Urteil des BVerwG vom 18.06.2014

Darlehen, Disziplinarverfahren, Unrichtigkeit, Bindungswirkung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 55.13
VGH 16b D 12.71
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juni 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und
Dr. Hartung
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 30. Januar 2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat
keinen Erfolg.
Der 1958 geborene Beklagte ist seit 1989 Beamter im gehobenen nichttechni-
schen Dienst der Bundeswehrverwaltung, zuletzt als Regierungsamtmann
(BesGr A 11 BBesO). Das Landgericht verurteilte ihn im Jahre 2007 wegen
Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten auf Bewährung;
nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Beklagte während eines
Einsatzes als wehrübender Verpflegungsoffizier im Jahre 2003 im Kosovo Aus-
schreibungsunterlagen manipuliert, um das Angebot einer bestimmten Firma
als günstigstes erscheinen zu lassen. Im Jahre 2008 wurde der Beklagte wegen
Betrugs in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten ver-
urteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte der Beklagte in den
Jahren 2004 und 2005 Geld von Arbeitskollegen unter Vorspiegelung seiner
Rückzahlungswilligkeit und -fähigkeit geliehen, die vereinnahmten Beträge aber
nicht oder verspätet zurückgezahlt.
Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten
um zwei Ämter in das Amt eines Regierungsinspektors (BesGr A 9 BBesO) zu-
rückgestuft. Auf die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof den
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Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Zur Begründung hat er im We-
sentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe ein einheitliches - teilweise inner-
dienstliches, teilweise außerdienstliches - schwerwiegendes Dienstvergehen
begangen. Die nachträgliche Unterdrückung des ursprünglich niedrigeren An-
gebots sei eine innerdienstliche Pflichtverletzung, die zwar im Soldatenstatus
begangen worden sei, auf die aber dennoch das Bundesdisziplinargesetz An-
wendung finde, weil es sich sowohl nach Soldatenrecht wie nach Beamtenrecht
um eine Pflichtverletzung handele. Sie indiziere ebenso wie die außerdienstli-
che Pflichtenverletzung der betrügerischen Aufnahme von Darlehen bei Kolle-
gen insbesondere angesichts der Gesamtsumme der Darlehen die Höchstmaß-
nahme. Milderungsgründe, die eine geringere Disziplinarmaßnahme rechtferti-
gen könnten, gebe es nicht.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine - vom Beschwer-
deführer zu bezeichnende - konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche
Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt
ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechts-
fortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr; Beschlüsse
vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz
310 § 132 VwGO Nr. 18 und vom 2. Februar 2011 - BVerwG 6 B 37.10 - NVwZ
2011, 507). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Der Beklagte hält zum einen für grundsätzlich klärungsbedürftig,
„ob die außerdienstliche Aufnahme von Privatdarlehen bei
Arbeitskollegen durch den Beklagten als Dienstvergehen
im Sinne von § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG a.F. anzusehen ist,
obwohl keinerlei Bezug zur dienstlichen Tätigkeit des Be-
klagten bestanden hat und auch keinerlei Beeinträchti-
gung der Achtung und des Vertrauens in das Amt des Be-
klagten oder das Ansehen des Beamtentums eingetreten
ist, da der Sachverhalt keine Außenwirkung entfaltet hat
und sich allein auf zivilrechtliche Ausgleichsansprüche
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zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer be-
schränkt hat, die überdies alle Arbeitskollegen waren.“
Hiermit formuliert der Beklagte keine klärungsfähige Frage des revisiblen
Rechts, sondern rügt die Einzelfallwürdigung des Berufungsgerichts. Dass das
Berufungsgericht die Aufnahme von Darlehen bei Kollegen unter Vorspiegelung
der pünktlichen Rückzahlungsbereitschaft als außerdienstliches Fehlverhalten
qualifiziert und nach den Umständen des Einzelfalles gerade auch im Hinblick
darauf, dass er die Darlehen von nachgeordneten Beschäftigten erhalten hat,
sodass auch ein dienstlicher Bezug gegeben war, als in besonderem Maße ge-
eignet angesehen hat, das Vertrauen in einer für das Amt des Beklagten und
auch das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen,
beruht auf einer Würdigung des konkreten Einzelfalles und wirft keine verallge-
meinerungsfähigen und deshalb ggf. in einem Revisionsverfahren klärungsfähi-
gen Rechtsfragen auf.
