Urteil des BVerwG vom 28.02.2003

Umdeutung, Berufungsschrift, Rechtsmittelbelehrung, Absicht

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BESCHLUSS
BVerwG 2 B 8.03
VGH 4 S 2374/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Februar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S i l b e r k u h l und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Prof. D a w i n und Dr. B a y e r
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Beschluss des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
vom 11. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerde-
verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für
das Beschwerdeverfahren auf 6 400 € festge-
setzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die
mit ihr begehrte Zulassung der Revision wegen Divergenz, § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO, oder wegen eines Verfahrensmangels, § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO, sind nicht gegeben.
Der angefochtene Beschluss leidet an keinem Verfahrensmangel.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die vom Kläger ohne Zulassung
eingelegte Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Er hat
zutreffend angenommen, dass unter den hier gegebenen Umständen
das unzulässige Rechtsmittel nicht als rechtzeitig gestellter
Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124 a VwGO angesehen
werden kann. Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 20. Au-
gust 2002 ergangene erstinstanzliche Urteil wurde den bevoll-
mächtigten Rechtsanwälten des Klägers am 13. September 2002
zugestellt. Aus der dem schriftlichen Urteil beigefügten ord-
nungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung ergab sich eindeutig, dass
als Rechtsbehelf nur der Antrag auf Zulassung der Berufung ge-
geben und die Berufung ohne Zulassung durch das Oberverwal-
tungsgericht nicht statthaft war. Die Prozessbevollmächtigten
des Klägers haben mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2002 aus-
drücklich Berufung eingelegt. Der Schriftsatz trägt die Über-
schrift "Berufungsschrift", der Kläger wird als "Berufungsklä-
ger" bezeichnet und die dem Gericht unterbreitete Prozesser-
klärung lautet dahin, es werde "gegen das am 20.08.2002 ver-
kündete und am 11.09.2002 zugestellte Urteil des Verwaltungs-
gerichts Stuttgart Berufung eingelegt". Anders als in der
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Rechtsmittelschrift in dem Verfahren, das dem von der Be-
schwerde zitierten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom
3. Dezember 1998 - BVerwG 1 B 110.98 - (Buchholz 310 § 124 a
VwGO Nr. 6 = NVwZ 1999, 405) zugrunde lag, fehlt es an jegli-
chem Anhalt für eine etwa bestehende Absicht der Prozessbe-
vollmächtigten des Klägers, entgegen ihrer Rechtsmittelerklä-
rung nicht Berufung einzulegen, sondern die Zulassung der Be-
rufung zu beantragen.
Die unzulässige Berufung eines anwaltlich vertretenen Rechts-
mittelführers kann nicht als (fristwahrender) Antrag auf Zu-
lassung der Berufung angesehen werden. Die Berufung umfasst
nicht zugleich auch den Antrag auf Zulassung dieses Rechtsmit-
tels. Die beiden Rechtsbehelfe betreffen unterschiedliche Ge-
genstände. Der Antrag auf Zulassung der Berufung begehrt aus-
schließlich die Zulassung dieses Rechtsmittels durch das Beru-
fungsgericht. Die Berufung richtet sich gegen die Entscheidung
des Verwaltungsgerichts in der Sache. Beide Rechtsbehelfe sind
nicht austauschbar. Der Erfolg ist von unterschiedlichen Vor-
aussetzungen abhängig. Sie haben unterschiedliche Ziele und
stehen in einem Stufenverhältnis selbständig nebeneinander.
Erst ein erfolgreicher Antrag auf Zulassung der Berufung er-
öffnet die prozessrechtliche Möglichkeit, dieses Rechtsmittel
als nunmehr statthaft einzulegen.
Die von einem Rechtsanwalt gegen die Sachentscheidung des Ver-
waltungsgerichts ohne Zulassung eingelegte Berufung kann nicht
in einen Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels umgedeutet
werden. Der Anwaltszwang (§ 67 VwGO) setzt der Zulässigkeit
einer Umdeutung enge Grenzen (Beschluss vom 12. März 1998
- BVerwG 2 B 20.98 - Buchholz 310 § 124 a VwGO Nr. 2 S. 3).
Eine Rechtsmittelerklärung, die ein Rechtsanwalt als Prozess-
bevollmächtigter abgegeben hat, ist nach der ständigen Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts einer gerichtlichen
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Umdeutung grundsätzlich nicht zugänglich (vgl. etwa Beschlüsse
vom 29. Januar 1962 - BVerwG 2 C 83.60 - Buchholz 310 § 132
VwGO Nr. 27 S. 33, vom 12. September 1988 - BVerwG 6 CB
35.88 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 83 S. 25 f., vom 12. März
1998 - BVerwG 2 B 20.98 - a.a.O. S. 3 und vom 25. März 1998
- BVerwG 4 B 30.98 - Buchholz 310 § 124 a VwGO Nr. 3 S. 4).
Ein von einem Anwalt eingelegter Rechtsbehelf, der eindeutig
bezeichnet ist, kann jedenfalls dann nicht in einen anderen
umgedeutet werden, wenn die Rechtsbehelfe unterschiedlichen
Zwecken dienen (vgl. Beschlüsse vom 2. August 1995 - BVerwG
9 B 303.95 - Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 26 S. 3 m.w.N. und
vom 12. März 1998 - BVerwG 2 B 20.98 - a.a.O. S. 3).
Den - schlüssigen - Antrag, die Berufungsschrift vom 7. Okto-
ber 2002 als Antrag auf Zulassung der Berufung im Sinne des
§ 124 a VwGO zu behandeln und die Berufung zuzulassen, stell-
ten die Prozessbevollmächtigten des Klägers erst nach Ablauf
der Antragsfrist des § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO mit Schrift-
satz vom 7. November 2002. Diesem Antrag konnte nicht stattge-
geben werden, da die gesetzliche bestimmte Antragsfrist nicht
gewahrt worden ist.
Die geltend gemachte Abweichung von dem Beschluss des Bundes-
verwaltungsgerichts vom 3. Dezember 1998 - BVerwG 1 B 110.98 -
(a.a.O.) liegt nicht vor. Das Berufungsgericht ist sich seiner
Pflicht bewusst gewesen, nicht eindeutige Prozesserklärungen
auszulegen, ist dieser Pflicht nachgekommen und hat den
Schriftsatz des Klägers vom 7. Oktober 2002 mangels jeglichen
gegenteiligen Anhaltspunktes als Einlegung der Berufung inter-
pretiert. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Fest-
setzung des Streitwertes ergibt sich aus § 13 Abs. 4 Satz 1
Buchst. b GKG.
Dr. Silberkuhl Prof. Dawin Dr. Bayer