Urteil des BVerwG vom 10.07.2014

Durchsuchung, Wohnung, Beschlagnahme, Erwerb

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 54.13
OVG 80 D 15.10
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Juli 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dollinger
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 21. März 2013 wird zurückgewie-
sen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Aus
dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass ein Revisionszulassungs-
grund gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 VwGO, § 41 Disziplinargesetz des
Landes Berlin - DiszG - und § 69 BDG vorliegt.
1. Der 1970 geborene und seit 2003 geschiedene Beklagte steht seit 1986 im
Dienst des Klägers, zuletzt im Amt eines Polizeikommissars (Besoldungsgruppe
A 9).
Im Januar 2003 verurteilte das Amtsgericht den Beklagten durch rechtskräftig
gewordenes Urteil wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr sowie wegen
vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren
ohne Fahrerlaubnis. Mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl vom Oktober
2008 verhängte das Amtsgericht gegen den Beklagten darüber hinaus eine zur
Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von 10 Monaten, weil er im Mai 2000
und August 2001 jeweils an einem zum Zwecke des Versicherungsbetrugs fin-
gierten Kfz-Unfall mitgewirkt habe. Dadurch sei den Versicherungsgesellschaf-
ten ein Vermögensschaden von insgesamt ca. 5 900 € entstanden. Weiter führ-
te der Beklagte im Jahr 2005 ohne dienstlichen Anlass zwei Datenabfragen in
polizeilichen Informationssystemen zu seiner Person und zu einer weiteren
Person durch. Außerdem räumte er ein, in der Silvesternacht 2005/2006 Kokain
konsumiert zu haben. Schließlich wurden in der Wohnung des Beklagten im
Januar 2006 vier Stangen (960) Zigaretten in Verpackungen ohne gültiges
Steuerzeichen gefunden.
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Auf die darauf gestützte Disziplinarklage hat das Verwaltungsgericht den Be-
klagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Dessen Berufung hat das Ober-
verwaltungsgericht mit im Wesentlichen folgender Begründung zurückgewie-
sen: Die fehlerhafte Unterzeichnung der Klageschrift sei durch Vorlage einer
ordnungsgemäß unterzeichneten Klageschrift im Berufungsverfahren geheilt
worden. Aufgrund der Anzahl und des Gewichts der Pflichtenverstöße sei der
Beklagte als Beamter nicht mehr tragbar. Erschwerend wirke die Wiederho-
lungstat beim eigennützigen Versicherungsbetrug ebenso wie das Versagen im
Kernbereich seiner dienstlichen Pflichten. Der Beklagte sei vor der polizeilichen
Beschuldigtenvernehmung über das Recht auf Aussageverweigerung zwar nur
wegen des Betrugsverdachts belehrt worden, nicht aber wegen der weiteren
Tatvorwürfe. Seine Angaben zum Vorhalt der unberechtigten Abfrage im poli-
zeilichen Informationssystem seien gleichwohl verwertbar, weil feststehe, dass
er als ausgebildeter Polizeibeamter sein Recht zu schweigen auch ohne Beleh-
rung gekannt habe. Die Disziplinarklage stelle zudem hinreichend konkret nicht
nur auf den Besitz, sondern auch auf den Erwerb der unversteuerten Zigaretten
ab. Ob die insoweit vollzogenen Wohnungsdurchsuchungen am 12. Januar
2006 vor und nach seiner bis 20:20 Uhr dauernden Vernehmung auf der Poli-
zeiwache den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hätten, könne dahin-
stehen, weil der Beklagte in diese und die Beschlagnahme der Zigaretten ein-
gewilligt habe und, davon unabhängig, ein möglicher Beweiserhebungsverstoß
nicht schwer wiege. Es lägen weder ein anerkannter Milderungsgrund noch
sonstige Milderungsgründe von beachtlichem Gewicht vor.
2. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) noch liegen die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO, § 41 DiszG, § 69 BDG) vor. Eine Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO) ist aus dem Beschwerdevorbringen nicht ersichtlich.
a) Ob die Rüge des Beklagten, die Disziplinarklage sei nicht ordnungsgemäß
erhoben, weil der formelle Mangel ihrer fehlerhaften Unterzeichnung im Beru-
fungsverfahren nicht mehr heilbar gewesen sei, als Grundsatz- oder als Verfah-
rensrüge zu verstehen ist, kann dahin gestellt bleiben. Die Beschwerde kann
mit beiden Rügen keinen Erfolg haben.