Im Übrigen lässt sich die sinngemäß aufgeworfene Frage, ob es für die Diszi-
plinarwürdigkeit eines außerdienstlichen Verhaltens nach Maßgabe des § 77
Abs. 1 Satz 2 BBG a.F. darauf ankommt, dass der Vorfall im konkreten Einzel-
fall tatsächlich einem größeren Personenkreis oder generell der Allgemeinheit
bekannt geworden ist, ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens auf der
Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts da-
hingehend beantworten, dass dies nicht erforderlich ist, sondern die Diszipli-
narwürdigkeit losgelöst vom konkreten Fall nach objektiven Maßstäben zu be-
urteilen ist.
In Bezug auf die von der Frage der Disziplinarwürdigkeit außerdienstlichen Ver-
haltens zu trennende Bemessung der Disziplinarmaßnahme nach Maßgabe des
§ 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG (Urteil vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C
13.10 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 12 Rn. 11 ff.) ist in der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die Frage, ob und ggf. inwieweit
der Beamte durch sein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der
Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 1 BDG beeinträchtigt hat, nach objektiven
Gesichtspunkten zu beurteilen ist. Schon aus Gründen der Gleichbehandlung
(Art. 3 Abs. 1 GG) ist entscheidend, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Ge-
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wichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und
entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zu-
kunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird. Entschei-
dungsmaßstab ist, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch
Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen
kann, wenn ihr das Dienstvergehen einschließlich der belastenden und entlas-
tenden Umstände bekannt würde (Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C
12.04 - BVerwGE 124, 252 <260> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 26 und
vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 62.11 - NVwZ-RR 2013, 693 Rn. 56).
Diese Grundsätze gelten entsprechend für den Aspekt der Disziplinarwürdigkeit
außerdienstlichen Verhaltens eines Beamten. Bereits aus Gründen der Gleich-
behandlung kommt es nicht darauf an, ob das Verhalten des Beamten zufälli-
gerweise einem größeren Personenkreis bekannt geworden ist. Die Frage, ob
das Verhalten des Beamten nach den Umständen des Einzelfalls in besonde-
rem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für das Amt oder das
Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigten, ist losge-
löst vom konkreten Fall nach objektiven Maßstäben zu beurteilen.
Die nach objektiven Maßstäben zu beurteilende Frage der Disziplinarwürdigkeit
des außerdienstlichen Verhaltens eines Beamten hat sich nach der Rechtspre-
chung des Senats am objektiven Maßstab des gesetzlichen Strafrahmens zu
orientieren. Ein außerdienstliches Fehlverhalten, das keinen Bezug zur Dienst-
ausübung aufweist, löst regelmäßig ein disziplinarrechtliches Sanktionsbedürf-
nis aus, wenn es sich um eine Straftat handelt, deren gesetzlicher Strafrahmen
bis zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren reicht, und der daran
angemessene Unrechtsgehalt der konkreten Tat nicht gering wiegt. Durch die
Bewertung eines Fehlverhaltens als strafbar hat der Gesetzgeber zu erkennen
gegeben, dass er dieses Verhalten als in besonderem Maße verwerflich an-
sieht. Dies lässt ohne Weiteres darauf schließen, dass das Fehlverhalten das
Ansehen des Beamtentums in einer Weise beschädigt, die im Interesse der Ak-
zeptanz des öffentlichen Dienstes in der Bevölkerung und damit seiner Funk-
tionsfähigkeit nicht hingenommen werden kann (Urteil vom 28. Juli 2011
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- BVerwG 2 C 16.10 - BVerwGE 140, 185 = Buchholz 235.2 LDisziplinarG
Nr. 18, jeweils Rn. 24 m.w.N.).
Auch die weitere vom Beklagten als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
„ob bei Dienstpflichtverletzungen, die der Beklagte im Sol-
datenrang begangen hat, das Bundesdisziplinargesetz
Anwendung finden kann, wenn das gerügte pflichtwidrige
Verhalten des Beklagten nur deswegen soldatenrechtlich
ein Dienstvergehen darstellt, weil dieses über den allge-
meinen Auffangtatbestand der §§ 13 Abs. 1, 17 Abs. 2
Soldatengesetz hergeleitet wird“,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Soweit der Beklagte damit die
Frage aufwirft, ob das Bundesdisziplinargesetz auf Dienstpflichtverletzungen im
Soldatenverhältnis nur dann anwendbar ist, wenn diese nicht nur von dem all-
gemeinen Auffangtatbestand nach § 17 Abs. 2 SG erfasst werden, ist die Frage
mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weite-
res und damit unmittelbar aus dem Gesetz heraus - verneinend - zu beantwor-
ten.
