Urteil des BVerwG vom 23.09.2015

Gesamtprüfung, Training, Fachhochschule, Verordnung

BVerwGE: nein
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Recht des öffentlichen Dienstes einschließlich des
Beamtendisziplinarrechts und des Dienstrechts der Soldaten
sowie des Rechts der Wehrpflichtigen und der
Zivildienstpflichtigen
Rechtsquelle/n:
GG Art. 12 Abs. 1
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1
VAPPol II Bachelor NRW (a.F.) § 12 Abs. 1 und 2
Titelzeile:
Nur einmalige Wiederholungsprüfung für das Bestehen eines
Ausdauerlaufs bei Polizeikommissaranwärtern
Stichworte:
Polizeivollzugsbeamter; Kommissaranwärter; Ausbildungs- und
Prüfungsordnung; Bachelor; Prüfling; Studienleistung; Teilleistung; Teilprüfung;
Gesamtprüfung; Bestehensregelung; Nichtbestehen; einmalige
Wiederholungsprüfung; mehrmalige Wiederholung; Ausdauerlauf; 3000-Meter-
Lauf; Berufsfreiheit; Verhältnismäßigkeit; Grundsatzrevision; grundsätzliche
Bedeutung; ausgelaufenes Recht; auslaufendes Recht; Altfälle.
Leitsätze:
1. Ausgelaufenes oder auslaufendes Recht rechtfertigt regelmäßig nicht die
Zulassung einer Grundsatzrevision; dass die fragliche Regelung noch für wenige
Altfälle Anwendung findet, steht dem nicht entgegen (stRspr).
2. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass in einer
Ausbildungs- und Prüfungs-Verordnung für Polizeivollzugsbeamte
(Kommissaranwärter) im Rahmen von insgesamt 29 Prüfungsleistungen für die
Teilprüfung "Berufspraktisches Training - Bereich Ausdauer" für einen 3000-
Meter-Lauf nur eine einmalige Wiederholungsprüfung vorgesehen ist und dass
das wiederholte Nichtbestehen dieser Teilprüfung das Nichtbestehen der
Gesamtprüfung zur Folge hat.
Beschluss des 2. Senats vom 23. September 2015 - BVerwG 2 B 73.14
I. VG Arnsberg vom 27. März 2013
Az: VG 9 K 2273/12
II. OVG Münster vom 11. Juli 2014
Az: OVG 6 A 1117/13
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 73.14
OVG 6 A 1117/13
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. September 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden
und Dollinger
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts Nordrhein-Westfalen vom 11. Juli 2014 wird zurück-
gewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat keinen
Erfolg.
1. Der 1987 geborene Kläger nahm im September 2008 seine Ausbildung als
Kommissaranwärter im Beamtenverhältnis auf Widerruf für den gehobenen Po-
lizeivollzugsdienst auf. Den dafür notwendigen Bachelorstudiengang absolvierte
er an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (Stu-
diengang "Polizeivollzugsdienst"). Die damals gültige Studienordnung sah u.a.
ein gegliedertes "Berufspraktisches Training" vor, das im Teilmodul 7 die kör-
perliche Leistungsfähigkeit umfasste. Im Bereich Ausdauer konnten die Kom-
missaranwärter wählen, entweder einen 2000-, 3000- oder 5000-Meter-Lauf zu
absolvieren. Der Kläger entschied sich für den 3000-Meter-Lauf, den er beim
ersten Prüfungsversuch 2010 nicht bestand.
Von der vorgesehenen einmaligen Wiederholungsprüfung trat der Kläger in der
Folge fünfmal unter Vorlage ärztlicher und polizeiärztlicher Atteste jeweils mit
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triftigem Grund zurück. Den von ihm sodann im Februar 2012 wahrgenomme-
nen Wiederholungstermin bestand er erneut nicht, worauf ihm die Fachhoch-
schule beschied, dass er das Modul "Berufspraktisches Training" insgesamt
nicht bestanden habe. Der dagegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb
erfolglos.
Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide der Fachhochschule aufgehoben
und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger die Möglichkeit zu geben, den
3000-Meter-Lauf im Teilmodul 7 des Berufspraktischen Trainings zu wiederho-
len. Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil geändert und
die Klage mit der Begründung abgewiesen, es bestünden keine durchgreifen-
den verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass nach der einschlägigen
staatlichen Studienordnung die Leistungsüberprüfung einer Leistung aus der
Gruppe 5 des Deutschen Sportabzeichens (3000-Meter-Lauf) bei Misserfolg nur
einmal wiederholt werden könne.
2. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeu-
tung der Sache zuzulassen.
Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine - von der Be-
schwerde zu bezeichnende - konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebli-
che Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht ge-
klärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der
Rechtsfortbildung der Klärung im Revisionsverfahren bedarf (stRspr, vgl. nur
BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>
und vom 2. Februar 2011 - 6 B 37.10 - NVwZ 2011, 507 Rn. 2). Dies ist in der
Begründung der Beschwerde darzulegen (§ 133 Abs. 3 VwGO).
Die von der Beschwerde der Sache nach als grundsätzlich aufgeworfenen Fra-
gen,
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- ob es verhältnismäßig ist, wenn bei einer Vielzahl von
Teilprüfungen jeweils nur eine Wiederholungsmöglich-
keit vorgesehen ist, sodass bei zweimaligem Nichtbe-
stehen einer solchen Teilprüfung die Gesamtprüfung
nicht bestanden ist,
und
- ob es verhältnismäßig ist, wenn das zweimalige Nicht-
bestehen einer solchen Teilprüfung im letzten Drittel
des Studiums dessen erfolglose Beendigung zur Folge
hat,
betreffen ausgelaufenes Recht und rechtfertigen daher schon aus diesem
Grund nicht die Zulassung der Grundsatzrevision (a). Davon abgesehen sind
die Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, so-
dass hierfür kein Revisionsverfahren durchgeführt werden muss (b).
a) Gegenstand der Verpflichtungsklage ist ein Bescheid der Fachhochschule für
öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, der auf der Grundlage von § 12
Abs. 1 und 2 der Verordnung über die Ausbildung und die II. Fachprüfung für
den Laufbahnabschnitt II (Bachelor) der Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizei-
vollzugsbeamten des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. August 2008 (GV.
NRW. S. 554) i.d.F. der Änderungsverordnung vom 19. November 2010 (GV.
NRW. S. 623) - VAPPol II Bachelor a.F. - ergangen ist. Danach konnte eine
nicht bestandene Prüfung oder Studienleistung nur einmal wiederholt werden.
Bei dieser Vorschrift handelt es sich indes um ausgelaufenes Recht, für das
regelmäßig kein Bedarf an revisionsgerichtlicher Klärung anzuerkennen ist.
Entsprechend dem Zweck der Grundsatzrevision, eine für die Zukunft richtungs-
weisende Klärung herbeizuführen, rechtfertigen nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts Rechtsfragen zu ausgelaufenem oder auslau-
fendem Recht sowie zu Übergangsrecht regelmäßig - und so auch hier - nicht
die Zulassung einer Grundsatzrevision (BVerwG, Beschlüsse vom 17. Mai 2004
- 1 B 176.03 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 29 S. 11 und vom
7. Oktober 2004 - 1 B 139.04 - Buchholz 402.240 § 7 AuslG Nr. 12 S. 6 jeweils
m.w.N. und vom 15. Mai 2008 - 2 B 78.07 - juris Rn. 2 f.). Eine Revisionszulas-
sung wegen solcher Fragen kommt deshalb nur ausnahmsweise in Betracht,
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wenn die Fragen sich zu den Nachfolgevorschriften offensichtlich in gleicher
Weise stellen oder wenn ihre Beantwortung für einen nicht überschaubaren
Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist (BVerwG, Be-
schlüsse vom 22. Oktober 2012 - 8 B 40.12 - juris Rn. 5 und vom 25. Oktober
2010 - 2 B 35.10 - juris Rn. 5). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich.
