Urteil des BVerwG vom 15.05.2008

Anhörung, Mangel des Verfahrens, Rüge, Materielles Recht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 77.07
OVG 10 A 11603/06
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Mai 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts Rheinland-Pfalz vom 30. April 2007 wird zurückge-
wiesen.
Das Gesuch, den Vizepräsidenten des Oberverwaltungs-
gerichts St., die Richter am Oberverwaltungsgericht H.,
M., Dr. F. und B. sowie die Richterin am Oberverwal-
tungsgericht S. abzulehnen, wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Die ausschließlich auf Verfahrensfehler i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ge-
stützte Beschwerde ist unbegründet.
1. Zu Unrecht sieht der Kläger einen Verfahrensfehler darin begründet, dass
das Berufungsgericht den auf Neubeurteilung durch den Vertreter des bisheri-
gen Beurteilers gerichteten Hauptantrag unter Hinweis auf die insoweit einge-
tretene Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung als unzulässig
verworfen hat. Diese Rüge betrifft keinen Verfahrensfehler. Der Kläger bean-
standet in der Sache vielmehr die Anwendung des materiellen Rechts durch
das Berufungsgericht. Dieses ist mit Blick auf seine Zulassungsentscheidung im
Beschluss vom 19. Dezember 2006 - 10 A 11041/06.OVG - zu der materiell-
rechtlichen Einschätzung gekommen, dass der beim Verwaltungsgericht und
auch beim Berufungsgericht wortgleich gestellte Hauptantrag gemäß § 124a
Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig abgelehnt worden ist. Materiellrechtliche Be-
wertungen können nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge i.S.d. § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO sein. Sinn der Revisionszulassung wegen eines Verfahrensman-
gels ist vielmehr die Kontrolle des äußeren Verfahrensganges, nicht des inne-
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ren Vorganges der richterlichen Rechtsfindung (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom
2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266).
2. Die weitere in diesem Zusammenhang erhobene Rüge, das Berufungsgericht
habe Anlass gehabt, die vermeintlich im Zulassungsverfahren ausge-
klammerten Rechts- und Tatsachenfragen im Rahmen des § 91 VwGO zu erör-
tern, ist ebenfalls unbegründet. Denn von Amts wegen ist eine Klageänderung
ohne Einwilligung der Beteiligten nur zuzulassen, wenn Sachdienlichkeit gege-
ben ist. Ob dies der Fall ist, hängt von der materiellrechtlichen Beurteilung des
Berufungsgerichts ab. Einen Antrag auf Klageänderung hat der anwaltlich ver-
tretene Kläger nicht gestellt.
3. Keine verfahrensrechtliche Rüge i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO enthält der
Vortrag des Klägers, das Berufungsgericht habe für den Eintritt der Teilrechts-
kraft einen unzutreffenden Zeitpunkt angenommen. Wann und in welchem Um-
fang Rechtskraftwirkung i.S.d. § 121 VwGO eintritt, unterliegt einer materiell-
rechtlichen Beurteilung des Gerichts. Unterläuft dem Gericht dabei ein Fehler,
so wäre dies ein Verstoß gegen materielles Recht, der nicht mit der Verfahrens-
rüge beanstandet werden kann.
4. Unbegründet ist ferner die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO
gestützte Rüge, das Berufungsgericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewe-
sen; dieser Verfahrensmangel ergebe sich daraus, dass das Oberverwaltungs-
gericht (in anderer Besetzung) das Gesuch des Klägers, die mit der Berufungs-
sache befassten Richter St., H. und M. abzulehnen, mit Beschluss vom
28. März 2007 unter Verstoß gegen das Willkürverbot zurückgewiesen habe.
Grundsätzlich ist die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuches durch das Beru-
fungsgericht eine der Überprüfung im Revisionsverfahren entzogene unanfecht-
bare Vorentscheidung (§ 173 VwGO i.V.m. § 548 ZPO). Sie stellt daher grund-
sätzlich keinen Verfahrensfehler i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dar (stRspr, vgl.
