Urteil des BVerwG vom 18.11.2008

Rechtliches Gehör, Besitz, Beschränkung, Rüge

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 71.08
OVG 80 D 4.07
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. November 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Burmeister
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-
Brandenburg vom 3. Juli 2008 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 und 1
VwGO, § 41 Berliner Disziplinargesetz - DiszG - und § 69 BDG gestützte Be-
schwerde ist unbegründet.
1. Als Verfahrensfehler rügt der Beklagte, das Berufungsgericht habe zu Un-
recht angenommen, er habe seine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil
konkludent auf das Disziplinarmaß beschränkt. Diese Rüge bleibt ohne Erfolg.
a) Das Berufungsgericht hat ohne nähere Prüfung die Frage bejaht, ob eine
Beschränkung der Berufung, die unter der Geltung des auf die Strafprozess-
ordnung verweisenden § 75 der Landesdisziplinarordnung ohne Bedenken als
zulässig angesehen wurde, auch unter der Geltung des Bundesdisziplinarge-
setzes, das in weitem Umfang auf Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung
verweist, zulässig ist. Diese Frage bedarf hier keiner Klärung, weil ein darin lie-
gender möglicher Verfahrensverstoß sich auf das angegriffene Urteil nicht aus-
gewirkt hat. Allerdings wird ein Berufungsgericht im Regelfall anzunehmen ha-
ben, dass mit der Berufung eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung
zugunsten des Berufungsführers herbeigeführt werden soll und dass deshalb
die Beschränkung der Berufung, die die Erreichung dieses Rechtsschutzziels
erschweren kann, die eher seltene Ausnahme sein wird, von der das Beru-
fungsgericht in der Regel nur bei eindeutigen Erklärungen des Berufungsführers
ausgehen kann. Die Annahme einer konkludenten Berufungsbeschränkung wird
nur dann in Betracht zu ziehen sein, wenn der Vortrag des Berufungsführers
insoweit keinen Zweifel offen lässt.
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b) Letztlich kann jedoch offenbleiben, ob der gerügte Verfahrensfehler vorliegt.
Denn selbst wenn dies zu bejahen ist, führt es nur dann zum Erfolg der Be-
schwerde, wenn die angegriffene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler be-
ruht. Dies darzulegen ist Sache des Beschwerdeführers. Hierzu gehört der Vor-
trag, was bei unbeschränkter Berufung noch vorgetragen worden wäre, welche
Beweismittel dafür heranzuziehen wären und inwiefern sich das mutmaßliche
Ergebnis weiterer Ermittlungen auf die Entscheidung ausgewirkt hätte. Daran
fehlt es.
Die Berufungsschrift referiert zunächst den Inhalt und den Ablauf des diszipli-
narrechtlichen Ermittlungsverfahrens und sodann (auf den Seiten 3 bis 6) den
Inhalt des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Unter Nummer 1 rügt sie sodann,
das Verwaltungsgericht habe im Tatbestand ohne nachvollziehbare Gründe
festgestellt, die außerdienstliche Pflichtverletzung enthalte einen dienstlichen
Bezug, indem der Beklagte eine der CDs an seinem Arbeitsplatz aufbewahrt
habe. Diese Rüge geht ersichtlich fehl, weil das Verwaltungsgericht dies nicht
als eigene Feststellung, sondern als Teil des Vortrags des Klägers wiedergege-
ben hat.
Sodann beanstandet die Berufung, das Verwaltungsgericht habe nicht oder nur
widersprüchlich begründet, welcher Grad der Schuldhaftigkeit zugrunde zu le-
gen sei, insbesondere habe das Verwaltungsgericht offen gelassen, ob es von
einer gezielten Suche des Beklagten nach kinderpornographischen Darstellun-
gen oder von einer mangelhaften Unterscheidungsfähigkeit ausgegangen sei;
dies sei für die Maßnahmebemessung unerlässlich gewesen. Weiterhin habe
das Verwaltungsgericht es angesichts des damals öffentlich diskutierten Pro-
zesses wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (gemeint war der Fall
Dutroux) als unverständlich bezeichnet, dass der Beklagte nach seinem eignen
Vorbringen zwischen Kinder- und Erwachsenenpornographie nicht habe unter-
scheiden können; dieser Umstand, so rügt die Berufung, sei weder Gegenstand
der Disziplinarklage noch der mündlichen Verhandlung gewesen. Das Verwal-
tungsgericht habe keine Feststellungen dazu getroffen, aus welchen Quellen
sich der Beklage informiere; mit der Verwertung dieses Umstands gegen den
Beklagten habe es dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Weiterhin
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beanstandet die Berufungsschrift, das Verwaltungsgericht habe bestimmte fest-
gestellte Umstände zu Unrecht als erschwerend, andere zu Unrecht nicht als
entlastend angesehen. Bei der Würdigung der Persönlichkeit des Beklagten
hätte das Verwaltungsgericht auch dessen Sozialkompetenz und das Zerbre-
chen seiner Beziehung zu seiner Lebenspartnerin berücksichtigen müssen.