Nach der seit dem 1. September 2012 geltenden Nachfolgeregelung (§ 12 der
Verordnung über die Ausbildung und die II. Fachprüfung für den Laufbahnab-
schnitt II der Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeam-
ten des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 16. August 2012
) stehen den Absolventen nunmehr zwei Wiederholungs-
möglichkeiten je Studienleistung offen. Demzufolge stellen sich die von der Be-
schwerde aufgeworfenen Rechtsfragen der Zulässigkeit nur einer Wiederho-
lungsprüfung je Teilleistung nicht mehr. Nach dem Vortrag des Beschwerde-
gegners, an dessen Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat und der auch vom
Kläger nicht bestritten worden ist, finden die Regeln der alten Studienordnung
nur noch auf wenige Altfälle Anwendung. Der die Zulassung wegen grundsätzli-
cher Bedeutung rechtfertigende Ausnahmefall, dass die Altvorschrift für einen
nicht überschaubaren Personenkreis weitergilt oder noch über eine erhebliche
Anzahl von Fällen nach altem Recht zu entscheiden ist, liegt damit nicht vor.
b) Im Übrigen genügt die angefochtene Altregelung, nach der das Nichtbeste-
hen einer Teilprüfung auch bei nur einmaliger Wiederholungsmöglichkeit zum
Nichtbestehen der Gesamtprüfung führen soll, den Anforderungen von Art. 12
Abs. 1 GG und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aber auch in der Sa-
che.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29. Mai
2013 - 6 C 18.12 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 418 Rn. 27) ist das nach
einmaliger Wiederholung endgültige Nichtbestehen einer Teilleistung, das zum
Nichtbestehen der Gesamtprüfung führt, nicht zu beanstanden, wenn die Teil-
prüfung schon für sich genommen eine zuverlässige Grundlage für die Beurtei-
lung der Eignung des Prüflings bietet. Eine zuverlässige Beurteilungsgrundlage
kann eine Teilprüfung dann bieten, wenn gerade durch sie eine Fähigkeit nach-
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gewiesen wird, die als unerlässlicher, nicht ausgleichsfähiger Bestandteil derje-
nigen Qualifikation anzusehen ist, die mit der Prüfung insgesamt nachgewiesen
werden soll.
Eine solche Fähigkeit kann etwa in der Beherrschung einer bestimmten Fach-
materie oder, gegebenenfalls hiermit kombiniert, einer bestimmten Bearbei-
tungs- oder Darstellungsmethode bestehen, die nur in der betroffenen Teilprü-
fung abgeprüft werden. Der Normgeber kann aber davon ausgehen, dass ein
positives Befähigungsurteil überhaupt nur bei durchgängiger Erzielung mindes-
tens ausreichender Einzelleistungen gerechtfertigt ist; dann soll jede Teilprü-
fung mittelbar auch dem Nachweis der Fähigkeit zur fachbezogenen Leistungs-
konstanz dienen. Dies obliegt regelmäßig in weitem Umfang der eigenen Ein-
schätzung des Normgebers, die gerichtlich nur beanstandet werden darf, wenn
sie offenkundig sachlich unvertretbar ist. Diesbezüglich beschränkt sich die
grundrechtliche Bindung des Normgebers auf das Gebot der Wahrung eines
sachlichen Zusammenhangs mit den Anforderungen des betreffenden Berufs.
Die Definition beruflicher und akademischer Qualifikationsstandards sind vor-
wiegend Akte politisch wertender Gestaltung; sie werden durch die Verfassung
im Kern nicht vorentschieden.
