Urteil des BVerwG vom 08.02.2005

Klagebegehren, Bemessungszeitraum, Schwellenwert, Kopie

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 55.04
OVG 1 A 661/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Februar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. K u g e l e und Dr. H e i t z
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 17. März 2004 wird zurück-
gewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerde-
verfahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Der Klä-
ger hat nicht dargelegt, dass ein Revisionszulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2
Nr. 1 bis 3 VwGO gegeben ist.
1. Der Kläger hat geltend gemacht, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeu-
tung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Dieser Zulassungsgrund liegt vor,
wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren eine konkrete Rechtsfrage von ent-
scheidungserheblicher Bedeutung beantwortet werden kann, die im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortbildung des Rechts revisionsgericht-
licher Klärung bedarf. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO obliegt es dem Beschwer-
deführer, diese Voraussetzungen darzulegen. Er muss darauf eingehen, weshalb
von der Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage die Entscheidung über sein
Klagebegehren abhängt. Zudem muss er erläutern, worin der allgemeine, über den
Einzelfall hinausgehende Bedarf an der rechtlichen Klärung der Frage liegen soll.
Hierfür reichen Hinweise auf die tatsächliche Bedeutung der Frage für eine Vielzahl
von Fällen nicht aus (Urteil vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13,
90 <91>; stRspr).
Der Kläger hat als grundsätzlich bedeutsam die Frage aufgeworfen,
"ob die Gewährung einer Dienstbefreiung für geleistete Nachtdienststunden ei-
nes Beamten verwehrt werden kann, weil die Summe der Nachtdienststunden
den zur Gewährung einer Dienstbefreiung erforderlichen Schwellenwert zwar
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insgesamt und auch innerhalb von 12 Monaten, regelmäßig über Jahre hinweg,
jedoch nicht in einem Kalenderjahr erreicht".
Diese Fragestellung ist mehrdeutig; sie lässt zwei Auslegungen zu. Nach der Formu-
lierung soll womöglich geklärt werden, ob die Nachtdienststunden, die gemäß § 5
Abs. 4 ArbZV für die Gewährung von Dienstbefreiung erforderlich sind, innerhalb ei-
nes kalendermäßig nicht bestimmten Zeitraums von 12 Monaten geleistet werden
dürfen. Die Frage kann aber auch so zu verstehen sein, dass es dem Kläger um die
Klärung geht, ob § 5 Abs. 4 ArbZV die Anrechnung von nicht abgegoltenen Nacht-
dienststunden bei der Ermittlung der Schwellenwerte im folgenden Kalenderjahr ges-
tattet oder vorschreibt. Auch aus dem weiteren Beschwerdevortrag erschließt sich
der Bedeutungsgehalt der Frage nicht eindeutig. Dies kann letztlich dahingestellt
bleiben, weil keine Auslegung zur Zulassung der Revision führt:
Mit seinem Klagebegehren hat der Kläger bis zum Abschluss des Berufungsverfah-
rens geltend gemacht, der Beklagte müsse die in einem Kalenderjahr geleisteten, am
Ende dieses Jahres nicht durch Dienstbefreiung abgegoltenen Nachtdienststunden
im folgenden Kalenderjahr bei der Ermittlung der Schwellenwerte anrechnen. Diese
Arbeitsstunden dürften nicht verfallen. Dementsprechend hat der Kläger in der Beru-
fungsverhandlung beantragt, den Beklagten zu verurteilen, zu seinen Gunsten dieje-
nige Summe von Nachtdienststunden, die in einem Kalenderjahr angefallen sind, die
nicht den Schwellenwert erreicht, den § 5 Abs. 4 ArbZV für die Gewährung von
Dienstbefreiung voraussetzt, bei der Prüfung einer möglichen Gewährung von
Dienstbefreiung im jeweils folgenden Kalenderjahr zu berücksichtigen.
