Urteil des BVerwG vom 20.06.2014

Rechtliches Gehör, Korrespondenz, Besitz, Anstiftung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 82.13
OVG 14 LB 2/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Juni 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. Kenntner
beschlossen:
Die Beschwerden des Klägers und des Beklagten gegen
die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom
22. Februar 2013 werden zurückgewiesen.
Der Kläger und der Beklagte tragen jeweils die Hälfte der
Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die jeweils auf Divergenz und Verfahrensfehler gestützten Beschwerden des
Klägers (2. und 3.) und des Beklagten (4. und 5.) gegen die Nichtzulassung der
Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO, § 69 BDG und § 41 Abs. 1 LDG S-H)
sind unbegründet.
1. Der 1966 geborene Beklagte steht als Polizeiobermeister (Besoldungsgruppe
A 8) im Dienst des Klägers. Im November 2004 wurde er wegen des Besitzes
kinderpornografischer Schriften zu einer Geldstrafe verurteilt. Bei einer Haus-
durchsuchung war im August 2003 festgestellt worden, dass der Beklagte auf
Festplatten seines privaten Computers 465 kinderpornografische Bild- und Vi-
deodateien gespeichert hatte. Vom Vorwurf der versuchten Anstiftung zur Vor-
nahme von sexuellen Handlungen an Kindern ist der Beklagte freigesprochen
worden. Gegenstand der mit dem Ziel der Entfernung aus dem Beamtenver-
hältnis erhobenen Disziplinarklage ist zum einen der Besitz kinderpornographi-
scher Schriften und zum anderen der Vorwurf, der Beklagte habe ohne dienstli-
chen Anlass polizeiliche Auskunftssysteme abgefragt, um das private Umfeld
seiner Lebensgefährtin zu ermitteln. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten
in ein Amt der Besoldungsgruppe A 7 zurückgestuft und den Zeitraum des Be-
förderungsverbotes auf zwei Jahre nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des
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Urteils verkürzt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufungen des Klägers
und des Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Zur Begründung hat es
im Wesentlichen ausgeführt:
Das teilweise innerdienstlich und teilweise außerdienstlich vorsätzlich begange-
ne Dienstvergehen des Beklagten rechtfertige nicht seine Entfernung aus dem
Dienst. Angemessene Disziplinarmaßnahme sei die Zurückstufung in das Amt
eines Polizeimeisters. Der Besitz kinderpornografischer Dateien sei eine
schwerwiegende außerdienstliche Pflichtverletzung und disziplinarwürdig. Der
Orientierungsrahmen für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaß-
nahme sei am Strafrahmen des zum Tatzeitpunkt geltenden Strafrechts ausge-
richtet (§ 184 Abs. 5 StGB a.F.). Auszugehen sei danach grundsätzlich von
einer Kürzung der Dienstbezüge. Hier lägen jedoch mit der innerdienstlichen
Dienstpflichtverletzung der unberechtigten Abfragen aus polizeilichen Datenbe-
ständen gewichtige Erschwerungsgründe vor, die eine über den Orientierungs-
rahmen hinausgehende Disziplinarmaßnahme erforderlich machten. Den zwi-
schen dem Beklagten und seiner damaligen Lebensgefährtin gewechselten
Kurznachrichten komme dagegen kein maßnahmeverschärfendes Gewicht zu.
2. Die Revision ist nicht wegen der vom Kläger geltend gemachten Divergenz
(§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 69 BDG und § 41 Abs. 1 LDG S-H) zuzulassen.
Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich
bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz
benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesver-
waltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvor-
schrift widersprochen hat (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B
261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 = NJW 1997, 3328).
Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechts-
sätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt
hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch
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denen einer Grundsatzrüge (vgl. Beschluss vom 17. Januar 1995 - BVerwG 6 B
39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55).
Hieran gemessen ist die Divergenzrüge des Klägers unbegründet. Denn der
Kläger legt keinen prinzipiellen Auffassungsunterschied zwischen den Grund-
sätzen des Bundesverwaltungsgerichts zur Bindungswirkung im Sinne von § 57
BDG und § 41 Abs. 1 LDG S-H im Senatsbeschluss vom 1. März 2012
- BVerwG 2 B 120.11 - (IÖD 2012, 127 <129>) und den Grundsätzen des Ober-
verwaltungsgerichts dar. Vielmehr wird in der Beschwerdebegründung lediglich
geltend gemacht, das Berufungsgericht habe die vom Bundesverwaltungsge-
richt entwickelten Grundsätze zur Bindung an tatsächliche Feststellungen eines
rechtskräftigen Strafurteils auf den konkreten Fall rechtsfehlerhaft angewendet.
