Urteil des BVerwG vom 24.01.2014

Besitz, Befragung, Verfahrensmangel, Internet

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 59.13
OVG 3d A 1242/11.O
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Januar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und Dollinger
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. März 2013 wird
zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die allein auf das Vorliegen eines Verfahrensmangels gestützte Beschwerde
(vgl. § 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 des Disziplinargesetzes für das Land Nordrhein-
Westfalen - LDG NRW - i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat keinen Erfolg.
1. Der Beklagte steht als Kriminaloberkommissar (Besoldungsgruppe A 10) im
Dienst des Klägers. Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Köln wurde er wegen
Verletzung von Dienstgeheimnissen, Besitzes kinderpornographischer Schrif-
ten, Verbreitens von Kinderpornographie an Minderjährige und Verstoßes ge-
gen das Kunsturhebergesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten
verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im sachglei-
chen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem
Dienst entfernt. Er habe sich eines so schweren Dienstvergehens schuldig ge-
macht, dass es bei einer Gesamtwürdigung aller für und gegen ihn sprechen-
den Umstände und seines Persönlichkeitsbildes unumgänglich sei, ihn aus dem
Beamtenverhältnis zu entfernen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Beklag-
ten zurückgewiesen. Hinsichtlich des Vorwurfs des Besitzes kinderpornographi-
scher Schriften hatte es das Verfahren bereits durch in der mündlichen Ver-
handlung ergangenen Beschluss auf den Besitz derjenigen Bilder beschränkt,
die bei der beim Beklagten am 27. November 2006 vorgenommenen Haus-
durchsuchung in den Unterverzeichnissen „Bilder\ODEP“ seines Computers ab-
gespeichert waren. Der Einlassung des Beklagten, er habe keine Kenntnis von
diesen Dateien gehabt, hat das Gericht keinen Glauben geschenkt. Zur
Begründung hierfür hat es ausgeführt: Der Unterordner „ODEP“ habe sich je-
weils in einem Ordner „Bilder“ befunden, im dem ansonsten durchgängig Bilder
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und Dateien abgelegt gewesen seien, die unstreitig dem Beklagten hätten zu-
geordnet werden können. Bereits aus dieser Nähe des Speicherplatzes der kin-
derpornographischen Bilddateien zu den allein vom Beklagten benutzten Datei-
en folge, dass er von der Existenz dieser Bilder auf seinem Computer gewusst
haben müsse. Der Unterordner habe aufgrund des optischen Erscheinungsbil-
des auf dem Bildschirm bei Aufruf des Hauptordners „Bilder“ gar nicht überse-
hen werden können. Darüber hinaus spreche auch die Bezeichnung des Unter-
ordners für eine Kenntnis des Beklagten; rückwärts gelesen ergebe sich die Be-
zeichnung „PEDO“, die neben dem Begriff KIPO die übliche polizeiinterne
Kurzform für die Kennzeichnung pädophiler pornographischer Dateien darstelle.
2. Der Beklagte hat keinen Verfahrensmangel des angegriffenen Urteils darge-
legt (§ 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht weitere
Ermittlungen zu der Frage hätte anstellen müssen, ob der Beklagte von der
Existenz kinderpornographischer Bilder auf der Festplatte seines Rechners ge-
wusst hatte. Die Beschwerde benennt bereits nicht, welche Beweismittel oder
Aufklärungsmaßnahmen zur Erforschung welcher Tatsachenfrage noch hätten
vorgenommen werden können. Insbesondere aber hat der Beklagte weder im
Verfahren vor dem Tatsachengericht die nunmehr vermisste Sachverhaltsauf-
klärung beantragt noch ist mit der Beschwerde dargelegt, dass sich weitere Er-
mittlungen zu der bezeichneten Frage auch ohne ein solches Hinwirken von
sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. zu diesem Darlegungserfordernis: Be-
schluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14 f. = NJW 1997, 3328 sowie zuletzt Beschluss vom
5. April 2013 - BVerwG 2 B 79.11 - juris Rn. 9).
Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW erhebt das Gericht die erforderlichen
Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustel-
len, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Diszi-
plinarmaßnahme von Bedeutung sind (vgl. auch BTDrucks 14/4659, S. 49 zu
§ 58 BDG). Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung,
diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage
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der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW auch für
die Berufungsinstanz (stRspr; vgl. zuletzt Beschluss vom 15. März 2013
- BVerwG 2 B 22.12 - NVwZ-RR 2013, 557 Rn. 6). Die Tatsachengerichte ha-
ben dabei auf der Grundlage ihrer materiell-rechtlichen Auffassung zu entschei-
den, welche Aufklärungsmaßnahmen sie ergreifen und welchen Beweisangebo-
ten sie nachgehen. Die Aufklärungspflicht verlangt nicht, dass ein Tatsachenge-
richt Ermittlungen anstellt, die aus seiner Sicht unnötig sind, weil es nach sei-
nem Rechtsstandpunkt auf das Ermittlungsergebnis für den Ausgang des
Rechtsstreits nicht ankommt (stRspr; vgl. Urteile vom 14. Januar 1998
- BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119> und vom 28. Juli 2011
- BVerwG 2 C 28.10 - BVerwGE 140, 199 = Buchholz 310 § 96 VwGO, jeweils
Rn. 25).