Daraus folgt, dass in der vorliegenden Rechtssache kein Bedarf an der Klärung be-
steht, ob Bemessungszeitraum für die Ermittlung der Schwellenwerte gemäß § 5
Abs. 4 ArbZV das Kalenderjahr oder ein kalendermäßig nicht bestimmter Zeitraum
von 12 Monaten ist. Denn das Klagebegehren beruht auf der rechtlichen Grundlage,
dass maßgeblicher Bemessungszeitraum das Kalenderjahr ist. Nur unter dieser Vo-
raussetzung macht die Anrechnung von Nachtdienststunden im folgenden Kalender-
jahr Sinn. Müssten die Schwellenwerte gemäß § 5 Abs. 4 ArbZV innerhalb eines
nicht kalendermäßig bestimmten Zeitraums erreicht werden, so ginge das Klagebe-
gehren ins Leere. Die Klage wäre offensichtlich unbegründet. Die Frage, ob ein Be-
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messungszeitraum mit flexiblem Anfang und Ende anstelle des Kalenderjahres maß-
geblich ist, stellte sich, wenn ein anderes Klagebegehren, nämlich Ansprüche auf
Gewährung von Dienstbefreiung wegen des Erreichens der Schwellenwerte inner-
halb dieses Zeitraums, geltend gemacht würde. Hierfür bedürfte es einer Klageände-
rung, die in einem Revisionsverfahren unzulässig ist (§ 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Hinsichtlich der Frage, ob § 5 Abs. 4 AZVO NW die Berücksichtigung von Nacht-
dienststunden im folgenden Kalenderjahr gestattet oder vorschreibt, hat der Kläger
nicht dargelegt, dass ein Bedarf an rechtsgrundsätzlicher Klärung besteht. Hierfür
hätte die Beschwerdebegründung jedenfalls in Grundzügen auf den rechtlichen
Streitstoff eingehen müssen, wie ihn das Berufungsgericht durch seine Auslegung
von § 5 Abs. 4 AZVO NW nach Systematik und Normzweck vorgegeben hat. Der
Kläger hätte Gesichtspunkte vortragen müssen, die Zweifel an der Richtigkeit der
Auslegung des Berufungsgerichts begründen können (Beschluss vom 9. März 1993
- BVerwG 3 B 105.92 - NJW 1993, 2825). Ein derartiger Beschwerdevortrag fehlt:
Die Ausführungen zur "Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers" sind für die Aus-
legung von § 5 Abs. 4 AZVO NW ebenso wenig von Bedeutung wie die Aussage, es
fehle an einem "dienstlichen Bedürfnis" für die Verwaltungspraxis des Beklagten. Die
Hinweise auf die weitreichende tatsächliche Bedeutung der Rechtssache sind nicht
geeignet, um einen Klärungsbedarf in rechtlicher Hinsicht darzulegen.
2. Mit der Rüge, das Berufungsgericht habe den Inhalt eines Aushangs vom 25. April
1990 nicht berücksichtigt, macht der Kläger geltend, sein Anspruch auf Gewährung
rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO sei verletzt wor-
den.
Das vom Gehörsanspruch umfasste Recht auf Berücksichtigung erfordert, dass das
Gericht das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten vollständig zur Kenntnis nimmt und
bei seiner Entscheidungsfindung in Erwägung zieht. Daraus folgt jedoch nicht, dass
jeder vorgetragene tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkt in den Entschei-
dungsgründen abgehandelt werden muss. Aus dem Umstand, dass das Gericht auf
Vorbringen eines Beteiligten nicht eingegangen ist, kann nur dann der Schluss auf
einen Gehörsverstoß gezogen werden, wenn dieses Vorbringen den Kern des Betei-
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ligtenvortrags zu einem maßgeblichen Gesichtspunkt betrifft (BVerfGE 65, 293, 295;
86, 133, 145).
Der Kläger hat den behaupteten Gehörsverstoß nicht gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO dargelegt. Es gibt keine Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass er den Aus-
hang zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht hat. Der Vortrag, er
habe den Aushang in der mündlichen Verhandlung übergeben, lässt sich nicht bele-
gen. Die Übergabe wird weder im Tatbestand des Berufungsurteils noch in der Sit-
zungsniederschrift über die Berufungsverhandlung erwähnt. Zudem enthalten die
Gerichtsakten keine Abschrift des Aushangs oder einen Hinweis auf diesen. Insbe-
sondere findet sich ein solcher Hinweis in den Schriftsätzen des Klägers nicht.
Darüber hinaus reichen die Angaben in der Beschwerdebegründung nicht aus, um
beurteilen zu können, ob der Aushang einen entscheidungserheblichen Gesichts-
punkt des Verfahrens betrifft. Denn der Kläger hat den Inhalt nur stichwortartig dar-
gestellt. Auch hat er der Beschwerdebegründung nicht wie behauptet eine Kopie des
Aushangs beigefügt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streit-
werts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F., § 71
Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
Albers
Dr. Kugele
Dr. Heitz