Urteil des BVerwG vom 26.05.2014

Öffentliches Dienstrecht, Schweigepflicht, Ärztliche Untersuchung, Einverständnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 69.12
VGH 4 S 1723/10
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Mai 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dollinger
beschlossen:
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 19. Juni 2012 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückver-
wiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Klägers hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit
gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Beschwerdebegründung
rechtfertigt zwar nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2
VwGO. Jedoch liegen die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor,
weil ein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO)
vorliegt und das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann.
Der 1973 geborene Kläger, ein im Jahr 2009 wegen Dienstunfähigkeit aus ge-
sundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand versetzter Berufsschulleh-
rer, wurde im Jahr 1996 in den Freiwilligen Polizeidienst des beklagten Landes
aufgenommen. Im Jahr 2008 entließ ihn der Beklagte aus diesem Dienst und
stützte sich dabei auf die Feststellungen des Amtsarztes im Zurruhesetzungs-
verfahren. Die hiergegen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos ge-
blieben. Im Berufungsurteil hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt: Die An-
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nahme des Beklagten, dass der Kläger den gesundheitlichen Anforderungen
des Freiwilligen Polizeidienstes nicht (mehr) gewachsen sei, sei gerechtfertigt.
Diese Anforderungen entsprächen denjenigen, die an Polizeibeamte zu stellen
seien (Polizeidienstfähigkeit). Zwar sei die Verwendung des amtsärztlichen Gut-
achtens, auf das die Versetzung des Klägers in den Ruhestand gestützt sei, ge-
setzlich ausgeschlossen. Doch sei der Kläger als polizeidienstunfähig zu be-
handeln, weil er die Sachaufklärung bewusst verhindert habe. Er habe sich ge-
weigert, seine früheren Ärzte und Therapeuten von ihrer Schweigepflicht zu
entbinden, und es abgelehnt, dass deren Unterlagen von dem gerichtlich zu
bestellenden Sachverständigen beigezogen werden. Ohne diese früheren Er-
kenntnisse sei die Erstellung eines neuen Gutachtens über den Gesundheits-
zustand des Klägers zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Erlass des Wider-
spruchsbescheides im Jahr 2008, nicht möglich.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
Dies setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine Rechtsfrage von allgemei-
ner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft und darlegt (§ 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO), dass diese Rechtsfrage sowohl im konkreten Fall ent-
scheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist (stRspr; vgl. Be-
schlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 7 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>
und vom 24. Januar 2011 - BVerwG 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4).
Hiernach rechtfertigen die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen (Be-
schwerdebegründung S. 27 f.) nicht die Zulassung der Revision. Die erste Fra-
ge, ob eine gerichtliche Anordnung, einen Arzt von seiner Schweigepflicht in
Bezug auf ein Gutachten zu entbinden, zulässig ist, obwohl der Verwertung die-
ses Gutachtens ein gesetzliches Verbot entgegensteht, kann - soweit im vorlie-
genden Fall entscheidungserheblich - aufgrund vorhandener Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts beantwortet werden (siehe dazu unter 3.). Mit
den weiteren Fragen wirft die Beschwerde, wie sich schon aus den Formulie-
rungen der Fragen und der Bezugnahme auf eine wörtlich wiedergegebene Er-
klärung des Klägers ergibt, keine verallgemeinerungsfähigen Rechtsfragen auf,
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sondern wendet sich gegen die fallbezogene Würdigung des Verwaltungsge-
richtshofs. Damit kann die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeu-
tung nicht erreicht werden.
2. Die Beschwerde führt auch nicht zur Zulassung der Revision unter dem Ge-
sichtspunkt der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Eine solche ist nur dann i.S.v. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeich-
net, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Ent-
scheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz
einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten
ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden
Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Be-
schluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14).
Hier fehlt es bereits an der Gegenüberstellung solcher Rechtssätze. Außerdem
sind die von der Beschwerde angeführten Entscheidungen des Bundesverwal-
tungsgerichts in Anwendung anderer Rechtsnormen ergangen, nämlich zum
Fahrerlaubnis- bzw. Musterungsrecht.
