Urteil des BVerwG vom 22.12.2014

Berufliche Tätigkeit, Geburt, Anschluss, Angestelltenverhältnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 55.14
OVG 5 LB 110/13
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Dezember 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. Kenntner
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 1. April 2014 wird zurückgewie-
sen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 18 767,52 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf Verfahrensfehler gestützte Beschwerde der Klägerin (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist unbegründet.
1. Die 1963 geborene Klägerin, die als Lehrkraft im Angestelltenverhältnis im
niedersächsischen Schuldienst beschäftigt ist, beansprucht ihre Einstellung in
das Beamtenverhältnis auf Probe. Nach dem Erwerb der Berechtigung zum
Führen der Berufsbezeichnung „Staatlich anerkannte Erzieherin“ im Jahr 1984
war die Klägerin in verschiedenen Einrichtungen tätig. Von Oktober 1995 bis
12. Juli 1996 arbeitete sie als Erzieherin in einem Kindergarten. Die drei ersten
Kinder der Klägerin wurden im September 1996, im April 1998 und am 17. Ok-
tober 2000 geboren. Im Anschluss an die Geburt des ersten Kindes nahm die
Klägerin bis zum 16. Oktober 2003 Elternzeit in Anspruch. Anschließend war
sie bis zum Beginn einer erneuten Mutterschutzfrist am 2. Juli 2004 wiederum
in Vollzeit als Erzieherin tätig. Nach der Geburt ihres vierten Kindes im August
2004 nahm die Klägerin erneut Elternzeit in Anspruch. Von Oktober 2006 bis
Juli 2009 absolvierte sie ein Lehramtsstudium. Im Anschluss an den Vorberei-
tungsdienst bestand die Klägerin die Zweite Staatsprüfung im Februar 2011. Mit
Wirkung vom 14. Februar 2011 wurde sie als Lehrkraft im Angestelltenverhält-
nis in den niedersächsischen Schuldienst eingestellt.
Den Antrag der Klägerin auf Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe
lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Klägerin habe die in Nieder-
sachsen geltende Höchstaltersgrenze überschritten. Die auf Neubescheidung
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gerichtete Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Das Oberverwal-
tungsgericht hat das Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begrün-
dung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Auf die Erhöhung der Höchstaltersgrenze bis zur Vollendung des 49. Lebens-
jahres könne sich die Klägerin nicht berufen. Sie habe nicht wegen der tatsäch-
lichen Betreuung eines Kindes unter 18 Jahren von einer Bewerbung um Ein-
stellung in einen Vorbereitungsdienst vor Vollendung des 40. Lebensjahres
abgesehen. Die Kinderbetreuungszeiten könnten zwar auch vor dem Ent-
schluss eines Bewerbers liegen, die Lehrerlaufbahn einzuschlagen. Bei der
Klägerin habe aber nicht der Umstand der Betreuung ihrer Kinder, sondern der
späte Entschluss, den Lehrerberuf zu ergreifen, zur Überschreitung der Höchst-
altersgrenze geführt. Einen bereits vor der Geburt ihres ersten Kindes beste-
henden ernstlichen Entschluss zum Studium habe die Klägerin nicht hinrei-
chend glaubhaft gemacht. Die Klägerin sei nach der Kinderbetreuungszeit im
Oktober 2003 in ihrem erlernten Beruf als Erzieherin in Vollzeit zurückgekehrt,
der mit dem Lehrerberuf nicht in Zusammenhang stehe. Dies belege, dass sich
die Klägerin zu diesem Zeitpunkt noch nicht von ihrem erlernten Beruf ab- und
sich dem Lehrerberuf zugewendet hatte. Dementsprechend sei die behauptete
ernstliche Hinwendung zum Lehrerberuf bereits Ende des Jahres 1995 nicht
glaubhaft.
2. Zu Unrecht macht die Beschwerde geltend, das Oberverwaltungsgericht
habe gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen und durch den Verzicht auf
eine weitere Aufklärung zugleich die Pflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO verletzt.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien,
aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es ist
verpflichtet, seiner Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sach-
verhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen. Das Gericht darf nicht in der
Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder
Beweisergebnisse nicht in die rechtliche Würdigung einbezieht, insbesondere
Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrän-
gen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundla-
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ge für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf
basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist (Urteil
vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339 f.>
= Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 145 S. 36 f.; Beschluss vom 20. Dezember
2013 - BVerwG 2 B 35.13 - NVwZ-RR 2014, 314 Rn. 19 m.w.N.). Verzichtet das
Gericht auf die fallbezogene Aufklärung ist zugleich ein Verstoß gegen § 86
Abs. 1 VwGO gegeben (Beschluss vom 1. Dezember 1995 - BVerwG 8 B
150.95 - NWVBl 1996, 125 f.). Dies kann dem Oberverwaltungsgericht nicht
vorgehalten werden.
Entgegen dem Vorbringen der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht in
Bezug auf die von ihm als entscheidungserheblich angesehene Frage, ob die
Klägerin bereits vor der Geburt ihres ersten Kindes den Entschluss zum Studi-
um gefasst hatte, keine typisierende Beweiswürdigung vorgenommen, die die
Umstände des Einzelfalls und den konkreten Lebenssachverhalt entgegen
§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO unberücksichtigt lässt.
