Urteil des BVerwG vom 20.01.2014

Treu Und Glauben, Öffentlich, Beteiligter, Meinungsaustausch

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 6.14
OVG 4 B 51.09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Januar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. von der Weiden
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 16. Oktober 2013 wird zurück-
gewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf
18 017,74 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers kann keinen Erfolg haben. Der
geltend gemachte Revisionszulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
liegt nicht vor.
Der Kläger ist beamteter Feuerwehrmann im Dienst des Beklagten. Er hat Aus-
gleichsansprüche wegen unionsrechtswidriger Zuvielarbeit vom 1. Januar 1999
bis 30. November 2006 geltend gemacht. In der Berufungsinstanz hat der Be-
klagte finanzielle Ausgleichsansprüche für die Jahre 2005 und 2006 anerkannt;
die Beteiligten haben den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt
erklärt. Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht das die Klage abweisende
erstinstanzliche Urteil im Ergebnis bestätigt, weil die Ansprüche für die Jahre
1999 bis 2004 verjährt seien. Die dreijährige Verjährung für die von 1999 bis
2001 entstandenen Ansprüche sei mit Ablauf des Jahres 2004, für die von 2002
bis 2004 entstandenen Ansprüche sei mit dem Ablauf der Jahre 2006, 2007 und
2008 eingetreten. Die Verjährung sei weder wegen schwebender Verhandlun-
gen noch wegen eines Stillhalteabkommens der Beteiligten gehemmt gewesen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs
gegenüber dem Beklagten nicht für den Eintritt der Hemmung nach § 203 BGB
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ausreichen lassen, weil Behörden verpflichtet seien, Anträge entgegen zu neh-
men und dem Antragsteller das weitere Vorgehen mitzuteilen. Dieses pflicht-
gemäße Verhalten könne nicht die Erwartung begründen, die Behörde werde
sich auf Verhandlungen einlassen. Auch verstoße die Erhebung der Verjäh-
rungseinrede nicht gegen Treu und Glauben.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wirft der Kläger die Frage als rechtsgrund-
sätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Frage auf, ob
die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Bedeutungsgehalt des
Hemmungstatbestandes der schwebenden Verhandlungen nach § 203 BGB
entgegen der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts auch für öffent-
lich-rechtliche Ansprüche uneingeschränkt Geltung beanspruche. In diesem Fall
werde die Hemmung der Verjährung durch die Antragstellung herbeigeführt.
Darüber hinaus macht er geltend, das Oberverwaltungsgericht habe die Vo-
raussetzungen verkannt, unter denen eine Verjährungseinrede treuwidrig sei.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Fra-
ge des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Recht-
sprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren
bedarf. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf
der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder des Gesetzes-
wortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden
kann (stRspr; vgl. Beschluss vom 24. Januar 2011 - BVerwG 2 B 2.11 - NVwZ-
RR 2011, 329 Rn. 4). Die Beantwortung der Frage durch ein anderes oberstes
Bundesgericht reicht aus, wenn sich das angerufene Bundesgericht dessen
Rechtsprechung anschließt (stRspr, vgl. Beschluss vom 16. April 2013
- BVerwG 2 B 145.11 - juris Rn. 7).
Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf die vom Kläger aufgeworfene Frage
nicht erfüllt. Sie kann ohne Weiteres aufgrund der Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs beantwortet werden:
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Danach setzt der Eintritt der Verjährungshemmung wegen schwebender Ver-
handlungen nach § 203 BGB voraus, dass ein Beteiligter gegenüber dem ande-
ren klarstellt, dass er einen Anspruch geltend macht und worauf er ihn stützen
will. Daran muss sich ein ernsthafter Meinungsaustausch über den Anspruch
oder seine tatsächlichen Grundlagen anschließen, sofern der in Anspruch ge-
nommene Beteiligte nicht sofort und erkennbar die Leistung ablehnt. Verhand-
lungen schweben, wenn ein Beteiligter eine Erklärung abgibt, die der anderen
Seite die Annahme gestattet, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über