3. Allerdings rügt die Beschwerde zu Recht, dass das Berufungsgericht gegen
seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO versto-
ßen hat. Es hätte den Nachweis der Polizeidienstunfähigkeit des Klägers daher
nicht in Anwendung der Beweisregel der § 125 Abs. 1 Satz 1, § 98 VwGO
i.V.m. § 444 ZPO als erbracht ansehen dürfen.
a) Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Gericht den entscheidungserhebli-
chen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Fehlt dem Gericht die hierfür
erforderliche Sachkunde, muss es sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen.
Kommt es maßgeblich auf den Gesundheitszustand eines Menschen an, ist
daher regelmäßig die Inanspruchnahme ärztlicher Fachkunde erforderlich. Für
die entscheidungserheblichen medizinischen Fachfragen gibt es keine eigene,
nicht durch entsprechende medizinische Auskünfte und Sachverständigengut-
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achten vermittelte Sachkunde des Richters (vgl. Urteil vom 25. Juli 2013
- BVerwG 2 C 12.11 - BVerwGE 147, 244 Rn. 11; Beschlüsse vom 24. Mai
2006 - BVerwG 1 B 118.05 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 16
Rn. 3 und vom 21. Februar 2014 - BVerwG 2 B 24.12 - IÖD 2014, 100
Rn. 10>).
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Freiwilligen Polizeidienst
(FPolDG BW) vom 12. April 1985 (GBl. BW S. 129) werden Angehörige des
Freiwilligen Polizeidienstes von der Aufstellungsbehörde (u.a.) entlassen, wenn
sie den gesundheitlichen Anforderungen des Freiwilligen Polizeidienstes nicht
(mehr) gewachsen sind. Hierbei handelt es sich um Landesrecht, dessen Aus-
legung und Anwendung nicht der Nachprüfung des Revisionsgerichts unterliegt
(§ 137 Abs. 1 VwGO). Daher hat das Berufungsgericht für den Senat bindend
angenommen, an freiwillig Polizeidienst Leistende seien dieselben gesundheit-
lichen Anforderungen zu stellen wie an Polizeibeamte. Sie müssten mithin poli-
zeidienstfähig sein. Die Beurteilung der (fehlenden) Polizeidienstfähigkeit unter-
liegt der inhaltlich nicht eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung (vgl. die
Urteile vom 30. Mai 2013 - BVerwG 2 C 68.11 - BVerwGE 146, 347 Rn. 38 und
vom 30. Oktober 2013 - BVerwG 2 C
16.12 - NVwZ 2014, 372 Rn. 20). Erweist sich die von der Behörde für die An-
nahme der fehlenden Polizeidienstfähigkeit gegebene Begründung als nicht
tragfähig, so hat das Gericht zu klären, ob der betroffene Polizeifreiwillige zu
dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung maß-
geblichen Zeitpunkt tatsächlich dienstunfähig war.
Wie bei einer von der Behörde erlassenen ärztlichen Untersuchungsanordnung
setzt auch eine gerichtlich angeordnete Beweiserhebung dieses Inhalts deren
Rechtmäßigkeit voraus. In beiden Fällen muss die Anordnung hinsichtlich Ge-
genstand und Umfang bestimmten - aus dem Grundsatz der Verhältnismäßig-
keit folgenden - formellen und inhaltlichen Anforderungen genügen, die das
Bundesverwaltungsgericht bereits mehrfach beschrieben hat (Urteile vom
26. April 2012 - BVerwG 2 C 17.10 - Buchholz 237.6 § 226 NdsLBG Nr. 1
Rn. 16 f. und vom 30. Mai 2013 a.a.O. Rn. 18 ff.; Beschluss vom 21. Februar
2014 - a.a.O. ).