Schließlich kritisiert die Berufung, das Verwaltungsgericht habe sich über das
Ergebnis strafrechtlicher Ermittlungen zum Inhalt eines Mitteilungsaustauschs
zwischen dem Beklagten und einem der Empfänger der kinderpornographi-
schen Dateien geäußert, was nicht Gegenstand der Disziplinarklage und einer
Beweisaufnahme gewesen sei.
Mit Ausnahme des letzten Vorwurfs ziehen diese Angriffe die tatsächlichen
Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht in Zweifel. Der letzte Vorwurf be-
trifft zwar die Tatsachenfeststellung, doch hatte das Verwaltungsgericht den
Inhalt der Mitteilungen ausdrücklich als nicht entscheidungserheblich angese-
hen und war deswegen „der genauen Abfolge des Dialogs“ nicht weiter nach-
gegangen. Im Übrigen richten sich die Angriffe der Berufung gegen die rechtli-
che Würdigung des festgestellten Sachverhalts.
Eine detaillierte Darlegung dessen, was der Beklagte wegen der Beschränkung
der Berufung nicht vortragen konnte, bei unbeschränkter Berufung aber vorge-
tragen hätte, wäre hier umso mehr erforderlich gewesen, als das Berufungsge-
richt mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, an seiner Bewertung der festgestell-
ten Straftaten als schweres Dienstvergehen hätte sich auch dann nichts geän-
dert, wenn die Berufung unbeschränkt eingelegt worden wäre und eine Beweis-
aufnahme durch den Senat zugunsten des Beklagten etwa ergeben hätte, dass
die Zahl der als kinderpornographisch zu bewertenden Bilder gegenüber den
Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu reduzieren wäre. Als ebenso uner-
heblich hat das Berufungsgericht die Frage eingestuft, ob der Beklagte durch
Presseveröffentlichungen im Zusammenhang mit dem Fall Dutroux zur Tatzeit
besonders hätte sensibilisiert sein müssen; es hat vielmehr angenommen, dass
dem Beklagten die besondere Vorwerfbarkeit seines Verhaltens auch ohne die-
se Kenntnis bekannt war. Infolgedessen kam es nicht auf Feststellungen dazu
an, ob der Beklagte regelmäßig die Nachrichten im Fernsehen und in den Zei-
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tungen verfolgt hatte. Soweit die Beschwerde hier einen Aufklärungsmangel
rügt, ist die Rüge nicht schlüssig. Dasselbe gilt auch für die durch die Be-
schränkung der Berufung vermeintlich abgeschnittene weitere Sachverhaltser-
mittlung zur Frage, wann sich der Beklagte letztmalig kinderpornographisches
Material aus dem Internet beschafft habe und ob dieser Zeitpunkt längere Zeit
oder kurz vor oder sogar nach der Entdeckung der Tat gelegen habe. Die Be-
schwerde trägt selbst vor, aus den Ermittlungen im Strafverfahren habe sich
„klar und eindeutig (ergeben), zu welchen Zeitpunkten der Beamte kinderpor-
nographisches Material aus dem Internet heruntergeladen ... und zu welchen
Zeitpunkten er kinderpornographisches Material weitergeleitet“ habe. Dass der
Beklagte sich im Zeitpunkt der Entdeckung noch im Besitz dieses Materials be-
fand - was das Berufungsgericht zu seinem Nachteil gewertet hat -, hat er zu
keinem Zeitpunkt bestritten. Im Übrigen macht die Beschwerde nicht deutlich,
wieso der Beklagte im Berufungsverfahren daran gehindert gewesen war, klare
Angaben zu der Frage zu machen, wann er Einsicht in sein Fehlverhalten ge-
zeigt und sich entsprechend verhalten hatte; erst recht lässt die Beschwerde
Ausführungen dazu vermissen, mit welchen Mitteln der Senat über diese Tatsa-
che hätte Beweis erheben können und müssen.
