Urteil des BVerwG vom 24.11.2004

Behandlung, Beihilfe, Bvo, Meinung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 65.04
VGH 4 S 802/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. November 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. D a w i n und Dr. K u g e l e
beschlossen:
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Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 29. März 2004 wird aufgehoben und der
Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen, soweit der
Kläger Beihilfe für die seinem Sohn verordnete Arzneimischung
beantragt hat. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewie-
sen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen Kläger und Be-
klagter je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 75,27 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist begründet, soweit der Kläger Beihilfe für die seinem Sohn verord-
nete Arzneimischung beantragt hat. Insoweit wird die Sache gemäß § 133 Abs. 6 in
Verbindung mit § 132 Abs. 2 Nr. 3 und § 138 Nr. 3 VwGO an das Berufungsgericht
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Soweit der Klä-
ger Beihilfe für die ihm selbst verordnete Arzneimischung beantragt hat, ist die Be-
schwerde unbegründet.
1. Die Beschwerde ist mit der Folge der Zurückverweisung an die Vorinstanz begrün-
det, weil der angefochtene Beschluss hinsichtlich des Beihilfeantrages für eine dem
Sohn des Klägers verordnete Arzneimischung auf einem Verstoß gegen den Grund-
satz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 138 Nr. 3 VwGO) beruht. Insoweit
hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers gegen das die Klage abwei-
sende erstinstanzliche Urteil mit der einzig tragenden Begründung zurückgewiesen,
dass weder für den Beklagten noch für das Gericht ausreichend erkennbar gewesen
sei, zur Behandlung welchen Krankheitsbildes die Arzneimischung rezeptiert worden
ist. Der Kläger habe seine prozessuale Mitwirkungspflicht verletzt. Denn er habe keine
substantiierten Angaben zu dem Leiden seines Sohns gemacht, sodass die Amtsärz-
tin des Beklagten die medizinische Notwendigkeit und Angemessenheit der verordne-
ten Substanzen nicht habe feststellen können. Das trifft nicht zu; der Kläger hat seine
prozessuale Mitwirkungspflicht nicht verletzt.
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Mit Schriftsatz an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 19. Juni 2000 haben die Pro-
zessvertreter des Klägers behauptet, dessen Kinder hätten an einer Gehörsentzün-
dung gelitten. Der zunächst aufgesuchte Facharzt für Kinderheilkunde Dr. Sch. habe
die Kinder an den Arzt Dr. R. verwiesen, der die streitige Arzneimischung verordnet
habe. Sowohl Dr. Sch. als auch Dr. R. wurden bereits im erstinstanzlichen Verfahren
als sachverständige Zeugen angeboten (vgl. Schriftsatz an das Verwaltungsgericht
vom 19. Juni 2000). Im Verfahren vor dem Berufungsgericht wurde Dr. R. erneut als
sachverständiger Zeuge angeboten und von seiner ärztlichen Schweigepflicht ent-
bunden (vgl. Schriftsatz vom 18. Januar 2001). Bei diesem Sachvortrag und dem
Zeugenangebot zur weiteren Spezifizierung des Krankheitsbildes musste der Kläger
nicht damit rechnen, dass seine Berufung hinsichtlich der Aufwendungen für die sei-
nem Sohn verordnete Arzneimischung mit der Begründung zurückgewiesen werden
würde, er habe die Erkrankung seines Sohnes nicht hinreichend konkretisiert.
Mangels festgestellter Tatsachen kann der Senat nicht davon ausgehen, dass der
Beihilfeanspruch des Klägers unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet ist
und es deshalb auf den Verfahrensfehler nicht ankommt, zumal sich ein Beihilfeantrag
für Aufwendungen trotz fehlender wissenschaftlicher Anerkennung einer Behandlung
mit einem bestimmten Medikament ausnahmsweise auch unmittelbar aus der
Fürsorgepflicht des Dienstherrn ergeben kann (vgl. zur insoweit vergleichbaren Beihil-
feregelung des Bundes u.a. Urteil vom 18. Juni 1998 - BVerwG 2 C 24.97 - Buchholz
270 § 6 BhV Nr. 10 m.w.N.). Diesen rechtlichen Gesichtspunkt hat das Berufungsge-
richt nicht erörtert und dementsprechend auch keine Tatsachen festgestellt, auf deren
Grundlage sich die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO im Ver-
gleich zur Zurückverweisung nach § 133 Abs. 6 VwGO als zweckmäßiger erwiese.
2. Soweit es um die dem Kläger selbst verordnete Arzneimischung geht, ist die Be-
schwerde unbegründet. Sie wirft keine Fragen im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
auf, die in einem Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich geklärt werden müssten.
Zwar scheitert die Beschwerde nicht schon daran, dass die Beihilfeverordnung des
Beklagten in der hier maßgeblichen Fassung vom 16. Dezember 1996 (GBl S. 776)
durch Verordnung vom 20. Februar 2003 (GBl S. 125) geändert wurde, also ausge-
laufenes Recht darstellt, weil auch die jetzige Fassung vorsieht, dass Aufwendungen
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beihilfefähig sind, wenn sie dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach ange-
messen sind (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 BVO a.F. und n.F.). Die beiden als Rechtsfragen
aufgeworfenen Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren aber nicht stellen.
Die Rechtsfrage, ob das Erfordernis, die Behandlungsmethode müsse von einer über-
wiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft als wirksam und geeignet an-
gesehen bzw. allgemein anerkannt werden, "zu eng gefasst ist und damit Sinn und
Zweck der BVO widerspricht", beantwortet sich zunächst unmittelbar aus dem Wortlaut
des § 6 Abs. 2 Nr. 1 BVO und ist im Übrigen in der Rechtsprechung des Senats zu § 6
Abs. 2 BhV Bund bereits geklärt. Danach sind als wissenschaftlich anerkannt nur solche
Heilmethoden anzusehen, die von der herrschenden oder doch überwiegenden
Meinung in der medizinischen Wissenschaft für die Behandlung der jeweiligen Krankheit
als wirksam und geeignet angesehen werden (vgl. Urteil vom 18. Juni 1998 - BVerwG
2 C 24.97 - a.a.O. m.w.N.). Die weitere Frage, ob die Behandlungsmethode nach der
chinesischen Arzneitherapie als wissenschaftlich anerkannt zu gelten habe, könnte in
einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Bei dieser Frage handelt es sich um
keine Rechtsfrage, sondern um eine Tatsachenfrage. Ob eine bestimmte Methode zur
Behandlung von Krankheiten von der jedenfalls überwiegenden Meinung in der
medizinischen Wissenschaft als wirksam und geeignet angesehen wird, betrifft den
Bereich der Tatsachen, nicht die rechtliche Würdigung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert ergibt sich aus
§ 71 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F.
Albers
Prof. Dawin
Dr. Kugele