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Die Anforderungen gelten auch für eine (im Rahmen einer solchen Beweis-
erhebung ergehende) gerichtliche Anordnung, mit der dem Betroffenen aufge-
geben wird, zur Erstellung eines ärztlichen Gutachtens ihn vormals behandeln-
de Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden und sein Einverständnis mit der
Beiziehung deren früherer Begutachtungen zu erteilen (Beschluss vom 21. Fe-
bruar 2014 a.a.O.). Die strikte Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismä-
ßigkeit ist verfassungsrechtlich geboten, weil Angaben eines Arztes über Ana-
mnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen an dem Schutz teilnehmen,
den das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1
i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dem Einzelnen vor dem Zugriff der öffentlichen Gewalt
gewährt. Dieses Grundrecht schützt vor der Erhebung und Weitergabe von Be-
funden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Cha-
rakter (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1993 - 1 BvR 689/92 - BVerfGE 89, 69
<82> und Kammerbeschluss vom 6. Juni 2006 - 2 BvR 1349/05 - BVerfGK 8,
183 <190 f.>, jeweils m.w.N.). In diesen grundrechtlichen Schutzbereich wird
eingegriffen, wenn der Betroffene zu einer unverhältnismäßigen, weil zu weit
gehenden Schweigepflichtentbindung verpflichtet wird (vgl. BVerfG, Kammer-
beschluss vom 17. Juli 2013 - 1 BvR 3167/08 - NJW 2013, 3086 Rn. 18 ff., 22).
Diese Grundrechtsbetroffenheit ist insbesondere bei Untersuchungen auf psy-
chische Erkrankungen gegeben (Urteil vom 30. Mai 2013 a.a.O. Rn. 22).
Die Folgen, wenn sich ein Angehöriger des Freiwilligen Polizeidienstes einer
rechtmäßig angeordneten ärztlichen Untersuchung zur Feststellung seines ge-
sundheitlichen Zustandes verweigert, sind nicht ausdrücklich gesetzlich gere-
gelt (siehe dagegen § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW 1996; § 53 Abs. 1 Satz 2 LBG
BW 2011; dazu Urteil vom 30. Mai 2013 a.a.O. Rn. 14). Daher kann die rechts-
grundlose Verweigerung einer solchen Untersuchung und einer darauf bezoge-
nen Schweigepflichtentbindung nach dem aus § 444 ZPO abgeleiteten allge-
meinen Rechtsgrundsatz zum Nachteil des Betroffenen gewertet werden. Ins-
besondere kann auf die fehlende Dienstfähigkeit geschlossen werden, wenn
der Betroffene durch sein Verhalten die Feststellung seines Gesundheitszu-
standes bewusst verhindert. Die Verpflichtung, sich hierfür ärztlich untersuchen
zu lassen, ginge ins Leere, wenn aus einer unberechtigten Weigerung keine
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Rückschlüsse gezogen werden könnten (Urteile vom 27. Juni 1991 - BVerwG
2 C 40.89 - Buchholz 239.1 § 60 BeamtVG Nr. 1 S. 5, vom 18. September 1997
- BVerwG 2 C 33.96 - Buchholz 237.5 § 51 HeLBG Nr. 2 S. 3 und vom 26. April
2012 a.a.O. Rn. 12).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die im Streitfall ergangene Beweis-
anordnung rechtswidrig, weil sie dem Kläger eine unverhältnismäßig weitge-
hende Entbindung von der Schweigepflicht und ein ebensolches Einverständnis
zur Aktenbeiziehung abverlangt. Dass der Kläger dazu nicht bereit war, sondern
nur zu einer eingeschränkten Entbindungserklärung, durfte das Berufungsge-
richt nicht zum Anlass für die Anwendung der Beweisregel des § 444 ZPO
nehmen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 1. März 2012 dem
Kläger aufgegeben, sämtliche Ärzte und Therapeuten, die ihn in der Vergan-
genheit behandelt und/oder untersucht haben, von der ärztlichen Schweige-
pflicht zu entbinden; des Weiteren solle er sich damit einverstanden erklären,
dass die Akten des Gesundheitsamtes K. und der Kliniken Sch. K. beigezogen
werden. Schließlich solle der Kläger sein Einverständnis erklären, dass vom
Berufungsgericht ggf. zu beauftragende Sachverständige Unterlagen von Ärz-
ten und Therapeuten, die den Kläger in der Vergangenheit behandelt und/oder
untersucht haben, beiziehen und bei diesen Erkundigungen einholen. Der Ver-
waltungsgerichtshof hat diese umfassende Schweigepflichtentbindung und Ein-
verständniserklärung zur Aktenbeiziehung zur „Voraussetzung für eine Beauf-
tragung des Sachverständigen“ erklärt. Ohne Kenntnis der bereits vorliegenden
Befunde sei es einem Sachverständigen „schlechterdings nicht möglich“, die
Polizeidienstfähigkeit des Klägers zum hier maßgeblichen, in der Vergangenheit
liegenden Zeitpunkt (Oktober 2008) zu beurteilen.