Zunächst hat das Oberverwaltungsgericht zu Gunsten der Klägerin die Rechts-
auffassung der Beklagten zurückgewiesen, ein Laufbahnbewerber könne seiner
Darlegungs- und Beweisobliegenheit im Hinblick auf die erforderliche Kausalität
im Falle einer vor Studienbeginn erfolgten Kinderbetreuung generell nur dann
genügen, wenn sich der vom Bewerber behauptete Entschluss zum Studium
etwa durch Kündigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses oder Bewerbung an
Universitäten nach außen hin erkennbar manifestiert habe. Entsprechend der
Rechtsauffassung der Klägerin hat das Berufungsgericht vielmehr angenom-
men, dass grundsätzlich auch ein intern gebliebener Entschluss oder auch eine
familieninterne Absprache für die Annahme eines ernstlichen Entschlusses zum
Studium ausreichen kann.
Auf dieser Grundlage hat das Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf die ernst-
liche Hinwendung der Klägerin zum Lehrerberuf bereits Ende 1995 und damit
vor der Geburt ihres ersten Kindes den konkreten Umstand bewertet, dass die
Klägerin im Zeitraum vom Ende der Elternzeit nach der Geburt ihres dritten
Kindes bis zum Beginn der Mutterschutzfrist vor der Geburt ihres vierten Kindes
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(17. Oktober 2003 bis zum 1. Juli 2004) in ihren erlernten Beruf zurückgekehrt
und in Vollzeit als Erzieherin tätig war. Dabei hat es zum einen die beiden vor
der Aufnahme der Vollzeitbeschäftigung erlittenen Fehlgeburten berücksichtigt.
Zum anderen hat es die Aussage der in der Berufungsverhandlung als Partei
vernommenen Klägerin gewürdigt. Aus diesen Ausführungen der Klägerin hat
das Oberverwaltungsgericht den Schluss gezogen, die Klägerin habe sich Mitte
Oktober 2003 noch nicht hinreichend von ihrem erlernten und nicht mit der
Tätigkeit eines Lehrers im Zusammenhang stehenden Beruf als Erzieherin
abgewendet. Mangels einer Abwendung vom erlernten Beruf noch in den Jah-
ren 2003 und 2004 kann, so die Folgerung des Oberverwaltungsgerichts aus
der Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls, nicht von einer tatsäch-
lichen Hinwendung zum Beruf des Lehrers bereits Ende des Jahres 1995 aus-
gegangen werden.
Ausgehend von der Rechtsansicht des Oberverwaltungsgerichts ist auch der
Umstand unerheblich, dass die Klägerin unmittelbar nach Aufnahme ihrer Tä-
tigkeit als Erzieherin wieder schwanger geworden ist und deshalb, so der Vor-
trag in der Beschwerdebegründung, nicht mit dem Studium beginnen konnte.
Denn entscheidend ist bereits der Entschluss zur erneuten Aufnahme einer
Tätigkeit im erlernten Beruf der Erzieherin und dessen Umsetzung Mitte Okto-
ber 2003, die die Annahme ausschließen, die Klägerin habe sich bereits Ende
1995 ernstlich dem Lehrerberuf zugewendet.
Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Klägerin, das Oberverwaltungsgericht
habe die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO
dadurch verletzt, dass es nicht den Ehemann der Klägerin zu den Umständen
der Aufnahme der Vollzeittätigkeit der Klägerin im Oktober 2003 als Zeugen
vernommen hat.
Die Beschwerde genügt insoweit bereits nicht den Darlegungsanforderungen
(§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Sie legt weder dar, dass die Klägerin die nunmehr
vermisste Sachverhaltsaufklärung im Verfahren vor dem Oberverwaltungsge-
richt beantragt hat noch dass sich dem Oberverwaltungsgericht weitere Ermitt-
lungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müs-
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sen (vgl. zum Darlegungserfordernis: Urteil vom 5. Juni 2014 - BVerwG 2 C
22.13 - NVwZ 2014, 1319 Rn. 32 m.w.N.). Die Verfahrensrüge stellt kein Mittel
dar, um Versäumnisse eines Beteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensie-
ren (stRspr; vgl. Beschluss vom 20. Dezember 2011 - BVerwG 7 B 43.11 -
Buchholz 445.4 § 58 WHG Nr. 1 Rn. 26).
Unabhängig davon ist auch in der Sache nicht zu erkennen, dass der von der
Beschwerde behauptete Aufklärungsmangel vorliegt. Aus dem Vortrag der
Klägerin vor dem Oberverwaltungsgericht ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte,
die die Einvernahme des Ehemannes der Klägerin als Zeugen hätten erforder-
lich erscheinen lassen. Denn zu den Motiven für die Aufnahme ihrer Vollzeittä-
tigkeit hatte bereits die Klägerin in der Berufungsverhandlung eingehend aus-
gesagt. Sie hatte mitgeteilt, vor der Entscheidung gestanden zu haben, die
berufliche Tätigkeit wieder aufzunehmen oder den Arbeitsvertrag zu kündigen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 40, 47 und § 52 Abs. 5
Satz 1 Nr. 2 GKG n.F.
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