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Die aufgeworfene Rechtsfrage zur Frage der Heilung einer mangelhaften Diszi-
plinarklage ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ge-
klärt. Danach leidet eine Disziplinarklageschrift zwar an einem wesentlichen
Mangel, wenn sie von einer unzuständigen Behörde oder einem Beamten erho-
ben wird, der nicht befugt ist, für die zuständige Behörde tätig zu werden (Urteil
vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 58 m.w.N.).
Ein solcher Mangel kann nach § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG - hier i.V.m. § 41
DiszG - indes dadurch geheilt werden, dass die zuständige Stelle (Behörde
oder Dienstvorgesetzter) eine neue Disziplinarklageschrift in eigenem Namen
einreicht. Dies ist auch noch im Berufungsverfahren möglich, setzt allerdings
voraus, dass dem Vorgehen keine schutzwürdigen Interessen des Beamten
entgegenstehen (Urteil vom 28. Februar 2013 a.a.O. Rn. 63 m.w.N. und Be-
schluss vom 23. September 2013 - BVerwG 2 B 51.13 - juris Rn. 7).
An diesen Maßstäben orientiert hat das Oberverwaltungsgericht in fehlerfreier
Rechtsanwendung festgestellt, dass die von einem unzuständigen Beamten
unterzeichnete Disziplinarklageschrift mit dem Einreichen einer neuen wortlaut-
gleichen Klageschrift durch die zuständige Polizeivizepräsidentin geheilt worden
ist. Damit steht fest, dass insoweit auch kein Verfahrensmangel im Sinne von
§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in Form eines Verstoßes gegen § 55 BDG, § 41
DiszG vorliegt.
b) Entgegen der Verfahrensrüge des Beklagten ist seine Aussage zum Vorwurf
unberechtigter Abfragen in polizeilichen Informationssystemen trotz fehlender
Belehrung verwertbar.
Nach § 163a Abs. 4 Satz 1 StPO ist dem Beschuldigten bei seiner ersten Ver-
nehmung durch Beamte des Polizeidienstes zu eröffnen, welche Tat ihm zur
Last gelegt wird. Danach ist es geboten, dem Beschuldigten den historischen
Lebenssachverhalt mitzuteilen. Ihm ist klar zu machen, wegen welcher Art von
Straftat er sich nach Auffassung des Vernehmenden strafbar gemacht hat (vgl.
Erb, in Löwe-Rosenberg, StPO, Kommentar, 26. Aufl. 2007, § 163a Rn. 79
m.w.N.).
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Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist dem Beklagten von
der ermittelnden Polizeibeamtin nach Belehrung über sein Recht auf Aussage-
verweigerung und Konsultation eines Verteidigers nur eröffnet worden, dass
gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des gewerbs- und
bandenmäßigen Betrugs geführt werde. An einer Belehrung im Hinblick auf die
Ermittlung wegen des Verdachts auf Verletzung des Dienstgeheimnisses hat es
hingegen gefehlt.
Aus einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 163a StPO folgt aber
kein Verwertungsverbot für die Aussage, wenn der Betroffene der Verwertung
nicht rechtzeitig widersprochen hat (Beschluss vom 6. August 2009 - BVerwG
2 B 45.09 - Buchholz 235 § 26 BDO Nr. 3 Rn. 18). Für das Strafverfahren hat
der Bundesgerichtshof diese Grundsätze dahin konkretisiert, dass der Wider-
spruch bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt vorliegen muss. Die
Nichtausübung des Widerspruchsrechts innerhalb der Frist führt zum endgülti-
gen Rechtsverlust. Dies gilt auch für die Beweiserhebung und -verwertung in
einer weiteren Tatsacheninstanz (BGH, Beschlüsse vom 27. Februar 1992
- 5 StR 190/91 - NJW 1992, 1463 <1464 f.>, vom 3. Dezember 2003 - 5 StR
307/03 - NStZ 2004, 389, vom 9. November 2005 - 1 StR 447/05 - NJW 2006,
707 und vom 11. September 2007 - 1 StR 273/07 - NJW 2007, 3587 <3588>).