2. Als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet der Beklagte die Frage, ob die
Rechtsprechung des Wehrdisziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts
zum Besitz und zur Weitergabe kinderpornographischer Darstellungen auf Be-
amte einschränkungslos übertragen werden könne. Die Beschwerde arbeitet
jedoch nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO, § 41 DiszG, § 69 BDG genügenden Weise heraus, warum diese Frage
im konkreten Fall klärungsbedürftig ist und welche rechtlichen Folgerungen sich
für den Beklagten daraus ergäben, wenn sie im gegenteiligen Sinne zu beant-
worten wäre. Das Berufungsgericht hat ausdrücklich davon abgesehen zu prü-
fen, ob der Beklagte als Beamter der Feuerwehr etwa den schärferen Anforde-
rungen unterliegt, die an einen Lehrer (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 12. Juli
2007 - A 10296/07 - LKRZ 2007, 364) oder an einen Polizeivollzugsbeamten
(vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 14. Februar 2008 - DL 16 S 29/06 - juris) zu
stellen sind, der in ständigem oder zumindest häufigem Kontakt mit Kindern
steht und bei dem bereits der bloße Besitz kinderpornographischen Materials
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das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in seine Integrität unheil-
bar zu zerstören geeignet ist. Unter diesen Umständen ist nicht erkennbar, wel-
cher Erkenntnisgewinn aus der Klärung der vom Beklagten aufgeworfenen Fra-
ge zu erwarten wäre. Hiervon abgesehen hat auch die 1. Kammer des 2. Se-
nats des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Nichtannahmebeschluss vom
18. Januar 2008 - 2 BvR 313/07 - (ZBR 2008, 316) ohne Bedenken auf die
Rechtsprechung des Wehrdisziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts
zurückgegriffen und gegen die Rechtsprechung der Disziplinargerichte zu Be-
sitz und Weitergabe kinderpornographischen Materials keine verfassungsrecht-
lichen Bedenken erhoben (unter Hinweis auf OVG Lüneburg, Urteil vom 4. Sep-
tember 2007 -- juris Rn. 65 mit umfassenden Nachweisen;
BVerwG, Urteile vom 6. Juli 2000 - BVerwG 2 WD 9.00 -
<294 ff.> und vom 8. November 2001 - BVerwG-
. Danach ist die in dieser Rechtsprechung zum Ausdruck kommende
Rechtsauffassung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; sie beruhe auf
sachlichen Erwägungen und trage dem Schuldprinzip ausreichend Rechnung,
indem sie die Berücksichtigung minder schwerer Fälle und besonderer Milde-
rungsgründe im Einzelfall erlaube.
3. Ohne Erfolg macht die Beschwerde schließlich geltend, das angegriffene Be-
rufungsurteil weiche von der Senatsentscheidung vom 3. Mai 2007 - BVerwG
2 C 9.06 - (Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3) ab. Die Beschwerde referiert über
mehrere Seiten Passagen dieses Urteils, macht jedoch nicht deutlich, zu wel-
chem diese Entscheidung tragenden Rechtssatz sich das Berufungsgericht mit
einem ebenfalls tragenden Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat. Soweit die
Beschwerde einen solchen Gegensatz darin sieht, dass das Berufungsgericht
im Falle des Beklagten das Vertrauensverhältnis als zerstört angesehen und
deshalb dessen Entfernung aus dem Dienstverhältnis für geboten gehalten hat,
steht dies nicht im Widerspruch zu dem Rechtssatz, dass diese Prognoseent-
scheidung einer Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten bedarf. Mit ihren
Angriffen wendet sich die Beschwerde in der Sache gegen die Würdigung des
Berufungsgerichts, die sie für fehlerhaft hält, macht aber keine Abweichung im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 41 DiszG, § 69 BDG ersichtlich.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 41 DiszG, § 77
Abs. 4 BDG. Da das Gerichtsverfahren gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG gebüh-
renfrei ist, bedarf es der Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes nicht.
Herbert Groepper Dr. Burmeister
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