u.a. Beschluss vom 9. November 2001 - BVerwG 6 B 59.01 - Buchholz 310
§ 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 29 m.w.N.). Die Rüge der unrichtigen Ablehnung
eines Befangenheitsantrages ist aber ausnahmsweise in dem Maße beachtlich,
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als mit ihr die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts (Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG, § 138 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird (Beschluss vom 9. November
2001 a.a.O. m.w.N.). Eine auf diese Weise verursachte fehlerhafte Besetzung
der Richterbank setzt aber voraus, dass die Ablehnungsentscheidung auf Willkür
oder einem vergleichbar schweren Mangel des Verfahrens beruht, der in der Sa-
che die Rüge einer nicht vorschriftsgemäßen Besetzung des Gerichts rechtfertigt
(Beschluss vom 21. März 2000 - BVerwG 7 B 36.00 - juris Rn. 4). Willkürlich ist
ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich ver-
tretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwä-
gungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Die fehlerhafte
Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkür-
lich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm in
krasser Weise missdeutet wird. Von willkürlicher Missdeutung kann nicht ge-
sprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend ausein-
ander gesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt
(stRspr, vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 3. November 1992 - 1 BvR 1243/88 -
BVerfGE 87, 273 <278 f.> m.w.N.) An diesen Maßstäben gemessen ist der Be-
schluss vom 28. März 2007 nicht zu beanstanden.
Das Gesuch des Klägers auf Ablehnung der mit der Berufungssache befassten
Richter wurde mit dem einleitenden Rechtssatz begründet, der Kläger habe
keinen Grund glaubhaft gemacht, Misstrauen gegen die Unvoreingenommen-
heit dieser Richter gemäß § 54 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 und § 44 Abs. 2 ZPO
zu rechtfertigen. Dies ist nicht zu beanstanden. In Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 5. Dezember 1975
- BVerwG 6 C 129.74 -<38 f.>; Beschluss vom 11. Dezember
2007 - BVerwG 4 A 3001.07 - juris Rn. 15) ist das Oberverwaltungsgericht viel-
mehr davon ausgegangen, dass Befangenheit nur dann zu besorgen sei, wenn
der Beteiligte die auf objektiv feststellbaren Tatsachen beruhende, subjektiv
vernünftigerweise mögliche Besorgnis hat, der Richter werde in der Sache nicht
unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden, wobei hierzu
schon der böse Schein genüge. Für die Beurteilung der Befangenheit komme
es wesentlich auf die konkreten Umstände des einzelnen Falles, insbesondere
darauf an, ob angesichts besonderer konkretisierbarer Umstände nach der Ver-
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kehrsauffassung bzw. der Auffassung des gerecht und billig denkenden Bürgers
die Unparteilichkeit noch ausreichend gewahrt erscheine.
Diesen zutreffenden rechtlichen Vorgaben entsprechend hat das Oberverwal-
tungsgericht in dem Beschluss vom 28. März 2007 die Rüge des Klägers, die
Entscheidungen der betroffenen Richter vom 19. Dezember 2006 über seinen
Antrag auf Zulassung der Berufung und vom 17. Januar 2007 über seine Anhö-
rungsrüge ließen derart schwere Rechtsfehler erkennen, die nur von der Vor-
eingenommenheit ihm gegenüber erklärt werden könnten, zu Recht nur darauf
hin geprüft, ob die dafür gegebenen Gründe unter keinem rechtlichen Ge-
sichtspunkt vertretbar, schlechthin untragbar, offensichtlich sachwidrig und ein-
deutig unangemessen sind. Im Einzelnen wurde sodann nachgezeichnet, auf-
grund welcher rechtlichen Kriterien das Berufungsgericht über den Antrag des
Klägers auf Zulassung der Berufung befunden hat:
a) Den Vorwurf, der Beurteiler des Klägers sei befangen gewesen, weil er ihn
während des Beurteilungszeitraums zwar als „Erledigungsweltmeister“ und sei-
ne Entscheidungen als „bahnbrechende Meisterwerke“ bezeichnet habe, ohne
dies allerdings in der Beurteilung auch nur ansatzweise zum Ausdruck zu brin-
gen, hat das Gericht zutreffend mit dem Argument zurückgewiesen, dass nicht
jeder Beurteilungsfehler die objektive Voreingenommenheit des Beurteilers be-
lege und es nicht so sei, dass die in der Beurteilung abgegebenen reinen Wert-
urteile zu den angeführten Äußerungen in einem „eklatanten Widerspruch“
stünden. Die Schlussfolgerung, die in dem Beschluss vom 28. März 2007 dar-
aus gezogen wurde, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Berufung
über den Hauptantrag verstoße nicht gegen die zuvor selbst gesetzten Rechts-
maßstäbe und sei daher nicht willkürlich, ist nach den oben genannten Ent-
scheidungskriterien zu der Frage, ob gegen das Willkürverbot verstoßen wurde,
nicht zu beanstanden.
