Urteil des BVerwG vom 14.11.2011

Kausalität, Körperschaden, Kausalzusammenhang, Form

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 71.11
VGH 3 B 05.1641
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. November 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 1. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Divergenz
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die 1954 geborene Klägerin stand bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand im
Oktober 2005 als Lehrerin im Dienst des Beklagten. Sie begehrt die Verpflich-
tung des Beklagten, eine Reihe von Verletzungen als weitere Folge eines
Dienstunfalls anzuerkennen sowie in diesem Zusammenhang näher bezeichne-
te Heilbehandlungskosten zu erstatten und von der Rückforderung bereits er-
statteter Heilbehandlungskosten abzusehen. Das Verwaltungsgericht hat die
Klage abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Beklagten verpflichtet,
als weitere Folge des Dienstunfalls eine psychoreaktive Störung in Form einer
Anpassungsstörung anzuerkennen. Im Übrigen hat er die Berufung der Klägerin
zurückgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil die Revision
nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Be-
schwerde beimisst.
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Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine
Rechtssache nur dann, wenn sie eine - von der Beschwerde zu bezeichnende -
bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interes-
se der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer bedeutsamen Fortentwick-
lung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entschei-
dung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (vgl. Beschluss vom 2. Oktober
1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>; stRspr). Diese Vorausset-
zung ist hier nicht erfüllt.
Die Beteiligten streiten darüber, ob als Folge des Dienstunfalls eine psychore-
aktive Störung in Form einer Anpassungsstörung anzuerkennen ist. Hier ist die
Kausalität des Dienstunfalls vom Februar 2003 für die festgestellte Krankheit
zweifelhaft, weil als Ursache neben dem anerkannten Dienstunfall vom Februar
2003 noch die seit 2005 bestehende eheliche Konfliktsituation, die im Jahr 2009
schließlich zur Scheidung der Klägerin geführt hat, in Betracht kommt. Die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sieht die Beschwerde in der Frage,
ob allein die Aufrechterhaltung eines zunächst dienstunfallbedingten Körper-
schadens durch eine neu hinzutretende, dienstunabhängige Ursache einen haf-
tungsbegründenden Kausalzusammenhang im Sinne von § 31 BeamtVG ver-
mitteln kann, unabhängig davon, ob die auslösende dienstunfallbedingte Ursa-
che ohne die neue Ursache ihre Wirkung verloren hätte.
Die so bezeichnete Frage würde in einem Revisionsverfahren nicht zu beant-
worten sein, weil die Beschwerde von einem Sachverhalt ausgeht, den der
Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt hat. Die von der Beschwerde aufge-
worfene Frage setzt in tatsächlicher Hinsicht voraus, dass ein dienstunfallbe-
dingter Körperschaden ausschließlich durch eine neue, dienstunfallunabhängi-
ge Ursache aufrechterhalten wurde. Demgegenüber war nach dem Gutachten
von Prof. Dr. O. die eheliche Konfliktsituation der Klägerin nicht der einzige Um-
stand, der zur Aufrechterhaltung der psychoreaktiven Störung beigetragen hat.
Der Gutachter hat sich lediglich außerstande gesehen zu quantifizieren, wie
hoch der Anteil der ehelichen Konfliktsituation an der Aufrechterhaltung der An-
passungsstörung zu bemessen ist. Auf dieser tatsächlichen Grundlage ist der
Verwaltungsgerichtshof zu der Überzeugung gelangt, dass die eheliche Kon-
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fliktsituation zu der bereits chronischen Anpassungsstörung der Klägerin als
wesentliche Mitursache hinzugetreten ist, ohne damit die wesentliche Mitur-
sächlichkeit des Dienstunfalls für diese Störung zu verdrängen.