Diese Rechtsgrundsätze sind auch im Disziplinarverfahren anwendbar. Danach
ist ein Beweis, der unter Verstoß gegen die gesetzliche Belehrungspflicht zu-
stande gekommen ist, verwertbar, wenn der Beamte der Verwertung nicht spä-
testens in der mündlichen Verhandlung widerspricht, in der das Verwaltungsge-
richt den Beweis erhebt (Beschluss vom 6. August 2009 a.a.O. Rn. 20).
Daraus folgt für den vorliegenden Fall: Der Beklagte hat der Verwertung anläss-
lich des in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht eingeführ-
ten Vorwurfs der unberechtigten Datenabfragen in einem polizeilichen Informa-
tionssystem laut den Feststellungen in der Sitzungsniederschrift vom 14. Sep-
tember 2010 nicht widersprochen; dies hat er vielmehr erstmals - und damit
verspätet - im Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht getan.
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Angesichts des Vorstehenden kann dahin gestellt bleiben, ob die Erwägung des
Oberverwaltungsgerichts trägt, die ohne zureichende Belehrung nach § 163a
Abs. 4 Satz 1 StPO erfolgte Aussage des Beklagten wegen unberechtigter
Datenabfragen bei Verdacht auf Verletzung des Dienstgeheimnisses sei ver-
wertbar, weil feststehe, dass er sein Schweigerecht vor dem Hintergrund seiner
polizeilichen Ausbildung und langjähriger Berufserfahrung auch ohne konkret
tatvorwurfbezogene Belehrung gekannt habe.
c) Des Weiteren greifen auch die Rügen des Beklagten in Bezug auf den Vor-
wurf des Erwerbs unversteuerter Zigaretten im Ergebnis nicht durch. Dabei
kann wieder dahin gestellt bleiben, ob die Rügen als Grundsatz- und/oder als
Verfahrensrügen zu verstehen sind.
aa) Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache wird nicht
durch die Behauptung aufgeworfen, der Erwerb von 960 Zigaretten ohne gülti-
ges Steuerzeichen, sei nicht hinreichend konkret und aus sich heraus verständ-
lich in der Disziplinarklageschrift dargestellt. Die inhaltlichen Anforderungen an
eine Disziplinarklageschrift sind durch die Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts geklärt. Nach § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG i.V.m. § 41 DiszG muss die
Klageschrift die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die
anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind,
geordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergelei-
tet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Dadurch soll
sichergestellt werden, dass sich der Beamte gegen die disziplinarischen Vor-
würfe sachgerecht verteidigen kann.
Diese Anforderungen an die Klageschrift tragen dem Umstand Rechnung, dass
sie Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festlegt. Denn
gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 BDG dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der
Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage oder der Nach-
tragsklage als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind. Aus der Klage-
schrift muss bei verständiger Lektüre deshalb eindeutig hervorgehen, welche
konkreten Handlungen dem Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt wer-
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den (Urteil vom 25. Januar 2007 - BVerwG 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG
Nr. 4 Rn. 27 f., Beschluss vom 6. April 2011 - BVerwG 2 B 65.10 -
nicht veröffentlicht in Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 17> juris Rn. 13 und zu-
letzt Beschluss vom 17. Juli 2013 - BVerwG 2 B 27.12 - juris Rn. 14 m.w.N.).
Diese Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht an die vorliegende Diszipli-
narklageschrift angelegt. Da die Ermittlung ihres Inhalts revisionsrechtlich als
Tatsachenfeststellung im Sinne von § 137 Abs. 2 VwGO gilt, kann die Ausle-
gung des Oberverwaltungsgerichts vom Senat nur darauf geprüft werden, ob
das Gericht gegen einen Auslegungsgrundsatz, einen allgemeinen Erfahrungs-
satz oder gegen Denkgesetze verstoßen hat (stRspr; vgl. Urteil vom 30. Ok-
tober 2013 - BVerwG 2 C 23.12 - BVerwGE 148, 217 Rn. 14). Dafür ist vorlie-
gend nichts ersichtlich, weil sich die Disziplinarklageschrift über die Tatsache
des Zigarettenbesitzes hinausgehend auf die Aussagen des Beklagten gegen-
über der ermittelnden Polizeibeamtin zum Zigarettenerwerb stützt. Damit geht
aus der Klageschrift hervor, welche konkrete Handlung dem Beklagten vorge-
halten wird.
bb) In Bezug auf den Erwerb unversteuerter Zigaretten hat das Oberverwal-
tungsgericht auch ein sich aus der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung erge-
bendes Verwertungsverbot verneint.