§ 2 BDG regelt den sachlichen Geltungsbereich des Bundesdisziplinargesetzes,
d.h. bei welchen Dienstvergehen das Gesetz Anwendung findet (Beschluss
vom 20. Januar 2009 - BVerwG 2 B 4.08 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 28
Rn. 16). § 2 Abs. 2 und 3 BDG stellen eine disziplinarrechtliche Einheit her zwi-
schen mehreren nacheinander begründeten Dienstverhältnissen (§ 2 Abs. 2
BDG) oder bei Dienstpflichtverletzungen in einem neben dem Beamtenverhält-
nis bestehenden Dienstverhältnis (§ 2 Abs. 3 BDG). § 2 Abs. 3 BDG bestimmt
für Beamte, die - wie der Beklagte - Wehrdienst im Rahmen einer Wehrübung
leisten, die Geltung des Bundesdisziplinargesetzes auch wegen solcher Dienst-
vergehen, die während des Wehrdienstes begangen wurden, wenn das Verhal-
ten sowohl soldatenrechtlich als auch beamtenrechtlich ein Dienstvergehen
darstellt. Das Bundesdisziplinargesetz unterscheidet mithin nicht danach, auf-
grund welcher Bestimmungen des Soldatengesetzes soldatenrechtlich ein
Dienstvergehen anzunehmen ist. Einer Klärung der vom Gesetz bereits beant-
worteten Frage in einem Revisionsverfahren bedarf es nicht.
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2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO).
Eine die Revision eröffist nur dann im Sinne des
hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich
bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz
benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Rechtssatz
in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr; Be-
schluss vom 19. August 1997 -- Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14 =. Das Aufzeigen einer fehlerhaf-
ten oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen des Bundesverwal-
tungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts genügt weder den Zuläs-
sigkeitsanforderungen einer noch denen einer Grundsatzrüge
(stRspr; vgl. Beschlüsse vom 17. Januar 1995 -- Buchholz
421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55 und zuletzt vom 3. April 2014 - BVerwG 2 B
70.12 - juris Rn. 13).
Nach diesen Maßstäben genügt die Beschwerde dem Darlegungserfordernis
des § 113 Abs. 3 VwGO nicht. Sie arbeitet zu den fünf aufgeworfenen Punkten
nicht die Rechtssätze der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts he-
raus, zu denen sie eine Divergenz sieht, und die Rechtssätze des Verwaltungs-
gerichtshofs, die zu solchen Rechtssätzen divergieren könnten. Vielmehr rügt
sie allein die vermeintlich unrichtige Rechtsanwendung im Einzelfall, insbeson-
dere das aus ihrer Sicht zu hohe Disziplinarmaß.
Im Übrigen ist zu der im Rahmen der Divergenzrüge erhobenen Kritik der Be-
schwerde am Berufungsurteil anzumerken: Soweit die Beschwerde eine Diver-
genz zu dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2005
- BVerwG 1 D 1.05 - (UA S. 5) rügt, in dem als allgemeiner Grundsatz wieder-
gegeben wird, dass bei einem Schaden von über 5 000 € je nach den Umstän-
den des Einzelfalls eine Entfernung aus dem Dienst in Betracht kommt, hat der
Verwaltungsgerichtshof keinen gegenteiligen Rechtssatz aufgestellt. Das ergibt
sich schon daraus, dass die Verletzung von Vergabebestimmungen nicht nur
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die öffentliche Hand, sondern auch Mitbewerber und die Wirtschaft schädigt,
sodass der erwähnte Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts bereits nicht
einschlägig ist. Im Übrigen wäre nach den Feststellungen des Verwaltungsge-
richtshofs die Schadenssumme um ein Vielfaches höher als 5 000 € gewesen,
wenn die Manipulation des Beklagten unentdeckt geblieben wäre.
3. Schließlich liegt auch der geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO) nicht vor.
Die Beschwerde rügt ohne Erfolg eine Verletzung des rechtlichen Gehörs
(Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) des Beklagten,
weil nicht berücksichtigt worden sei, dass er die Echtheit seiner Unterschrift
unter den Ausschreibungsunterlagen bestritten habe; die anderslautenden
Feststellungen des im Disziplinarverfahren zugrunde gelegten Urteils des
Landgerichts beruhten auf einer Absprache. Damit ist jedoch weder ein Ge-
hörsverstoß noch ein Verstoß gegen die Pflicht zur Lösung von der Bindung an
tatsächliche Feststellungen anderer Gerichte nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG
dargetan.
Nacsind die tatsächlichen Feststellungen eines
rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben
Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Gericht bindend. Nach § 57 Abs. 1
Satz 2 BDG hat das Gericht jedoch die erneute Prüfung solcher Feststellungen
zu beschließen, die offenkundig unrichtig sind. Die gesetzliche Bindungswir-
kung dient der Rechtssicherheit. Sie soll verhindern, dass zu ein- und demsel-
ben Geschehensablauf unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen
werden. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Aufklärung eines so-
wohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts so-
wie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung den Strafgerichten zu übertragen.
