Urteil des BVerwG vom 16.07.2007

Ernennung, Anhörung, Gutachter, Verfahrensbeteiligter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 55.07
OVG 1 Bf 20/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juli 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kugele und Dr. Heitz
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberver-
waltungsgerichts vom 25. Januar 2007 wird zurückgewie-
sen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 25 945 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf Verfahrensrügen gestützte Beschwerde der Klägerin kann keinen Erfolg
haben. Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass das Berufungsurteil an
einem Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO leidet.
Durch das Berufungsurteil hat das Oberverwaltungsgericht die erstinstanzliche
Abweisung der Klage bestätigt, mit der die als angestellte Lehrerin im Dienst
der Beklagten stehende Klägerin ihre Übernahme in das Beamtenverhältnis auf
Probe erreichen will. Nach der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts hat die
Beklagte rechtsfehlerfrei annehmen dürfen, auf Grund der Skolioseerkrankung
der Klägerin könnten häufige krankheitsbedingte dienstliche Fehlzeiten oder der
Eintritt der vorzeitigen Dienstunfähigkeit nicht mit der erforderlichen hohen
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Das Risiko chronischer Rücken-
schmerzen sei bei Skoliosepatienten generell deutlich höher als bei der Nor-
malbevölkerung. Es gebe keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse,
dass ein günstiger Krankheitsverlauf und eine gesunde Lebensführung geeignet
seien, dieses Risiko zu vermindern. Hierfür hat sich das Oberverwaltungs-
gericht auf ein zweites Sachverständigengutachten gestützt, das es eingeholt
hat, nachdem die Beklagte gegen das erste Gutachten erhebliche Einwendun-
gen erhoben hatte.
Die Klägerin rügt als Verletzung des rechtlichen Gehörs, dass das Oberverwal-
tungsgericht
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- dem ersten Sachverständigen keine Gelegenheit gege-
ben habe, zu den Einwendungen gegen sein Gutachten
Stellung zu nehmen;
- den von der Beklagten benannten Dr. M. als weiteren
Sachverständigen beauftragt habe, obwohl ihn die Klä-
gerin abgelehnt und einen anderen Gutachter vorge-
schlagen habe;
- den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit genommen
habe, den zweiten Sachverständigen einvernehmlich zu
bestimmen.
Hinsichtlich der dritten Rüge hält die Klägerin auch einen Verstoß gegen die
Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO für gegeben.
Mit dem Vorbringen, sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß
Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO sei verletzt worden, kann ein Verfah-
rensbeteiligter die Revisionszulassung wegen eines Verfahrensmangels im Sin-
ne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur erreichen, wenn er in der Tatsachenin-
stanz alle ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ausge-
schöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen. Die Gehörsrüge stellt kein Mittel
dar, um Versäumnisse in der Tatsacheninstanz wettzumachen (stRspr; vgl. nur
Beschlüsse vom 13. Januar 2000 - BVerwG 9 B 2.00 - Buchholz 310 § 133
VwGO n.F. Nr. 53 und vom 30. Januar 2003 - BVerwG 1 B 169.02 -
Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 67).
Schon aus diesem Grund können die erste und die zweite Gehörsrüge keinen
Erfolg haben. Die Klägerin hat die prozessualen Möglichkeiten nicht wahrge-
nommen, die ihr eröffnet waren, um eine Anhörung des ersten Sachverständi-
gen zu den Einwendungen der Beklagten zu erreichen und die Erstattung des
zweiten Gutachtens durch Dr. M. zu verhindern:
Hinsichtlich der ergänzenden Anhörung des ersten Sachverständigen hat es die
Klägerin versäumt, einen darauf gerichteten Beweisantrag zu stellen. Einem
solchen Antrag hätte das Oberverwaltungsgericht stattgeben müssen, wenn die
Klägerin die allgemeine Richtung der weiteren Aufklärung angegeben hätte.
