Urteil des BVerwG vom 19.09.2007

Beamtenverhältnis, Strafanzeige, Veröffentlichung, Beamter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 68.07
OVG 16 LB 1/06
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. September 2007
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kugele, Dr. Müller
und Groepper
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts vom 15. März 2007 wird zurück-
gewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO, § 69 BDG) gestützte Beschwerde ist unbegründet. Der Sache
kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.
Der Beklagte hält folgende Fragen für klärungsbedürftig:
Muss in die umfassende Prognoseentscheidung unter Be-
rücksichtigung aller wesentlichen Umstände des Einzel-
falls, wie sie nach § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG zu berücksich-
tigen sind, auch die Überlegung des Opferschutzes unter
Beteiligung des Beamten am Opferschutz und damit an
der Wiedergutmachung der Tat eingestellt werden oder
darf dies außer Acht gelassen werden?
Muss bei der umfassenden Prognoseentscheidung unter
Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände des Einzel-
falls auch berücksichtigt werden, dass zwischen dem Zeit-
punkt der Tatbegehung der disziplinargeahndeten Tat und
demjenigen der Bestrafung der anschließenden diszipli-
nargerichtlichen Würdigung insbesondere bei den mit
strafrechtlichen Sonderverjährungen ausgestatteten Vor-
schriften bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestim-
mung in der ein erheblicher Zeitraum vergangen ist oder
darf dieser Zeitraum bei der Prognoseentscheidung von
vornherein unbeachtet bleiben?
Der Beklagte wirft diese Fragen vor dem Hintergrund auf, dass er wegen sexu-
ellen Missbrauchs seiner im Tatzeitraum zwischen vier und sechzehn Jahre
alten Tochter im Jahre 2004 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten
verurteilt und durch Disziplinarurteil vom 17. Februar 2006 aus dem Beamten-
verhältnis entfernt worden ist.
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Die aufgeworfenen Fragen beziehen sich auf den Inhalt der vom Disziplinarge-
richt gemäß § 13 Abs. 1 BDG zu treffenden Prognoseentscheidung. Wie der
Senat hierzu bereits rechtsgrundsätzlich ausgeführt hat, haben die Verwal-
tungsgerichte bei der Gesamtwürdigung zunächst die im Einzelfall bemes-
sungsrelevanten Tatsachen zu ermitteln und mit dem ihnen zukommenden Ge-
wicht in die Bewertung einzubeziehen. Auf der Grundlage des so zusammen-
gestellten Tatsachenmaterials haben die Verwaltungsgerichte eine Prognose
über das voraussichtliche dienstliche Verhalten des Beamten zu treffen und das
Ausmaß der von ihm herbeigeführten Ansehensbeeinträchtigung des Berufsbe-
amtentums einzuschätzen. Bei schweren Dienstvergehen stellt sich vorrangig
die Frage, ob der Beamte nach seiner gesamten Persönlichkeit noch im Beam-
tenverhältnis tragbar ist. Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG ist ein aktiver Beamter
aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, wenn er das Vertrauen des Dienst-
herrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Dies ist anzunehmen, wenn
aufgrund der Gesamtwürdigung aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlas-
tenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde
auch künftig nachhaltig gegen Dienstpflichten verstoßen, oder die durch sein
Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamten-
tums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzuma-
chen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse
der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufs-
beamtentums beendet werden. Ergibt die prognostische Gesamtwürdigung,
dass ein endgültiger Vertrauensverlust noch nicht eingetreten ist, haben die
Verwaltungsgerichte diejenige Disziplinarmaßnahme zu verhängen, die erfor-
derlich ist, um den Beamten zur Beachtung der Dienstpflichten anzuhalten und
der Ansehensbeeinträchtigung entgegenzuwirken.
Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens
gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG richtungsweisend für die Bestimmung der er-
forderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte
Dienstvergehen zunächst nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5
BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen ist. Dabei können die
vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgrup-
pen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausge-
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hend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob
Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeein-
trächtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die
durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme gebo-
ten ist (vgl. zuletzt Urteil vom 24. Mai 2007 - BVerwG 2 C 25.06 - Rn. 17 - 19,
zur Veröffentlichung bestimmt).