Dieser Entscheidung muss bei der Auslegung des gesetzlichen Begriffs der of-
fenkundigen Unrichtigkeit im Sinne vRechnung ge-
tragen werden.
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Daher sind die Verwaltungsgerichte nur dann berechtigt und verpflichtet, sich
von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und
den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermit-
teln, wenn sie ansonsten „sehenden Auges“ auf der Grundlage eines unrichti-
gen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts ent-
scheiden müssten. Dies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen in einem
entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Hierunter fällt auch, dass das
Strafurteil auf einer Urteilsabsprache beruht, die den rechtlichen Anforderungen
nicht genügt. Darüber hinaus entfällt die Bindungswirkung des
wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht
zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumin-
dest auf erhebliche Zweifel stoßen (vgl. Urteile vom 29. November 2000
--<245> = Buchholz 235 § 18 BDO
Nr. 2 S. 5 f. und vom 16. März 2004 -- Buchholz 232 § 54
Satz 3 BBG Nr. 36 S. 81 f.; Beschlüsse vom 24. Juli 2007 --
Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 4 Rn. 11, vom 1. März 2013 - BVerwG 2 B
78.12 - ZBR 2013, 262 Rn. 7 und vom 14. Januar 2014 - BVerwG 2 B 84.13 -
Rn. 9).
Wird im gerichtlichen Disziplinarverfahren das Vorliegen einer dieser Voraus-
setzungen geltend gemacht, so sind die Verwaltungsgerichte erst dann befugt,
dem Vorbringen weiter nachzugehen und schließlich über eine Lösung nach
zu entscheiden, wenn das Vorbringen hinreichend
substanziiert ist. Pauschale Behauptungen (etwa, es habe einen Deal gegeben)
genügen nicht. Es müssen tatsächliche Umstände dargetan werden, aus denen
sich die offenkundige Unrichtigkeit im Sinne deserge-
ben kann (Beschluss vom 26. August 2010 - BVerwG 2 B 43.10 - Buchholz
235.1 § 57 BDG Nr. 3 Rn. 4 ff.).
Aus der Beschwerdebegründung des Beklagten ergibt sich nicht, dass diese
Voraussetzungen hier vorliegen. Das Beschwerdevorbringen erschöpft sich in
der Behauptung, dem Beklagten sei im Berufungsverfahren vor dem Landge-
richt von Seiten der Staatsanwaltschaft zugesagt worden, dass er bei einer ent-
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sprechenden Erklärung mit einer geringeren Strafe rechnen dürfe. Nach dienst-
interner Rücksprache habe er dann den Sachverhalt eingeräumt, weil ihm ge-
sagt worden sei, dass sich eine geringere Strafe positiv auf die disziplinarrecht-
liche Würdigung auswirke. Zuvor habe er stets bestritten, die Unterschrift unter
die Ausschreibungsunterlagen gesetzt zu haben, wie von seinen damaligen
Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 20. Juli 2011 auch vorgetragen worden
sei.
Es ist bereits nicht von einer Urteilsabsprache - einem sogenannten „Deal“ -
auszugehen. Das Beschwerdevorbringen ist in tatsächlicher Hinsicht nicht völlig
vom Akteninhalt gedeckt. Das in Bezug genommene Dokument vom 20. Juli
2011 ist kein Schriftsatz eines früheren Bevollmächtigten des Beklagten, son-
dern die Anschuldigungsschrift. In dieser heißt es auf S. 9 (Bl. 9 der Gerichtsak-
te) auch lediglich, dass von Seiten der Staatsanwaltschaft bei Einräumung des
Sachverhalts ein geringerer Strafantrag avisiert worden sei. Das Gericht wird
lediglich mit der Rechtsansicht zitiert, es werde wohl nur von einer einfachen
Urkundenfälschung ausgegangen; ein Bezug zu einem irgendwie gearteten
Geständnis des Beklagten ist nicht hergestellt worden. Eine hiervon abwei-
chende Sachverhaltsdarstellung ist im gesamten disziplinargerichtlichen Verfah-
ren weder vom Beklagten noch für den Beklagten abgegeben worden. Ange-
sichts dessen kann von einer Urteilsabsprache mit der Folge offensichtlicher
Unrichtigkeit zugrunde liegender Feststellungen und damit des Wegfalls der
Bindungswirkung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG keine Rede sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Streitwert für das
Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil die Höhe der Ge-
richtsgebühren betragsgenau festgelegt ist (§ 85 Abs. 12 Satz 1 und 2, § 78
Satz 1 BDG i.V.m. Nr. 10 und 62 des Gebührenverzeichnisses der Anlage zu
diesem Gesetz).
Domgörgen Dr. von der Weiden Dr. Hartung
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