Urteil des BVerwG vom 24.08.2009

Ausbildung, Ernennung, Aufteilung, Verordnung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 54.09
OVG 1 L 48/08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. August 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Maidowski
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts des Landes Sachsen-Anhalt vom 23. März 2009
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 4 900 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Klägerin macht einen auf § 4 der Zweiten Verordnung über besoldungs-
rechtliche Übergangsregelungen nach Herstellung der Einheit Deutschlands
(2. BesÜV) in der bis zum 24. November 1997 geltenden Fassung gestützten
Anspruch auf Zahlung eines Zuschusses in Höhe des Unterschiedsbetrages
zwischen den Bezügen nach § 2 der Verordnung und den bei gleichem Amt für
das bisherige Bundesgebiet geltenden Dienstbezügen geltend. Sie ist der An-
sicht, ihr stehe ein solcher Anspruch zu, weil sie die Befähigungsvoraussetzun-
gen für ihre Ernennung zur Steuerinspektorin z.A. im Rahmen eines dreijähri-
gen Vorbereitungsdienstes zur Hälfte im bisherigen Bundesgebiet erworben
habe.
Die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Fragen führen nicht
zur Zulassung der Revision. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden
Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall
hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Ein-
heitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in ei-
nem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind
nicht erfüllt, wenn eine von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage bereits
geklärt ist oder auf Grund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln
sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtspre-
chung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann.
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1. Mit der Frage
„Liegt eine willkürliche Verteilung der Teilnehmer am Ausbildungs-
jahrgang der Klägerin vor, mit der Folge, dass kein Ausschluss von
der Zuschussgewährung erfolgen kann?"
bezieht sich die Beschwerde auf den Umstand, dass der Ausbildungsjahrgang
der Klägerin in zwei Gruppen aufgeteilt wurde mit der Folge, dass die Absolven-
ten der einen Gruppe nicht nur die wesentlichen Teile der berufspraktischen
Zeiten, sondern auch die Fachstudien im bisherigen Bundesgebiet absolviert
haben, während die Absolventen der anderen Gruppe - u.a. die Klägerin - die
theoretische Ausbildung im Beitrittsgebiet erhielten. Die Frage ist jedoch nicht
von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung, weil sie nicht die Auslegung revisiblen
Rechts, sondern die Würdigung tatsächlicher Verhältnisse und damit lediglich
seine Anwendung auf einen Einzelfall betrifft; die Auslegung des verfassungs-
rechtlichen Willkürverbots ist durch die Rechtsprechung geklärt (vgl. BVerfG,
Kammerbeschluss vom 13. Mai 2009 - 2 BvR 718/08 - LKV 2009, 315).
2. Auch die weitere Frage
„Ist die im bisherigen Bundesgebiet absolvierte Ausbildungshälfte
genau rechnerisch zu bestimmen?"
bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie lässt sich, soweit sie
in der Rechtsprechung des Senats nicht bereits geklärt ist, auf Grund des Ge-
setzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung ohne
Weiteres beantworten.
Die Klägerin möchte geklärt wissen, ob bei der Ermittlung der im Beitrittsgebiet
einerseits und im bisherigen Bundesgebiet andererseits verbrachten Ausbil-
dungszeiten zum Erwerb der Befähigungsvoraussetzungen im Sinne des § 4
2. BesÜV eine taggenaue Berechnung der jeweils konkret festzustellenden
Anwesenheitszeiten geboten oder ob eine gewisse, an Regelungen in Ausbil-
dungs- und Prüfungsordnungen anknüpfende Pauschalierung zulässig ist. Die-
se Frage ist dahin zu beantworten, dass eine derartige Pauschalierung keine
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hinreichende Grundlage für die Feststellung bieten kann, ob ein Beamter die für
seine Ernennung erforderlichen Befähigungsvoraussetzungen zumindest zur
Hälfte (Urteil vom 15. Juni 2006 - BVerwG 2 C 14.05 - Buchholz 240 § 73
BBesG Nr. 12) im bisherigen Bundesgebiet erworben hat. Vielmehr ist nach der
Rechtsprechung des Senats allein die tatsächliche Ausbildungszeit dafür maß-
geblich, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 2. BesÜV a.F. insoweit
vorliegen (Beschluss vom 21. April 2009 - BVerwG 2 B 21.09 - juris). Deshalb
ist eine Anknüpfung an die den Beamten während des Vorbereitungsdienstes
betreffenden Zuweisungsentscheidungen geboten, aus denen sich eindeutig
und taggenau ergibt, welche Ausbildungs- und Arbeitsstätten der Beamte be-
sucht hat.