Soweit die von der Beschwerde aufgeworfene Frage dahin zu verstehen sein
sollte, ob das Hinzutreten einer dienstunfallunabhängigen Mitursache zu einer
fortbestehenden dienstunfallbedingten Mitursache den Kausalzusammenhang
zwischen dem Dienstunfall und dem dadurch ausgelösten Körperschaden aus-
schließt, bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil sich
die Frage anhand der vorliegenden Rechtsprechung beantworten lässt. In der-
artigen Fällen ist der Dienstunfall dann als wesentliche Ursache im Rechtssinne
anzuerkennen, wenn er bei natürlicher Betrachtungsweise entweder überra-
gend zum Erfolg (Körperschaden) hingewirkt hat oder zumindest annähernd die
gleiche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Um-
stände insgesamt (vgl. Urteile vom 20. April 1967 - BVerwG 2 C 118.64 -
BVerwGE 26, 332 <333>, vom 10. Juli 1968 - BVerwG 6 C 65.65 - Buchholz
232 § 186 BBG Nr. 6, vom 30. Juni 1988 - BVerwG 2 C 77.86 - Buchholz 239.1
§ 31 BeamtVG Nr. 6 und vom 1. März 2007 - BVerwG 2 A 9.04 - Schütz Be-
amtR ES/C II 3.5 Nr. 16).
Weiterführende rechtsgrundsätzliche Erkenntnisse wären in dem mit der Be-
schwerde angestrebten Revisionsverfahren nicht zu erwarten. Die Frage, ob
der Verwaltungsgerichtshof die genannten Grundsätze zur wesentlich mitwir-
kenden Teilursache auf den konkreten Fall zutreffend angewendet hat, ist keine
von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung.
3. Die Revision ist auch nicht wegen der in der Beschwerde geltend gemachten
Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zuzulas-
sen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Zwar liegt eine Abweichung auch dann vor, wenn sich das Oberverwaltungsge-
richt in seinen Obersätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die
Wiedergabe der maßgeblichen Entscheidungen des Bundesverwaltungsge-
richts angeschlossen hat, die fallbezogenen Rechtsausführungen aber erken-
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nen lassen, dass es der Sache nach einen anderen rechtlichen Standpunkt ein-
genommen und von dort aus abweichende Rechtssätze zugrunde gelegt hat
(Beschluss vom 15. September 2005 - BVerwG 1 B 12.05 - Buchholz 402.25
§ 1 AsylVfG Nr. 316 und BFH, Beschluss vom 23. April 1992 - VIII B 49/90 -
BFHE 167, 488). Eine solche Abweichung liegt hier aber nicht vor.
Die Beschwerde bezieht sich insoweit auf die ergänzenden Ausführungen des
Verwaltungsgerichtshofs in Rn. 67 seines Urteils. Aus diesen kann aber nicht im
Sinne der Beschwerde geschlossen werden, der Verwaltungsgerichtshof sei
entgegen der wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts davon ausgegangen, für die Annahme des Ursachenzusammenhangs
zwischen dem Dienstunfall und der Erkrankung reiche die äquivalente Kausali-
tät aus. Die Prüfung der Kausalität erfolgt in zwei Schritten. Ausgangsbasis ist
die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie (conditio sine qua
non). Wegen der Weite dieser Theorie muss auf der zweiten Stufe eine werten-
de Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache getroffen werden (BSG,
Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196, Rn. 13 ff.). Der Verwal-
tungsgerichtshof ist aber bei seinen von der Beschwerde angegriffenen Darle-
gungen ersichtlich nicht auf der ersten Stufe, den Überlegungen zur schlichten
Kausalität im Sinne der Bedingungstheorie, stehen geblieben. Das Berufungs-
gericht hat vielmehr, wie den Worten „zumindest mit maßgeblich“ zu entnehmen
ist, anknüpfend an die zuvor dargestellte Theorie der wesentlich mitwirkenden
Teilursache eine Bewertung der Wesentlichkeit des Dienstunfalls für die Auf-
rechterhaltung der diagnostizierten Erkrankung vorgenommen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung
des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Herbert
Thomsen
Dr. Hartung
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