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung jüngst mit Kammer-
beschluss vom 26. Juni 2015 - 1 BvR 2218/13 - (DVBl. 2015, 1192 <1193> juris
Rn. 24) bestätigt, indem es zum Kongruenzerfordernis zwischen prüfungsrecht-
lichen Bestehensregelungen, Berufsfreiheit und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
auf seine bisherige Rechtsprechung hingewiesen und daran festgehalten hat:
"Prüfungsregelungen genügen den Anforderungen des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes jedoch nur, wenn sie für
sich genommen geeignet, erforderlich und zumutbar sind
(vgl. BVerfGE 80, 1 <24> m.w.N.; stRspr). Das Bestehen
von Teilprüfungen kann folglich gefordert werden, wenn
diese schon für sich genommen jeweils eine zuverlässige
Beurteilungsgrundlage für die Erreichung des Prüfungs-
zwecks bieten (vgl. BVerfGE 80, 1 <35>; siehe auch
BVerwG, Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B
3.95 -, juris, Rn. 4 f. m.w.N.). Spezifische Anforderungen
einer Kongruenz mit Staatsprüfungen sind Art. 12 Abs. 1
GG damit jedoch nicht zu entnehmen."
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Soweit der Normgeber unabdingbare Teilprüfungen vorsieht, ist er also dazu
befugt, die Anzahl der Teilprüfungen und ihren Inhalt festzulegen, solange dafür
ein sachlicher Grund erkennbar ist und die Geprüften durch die Ausgestaltung
der Prüfung nicht unzumutbar belastet werden. Dafür ist es - entgegen den
Ausführungen der Beschwerde - unerheblich, ob die Gesamtprüfung in 3 Teil-
prüfungen (juristische Universitätsprüfung) oder 29 Teilprüfungen (Kommissar-
anwärter) untergliedert ist und in welchem Studienabschnitt genau die Teilprü-
fungen dem Geprüften abverlangt werden, solange jede einzelne Teilprüfung
mit Sachgrund eine vom Normgeber als unerlässlich eingestufte Fähigkeit ab-
prüft. Denn zum einen ist die Zulässigkeit der Abschichtung von Prüfungsleis-
tungen beispielsweise beim juristischen Staatsexamen in der Rechtsprechung
anerkannt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2001 - NotZ 21/00 - BGHReport
2001, 443 f. zur Bewertung der Abschlussprüfung in der einstufigen Juristen-
ausbildung bei Notarbestellung in Bremen). Zum anderen wirkt die Abschich-
tung der Prüfungsleistungen für die Geprüften nicht nur belastend, sondern
auch entlastend (vgl. z.B.: VGH Mannheim, Beschluss vom 27. Februar 2014
- 9 S 2275/13 - juris Rn. 27). Sie müssen die Einzelleistungen nicht im Ganzen
in einem kleinen festen Zeitfenster erbringen. Vielmehr unterziehen sie sich den
einzelnen Teilprüfungen über ihre gesamte Ausbildung hinweg und können sich
so auf jeden Prüfungsteil einzeln und konkret vorbereiten.
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Oberverwaltungsgericht zu
Recht angenommen, dass das einmal wiederholte endgültige Nichtbestehen
einer Teilprüfung - hier "Berufspraktisches Training" Bereich Ausdauer,
3000-Meter-Lauf - rechtmäßig ist, weil das Erbringen von Ausdauerleistungen
nach der Gruppe 5 des Deutschen Sportabzeichens dem Nachweis der körper-
lichen Leistungsfähigkeit dient und diese nach den dem Dienstherrn obliegen-
den Anforderungen für die Wahrnehmung der Kernaufgaben polizeilichen Han-
delns unerlässlich ist. Einen sich hieraus ergebenden weiteren Klärungsbedarf
zeigt die Beschwerde nicht auf.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts ergibt sich aus § 47 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Domgörgen
Dr. von der Weiden
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