b) Dies gilt auch für die Beurteilung des für die Feststellung einer tatsächlichen
Befangenheit maßgeblichen Zeitraums. Es ist nicht schlechthin untragbar, of-
fensichtlich sachwidrig und eindeutig unangemessen, diese Frage mit der
Dauer des Beurteilungsverfahrens zu verknüpfen und späteres Verhalten nur
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insoweit in den Blick zu nehmen, als daraus Rückschlüsse auf den maßgebli-
chen Zeitraum gezogen werden können, zumal dies der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts entspricht (vgl. Urteil vom 23. April 1998 - BVerwG
2 C 16.97 - BVerwGE 106, 318).
c) Die Willkürgrenze nicht überschritten hat der Beschlusssenat auch mit der
Feststellung, es bestehe kein eklatanter Widerspruch zwischen der angefoch-
tenen und der vorausgegangenen dienstlichen Beurteilung des Klägers. Denn
es wurde kein Leistungsabfall festgestellt. Ob die vom Kläger behaupteten Be-
lobigungen während des Beurteilungszeitraums in der angefochtenen Beurtei-
lung hinreichend berücksichtigt und gewürdigt wurden, kann dahin stehen. Auch
wenn die Beurteilung in dieser Hinsicht fehlerhaft wäre, wäre die Willkürgrenze
bei weitem nicht erreicht. Von offensichtlicher Sachwidrigkeit oder einem
schlechthin untragbaren Ergebnis könnte auch bei einer solchen Annahme
keine Rede sein.
d) Nach den an der Beachtung des Willkürverbotes orientierten Maßstäben ist
ferner nicht zu beanstanden, dass der Befangenheitsantrag des Klägers auch
hinsichtlich seiner Rüge abgewiesen wurde, die Entscheidung über die Zulas-
sung der Berufung verstoße gegen § 54 Abs. 1 VwGO und § 47 Abs. 1 ZPO.
Nach der zuletzt genannten Vorschrift darf ein Richter, dessen Ablehnung we-
gen der Besorgnis der Befangenheit beantragt ist, vor der Erledigung des Ab-
lehnungsgesuchs nur unaufschiebbare Handlungen vornehmen. Darüber hi-
nausgehende Handlungen sind ihm untersagt. Das Berufungsgericht hat nicht
gegen dieses Verbot verstoßen. Der Befangenheitsantrag des Klägers ist beim
Oberverwaltungsgericht am 4. Januar 2007 eingegangen. Die Entscheidung
über den Antrag auf Zulassung der Berufung stammt vom 19. Dezember 2006.
Zu diesem Zeitpunkt war den betroffenen Richtern der Ablehnungsantrag somit
noch nicht bekannt.
e) Kein Verstoß gegen das Willkürverbot ist ferner darin zu sehen, dass das
Oberverwaltungsgericht die rechtliche Behandlung des im Antrag auf Zulassung
der Berufung geltend gemachten Verfahrensmangels der prozessrechtswidri-
gen Ablehnung des Beweisantrages mit dem Ziel der Vernehmung des Vize-
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präsidenten M. bzw. der damit verbundenen Aufklärungsrüge nicht als willkür-
lich eingestuft hat, sondern lediglich als angreifbar. Dieser Einschätzung ist
nichts hinzuzufügen; denn die Zuordnung der klägerischen Prozesshandlungen
durch das Berufungsgericht mag nicht sachdienlich oder sogar in Verkennung
der Rechtslage erfolgt sein, willkürlich in dem aufgezeigten Sinne ist sie jeden-
falls nicht.
