Urteil des BVerwG vom 17.05.2010

Mehrarbeit, Vergütung, Diskriminierung, Eugh

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 63.09
VGH 1 A 2098/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Mai 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Hartung
beschlossen:
Die Beschwerden der Klägerin und des Beklagten gegen
die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessi-
schen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Mai 2009 werden
zurückgewiesen.
Die Beteiligten tragen die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens jeweils zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwer-
deverfahren auf die Stufe bis zu 300 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die auf die Zulassungsgründe der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung der Sa-
che (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde der Klägerin ist unbe-
gründet.
Die Klägerin hält für klärungsbedürftig, ob eine Vergütungspflicht für geleistete
Vertretungsstunden schon ab der ersten Vertretungsstunde eintritt oder erst
dann, wenn die Zahl der geleisteten Vertretungsstunden das an ihre Teilzeit-
quote angepasste Stundenkontingent unentgeltlich zu leistender Mehrarbeit
überschritten hat. Das Berufungsgericht habe wegen dieser Frage hinsichtlich
zweier im Monat August 2006 geleisteter Zusatzstunden die Revision zugelas-
sen. Klärungsbedürftig sei die bezeichnete Frage aber nicht nur für zwei, son-
dern auch für weitere sechs Vertretungsstunden.
Die Frage stellt sich schon deswegen nicht, weil die Klägerin nach den tatsäch-
lichen, mit durchgreifenden Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen
des Verwaltungsgerichtshofs im August 2006 überhaupt nur am ersten Schultag
nach den Ferien, nämlich am 28. August 2006, Unterricht gegeben hat und
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dabei lediglich zwei Stunden lang, nämlich in der 5. und 6. Stunde, länger als
vorgesehen anwesend war. Im Übrigen fehlt es an einer Beschwer der Klägerin:
das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die über dem vergütungsfreien
Stundenkontingent liegenden tatsächlich geleisteten Vertretungsstunden
vergütungspflichtig sind.
Weiterhin hält die Klägerin für klärungsbedürftig, ob Bereitschaftsstunden wie
Vertretungsstunden zu vergüten sind. Die hierbei jedenfalls ansatzweise formu-
lierte Rechtsfrage bedürfte jedoch allenfalls dann der Klärung, wenn es sich bei
den hier in Rede stehenden Bereitschaftsstunden um Zeiten handelte, die ihrer
tatsächlichen Belastung nach mit geleisteten Vertretungsstunden oder mit sol-
chen Bereitschaftsstunden vergleichbar wären, während derer der Beamte auf
Abruf zur Dienstleistung bereit stehen muss. Dies ist indessen nach den tat-
sächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht der Fall, weil hier - an-
ders als etwa bei ärztlichem Bereitschaftsdienst - der Beamte regelmäßig be-
reits vor Antritt der Bereitschaft erfährt, ob der Vertretungsfall eintritt.
Auf die in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, ob für die Anordnung
der Vertretungsbereitschaft eine ausreichende Rechtsgrundlage besteht,
kommt es für die den Streitgegenstand bildende Frage nicht an, ob und gege-
benenfalls nach welchen Maßstäben hierfür Vergütung gezahlt werden muss.
2. Auch die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde des Beklagten
ist unbegründet. Der Beklagte hält für klärungsbedürftig, ob die von der Klägerin
geleistete Mehrarbeit nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung oder in Höhe
der (anteilig gekürzten) Besoldung zu vergüten ist. In diesem Zusammenhang
wirft die Beschwerde die Frage auf, ob die geringere Vergütung nach der
Mehrarbeitsvergütungsverordnung eine nach Art. 141 EGV (= Art. 157 AEUV)
unzulässige indirekte Diskriminierung sei, falls mehr Frauen als Männer
betroffen seien. Zu klären sei ferner, nach welchen Kriterien diese Vergleichs-
gruppe zu bilden sei (so seien in Hessen in der Besoldungsgruppe A 14 mehr
Lehrer als Lehrerinnen teilzeitbeschäftigt).