Soweit dem Beschwerdevorbringen die Rüge entnommen werden kann, das
Oberverwaltungsgericht habe die Söhne des Beklagten zu der Frage verneh-
men müssen, ob die kinderpornographischen Dateien bereits auf einer Festplat-
te enthalten waren, die von ihnen bei der Zusammensetzung des Rechners des
Beklagten verwendet worden ist, wird ein Umstand geltend gemacht, der auf
Grundlage der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht entschei-
dungserheblich ist. Dem Beklagten ist nicht vorgeworfen worden, sich die Da-
teien selbst verschafft und aus dem Internet heruntergeladen zu haben (UA
S. 30, vgl. hierzu auch bereits S. 11 des erstinstanzlichen VG-Urteils). Anknüp-
fungspunkt des Disziplinarvorwurfs ist vielmehr allein der Besitz dieser Bild-
dateien. Hierfür reicht es aber aus, dass der Beklagte die kinderpornographi-
schen Darstellungen trotz Kenntnis von ihrer Speicherung auf der Festplatte
seines Rechners nicht gelöscht hat. Auf die insoweit von der Beschwerde an-
gedeutete Tatsachenfrage kommt es daher nicht an.
Das Oberverwaltungsgericht ist auch nicht verpflichtet gewesen, den jüngsten
Sohn des Beklagten im Hinblick auf die von ihm im Rahmen der gegen ihn ge-
richteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abgegebenen Erklärung als
Zeugen zu vernehmen.
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Ausweislich des vom Bevollmächtigten des Beklagten bei der Polizei einge-
reichten Protokolls einer durch ihn durchgeführten Befragung des Sohnes
(Bl. 125 ff. der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte) hatte dieser angege-
ben, selbst aus dem Internet Dateien mit kinderpornographischem Inhalt he-
runtergeladen und auf einer externen, in seinem Zimmer befindlichen Festplatte
gespeichert zu haben. Auf dem Computer seines Vaters habe er einen eigenen
mit dem Namen „Dominik“ gekennzeichneten Ordner gehabt, auch dort hätten
sich entsprechende Dateien befunden. In anderen Ordnern könne eigentlich
nichts von ihm abgespeichert gewesen sein. Er habe die Bilder vor seinen El-
tern versteckt und daher in seinem Ordner abgelegt. Anderes könne allenfalls
bei frischen und noch nicht abgespeicherten Downloads geschehen sein. Bei
anderen Familienmitgliedern habe er kein kinderpornographisches Material ge-
sehen.
Unabhängig von der Frage, ob diese Aussage tatsächlich dem Sohn des Be-
klagten zugerechnet werden kann, lässt sich aus ihrem Erklärungsgehalt keine
für den Disziplinarvorwurf erhebliche Tatsache entnehmen. Sie bietet weder
Anhaltspunkte für die Frage, wie die Dateien mit kinderpornographischem Inhalt
in den privaten Ordner des Beklagten gelangt sind noch ob der Beklagte Kennt-
nis von diesen gehabt hatte. Welchen Erkenntnisgewinn die nunmehr vermisste
Befragung des Sohns des Beklagten hätte erbringen können, legt weder die
Beschwerde dar noch ist dies unabhängig hiervon erkennbar. Insbesondere
aber hat der Beklagte im Berufungsverfahren weder auf die vorgebliche Erklä-
rung seines Sohnes hingewiesen noch Angaben gemacht, die unabhängig hier-
von eine Zeugenvernehmung hätten sachdienlich erscheinen lassen können.
Vielmehr hat er im Termin zur mündlichen Verhandlung sogar von einer erfolg-
losen Befragung seiner Söhne berichtet. Rügen gegen diese Tatsachenfeststel-
lungen sind mit der Beschwerde nicht erhoben worden.