f) Das Gleiche gilt für die Bewertung des Vergleichs der Arbeitsquote des Klä-
gers mit anderen Richtern in dem Zulassungsbeschluss. Es mag sein, dass
dieser Quotenvergleich vordergründig und in der Sache unzutreffend ist; er ist
aber jedenfalls nicht in dem Maße fehlerhaft, dass angenommen werden könn-
te, das Oberverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung über das Befan-
genheitsgesuch mit der beanstandeten Begründung willkürlich gehandelt.
5. Unbegründet ist auch die Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe dem in
§ 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO geregelten Anhörungsgebot
nur unzureichend Rechnung getragen. Soweit das Oberverwaltungsgericht die
Berufung des Klägers durch Beschluss wegen Unzulässigkeit verworfen hat,
sieht die Beschwerde den Anhörungsfehler darin, dass keine erneute Anhörung
erfolgt ist, obwohl der Kläger nach der ersten Anhörung ein Ablehnungsgesuch
gestellt habe.
Grundsätzlich hat die Rüge einer Verletzung der Anhörungspflicht Erfolg, wenn
eine Anhörung zu dem beabsichtigten vereinfachten Berufungsverfahren gänz-
lich unterblieben ist. Denn eine Entscheidung im Verfahren nac
setzt gemäß Satz 2 der Vorschrift eine Anhörung nach § 125 Abs. 2 Satz 3
VwGO voraus. Hat das Berufungsgericht hingegen - wie im vorliegenden Ver-
fahren am 27. April 2007 - eine (erste) Anhörung durchgeführt, so bedarf es
einer zweiten Anhörung nur, wenn sich nach der ersten Anhörung die Prozess-
situation möglicherweise entscheidungserheblich verändert hat. Dies kann z.B.
der Fall sein, wenn ein Beteiligter nach der ersten Anhörung einen Beweisan-
trag stellt (Beschluss vom 22. Juni 2007 - BVerwG 10 B 56.07 - juris Rn. 8,
m.w.N.). In einem solchen Fall wird das Gericht seiner Anhörungspflicht in der
Regel nur dadurch gerecht, dass es den Beteiligten durch eine erneute Anhö-
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rungsmitteilung i.S.d.i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die
unverändert beabsichtigte Entscheidung durch Beschluss und damit darauf hin-
weist, dass es dem Beweisantrag nicht nachgehen werde (Beschlüsse vom
10. April 1992 - BVerwG- Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 5, vom
3. Februar 1993 - BVerwG- Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 10,
jeweils m.w.N. und vom 22. Juni 2007 a.a.O.). Sinn und Zweck des
ist es, einerseits das Gericht zu veranlassen, sich vor Erlass der Sach-
entscheidung über die Entscheidungserheblichkeit des Beweisantrags schlüssig
zu werden, und andererseits die Beteiligten auf die durch die Ablehnung des
Beweisantrags entstandene prozessuale Lage hinzuweisen. Gleiches wird
durch die erneute Anhörung erreicht; dadurch wird insbesondere dem Beweis-
führer die Einschätzung ermöglicht, wie das Gericht seinen nach der ersten
Anhörung gestellten Beweisantrag bewertet (Urteile vom 28. Juni 1983
- BVerwG- Buchholz 312 EntlG Nr. 32 und vom 16. März 1994
- BVerwG- Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr. 10). Mit dieser Recht-
sprechung vergleichbar ist ein nach der ersten Anhörung gestelltes Ableh-
nungsgesuch. Auch diese Prozesshandlung kann eine entscheidungserhebliche
Veränderung der Prozesssituation herbeiführen. Die Beteiligten haben An-
spruch darauf, zu erfahren, ob das Gericht trotz des Ablehnungsgesuches an
seinem Vorhaben festhält, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
Von der erneuten Anhörung kann das Berufungsgericht jedoch verfahrensfeh-
lerfrei absehen, wenn das Vorbringen nicht den Anforderungen genügt, die er-
füllt sein müssen, um dem Gericht überhaupt Veranlassung zu geben, sich da-
mit zu befassen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bezieht sich nur auf ent-
scheidungserhebliches Vorbringen; er verpflichtet das Gericht nicht, seine
Sachentscheidung zurückzustellen um Ausführungen zu erörtern, auf die es
aus seiner Sicht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt. Deshalb
erübrigt sich eine erneute Anhörung beispielsweise, wenn das Vorbringen un-
substantiiert ist, neben der Sache liegt oder früheren Vortrag lediglich wieder-
holt. Maßgeblich für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist hierbei
die sachlich-rechtliche Auffassung des Berufungsgerichts. Hält das Berufungs-
gericht an einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung fest, muss sich
allerdings aus den Entscheidungsgründen seines Beschlusses ergeben, dass
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es die Ausführungen des Beteiligten zur Kenntnis genommen und seinen Vor-
trag vorher auf seine Rechtserheblichkeit geprüft hat.