Revisionsrechtlich stellt sich indes die Frage, ob es anlässlich der Beschlag-
nahme der Zigaretten überhaupt zu einer Durchsuchung im Rechtssinn ge-
kommen ist. Mit der Beschwerde rügt der Beklagte nur, die Zigaretten seien in
seiner Wohnung nachträglich beschlagnahmt worden, nachdem die Wohnung
zuvor durchsucht worden und er auf dem Polizeirevier vernommen worden sei.
Im Anschluss an die Vernehmung sei der Beklagte von Polizeibeamten wieder
in seine Wohnung gebracht worden. Dort sei ihm von den Beamten erklärt wor-
den, sie hätten „vergessen“, die Zigaretten zu beschlagnahmen und wollten
dies nun nachholen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Durchsu-
chung eine amtliche Suche nach Beweismitteln im Zuge von Ermittlungen we-
gen des Verdachts auf ein Dienstvergehen oder eine Straftat (Urteil vom
16. März 2004 - BVerwG 2 WD 3.04 - BVerwGE 120, 193 <203> = Buchholz
235.01 § 93 WDO 2002 Nr. 1 S. 7 f.). Kennzeichen ist die ziel- und zweckge-
richtete Suche staatlicher Organe nach etwas Verborgenem in einem bestimm-
ten abgrenzbaren Bereich oder Objekt (BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 1987
- 1 BvR 1113/85 - BVerfGE 75, 318 <327> und Urteil vom 31. März 2011
- BVerwG 2 A 11.08 - Buchholz 235.1 § 27 BDG Nr. 1 Rn. 14). Bei von Polizei-
beamten anlässlich der Durchsuchung nur „vergessenen“ Zigaretten, die im
Nachgang zu der Durchsuchung noch beschlagnahmt werden, handelt es sich
um nichts Verborgenes, das es zu suchen gilt. Die Zigaretten sind bereits auf-
gefunden gewesen; es hat nur noch ihrer Beschlagnahme bedurft. Damit ist für
die Beschlagnahme der Zigaretten entgegen der Auffassung des Beklagten
mangels Durchsuchung von vornherein kein Durchsuchungsbeschluss erforder-
lich gewesen.
In Ermangelung einer Durchsuchung im Hinblick auf die „vergessenen Zigaret-
ten“ bedarf es keiner Entscheidung über die rechtliche Tragfähigkeit der An-
nahme des Oberverwaltungsgerichts, eine richterliche Durchsuchungsanord-
nung für die Mitnahme der Zigaretten sei entbehrlich gewesen, weil der Beklag-
te dieses Vorgehen gestattet habe. Die tragende Erwägung des Oberverwal-
tungsgerichts, der Beklagte habe die Durchsuchung seiner Wohnung am
Nachmittag gestattet, hat der Beklagte nicht in Frage gestellt. Daher kann dahin
gestellt bleiben, ob das Oberverwaltungsgericht - eine fehlerhafte Beweiserhe-
bung unterstellend - zu Recht ein Beweisverwertungsverbot verneint hat.
d) Soweit der Beklagte weiter rügt, der von ihm eingeräumte außerdienstliche
Kokainkonsum in der Silvesternacht 2005/2006, dürfe ihm mangels Dienstbe-
zugs und wegen fehlender Strafbarkeit nicht disziplinarisch vorgehalten werden,
hat er keine Frage aufgeworfen, mit der er die Revisionszulassung wegen
grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erreichen
kann. Die Maßstäbe für die disziplinarische Relevanz außerdienstlichen Verhal-
tens sind durch das Bundesverwaltungsgericht geklärt (Urteile vom 25. März
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2010 - BVerwG 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 = Buchholz 235.1 § 13 BDG
Nr. 11 jeweils Rn. 16 und vom 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 16.10 - BVerwGE
140, 185 = Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 18 jeweils Rn. 20 f.).