die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein (BGH, Urteil vom
1. Februar 2007 - IX ZR 180/04 - NJW-RR 2007, 1383 Rn. 32; Beschluss vom
12. Mai 2011 - IX ZR 91/08 - juris Rn. 8).
Nach dieser Rechtsprechung kann nicht zweifelhaft sein, dass eine Behörde
nicht bereits dann in Verhandlungen über einen öffentlich-rechtlichen Anspruch
eintritt, wenn sie eine Erklärung über die Geltendmachung des Anspruchs ent-
gegen nimmt und dem Erklärenden den Eingang und den weiteren Gang des
Verfahrens mitteilt. Ein derartiges Verhalten kann bei einem verständigen Erklä-
renden nicht die Erwartung entstehen lassen, die Behörde sei bereit, in einem
Meinungsaustausch über Grund und Höhe des Anspruchs mit sich reden zu
lassen. Denn die Behörde enthält sich jeder Äußerung darüber, welche Auffas-
sung sie zu dem geltend gemachten Anspruch hat. Dieses Schweigen über den
Gegenstand der bei ihr eingegangenen Erklärung kann bei objektiver Betrach-
tung nicht als Aufnahme von Verhandlungen gewertet werden.
Danach ergibt sich die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts bereits
aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Deren Rechtsgrundsätze
zum Bedeutungsgehalt des § 203 BGB sind auch auf die Geltendmachung öf-
fentlich-rechtlicher Ansprüche gegenüber einer Behörde anwendbar. Es be-
stehen keine Besonderheiten, die der Klärung in einem Revisionsverfahren be-
dürften.
Die Einwendungen des Klägers gegen die Auslegung der an ihn gerichteten
behördlichen Schreiben sind nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung im
Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO darzulegen. Die Ermittlung des Inhalts ei-
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ner Erklärung im Wege der Auslegung gilt revisionsrechtlich als Tatsachenfest-
stellung im Sinne von § 137 Abs. 2 VwGO. Daher ist das Bundesverwaltungs-
gericht an den vom Tatsachengericht festgestellten Erklärungsinhalt gebunden,
wenn dieses Gericht sein Ergebnis rechtsfehlerfrei begründet hat. Es ist geklärt,
dass diese Bindung lediglich dann nicht einritt, wenn die Auslegung auf einer
unvollständigen Würdigung der festgestellten Tatsachen, einem Rechtsirrtum,
einem Verstoß gegen eine Auslegungsregel oder einem Verstoß gegen einen
allgemeinen Erfahrungssatz oder ein Denkgesetz beruht (stRspr; Urteile vom
5. November 2009 - BVerwG 4 C 3.09 - BVerwGE 135, 209 = Buchholz 316 §
35 VwVfG Nr. 60 und vom 17. Juni 2010 - BVerwG 2 C 86.08 -
BVerwGE 137, 138 = Buchholz 240 § 6 BBesG Nr. 28 ).
Davon ausgehend wendet sich der Kläger gegen die fallbezogene Auslegung
der behördlichen Erklärungen durch das Oberverwaltungsgericht. Ein über den
Einzelfall hinausgehender Klärungsbedarf ist weder dargelegt noch ersichtlich.
Die Ausführungen des Klägers genügen den Darlegungsanforderungen des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bereits deshalb nicht, weil der Kläger nicht auf den
Inhalt der behördlichen Erklärungen eingeht.
Schließlich ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, unter welchen Vo-
raussetzungen es einem öffentlich-rechtlichen Rechtsträger verwehrt ist, die
Einrede der Verjährung zu erheben. Danach ist die Einrede im Einzelfall als
Verstoß gegen Treu und Glauben unzulässig, wenn ein qualifiziertes Fehlver-
halten des Rechtsträgers gegenüber dem Privaten vorliegt, das diesen veran-
lasst hat, auf Schritte zur Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung zu
verzichten. Erforderlich ist, dass der Private aufgrund des Verhaltens des
Rechtsträgers die begründete Erwartung haben durfte, dieser werde sich nicht
auf Verjährung berufen (Urteil vom 15. Juni 2006 - BVerwG 2 C 14.05 - Buch-
holz 240 § 73 BesG Nr. 12 Rn. 23). Demnach kann über die Unzulässigkeit der
Verjährungseinrede immer nur aufgrund der Umstände des konkreten Einzel-
falls entschieden werden. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Rechtspre-
chung seiner rechtlichen Würdigung des festgestellten Sachverhalts zugrunde
gelegt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Domgörgen
Dr. Heitz
Dr. von der Weiden
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