Denn das Tatsachengericht ist gemäß § 98 VwGO, §§ 402, 397 ZPO in der
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Regel verpflichtet, das Erscheinen des gerichtlich bestellten Sachverständigen
in der mündlichen Verhandlung zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens
anzuordnen, wenn ein Verfahrensbeteiligter diese Anordnung beantragt, weil er
dem Sachverständigen Fragen stellen will (stRspr; vgl. nur Urteil vom 9. März
1984 - BVerwG 8 C 97.83 - BVerwGE 69, 70 <77> und Beschluss vom
21. September 1994 - BVerwG 1 B 131.93 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 46).
Demgegenüber hat sich die Klägerin darauf beschränkt, mit Schriftsatz vom
3. Mai 2004 Bedenken gegen die Einholung eines weiteren Gutachtens vor An-
hörung des ersten Sachverständigen zu äußern. Dies vermag die Stellung ei-
nes Beweisantrags nicht zu ersetzen.
Auch hat es die Klägerin versäumt, einen Ablehnungsantrag gegen den Sach-
verständigen Dr. M. wegen Besorgnis der Befangenheit zu stellen. Gemäß § 98
VwGO, § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag binnen zwei Wo-
chen nach Bekanntgabe der Ernennung zu stellen. Die formlose Mitteilung der
Ernennung genügt, um die Frist in Gang zu setzen. Die Ablehnung eines Sach-
verständigen vor dessen Ernennung ist unzulässig (Greger in Zöller, ZPO, 26.
Auflage, § 406 Rn. 10, 11; Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage, § 98 Rn.
175 m.w.N.). Gemäß § 98 VwGO, § 406 Abs. 3 ZPO ist der Ablehnungsgrund
glaubhaft zu machen.
Der Vorschlag der Klägerin in dem Schriftsatz vom 29. März 2004, einen na-
mentlich benannten anderen Arzt als weiteren Sachverständigen zu bestellen,
kann bei verständiger Betrachtungsweise offensichtlich nicht als Ablehnung des
Gutachters Dr. M. wegen Besorgnis der Befangenheit gewertet werden. Zudem
war Dr. M. bei Eingang des Schriftsatzes noch nicht zum Sachverständigen
ernannt. Seine Ernennung ist den Verfahrensbeteiligten erst durch gerichtliches
Hinweisschreiben vom 21. April 2004 mitgeteilt worden.
In den Schriftsätzen vom 3. Mai und 19. Mai 2004 hat die anwaltlich vertretene
Klägerin zwar Bedenken gegen diesen Gutachter wegen dessen aus ihrer Sicht
ungeklärten Beziehungen zur Beklagten vorgebracht, jedoch keine Ableh-
nungsgründe genannt, sondern nur Fragen, jedenfalls keinen Ablehnungsan-
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trag gestellt. Aufgrund eines solchen Antrags hätte es Dr. M. oblegen, darzule-
gen, in welchem Verhältnis er zu der Beklagten stand. Auch war bei Eingang
des Schriftsatzes vom 19. Mai 2004 die gesetzliche Zweiwochenfrist bereits
abgelaufen. Der Schriftsatz mit Datum vom 18. Februar 2004, in dem die Klä-
gerin diese Bedenken ebenfalls äußert, ist erst am 2. Juli 2004 nach dem ge-
richtlichen Hinweis, er befinde sich nicht in den Akten, eingereicht worden.
Schließlich hat die Klägerin in keinem Schriftsatz einen Ablehnungsgrund
glaubhaft gemacht.
Die Gehörs- und Aufklärungsrüge der Klägerin, das Gericht habe ihr die Mög-
lichkeit abgeschnitten, den zweiten Sachverständigen einvernehmlich mit der
Beklagten zu bestimmen, geht bereits deshalb fehl, weil sich Klägerin und Be-
klagte gerade nicht gemäß § 98 VwGO, § 404 Abs. 4 ZPO über eine bestimmte
Person einigen konnten. Beide Beteiligte haben verschiedene Personen als
Sachverständige vorgeschlagen und trotz des jeweiligen Gegenvorschlags da-
ran festgehalten. Anhaltspunkte für die Möglichkeit eines Einvernehmens sind
weder von der Klägerin dargelegt worden noch aus den Gerichtsakten ersicht-
lich. Somit ist es gemäß § 98 VwGO, § 404 Abs. 1 ZPO Sache des Oberverwal-
tungsgerichts gewesen, den zweiten Sachverständigen nach billigem Ermessen
zu bestimmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 5
Satz 1 Nr. 2 GKG.
Albers Dr. Kugele Dr. Heitz
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