Urteil des BVerwG vom 26.01.2010

Vorbehalt des Gesetzes, Verbot der Diskriminierung, Europäisches Gemeinschaftsrecht, Feststellungsklage

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 56.09
OVG 2 A 11403/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Januar 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Burmeister
beschlossen:
Soweit die Beteiligten das Hauptsacheverfahren überein-
stimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren ein-
gestellt.
Insoweit sind die Urteile des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 9. März 2009 und des Verwaltungsge-
richts Neustadt an der Weinstraße vom 15. August 2008 wir-
kungslos.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Klägers gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwal-
tungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. März 2009 verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechts-
zügen.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerde-
verfahren auf 7 658 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Kläger, Beamter im Dienst der Beklagten, begründete im Jahr 2002 eine ein-
getragene Lebenspartnerschaft. Er beantragte bei der Beklagten am 8. Juli 2003,
ihm den Familienzuschlag Stufe 1 zu gewähren, und am 24. November 2003 die
Feststellung, dass im Todesfall seinem Lebenspartner Hinterbliebenenversorgung
wie bei einem Ehegatten zustehe. Die Beklagte lehnte die Anträge durch Bescheid
vom 15. Dezember 2003 ab. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde durch
Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2004 zurückgewiesen. Die Klage blieb vor
dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht erfolglos. Das Beru-
fungsurteil vom 30. Juni 2006 ist rechtskräftig geworden.
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Mit E-Mail vom 9. April 2008 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, „die
Angelegenheit wieder aufzugreifen und meinen Antrag von Anfang an neu zu be-
scheiden“. Gegen die Ablehnung dieses Antrags durch Bescheid der Beklagten
vom 17. April 2008 aus materiellrechtlichen, mit denjenigen des bestandskräftigen
Bescheids vom 15. Dezember 2003 übereinstimmenden Gründen legte die Pro-
zessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 30. April 2008 Widerspruch
ein mit der Begründung, dass der vom Kläger gestellte Antrag auf Wiederaufgrei-
fen des Verfahrens nach § 51 VwVfG mit dem Widerspruch weiterverfolgt werde.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 21. Mai
2008 mit der Begründung zurück, eine nachträgliche Änderung der Rechtslage im
Sinne des § 51 VwVfG habe sich nicht ergeben.
Die hiergegen erhobene Klage mit den Anträgen, den bestandskräftigen Bescheid
vom 15. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli
2004 unter gleichzeitiger Aufhebung der im Verfahren auf Wiederaufgreifen er-
gangenen Bescheide aufzuheben sowie die Beklagte zur Zahlung des Familienzu-
schlags Stufe 1 rückwirkend ab 3. Dezember 2003 zu verpflichten und festzustel-
len, dass die Beklagte im Todesfall zur Gewährung einer Hinterbliebenenpension
an seinen Lebenspartner wie bei einem Ehegatten verpflichtet ist, hat das Verwal-
tungsgericht durch Urteil vom 15. August 2008 abgewiesen. Zur Begründung hat
es ausgeführt: Die Beklagte habe den Antrag auf Wiederaufgreifen des rechtskräf-
tig abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens zu Recht abgelehnt, weil sich weder
die den bestandskräftig gewordenen Bescheiden zugrunde liegende Sach- und
Rechtslage nachträglich zugunsten des Klägers geändert habe noch ein Anspruch
des Klägers auf nachträgliche Aufhebung und Änderung der bestandskräftigen
Bescheide im Ermessensweg nach den §§ 48, 49 VwVfG bestehe. Die Feststel-
lungsklage sei unzulässig.
Das Oberverwaltungsgericht hat die von ihm zugelassene Berufung durch Urteil
vom 9. März 2009 zurückgewiesen. Es hat offengelassen, ob eine Änderung der
Rechtslage im Sinne des § 51 VwVfG eingetreten sei oder ein Anspruch auf Auf-
hebung oder Widerruf der bestandskräftigen Bescheide im Wege des Ermessens
bestehe. Dem Anspruch auf Gewährung des Familienzuschlags Stufe 1 stehe
nach wie vor entgegen, dass es an der hierfür erforderlichen Rechtsgrundlage feh-
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le. Die Feststellungsklage sei unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat die
Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die dagegen gerichtete Beschwerde
des Klägers hat keinen Erfolg.
