Urteil des BVerwG vom 23.06.2010

Sexueller Missbrauch, Straftat, Beamtenverhältnis, Disziplinarverfahren

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 59.09
OVG 14 LB 4/08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Juni 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts vom 20. März 2009 wird zurück-
gewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Der Beklagte, ein im Dienst des klagenden Landes stehender Realschulleh-
rer, ist wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB) zu ei-
ner Freiheitsstrafe von neun Monaten (mit Bewährung) rechtskräftig verurteilt
worden. Im sachgleichen Disziplinarverfahren ist auf Entfernung aus dem
Dienst erkannt worden. Das 13-jährige Kind war nach den Feststellungen des
Strafgerichts geistig zurückgeblieben; sein Entwicklungsstand entsprach in etwa
dem eines sechsjährigen Mädchens, das sich Fremden gegenüber nur non-
verbal äußerte. Das Kind besuchte regelmäßig die Kinder des Beklagten. Als
dieser das Mädchen nach Hause brachte, kam es zu dem Übergriff, bei dem er
- so die Feststellungen des Strafgerichts - dem Mädchen an die Scheide fasste.
2. Die vom Beklagten geltend gemachte Divergenz i.S.v. § 41 Abs. 1 SH LDG,
§ 69 BDG, § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO).
Eine Divergenz im Sinne der genannten Vorschriften ist gegeben, wenn das
Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen das Urteil tragenden
abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widerspro-
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chen hat, den eines der in den § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 127 Nr. 1 BRRG
genannten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat.
Es genügt nicht, wenn das Berufungsgericht einen Rechtssatz im Einzelfall
rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht,
die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung im konkreten Fall geboten
sind (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 -
Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 und vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B
18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1).
Die Beschwerde ist der Auffassung, das Berufungsurteil beruhe auf dem
Rechtssatz, dass auch außerdienstlicher sexueller Missbrauch an Kindern und
Jugendlichen ausnahmslos zu einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis
führen müsse, ohne dass es der Ermittlung weiterer be- und entlastender Um-
stände des Einzelfalls bedürfe. Dies stelle eine Abweichung zur Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts dar, das mit Urteil vom 20. Oktober
2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 ff.> entschieden habe,
dass aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 DiszG die Verpflichtung der Verwaltungsge-
richte folgt, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prog-
nostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belas-
tenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Insoweit sei auch auf
die vom Berufungsgericht benannte Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts vom 3. Juli 2003 (gemeint sein dürfte der Beschluss vom 19. Februar
2003 - 2 BvR 1413/01) zu verweisen. Insbesondere habe das Berufungsgericht
entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht als Milde-
rungsgrund berücksichtigt, dass die Straftat nicht unmittelbar dienstbezogen
gewesen und nicht zu Lasten einer Schülerin erfolgt sei.
a) Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerde nicht auf, dass das Beru-
fungsgericht von den genannten Rechtssätzen abgewichen ist. Das Berufungs-
gericht hat die genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und
des Bundesverfassungsgerichts vielmehr seinem Urteil ausdrücklich zugrunde
gelegt und damit § 13 SH LDG den gleichen Bedeutungsinhalt beigemessen,
wie er vom Senat für die inhaltsgleiche Norm des § 13 BDG grundlegend im
Urteil vom 20. Oktober 2005 a.a.O. herausgearbeitet worden ist. Einen Rechts-
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satz des Inhalts, dass auch außerdienstlicher sexueller Missbrauch an Kindern
und Jugendlichen ausnahmslos - also nicht nur im Regelfall - zu einer Entfer-
nung aus dem Beamtenverhältnis führen müsse, ohne dass es der Ermittlung
weiterer be- und entlastender Umstände des Einzelfalls bedürfe, hat das Beru-
fungsgericht nicht aufgestellt, auch nicht sinngemäß. Es hat vielmehr die Um-
stände des Einzelfalls gewürdigt und einen besonderen Dienstbezug der au-
ßerdienstlich begangenen Straftat darin gesehen, dass ein Lehrer, der wegen
einer Straftat i.S.d. § 176 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden
ist, im Hinblick auf seinen Erziehungsauftrag in der Regel sein Ansehen als Er-
zieher und Vorbild endgültig verliere. Hiervon ausgehend hat es geprüft, ob ent-
lastende Umstände von solchem Gewicht vorliegen, dass die prognostische
Gesamtwürdigung gleichwohl den Schluss rechtfertige, der Beamte habe das
Vertrauensverhältnis noch nicht endgültig zerstört. Dies hat das Berufungsge-
richt letztlich verneint.
