüringer Disziplinargesetz gerichtsge-
bührenfrei sind (§ 77 Abs. 4 ThürDG).
Domgörgen Dr. von der Weiden Thomsen
12