Zudem trifft die Annahme des Klägers nicht zu, das Oberverwaltungsgericht
habe diese Grundsätze fehlerhaft angewendet und sei deshalb hinsichtlich der
Vorstellungen des Beklagten zur Realisierung der mit seiner früheren Lebens-
gefährtin ausgetauschten Kurznachrichten zu Unrecht von einer Bindung an die
Feststellungen im Strafurteil ausgegangen. Denn entgegen dem Vorbringen des
Klägers war das Berufungsgericht auch in Bezug auf diese Vorstellungen an die
Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil gebunden, das den Beklagten vom
Vorwurf der versuchten Anstiftung zur Vornahme von sexuellen Handlungen an
Kindern freigesprochen hat. Das Strafgericht hat in seinem Urteil festgestellt,
dass die per SMS oder Telefon ausgetauschten sexuellen Phantasien nie aus-
gelebt oder praktiziert wurden und ausschließlich dazu dienten, sich gegenseitig
sexuelle Kicks zu verschaffen. Damit sind nicht nur die Vorstellungen der Zeu-
gin im Strafverfahren, der früheren Lebensgefährtin des Beklagten, sondern
auch die des Beklagten erfasst. Der Freispruch des Beklagten vom Vorwurf der
versuchten Anstiftung zur Vornahme von sexuellen Handlungen an Kindern aus
tatsächlichen Gründen beruht gerade darauf, dass das Strafgericht auch auf-
grund der glaubhaften Aussagen des Beklagten davon ausgegangen ist, die-
sem sei es nie um die tatsächliche Umsetzung der Phantasien gegangen. Denn
für die Strafbarkeit wegen versuchter Anstiftung zu einem Verbrechen kommt
es auf die Vorstellung des Anstifters und nicht auf die des Angestifteten an.
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Die übrigen Darlegungen in der Beschwerdebegründung des Klägers zum Zu-
lassungsgrund der Divergenz beschränken sich auf den Vortrag, die vom Ober-
verwaltungsgericht ausgesprochene Disziplinarmaßnahme sei unzureichend
und der Beklagte sei wegen seiner zum Ausdruck gebrachten sexuellen Phan-
tasiewelt als Polizist nicht mehr einsetzbar. Dies reicht für die Zulassung wegen
Divergenz nicht aus.
3. Die Verfahrensrüge des Klägers ist ebenfalls unbegründet.
In Disziplinarverfahren kommt ein Verstoß gegen die Pflicht zur Aufklärung des
Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO, § 58 BDG und § 41 Abs. 1 LDG S-H) in Be-
tracht, wenn das Oberverwaltungsgericht zu Unrecht von der Bindung an tat-
sächliche Feststellungen eines Strafurteils ausgegangen ist und deshalb inso-
weit Schritte zur Aufklärung des Sachverhalts unterlassen hat (Beschluss vom
1. März 2013 - BVerwG 2 B 78.12 - NVwZ-RR 2013, 559 Rn. 8 ff.). Ein solcher
Verfahrensfehler liegt hier aber nicht vor, weil das Oberverwaltungsgericht, wie
vorstehend ausgeführt, zu Recht von der Bindung an die tatsächlichen Feststel-
lungen im Strafurteil hinsichtlich der Vorstellungen des Beklagten zur Realisie-
rung der mit seiner Lebensgefährtin ausgetauschten Kurznachrichten ausge-
gangen ist.
4. Auch die Divergenzrüge des Beklagten ist nach den oben unter 2. dargestell-
ten Grundsätzen unbegründet. Der Beklagte hat in seiner Beschwerdebegrün-
dung nicht dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht von dem im Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - (Buchholz
235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 12 ff.) zur Bemessung der Disziplinarmaßnahme auf-
gestellten Vorgaben durch einen divergierenden Rechtssatz abgewichen ist.
Die Beschwerde legt keinen prinzipiellen Auffassungsunterschied dar, sondern
macht lediglich geltend, das Berufungsurteil des Oberverwaltungsgerichts ge-
nüge nicht den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätzen zur
Bemessung der Disziplinarmaßnahme.
5. Das Berufungsurteil leidet auch nicht an den vom Beklagten geltend gemach-
ten Verfahrensmängeln.