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Diese Fragen sind durch das Urteil des EuGH „Voss“ vom 6. Dezember 2007
- Rs C-300/06 - (Sammlung 2007 I-10573) und durch die weitere Rechtspre-
chung des Senats bereits geklärt. Danach kommt es nur darauf an, ob die von
den Beamten über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit zu
einem geringeren Satz vergütet wird als dem Stundensatz, der auf die innerhalb
der individuellen Arbeitszeit geleistete Arbeit entfällt. Falls diese Frage - wie
hier - zu bejahen ist, liegt darin eine unionsrechtlich grundsätzlich unzulässige
Benachteiligung (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 a.a.O. Rn. 44). Auch die
Frage der Bildung der Vergleichsgruppen ist durch das genannte Urteil geklärt.
Gemäß Rn. 40 ff. ist bei der Prüfung, ob die festgestellte Ungleichbehandlung
von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als
Männer betrifft, die Gesamtheit der Beschäftigten zu berücksichtigen, für die die
nationale Regelung gilt. Zu diesem Zweck hat das Gericht festzustellen, ob die
Ungleichbehandlung auf das Bundesbesoldungsgesetz und/oder auf die
Mehrarbeitsvergütungsverordnung zurückgeht, da der Kreis der Personen, die
in den Vergleich einbezogen werden können, durch den Anwendungsbereich
der betreffenden Regelung bestimmt wird. Ergibt sich aus den verfügbaren
statistischen Daten, dass der Prozentsatz der Teilzeitbeschäftigten in der
Gruppe der weiblichen Beschäftigten erheblich höher ist als in der Gruppe der
männlichen Beschäftigten, ist davon auszugehen, dass dem ersten Anschein
nach eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegt, es sei denn, die
im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung ist durch Faktoren sachlich
gerechtfertigt, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu
tun haben.
Im Übrigen kommt es speziell bei Teilzeitbeschäftigten nicht darauf an, ob mehr
Männer oder mehr Frauen davon betroffen werden, sondern allein darauf, ob
Teilzeitbeschäftigte schlechter gestellt werden als Vollzeitbeschäftigte. Sie sind
schlechter gestellt, wenn die ihnen gezahlte Vergütung nicht strikt dem Teilzeit-
proporz entspricht (Senatsurteil vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 72.08 - juris
). Danach gebie-
tet § 4 Nr. 1 und 2 des Anhangs der Richtlinie Nr. 97/81/EG des Rates vom
15. Dezember 1997, Benachteiligungen von Teilzeitbeschäftigten zu beseitigen,
und verbietet, Teilzeitbeschäftigte in ihren Beschäftigungsbedingungen nur
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deswegen gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten schlechter zu be-
handeln, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, es sei denn, die unterschiedliche Be-
handlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt. Nach § 4 Nr. 2 des An-
hangs gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz. Folglich
sind ungleiche Beschäftigungsbedingungen für Voll- und Teilzeitbeschäftigte
nach § 4 Nr. 1 und 2 des Anhangs im Regelfall nur insoweit zulässig, als die
Ungleichbehandlung dem unterschiedlichen zeitlichen Arbeitsumfang Rechnung
trägt. Danach ist das Entgelt für die Arbeitsleistung entsprechend dem
zeitlichen Verhältnis der Teilzeit zur Vollzeit, d.h. strikt zeitanteilig zu gewähren
(vgl. Urteile vom 29. September 2005 - BVerwG 2 C 44.04 - BVerwGE 124, 227
<238>, vom 26. März 2009 - BVerwG 2 C 12.08 - Buchholz 240 § 47 BBesG
Nr. 11 = ZBR 2009, 306 und vom 25. März 2010 a.a.O.).
Ohne Erfolg rügt der Beklagte ferner, das angegriffene Urteil beruhe auf einer
Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, weil es mit der Aussage, die
Dreimonatsfrist für den Ausgleich der Mehrarbeit durch Dienstbefreiung sei eine
Ausschlussfrist, von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab-
weiche. Die geltend gemachte Divergenz liegt nicht vor. Das Berufungsgericht
hat entgegen der Annahme des Beklagten die für die Abgeltung von Mehrarbeit
durch Dienstbefreiung geltenden Fristen nicht als Ausschlussfristen bezeichnet,
sondern lediglich deren Verstreichen festgestellt. Im Übrigen könnte sich die
Auffassung des Berufungsgerichts zur Rechtsnatur dieser Frist allenfalls auf die
Frage auswirken, wie viele Stunden vergütungspflichtig sind, hätte aber keinen
Einfluss darauf, nach welchem Maßstab sie gegebenenfalls zu vergüten sind.
3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO
und § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Herbert
Groepper
Dr. Hartung
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