Demgegenüber greift die Beschwerde mit ihren Ausführungen die einzelfallbe-
zogene Würdigung des Berufungsgerichts an, zeigt aber keinen entgegenste-
henden Rechtssatz auf. In Disziplinarverfahren kann eine Divergenz grundsätz-
lich nicht damit begründet werden, das Tatsachengericht habe die be- und ent-
lastenden Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung gemäß § 13 Abs. 1
Satz 2 bis 4 BDG (bzw. § 13 SH LDG) fehlerhaft gewichtet (Beschluss vom
3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1).
b) Die behauptete Divergenz ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der
Beschwerde, das Berufungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts nicht als Milderungsgrund berücksichtigt, dass die
Straftat nicht unmittelbar dienstbezogen gewesen und nicht zu Lasten einer
Schülerin erfolgt sei. Mit diesem Vorbringen wird kein Rechtssatzwiderspruch
dargelegt, sondern allenfalls eine fehlerhafte Rechtsanwendung behauptet, die
eine Abweichung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht begründet. Davon ab-
gesehen stehen die entsprechenden Rechtssätze des Berufungsgerichts im
Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Bei der Fra-
ge, ob die Straftat unmittelbar dienstbezogen oder zu Lasten einer Schülerin
erfolgt war, geht es nicht um einen Milderungsgrund, sondern um die Einord-
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nung des Dienstvergehens als außerdienstliches oder dienstliches Fehlverhal-
ten. Auch strafbares außerdienstliches Verhalten stellt nur dann ein disziplinar-
rechtlich relevantes Fehlverhalten dar, wenn die besonderen qualifizierenden
Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 SH LBG a.F. (seit 1. April 2009 § 47
Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) erfüllt sind, d.h. es nach den Umständen des Einzel-
falls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für das
Amt des Beamten oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu
beeinträchtigen (Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 -, zur Veröf-
fentlichung vorgesehen, Rn. 14 ff., m.w.N.).
Ein einmaliges außerdienstliches Fehlverhalten eines Beamten - selbst wenn es
den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt - lässt nicht ohne besondere qua-
lifizierende Umstände den Rückschluss auf mangelnde Gesetzestreue oder
mangelndes Verantwortungsbewusstsein bei der Erfüllung der dem Beamten
obliegenden Dienstpflichten zu. Ein solcher Schluss erscheint nur bei einer
Mehrzahl entsprechender außerdienstlicher Gesetzesverstöße möglich, wenn
das Fehlverhalten dadurch eine neue Qualität im Hinblick auf die Beurteilung
der dienstlichen Vertrauenswürdigkeit des Beamten erhält. Daneben kommt
außerdienstlichem Fehlverhalten eine Indizwirkung für die Erfüllung der Dienst-
pflichten umso eher zu, je näher sein Bezug zu den dem Beamten übertrage-
nen Dienst- und Obhutspflichten ist. So sind außerdienstliche Sexualdelikte
gegen Kinder geeignet, Rückschlüsse auf die dienstliche Vertrauenswürdigkeit
eines Lehrers zu ziehen (vgl. zum Ganzen: Urteil vom 30. August 2000
- BVerwG 1 D 37.99 - BVerwGE 112, 19 <23 ff,> = Buchholz 232 § 54 Satz 3
BBG Nr. 23, vgl. auch Urteil vom 25. März 2010 a.a.O. Rn. 22).
Vorsätzlich begangene schwerwiegende Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe
geahndet worden sind, führen allerdings auch ohne Bezug auf das konkrete
Amt in der Regel zu einer Ansehensschädigung wie die gesetzgeberische Wer-
tung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG (bzw. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG,
vormals § 48 Satz 1 Nr. 1 BBG a.F. bzw. § 60 Satz 1 Nr. 1 SH LBG a.F.) zeigt.
Um eine solche schwerwiegende Straftat handelt es sich bei einem vorsätzlich
begangenen außerdienstlichen Sexualdelikt gegen ein Kind i.S.d. § 176 Abs. 1
StGB, das mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden ist. Eine solche Straftat ist
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- unabhängig vom konkreten Amt, das der Beamte innehat - geeignet, das An-
sehen des Berufsbeamtentums derart schwerwiegend zu beeinträchtigen, dass
als Richtschnur für die Maßnahmebemessung die Entfernung aus dem Beam-
tenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts zugrunde gelegt werden
kann (zum Ganzen: Urteil vom 25. März 2010 a.a.O. Rn. 18 f. m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 41 Abs. 1 SH LDG i.V.m. § 77 Abs. 4 BDG,
§ 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 41 Abs. 1 SH LDG i.V.m. § 78
Abs. 1 Satz 1 BDG a.F. gerichtskostenfrei.
Herbert
Thomsen
Dr. Maidowski
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