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a) Die Darlegungen im Berufungsurteil zur disziplinarrechtlichen Behandlung
der SMS-Korrespondenz des Beklagten mit seiner früheren Lebensgefährtin
sind nicht verfahrensfehlerhaft.
aa) Die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zum Austausch der Kurz-
nachrichten sind nicht entgegen § 108 Abs. 1 VwGO in sich widersprüchlich.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien,
aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem
Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend
gewesen sind. Dies setzt in erster Linie voraus, dass die das Urteil tragenden
Erwägungen des Gerichts in sich widerspruchsfrei sind. Diesem Gebot wider-
sprechen die Überlegungen des Oberverwaltungsgerichts zur disziplinarrechtli-
chen Relevanz der zwischen dem Beklagten und seiner früheren Lebensgefähr-
tin gewechselten Kurznachrichten nicht.
Das Oberverwaltungsgericht hat einleitend ausgeführt, dass diesen Kurzmittei-
lungen kein maßnahmeverschärfendes Gewicht zukommt. Mit den folgenden
Ausführungen (UA S. 22 f.) begründet das Oberverwaltungsgericht lediglich
diese generelle Aussage. Dabei hat es sich ersichtlich an den Ausführungen im
zurückverweisenden Beschluss des Senats vom 31. Mai 2012 - BVerwG 2 B
141.11 - (Rn. 14) orientiert, in denen dargelegt wird, dass der Besitz kinderpor-
nografischer Schriften ungleich schwerer wiegt als der Versand der Kurznach-
richten. Diesem Zweck dient auch der von der Beschwerdebegründung ange-
griffene Hinweis im Berufungsurteil, der Versand der Kurznachrichten bleibe
hinter dem Unrechtsgehalt zurück, der dem strafrechtlich geahndeten Besitz
kinderpornographischer Dateien innewohne. Auch dies soll lediglich begründen,
weshalb die SMS-Korrespondenz bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme
nicht belastend zu berücksichtigen ist. Dies folgt zudem aus der folgenden Aus-
sage im Berufungsurteil (UA S. 23), wonach die unberechtigten Abfragen aus
den polizeilichen Informationssystemen im Gegensatz zur SMS-Korrespondenz
zum Nachteil des Beklagten zu berücksichtigen sind und zu einer über den
Orientierungsrahmen hinausgehenden Disziplinarmaßnahme führen.
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bb) Da das Oberverwaltungsgericht die Korrespondenz nicht maßnahmever-
schärfend berücksichtigt hat, kann es nicht dadurch das Recht des Beklagten
auf rechtliches Gehör verletzt haben, dass es diesen SMS-Austausch in der
zweiten Berufungsverhandlung nicht eingehend erörtert hat.
cc) Entgegen dem Vorbringen des Beklagten verstößt das Berufungsurteil
durch die Ausführungen zur disziplinarrechtlichen Relevanz der SMS-Kor-
respondenz des Beklagten mit seiner früheren Lebensgefährtin auch nicht
gegen die Bindungswirkung des zurückverweisenden Beschlusses des Senats
vom 31. Mai 2012 - BVerwG 2 B 141.11 -.
Nach § 144 Abs. 6 VwGO, der auch für zurückverweisende Beschlüsse nach
§ 133 Abs. 6 VwGO gilt (Beschluss vom 11. Juli 2000 - BVerwG 8 B 154.00 -
Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 68 S. 1 f.), hat das Gericht, an das die Sache
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, seiner
Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu le-
gen. Diese Bindungswirkung umfasst die für die Aufhebungsentscheidung kau-
sal ausschlaggebenden Gründe. Dies schließt die den unmittelbaren Zurück-
verweisungsgründen vorausgehenden Erwägungen jedenfalls insoweit ein, als
diese die notwendige (logische) Voraussetzung für die unmittelbaren Aufhe-
bungsgründe waren (Urteile vom 30. Mai 1973 - BVerwG 8 C 159.72 – BVerw-
GE 42, 243 <247> = Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 26 S. 23 und vom 28. No-
vember 2012 - BVerwG 8 C 21.11 - BVerwGE 145, 122 = Buchholz 428 § 1
Abs. 8 VermG Nr. 46 jeweils Rn. 22; Beschluss vom 21. August 1997 - BVerwG
8 B 151.97 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 65 S. 8).
Hier ist ein Verstoß gegen die Bindungswirkung deshalb von vornherein ausge-
schlossen, weil sich dem Beschluss des Senats vom 31. Mai 2012 - BVerwG
2 B 141.11 - (Rn. 14) gerade nicht die Aussage entnehmen lässt, das normab-
weichende Verhalten sei in keinem Fall maßnahmeverschärfend zu berücksich-
tigen.