Diesen Erfordernissen genügt der angefochtene Beschluss. Eine erneute An-
hörungsmitteilung war entbehrlich. Die im Gesuch vom 27. April 2007 abge-
lehnten Richter Dr. F., B. und die Richterin S. sind keine Mitglieder des zur Ent-
scheidung über die Berufung berufenen Spruchkörpers. Sie waren lediglich an
dem Beschluss über das Befangenheitsgesuch gegen die Mitglieder des Beru-
fungsgerichts beteiligt. Auf die Entscheidung über die Berufungsanträge hat die
Frage ihrer Befangenheit keinerlei rechtlichen Einfluss. Zudem hat sich das Be-
rufungsgericht mit dem Befangenheitsgesuch in den Entscheidungsgründen
hinreichend auseinander gesetzt.
6. Unbegründet ist auch die Rüge, das Berufungsgericht habe im Verfahren
nicht erörterte Gesichtspunkte zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, so
dass die Berufungsentscheidung auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs
i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO
beruhe.
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verbietet, dass ein Beteiligter durch eine
gerichtliche Entscheidung im Rechtssinne „überrascht“ wird. Eine Überra-
schungsentscheidung im Rechtssinne liegt vor, wenn das Gericht seiner Ent-
scheidung tragend eine Rechtsauffassung zugrunde legt, die weder im Verwal-
tungs- noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde und die etwa
in ihrer Spezialität zunächst als fern liegend anzusehen ist und damit dem
Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Ver-
lauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (Urteil vom 19. Juli 1985
- BVer- Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 170, Beschlüsse vom
23. Dezember 1991 - BVerwG- Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241
und vom 9. Dezember 1999 - BVerwG- Buchholz 310 § 108 Abs. 2
VwGO Nr. 16). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
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a) Keine Überraschungsentscheidung stellt die Rechtsauffassung des Beru-
fungsgerichts über den Umfang der Rechtskraftwirkung dar. Sie war vorherseh-
bar; denn sie entspricht ohne Weiteres dem Gesetz. Mit der Ablehnung der Zu-
lassung der Berufung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über
den Hauptantrag trat in diesem Umfang im Wege der Teilrechtskraft nach
§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO eine Bindungswirkung i.S.d. § 121 VwGO ein. Zu-
treffend weist das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auch auf die
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hin, nach der auf ein späteres
Verhalten des Beurteilers nur abgestellt werden dürfe, soweit daraus Rück-
schlüsse auf den maßgeblichen Zeitraum gezogen werden könnten (Urteil vom
23. April 1998 a.a.O.).
b) Keine Überraschungsentscheidung ist ferner darin zu sehen, dass es das
Berufungsgericht, wohl mit Blick auf die § 121 Halbs. 2 VwGO enthaltene Be-
schränkung der Rechtskraftwirkung auf den entschiedenen Streitgegenstand,
ausdrücklich verneint hat, dass keine einzelne Rechtsfrage aus der Berufungs-
zulassung ausgeklammert worden sei und dies näher begründet hat. Denn be-
reits im Beschluss über den Zulassungsantrag vom 19. Dezember 2006 wurde
dieser Gesichtspunkt erörtert (vgl. den Beschlussabdruck S. 4).