Diese Erwägungen sind nicht geeignet, die hier in Rede stehende umfassende
gerichtliche Aufforderung zur Schweigepflichtentbindung und Erteilung des Ein-
verständnisses zur Aktenbeiziehung zu tragen: Zum einen ist schon nicht er-
sichtlich, dass der Verwaltungsgerichtshof über die erforderliche medizinische
Sachkunde verfügt hätte, um beurteilen zu können, dass eine Begutachtung
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des Klägers andernfalls „schlechterdings nicht möglich“ gewesen wäre. Ob die
früheren Erkenntnisse im vom Verwaltungsgerichtshof geforderten Umfang für
die neue Begutachtung zwingend erforderlich waren, ist zunächst eine medizi-
nische Frage. Daher hätte es einer dahingehenden ärztlichen Aussage bedurft;
erst dann wäre es Sache des Gerichts gewesen, daraus ggf. prozessuale Kon-
sequenzen zu ziehen. Zum anderen - und vor allem - hat der Kläger sich der
ihm obliegenden Mitwirkung im Rahmen der Feststellung seiner Polizeidienst-
fähigkeit keineswegs gänzlich verschlossen. Wie auch der Verwaltungsge-
richtshof zutreffend anführt, hat der Kläger auf seine weiterhin bestehende Be-
reitschaft verwiesen, sich einer vom Beklagten in Auftrag gegebenen ärztlichen
Untersuchung mit der erwähnten Zielsetzung zu unterziehen, und erklärt, er
werde für die bei dem genannten Klinikum geführten ärztlichen Informationen
eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht mit der Maßgabe ausspre-
chen, dass Auskünfte ausschließlich durch die damalige Stationsärztin und/oder
den ärztlichen Leiter erteilt werden, und zwar auf eine konkrete Anfrage zur
Frage seiner Polizeidiensttauglichkeit und ohne Übermittlung von Akten bzw.
Aktenauszügen.
Die in diesem eingeschränkten Einverständnis liegende Zurückhaltung des Klä-
gers, gesundheitliche Erkenntnisse zu seiner Person aus dem psychischen Be-
reich nur unter engen Voraussetzungen Dritten zugänglich zu machen, ist - wie
auch der Verwaltungsgerichtshof im Ausgangspunkt zu Recht hervorhebt -
rechtlich geschützt, weil das Gutachten, das in dem vorangegangenen Zurruhe-
setzungsverfahren des Klägers als Berufsschullehrer erstellt worden war, dem
spezialgesetzlichen Verwertungsverbot gemäß § 57a Abs. 2 Satz 2 LBG BW
1996 unterlag. Danach durfte das damalige Gutachten nur für die Prüfung ver-
wandt werden, ob der Kläger als Berufsschullehrer wegen Dienstunfähigkeit in
den Ruhestand zu versetzen war (vgl. nunmehr § 84 Abs. 3 LBG BW 2011).