Mit der ersten Frage wird keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
formuliert, die im Interesse der Fortbildung des Rechts der Klärung durch eine
höchstrichterliche Entscheidung bedürfte. Der Beklagte unterstellt, das Beru-
fungsgericht habe sich mit seinem Verhalten nach dem Tatzeitraum nicht be-
schäftigt und es zu Unrecht nicht mildernd berücksichtigt. Damit wird allein die
disziplinarrechtliche Würdigung des Sachverhalts im Einzelfall gerügt. Ungeach-
tet dessen bieten für eine solche Unterstellung die tatsächlichen Feststellungen
des Berufungsurteils keinen Anhaltspunkt. Das Berufungsgericht hat sich mit
dem Schwergewicht seiner Entscheidungsgründe mit diesen Umständen be-
fasst, so dass bereits keine Rede davon sein kann, das Berufungsgericht habe
sie außer Acht gelassen. Es hat festgestellt, dass sich der Beklagte bereits um
eine therapeutische Hilfe bemüht hatte, bevor seine Tochter Strafanzeige ge-
gen ihn erstattet hatte, und dass er sich im Verlaufe des Strafverfahrens zu ei-
ner Schmerzensgeldzahlung an seine Tochter in Höhe von 15 000 € verpflichtet
hatte. Es hat allerdings aus diesen Umständen nicht die Schlussfolgerungen
gezogen, die der Beklagte für geboten hält, sondern dargelegt, dass diese Ge-
sichtspunkte nicht geeignet waren, das zerstörte Vertrauen des Dienstherrn
durch dieses ohnehin pflichtgemäße Verhalten wieder zu begründen.
Auf die in der ersten Frage erwähnten Gesichtspunkte des Opferschutzes und
der Wiedergutmachung ist das Berufungsgericht mit dem Bemerken eingegan-
gen, dass die schweren psychischen Schädigungen der Tochter des Beklagten
anhielten und dass es keinen „Achtungsanspruch“ begründe, wenn der Beklag-
te seine übrigen Kinder nicht sexuell missbraucht, auch sonst keine Rechtsver-
stöße begangen, seinen Dienst beanstandungsfrei ausgeübt und den Bewäh-
rungsauflagen Folge geleistet habe. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist
nicht ersichtlich, dass in einem Revisionsverfahren die Frage zu klären wäre, ob
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Überlegungen zur Beteiligung des Beamten am Opferschutz und damit an der
Wiedergutmachung der Tat eingestellt werden müssen oder außer Acht gelas-
sen werden dürfen.
Ebenso wenig rechtfertigt die zweite Frage die Zulassung der Revision. Sinn-
gemäß möchte der Beklagte wissen, ob disziplinarrechtlich zu berücksichtigen
ist, dass zwischen der letzten als Disziplinarvergehen geahndeten Tat und der
disziplinarrechtlichen Ahndung ein besonders langer Zeitraum liegt; in seinen
hypothetischen Beispielsfällen spricht der Beklagte von einem Zeitraum von bis
zu 15 Jahren.
Es kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls wie eine außergewöhnlich lange
Verfahrensdauer bei der disziplinarrechtlichen Würdigung zu berücksichtigen
ist. Der Fall des Beklagten bietet für derartige Überlegungen keinen Anlass,
weshalb sich die von ihm als klärungsbedürftig bezeichnete Frage in einem Re-
visionsverfahren auch nicht stellen würde. Der Beklagte hat die ihm zur Last
gelegten Straftaten zwischen 1987 und 1999, also über einen Zeitraum von na-
hezu 13 Jahren begangen. Die Anzeige seiner Tochter im Jahre 2001 führte zu
seiner strafrechtlichen Verurteilung im Jahre 2004, zur Disziplinarklage im Jahre
2005 und zur erstinstanzlichen Entscheidung des Disziplinargerichts im Jahre
2006. Von einer außergewöhnlichen Länge des Verfahrens kann unter diesen
Umständen keine Rede sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG. Das
Verfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 78 Abs. 1 Satz 1 BDG).
Dr. Kugele Dr. Müller Groepper
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