Der Beklagte hat in der Berufungsbegründung weder den ihm vom Verwal-
tungsgericht vorgehaltenen Besitz kinderpornographischer Schriften bestritten
noch auf die im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen von seinem
Sohn abgegebene Erklärung hingewiesen. Er hat vielmehr angegeben, durch
die Verurteilung u.a. wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften tief
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beeindruckt zu sein. Es lägen daher keine Umstände vor, die die Befürchtung
rechtfertigen würden, er werde sich durch die Kriminalstrafe nicht dazu bewe-
gen lassen, künftig seine Dienstpflichten zu erfüllen. Im Termin zur mündlichen
Verhandlung hat der Beklagte ausweislich der im Urteil enthaltenen Feststel-
lungen des Oberverwaltungsgerichts vorgetragen, wie die kinderpornographi-
schen Dateien auf seinen Rechner gekommen seien, wisse er nicht. Er habe
ohne Erfolg alle hypothetischen Szenarien durchdacht und auch seine Söhne
befragt (UA S. 24). Die Dateien selbst kenne er nicht. Er habe ihr Vorhanden-
sein zwar angesichts der Tatsache, dass die Bilder in unmittelbarer Nähe zu
seinen persönlichen Dateien gespeichert gewesen seien, erkennen müssen,
dies aber nicht getan. Einen Beweisantrag hat er nicht gestellt (Niederschrift
vom 20. März 2013, Bl. 132 ff. der Gerichtsakte).
Warum sich dem Oberverwaltungsgericht bei dieser Sachlage eine Befragung
des jüngsten Sohnes des Beklagten hätte aufdrängen müssen und dass sich
hieraus gegebenenfalls für den Beklagten günstigere Umstände hätten ergeben
können, ist von ihm weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
b) Dem Beschwerdevorbringen ist auch kein Verstoß gegen die Grundsätze der
rechtlichen Würdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zu entnehmen.
Die Beweis- und Sachverhaltswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurtei-
lung des Revisionsgerichts nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler
im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Er-
gebnis der Beweiswürdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg
dorthin. Derartige Mängel liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Ur-
teil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also etwa
entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen
Tatsachengrundlage basiert (stRspr; vgl. etwa Beschlüsse vom 13. Februar
2012 - BVerwG 9 B 77.11 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 73 Rn. 7 so-
wie zuletzt vom 21. Mai 2013 - BVerwG 2 B 67.12 - juris Rn. 18, jeweils
m.w.N.). Das Ergebnis der gerichtlichen Beweiswürdigung selbst ist vom Revi-
sionsgericht nur daraufhin nachzuprüfen, ob es gegen Logik (Denkgesetze) und
Naturgesetze verstößt oder gedankliche Brüche und Widersprüche enthält
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(stRspr; vgl. Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 30.05 - Buchholz 310 § 108
Abs. 1 VwGO Nr. 50 Rn. 16 sowie zuletzt Beschluss vom 23. September 2013
- BVerwG 2 B 51.13 - juris Rn. 19).
Einen derartigen Verfahrensmangel zeigt die Beschwerde nicht auf. Es stellt
keinen Widerspruch dar, wenn das Oberverwaltungsgericht trotz Bestreiten des
Beklagten von der Kenntnis der auf seinem Rechner gespeicherten Bilddateien
mit kinderpornographischem Inhalt vom Besitz kinderpornographischer Schrif-
ten gemäß § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB ausgeht, für die Verwirklichung einer
Straftat nach § 353b Abs. 1 StGB aber den konkreten Nachweis eines Zugriffs
(Dritter) auf die Dateien verlangt. Abgesehen davon, dass die Fallkonstellatio-
nen völlig unterschiedlich ausgestaltet waren, gelten für die jeweiligen Straftat-
bestände auch unterschiedliche Maßstäbe. Während das Vergehen einer Ver-
letzung von Dienstgeheimnissen tatbestandlich eine Offenbarung voraussetzt,
genügt für eine Straftat nach § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB bereits der Besitz.
Es verstößt auch nicht gegen die Denkgesetze, aus den vom Oberverwaltungs-
gericht festgestellten Umständen auf die Kenntnis des Beklagten von der auf
seiner Festplatte gespeicherten Bilddateien mit kinderpornographischem Inhalt
zu schließen. Die Beschwerde legt nicht dar, dass das Oberverwaltungsgericht
einen denklogisch unzulässigen Schluss gezogen hätte (vgl. zur Indizienbe-
weisführung: Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84,
271 <273 f.>; Beschlüsse vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buch-
holz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 Rn. 10 sowie vom 15. Februar 2012 - BVerwG
8 B 87.11 - juris Rn. 5). Sie erschöpft sich vielmehr darin, ihre Würdigung der
Tatsachen an die Stelle derjenigen des Oberverwaltungsgerichts zu setzen.
Dies ist nicht geeignet, einen Verfahrensfehler aufzuzeigen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 154 Abs. 2
VwGO. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es
nicht, weil die Gerichtskosten streitwertunabhängig bestimmt werden (§ 75
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Satz 1 LDG NRW i.V.m. Nr. 10 und 62 des Gebührenverzeichnisses zu § 75
LDG NRW).
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