Gleichwohl war dieses Gutachten - wie auch der Verwaltungsgerichtshof zutref-
fend beanstandet - unter Verstoß gegen dieses Verwertungsverbot vom Beklag-
ten zum Anlass und zur Grundlage für die Entlassung des Klägers aus dem
Freiwilligen Polizeihilfsdienst gemacht worden.
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Bei dieser Sachlage war die Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofs an den
Kläger zur Abgabe der oben wiedergegebenen umfassenden Schweigepflicht-
entbindung und Einverständniserklärung zur Aktenbeiziehung zu weitgehend.
Ihre Verweigerung durfte nicht - quasi vor der Zeit - zum Anlass für die Anwen-
dung der Beweisregel des § 444 ZPO genommen werden.
Eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügende Verfahrensweise hätte
beispielsweise dahin gehen können, den in Aussicht genommenen Sachver-
ständigen zunächst mit einer Begutachtung auf der Grundlage derjenigen Er-
kenntnisse zu beauftragen, mit deren Verwertung der Kläger einverstanden
war. Dieses Einverständnis umfasste immerhin Auskünfte der damaligen Sta-
tionsärztin und des ärztlichen Leiters der Klinik, also unmittelbarer Erkenntnis-
und Auskunftspersonen betreffend die frühere Begutachtung. Daher lag es na-
he, den Sachverständigen zunächst mit einer Begutachtung auf dieser Grund-
lage zu beauftragen. Erst wenn der Sachverständige sich - nach Auswertung
der vom Einverständnis des Klägers getragenen und mit dessen Mitwirkung
gewonnenen Erkenntnisse - außerstande erklären sollte, auf dieser Grundlage
eine hinreichend zuverlässige Antwort auf die Beweisfrage geben zu können,
würden sich ggf. weitergehende Fragen zur Bedeutung des erwähnten spezial-
gesetzlichen Verwertungsverbots betreffend das Gutachten aus dem Zurruhe-
setzungsverfahren und zur Anwendung der Beweisregel des § 444 ZPO stellen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 GKG und § 47 Abs. 1
und Abs. 3 GKG.
Domgörgen
Dr. Heitz
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Sachgebiet:
BVerwG:
nein
Öffentliches Dienstrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
LBG BW 1996
§ 57a Abs. 2 Satz 2
LBG BW 2011
§ 84 Abs. 3
FPolDG BW
§ 8 Abs. 1 Satz 1
VwGO
§ 98
ZPO
§ 444
Stichworte:
Freiwilliger Polizeidienst; Polizeidienstfähigkeit; ärztliche Untersuchung; Unter-
suchungsanordnung; ärztliche Begutachtung; ärztliche Schweigepflicht; Entbin-
dung; Aktenbeiziehung; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; psychischer Ge-
sundheitszustand; gesetzliches Verwertungsverbot; Beweisregel; Beweisver-
eitelung.
Leitsatz:
Die gerichtliche Anordnung, einen Arzt zu Beweiszwecken von der Schweige-
pflicht zu entbinden und sich mit der Beiziehung einer früheren ärztlichen Be-
gutachtung einverstanden zu erklären, muss dem Grundsatz der Verhältnismä-
ßigkeit genügen. Das gilt insbesondere bei psychischen Erkrankungen. Die frü-
heren Erkenntnisse müssen nach ärztlicher Auffassung für die neue Begutach-
tung zwingend erforderlich sein. Die Verweigerung einer unverhältnismäßig
weitgehenden Schweigepflichtentbindung und einer ebensolchen Aktenbeizie-
hung darf nicht zum Anlass für die Anwendung der Beweisregel des § 444 ZPO
genommen werden.
Beschluss des 2. Senats vom 26. Mai 2014 - BVerwG 2 B 69.12
I. VG Freiburg
vom 08.10.2009 - Az.: VG 6 K 2381/08 -
II. VGH Mannheim vom 19.06.2012 - Az.: VGH 4 S 1723/10 -