Im hier maßgeblichen Zeitraum galt § 40 Abs. 1 Satz 2 LBG a.F. Danach stellt
ein außerdienstliches Verhalten nur dann ein disziplinarrechtlich relevantes
Fehlverhalten dar, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem
Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für das Amt des Beamten
oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
An die Stelle des § 40 Abs. 1 Satz 2 LBG a.F. ist nunmehr § 47 Abs. 1 Satz 2
BeamtStG getreten. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist
geklärt, dass diese Regelung die disziplinarrechtliche Relevanz außerdienstli-
chen Fehlverhaltens nicht eingeschränkt hat. Der Gesetzgeber hat mit der Re-
gelung in § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG kein dem Beklagten materiell günstige-
res Recht geschaffen (vgl. zur Meistbegünstigung, Urteil vom 25. August 2009
- BVerwG 1 D 1.08 - Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1 = NVwZ 2010, 713).
Dazu hat der Senat im Urteil vom 25. März 2010 (a.a.O. Rn. 16) wörtlich ausge-
führt:
„In Reaktion auf diese Rechtsprechung erwähnt § 47
Abs. 1 Satz 2 BeamtStG den Ansehensverlust nicht mehr.
Insoweit wird in der Gesetzesbegründung hervorgehoben,
dass die vorkonstitutionelle Auffassung, Beamte seien
‚immer im Dienst
‛, in dieser Allgemeinheit nicht mehr gelte.
Es gehe allein um das Vertrauen in eine objektive, recht-
mäßige und effiziente Aufgabenerfüllung (vgl. BTDrucks
16/4027). Eine Rechtsänderung ergibt sich hieraus nicht.
Die Wahrung des ‚Ansehens des Beamtentums
‛ dient al-
lein der Erhaltung eines allgemeinen Vertrauens in eine
rechtsstaatliche Verwaltung. Das Berufsbeamtentum soll
eine stabile gesetzestreue Verwaltung sichern, die freiheit-
lich-demokratische Rechtsordnung verteidigen und durch
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einen ausgleichen-
den Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden
politischen Kräften darstellen.“
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e) Des Weiteren hat der Beklagte den behaupteten Verstoß des Oberverwal-
tungsgerichts gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht dargelegt. Der Beklagte
macht insoweit geltend, das Oberverwaltungsgericht habe seinen Vortrag nicht
berücksichtigt, nachdem ihn seine Ehefrau verlassen habe, sei er unverschuldet
in wirtschaftliche Not und eine schwere psychische Situation geraten. Ferner
habe das Oberverwaltungsgericht nicht beachtet, dass er trotz weiterer Auffor-
derungen seines Kollegen nach 2001 der Versuchung, sich an weiteren Betrü-
gereien zu beteiligen, widerstanden habe und den Kontakt zu dem Kollegen im
Jahre 2006 völlig abgebrochen habe.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien,
aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Daraus
folgt die Verpflichtung, der Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestell-
ten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen. Das Gericht darf
nicht einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse bei
seiner rechtlichen Würdigung außer Acht lassen. Insbesondere darf es keinen
Umstand übergehen, dessen Entscheidungserheblichkeit sich ihm auf der
Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen. In solchen Fäl-
len fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeu-
gungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdi-
gung als solche nicht zu beanstanden ist (stRspr; vgl. Beschluss vom 18. No-
vember 2008 - BVerwG 2 B 63.08 - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 27 =
NVwZ 2009, 399 <401>).
Diese Grundsätze hat das Oberverwaltungsgericht bei der Bemessung der Dis-
ziplinarmaßnahme gegenüber dem Beklagten beachtet. Es hat die in der Be-
schwerdebegründung genannten Umstände in den Gründen des Berufungs-
urteils abgehandelt. Schon deshalb hat es nicht auf der Grundlage eines lü-
ckenhaften Sachverhalts entschieden. Mit Einwendungen gegen die Gewich-
tung der be- und entlastenden Umstände nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG
kann ein Verfahrensfehler nicht dargelegt werden.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 41 DiszG, § 69 BDG und § 154 Abs. 2
VwGO. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es
nicht, weil die Gebühren gemäß § 41 DiszG nach dem Gebührenverzeichnis
der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden.
Domgörgen
Dr. Heitz
Dollinger
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