b) Auch die Behandlung des Vorbringens des Beklagten, die unberechtigten
Abfragen von Halter- und Personendaten aus polizeilichen Dateien seien als
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persönlichkeitsfremde Augenblickstat zu bewerten, leidet nicht an den vom Be-
klagten in der Beschwerdebegründung der Sache nach geltend gemachten Ver-
fahrensmängeln.
aa) Der Vortrag in der Beschwerdebegründung, das Oberverwaltungsgericht
habe die Darlegungen zur persönlichkeitsfremden Augenblickstat bei seinen
Erwägungen zur Maßnahmebemessung nicht berücksichtigt und völlig über-
gangen, wertet der Senat zu Gunsten des Beklagten als Geltendmachung einer
Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1
GG). Ein derartiger Verstoß liegt indes nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht
hat dieses Vorbringen als „wenig überzeugende Schutzbehauptung“ bewertet.
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht nicht dazu, der Auffassung eines
Beteiligten zu folgen (BVerfG, Beschluss vom 12. April 1983 - 2 BvR 678, 679,
680, 681, 683/81 - BVerfGE 64, 1 <12>).
bb) Ausdrücklich macht die Beschwerde hinsichtlich der Bewertung des Vor-
bringens des Beklagten zur Datenabfrage als persönlichkeitsfremde Augen-
blickstat einen Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend. Dieser wird
jedoch nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend
dargelegt. Denn es wird nicht aufgezeigt, welche Aufklärungsmaßnahmen sich
dem Oberverwaltungsgericht ausgehend von seiner Rechtsauffassung noch
aufdrängen mussten. Der Sache nach macht die Beschwerde insoweit geltend,
die Maßnahmebemessung des Oberverwaltungsgerichts sei unrichtig.
cc) Auch hinsichtlich der Ausführungen, Folge der unberechtigten Datenabfra-
gen des Beklagten dürfte ein zumindest erheblich erschüttertes Vertrauensver-
hältnis sein, leidet das Urteil des Oberverwaltungsgerichts nicht an den geltend
gemachten unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Denn bei der Frage, inwieweit durch das Dienstvergehen das Vertrauen des
Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt ist, handelt es sich nicht um
eine vom Gericht nach § 86 Abs. 1 VwGO, § 58 BDG und § 41 Abs. 1 LDG S-H
aufzuklärende Tatsache, sondern um eine dem Gericht obliegende rechtliche
Bewertung. Nach § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG und § 41 Abs. 1 LDG S-H bestimmen
die Verwaltungsgerichte die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer
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eigenen Ermessensentscheidung nach Maßgabe des § 13 LDG S-H, wenn und
soweit sie den Nachweis des dem Beamten zur Last gelegten Dienstvergehens
für erbracht halten. Dabei sind die Gerichte an die Wertungen des klagenden
Dienstherrn nicht gebunden (Urteile vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 -
Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 11 und vom 29. März 2012 - BVerwG 2 A
11.10 - Rn. 70). Zu den bei der Bemessung zu berücksichtigenden Umständen
gehört nach § 13 Abs. 1 Satz 4 LDG S-H auch, in welchem Umfang der Beamte
durch sein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemein-
heit beeinträchtigt hat.
dd) Unbegründet ist auch die Verfahrensrüge, in Bezug auf die Bewertung der
unbefugten Datenabfrage als „grob missbräuchlich“, handele es sich um ein
Urteil ohne Gründe im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO.
Der Revisionsgrund des § 138 Nr. 6 VwGO bezieht sich auf den notwendigen
(formellen) Inhalt eines Urteils (§ 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Danach müssen im
Urteil diejenigen Entscheidungsgründe schriftlich niedergelegt werden, welche
für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind (vgl. § 108
Abs. 1 Satz 2 VwGO). Sinn dieser Regelung ist es zum einen, die Beteiligten
über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwä-
gungen zu unterrichten, und zum anderen, dem Rechtsmittelgericht die Nach-
prüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit in prozessrechtlicher
und materiellrechtlicher Hinsicht zu ermöglichen. Nicht mit Gründen versehen
im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO ist eine Entscheidung deshalb nur, wenn sie so
mangelhaft begründet ist, dass die Entscheidungsgründe diese doppelte Funk-
tion nicht mehr erfüllen können. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn dem Te-
nor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch
dann, wenn die Begründung nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die
Entscheidung maßgebend gewesen sind, weil die angeführten Gründe rational
nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst wie völlig unzureichend
sind (vgl. Urteile vom 28. November 2002 - BVerwG 2 C 25.01 - BVerwGE 117,
228 <230 f.> = Buchholz 310 § 138 Nr. 6 VwGO Nr. 41 S. 6 f. und vom 22. Juni
2011 - BVerwG 1 C 11.10 - Buchholz 451.902 Europäischen Ausländer- und
Asylrecht Nr. 53 Rn. 22).