II
Die Beteiligten haben die Hauptsache hinsichtlich der Gewährung des Familienzu-
schlags Stufe 1 ab 1. Oktober 2009 und der Verpflichtung zur Feststellung des An-
spruchs auf Hinterbliebenenversorgung übereinstimmend für erledigt erklärt,
nachdem das Land Rheinland-Pfalz durch Art. 26 und 27 des Gesetzes zur Einbe-
ziehung der Lebenspartnerschaften in Rechtsvorschriften des Landes vom
15. September 2009 (GVBl S. 333) diese besoldungs- und versorgungsrechtlichen
Regelungen zur Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten getroffen hatte.
Insoweit war das Verfahren einzustellen (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m.
§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend) und die Unwirksamkeit der vorinstanzli-
chen Entscheidungen festzustellen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3
Satz 1 ZPO).
Im Übrigen ist die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde
des Klägers unzulässig, weil die behauptete Grundsätzlichkeit der Rechtsfrage
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht in der gesetzlich gebotenen Form dargelegt wird
(§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Beschwerde äußert sich nicht ansatzweise zu
den Fragen, ob sich die den bestandskräftigen Bescheiden zugrunde liegende
Sach- und Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG nachträglich geändert hat
oder ob diese Bescheide im Wege des Ermessens gemäß §§ 48 VwVfG mit Wir-
kung vom 3. Dezember 2003 von der Beklagten aufzuheben oder zu ändern sind,
weil sie nachträglich rechtswidrig geworden sind. Einer entsprechenden Darlegung
bedurfte es, weil der Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen des rechtskräftig
abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens und eine Aufhebung der in jenem Ver-
fahren ergangenen Bescheide im Ermessensweg mit Wirkung für die Vergangen-
heit voraussetzen, dass entweder der Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1
Nr. 1 VwVfG vorliegt oder die bestandskräftig gewordenen Bescheide im Zeitpunkt
ihres Erlasses rechtswidrig waren und deshalb zurückgenommen werden könnten.
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Das Oberverwaltungsgericht hat zwar ausdrücklich offengelassen, ob diese Vor-
aussetzungen gegeben sind. Es hat aber in der Sache entschieden, dass sich die
maßgebliche Rechtslage - vor Inkrafttreten der Änderung des Landesbesoldungs-
gesetzes durch Art. 26 des Gesetzes vom 15. September 2009 - nicht geändert
hat und auch eine Änderung der Sachlage nicht eingetreten ist.
Unabhängig davon, ob der unmittelbare Durchgriff des Oberverwaltungsgerichts
auf die materielle Rechtslage zulässig war, hätten die das Berufungsurteil tragen-
den Gründe der Beschwerde Anlass geben müssen, die nach dem Beschwerde-
ziel erforderliche Änderung der den bestandskräftigen Bescheiden zugrunde lie-
genden Rechtslage darzulegen. Demgegenüber hat sich die Beschwerde auf den
Vortrag beschränkt, dass die Vorenthaltung des Familienzuschlags Stufe 1 bei
einem Beamten wegen der Vergleichbarkeit der Situation der Lebenspartner mit
derjenigen von Eheleuten das Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen
Ausrichtung verletze und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoße. Derar-
tiges Vorbringen genügt den Anforderungen an die Darlegung einer Änderung der
Rechtslage oder des Vorliegens der Voraussetzungen für die Ausübung des be-
hördlichen Rücknahmeermessens schon deswegen nicht, weil besoldungsrelevan-
te Leistungen dem strikten Vorbehalt des Gesetzes unterliegen, die Gesetzeslage
in Rheinland-Pfalz bis zum 1. Oktober 2009 die Gewährung des Familienzu-
schlags Stufe 1 an einen unverheirateten, in eingetragener Lebenspartnerschaft
verbundenen Beamten ausschloss und selbst ein Verstoß gegen europäisches
Gemeinschaftsrecht oder eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht
von der Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für die Gewährung von Be-
soldungsleistungen entbindet, sondern allenfalls die Feststellung ermöglicht, dass
der diskriminierende oder gleichheitswidrige Ausschluss einer Besoldungsleistung
rechtswidrig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 161 Abs. 2 VwGO. Billigem
Ermessen entspricht es, die Kosten des übereinstimmend erledigten Teils des
Verfahrensgegenstands dem Kläger aufzuerlegen, weil die Beklagte nur im Hin-
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blick auf die Gesetzesänderung seinem Begehren insoweit entsprochen hat. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 39 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1
und 2 GKG.
Herbert
Groepper
Dr. Burmeister