c) Die Voraussetzungen für die Annahme eines Überraschungsurteils sind auch
nicht darin begründet, dass das Berufungsgericht angeblich die Einwände des
Klägers, die vermeintlich für die Befangenheit des Beurteilers sprechen, nicht
zur Kenntnis genommen haben soll. Die vom Kläger zum Nachweis des Ge-
hörsverstoßes erwähnte Formulierung auf Seite 16 des angefochtenen Be-
schlusses „obwohl er insofern in tatsächlicher Hinsicht nichts vorträgt, für das
es hierauf ankäme“ ist nicht so zu verstehen, dass das Gericht diesen Vortrag
ausgeblendet, mithin nicht beachtet hat. Diese Passage ist, was sich ohne Wei-
teres aus dem sprachlichen Kontext ergibt, so zu verstehen, dass der Kläger
bei zutreffender Betrachtungsweise keine die subjektive Annahme seiner Be-
sorgnis der Befangenheit des Beurteilers rechtfertigenden Tatsachen dargelegt
hat.
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d) Keine Überraschungsentscheidung stellt die Wiedergabe des Vortrags des
Klägers, auf die die Beschwerde auf Seite 51 durch wörtliche Wiedergabe Be-
zug nimmt, dar. Die Aufnahme dieser Argumente des Klägers in den Tatbe-
stand der Entscheidung stellt keine rechtliche Bewertung dar, sondern ist im
Gegenteil Ausdruck rechtlichen Gehörs.
e) Schließlich enthält der Berufungsbeschluss auch mit der Erwägung, dem
Dienstherrn dürfe nicht vorgeschrieben werden, durch wen die neue Beurteilung
zu erstellen sei, keinen Verstoß gegen das rechtliche Gehör. Denn dieses
Argument gibt - für sich genommen - dem Rechtsstreit keine Wende, mit der die
Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen
brauchten.
7. Nach der vorstehenden Erörterung erübrigt es sich, auf die weitere Verfah-
rensrüge des Klägers, die angefochtene Entscheidung beruhe auf einem Ver-
stoß gegen die Denkgesetze und gegen das Willkürverbot, einzugehen.
II
Das Ablehnungsgesuch ist unzulässig. Das Bundesverwaltungsgericht ist nicht
zuständig. Die abgelehnten Richter gehören dem Bundesverwaltungsgericht
nicht an (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 ZPO). Ein Fall
des § 45 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO ist nicht gegeben. Soweit in diesem Zu-
sammenhang zugleich die Rüge erhoben wird, mit der Behandlung des Ableh-
nungsgesuchs im Nichtabhilfebeschluss vom 20. Juli 2007 als offensichtlich
rechtsmissbräuchlich habe das Berufungsgericht den Kläger verfahrensfehler-
haft i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO seinem gesetzlichen Richter i.S.v. Art. 101
Abs. 1 Satz 2 GG entzogen, ist nicht ersichtlich, dass seine Entscheidung will-
kürlich war oder auf einem vergleichbar schweren Mangel beruht, der in der
Sache die Rüge der nicht vorschriftsgemäßen Besetzung rechtfertigt. Insoweit
kann auf die Ausführungen oben unter 2. verwiesen werden, die sinngemäß
auch hier gelten. Das Berufungsgericht hat die zutreffenden Voraussetzungen
für ein offensichtlich rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch benannt und
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ein solches unter mehreren nebeneinander stehenden Gründen als gegeben
angesehen. Die dabei im Einzelnen erfolgten rechtlichen Wertungen mögen
zwar nicht der Rechtsauffassung des Klägers entsprechen, willkürlich sind die
deshalb aber keineswegs.
III
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts auf § 52 Abs. 2 GKG.
Albers Prof. Dr. Kugele Thomsen
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