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Gemessen an diesen Grundsätzen liegt hinsichtlich der Beurteilung der Daten-
abfrage ein Fall des § 138 Nr. 6 VwGO nicht vor. Denn das Oberverwaltungsge-
richt hat in seinem Urteil dargelegt, weshalb es diese innerdienstliche Dienst-
pflichtverletzung als so gravierend ansieht, dass eine über den Orientierungs-
rahmen hinausgehende Disziplinarmaßnahme geboten ist.
c) Hinsichtlich der Bewertung seiner persönlichen Äußerung in der Berufungs-
verhandlung, „er fühle sich als Pädophiler in die Ecke gedrängt“, leidet das Be-
rufungsurteil ebenfalls nicht an den vom Beklagten geltend gemachten Verfah-
rensmängeln.
In Bezug auf die angebliche Verletzung der Pflicht zur Aufklärung des Sachver-
halts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO, § 58 Abs. 1 BDG und § 41 Abs. 1
LDG S-H) wird nicht dargelegt, welche Aufklärungsmaßnahmen das Oberver-
waltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung noch hätte durch-
führen müssen. Unter der Bezeichnung eines Verstoßes gegen das Recht des
Beklagten auf rechtliches Gehör wird der Sache nach lediglich geltend ge-
macht, das Oberverwaltungsgericht habe dieser Äußerung eine ihr nicht zu-
kommende Bedeutung beigemessen.
d) Hinsichtlich der Aussage im Berufungsurteil, in den vom Beklagten begange-
nen Straftaten und dienstrechtlichen Verfehlungen „offenbare sich bereits eine
erhebliche kriminelle Energie“, ist der geltend gemachte Revisionsgrund des
§ 138 Nr. 6 VwGO nicht gegeben. Denn dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts ist ohne Weiteres zu entnehmen, weshalb es die Dienstpflichtverletzun-
gen als so gravierend ansieht, dass nach Maßgabe des § 13 LDG S-H auch
angesichts der Dauer des Disziplinarverfahrens eine über den Orientierungs-
rahmen hinausgehende Maßnahme geboten ist.
e) Unbegründet ist auch die Rüge, hinsichtlich der gebotenen Prognose, welche
Maßnahme angemessen ist, um den Beklagten zukünftig zu pflichtgemäßem
Verhalten als Beamter anzuhalten, sei das Berufungsurteil im Sinne von § 138
Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat
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die von ihm zu treffende Prognose in seinem Urteil (ab UA S. 19) dargelegt. Es
hat zunächst die für die Maßnahmebemessung nach § 13 LDG S-H geltenden
Grundsätze dargestellt und diese sodann auf den konkreten Einzelfall ange-
wendet.
f) Entgegen der Beschwerdebegründung hat sich das Oberverwaltungsgericht
in seinem Urteil auch mit der bisherigen Dauer des Disziplinarverfahrens be-
fasst, sodass auch insoweit die Voraussetzungen des § 138 Nr. 6 VwGO nicht
erfüllt sind. Es hat jedoch der im Tatbestand des Berufungsurteils näher erläu-
terten Dauer des Disziplinarverfahrens wegen der besonderen Umstände des
Einzelfalls keine entlastende Wirkung zu Gunsten des Beklagten beigemessen.
Hinsichtlich des gleichfalls geltend gemachten Verstoßes gegen die Pflicht zur
Ermittlung des Sachverhalts wird wiederum nicht dargelegt, welche Ermitt-
lungsmaßnahmen sich dem Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner
Rechtsauffassung noch aufdrängen mussten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 1 BDG und
§ 41 Abs. 1 LDG S-H. Das Verfahren ist nicht gerichtsgebührenfrei, weil die Be-
schwerden nach dem 31. Dezember 2009 eingelegt worden sind (§ 85 Abs. 12
Satz 2 BDG und § 41 Abs. 1 LDG S-H). Einer Festsetzung eines Streitwerts für
das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren
nach der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden (§ 41 Abs. 1 LDG S-H).
Domgörgen
Dr. Hartung
Dr. Kenntner
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