Nach § 4 2. BesÜV kommt es für das Bestehen eines Anspruchs auf den Zu-
schuss nach der Vorschrift darauf an, wo der Beamte die für seine Ernennung
maßgeblichen Befähigungsvoraussetzungen „erworben" hat. In diesem Zu-
sammenhang sind weder die dienstrechtliche Verbindung eines Bediensteten
zu einer Behörde oder einem Dienstherrn mit Gebietshoheit noch die Begrün-
dung eines Wohnsitzes von Bedeutung (Urteil vom 15. Juni 2006 a.a.O.). Maß-
geblich ist vielmehr, ob die Ausbildungs- bzw. Dienstorte während der Ausbil-
dung im Beitrittsgebiet oder im bisherigen Bundesgebiet gelegen haben (Urteile
vom 25. Mai 2004 - BVerwG 2 C 69.03 - DVBl 2004, 1414, und vom 11. März
1999 - BVerwG 2 C 24.98 - Buchholz 240 § 73 BBesG Nr. 3). Denn an diesen
Orten hatte sich der Beamte während seines Vorbereitungsdienstes aufzuhal-
ten, um dort die Befähigung für eine Ernennung zu erwerben. Wie lange sich
der Beamte an den jeweiligen Ausbildungs- und Dienstorten aufzuhalten hatte,
lässt sich eindeutig den im Laufe des Vorbereitungsdienstes an ihn gerichteten
Zuweisungsentscheidungen entnehmen. Sie lassen im Regelfall ohne erhebli-
chen Aufwand eine rechtssichere und taggenaue Berechnung der für § 4
2. BesÜV relevanten Zeiträume zu.
Gegen eine Anknüpfung an die Zuweisung zu einem Dienstort oder zu einer
Ausbildungsstätte kann nicht eingewandt werden, dass auf diese Weise Zufäl-
ligkeiten wie krankheitsbedingte Abwesenheiten, Urlaubstage oder die Lage
beweglicher Feiertage im Jahr ausschlaggebend für die Zuerkennung des Zu-
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schusses nach § 4 2. BesÜV werden könnten. Denn bei einer Anknüpfung an
Zuweisungsentscheidungen kommt es gerade nicht darauf an, ob sich der Be-
amte an jedem Tag eines Ausbildungsabschnitts an seinem Ausbildungs- oder
Dienstort aufgehalten hat oder ob er krankheits- oder urlaubsbedingt abwesend
war; Urlaubstage sind ebenso wie Zeiten der Dienstunfähigkeit dem Ausbil-
dungsabschnitt zuzurechnen, in dem sie angefallen sind. Die Frage, ob ein
pflichtwidriges Fernbleiben vom zugewiesenen Dienst- oder Ausbildungsort an-
ders zu behandeln wäre, bedarf im vorliegenden Fall keiner näheren Betrach-
tung.
Die Klägerin war nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts
lediglich in der Zeit vom 8. Juli 1993 bis zum 6. März 1994 sowie vom 1. De-
zember 1994 bis zum 30. Juli 1995, mithin für einen Zeitraum von etwa 15 Mo-
naten und 28 Tagen, einem Dienst- oder Ausbildungsort im bisherigen Bundes-
gebiet - nämlich dem Finanzamt S. - zugewiesen. Für jeden anderen Zeitraum
des Vorbereitungsdienstes bestanden Zuweisungen an ihr Stammfinanzamt
M. II (etwa einen Monat) bzw. an die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung
und Rechtspflege Sachsen-Anhalt - Fachbereich Steuerverwaltung - in Ballen-
stedt (20 Monate).
3. Soweit der Hinweis der Beschwerdebegründung auf § 86 Abs. 1 VwGO als
Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zu verstehen sein sollte, führt auch
diese nicht zur Zulassung der Revision. Die Klägerin rügt, das Berufungsgericht
habe nicht geklärt, welche Kriterien bei der Aufteilung ihres Ausbildungsjahr-
gangs in zwei Gruppen maßgeblich gewesen seien. Sie meint - ohne nähere
Begründung -, als Ergebnis hinreichender Aufklärung hätte sich herausgestellt,
dass die Verteilung auf die Gruppen willkürlich gewesen sei. Dies begründet die
Notwendigkeit von Aufklärungsmaßnahmen indes nicht.
Willkürlich ist eine behördliche Maßnahme, wenn sie unter keinem denkbaren
Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie
auf sachfremden Erwägungen beruht. Der Dienstherr überschreitet die Schwel-
le zur Willkür, wenn die von ihm getroffene Maßnahme im Verhältnis zu der
Situation, der sie Herr werden soll, eindeutig unangemessen ist, d.h. sich als
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krasse Missdeutung des Inhalts einer Norm und damit als grundlegende Ver-
fehlung eines gesetzgeberischen Anliegens darstellt (BVerfG, Kammerbe-
schluss vom 13. Mai 2009 a.a.O.). Im vorliegenden Fall sind die Anwärter we-
gen ihrer die Ausbildungskapazität des Landes Sachsen-Anhalt in der Aufbau-
phase übersteigenden Anzahl nach ihrer Zugehörigkeit zu einem Heimatfinanz-
amt den beiden Gruppen ihres Jahrgangs zugewiesen worden; abweichende
Zuweisungen sind im Hinblick auf persönliche Belange einzelner Anwärter
- Gründe für eine heimatnahe Ausbildung - ausgesprochen worden. Die Kläge-
rin hat außer der bloßen Vermutung, die Aufteilung sei willkürlich gewesen, kei-
nerlei Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass ihre Zuweisung zu derjenigen
Gruppe, die ihre fachtheoretische Ausbildung im Beitrittsgebiet durchlaufen soll-
te, willkürlich gewesen sein könnte. In dieser Situation bedurfte es keiner weite-
ren Aufklärung durch das Berufungsgericht; die bloß theoretische Möglichkeit,
der Dienstherr könnte im Falle der Klägerin von den plausiblen Kriterien für die
Aufteilung des Ausbildungsjahrgangs in willkürlicher Weise abgewichen sein,
reicht hierfür nicht. Im Übrigen hat die Klägerin Beweisanträge in diesem Zu-
sammenhang nicht gestellt und es auch sonst versäumt, im Berufungsverfahren
die aus ihrer Sicht gebotene Sachverhaltsaufklärung zu erzwingen; die Auf-
klärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteilig-
ten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren (Beschluss vom 3. Juli 1998
- BVerwG 6 B 67.98 - juris).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 52 Abs. 1
und § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
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Groepper
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