Urteil des BVerwG vom 28.10.2008

Beamtenverhältnis, Anschluss, Anhörung, Aktiven

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 53.08
OVG 6 LD 3/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Oktober 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Heitz
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 6. Mai 2008 wird zurückgewie-
sen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf die Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO,
§ 69 BDG gestützte Beschwerde des Beklagten ist nicht begründet. Das Beru-
fungsurteil weicht weder von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts ab noch hat der Beklagte dargelegt, dass der geltend gemachte Verfah-
rensfehler vorliegt.
1. Mit der Divergenzrüge macht der Beklagte geltend, das Oberverwaltungsge-
richt sei bei der Anwendung der Bemessungsregelungen gemäß § 13 Abs. 1
und 2 BDG von den Grundsätzen abgewichen, die der Senat in den Urteilen
vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - (BVerwGE 124, 252 <258 ff.> =
Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1) und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 -
(Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3) aufgestellt habe. Es habe die erstinstanzlich
ausgesprochene Aberkennung des Ruhegehalts nicht aufgrund einer Gesamt-
würdigung aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Umstände als
Disziplinarmaßnahme bestimmt. Maßgebend seien allein die Schwere des fest-
gestellten Dienstvergehens und das Fehlen eines sog. anerkannten Milde-
rungsgrundes gewesen. Das Oberverwaltungsgericht habe nicht die gesamte
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Breite aller entlastenden Gesichtspunkte geprüft, insbesondere das gemäß § 13
Abs. 1 Satz 3 BDG zu berücksichtigende Persönlichkeitsbild des Beklagten
lediglich formelhaft erwähnt.
Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass das
Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen inhaltlich bestimmten, das
Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem
Rechtssatz widersprochen hat, den das Bundesverwaltungsgericht in Anwen-
dung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Das ist der Fall, wenn das Be-
rufungsgericht einen im zu entscheidenden Fall erheblichen Rechtssatz des
Bundesverwaltungsgerichts nicht anwendet, weil es ihn für unrichtig hält. Eine
Divergenz liegt demgegenüber nicht vor, wenn das Berufungsgericht einen
Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall rechtsfehlerhaft an-
wendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die
Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (stRspr; vgl. Beschlüsse vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 und vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG
Nr. 1).
In den Urteilen vom 20. Oktober 2005 (a.a.O.) und vom 3. Mai 2007 (a.a.O.) hat
der Senat zu dem Bedeutungsgehalt der gesetzlichen Bemessungsregelungen
gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ausgeführt, sie verpflichteten die
Verwaltungsgerichte, über die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognosti-
schen Gesamtwürdigung und Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden
und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Allerdings sei die Schwere
des festgestellten Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG als maß-
gebendes Bemessungskriterium richtungweisend für die Bestimmung der Dis-
ziplinarmaßnahme. Dies bedeute, dass das Dienstvergehen nach seiner
Schwere einer der gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen
sei. Dabei könnten die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für
bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung
sein. Auf der Grundlage dieser Zuordnung komme es für die Bestimmung der
Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des
Beamten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart
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ins Gewicht fielen, dass eine andere als die durch die Schwere des
Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten sei. Diese ge-
setzlichen Bemessungsvorgaben gälten auch für die Fallgruppe der Zugriffsde-
likte, d.h. für die Veruntreuung dienstlich anvertrauter Vermögenswerte. Auf-
grund der Schwere dieser Dienstvergehen sei hier die Entfernung aus dem
Beamtenverhältnis grundsätzlich Richtschnur für die Maßnahmebestimmung,
wenn der Wert der veruntreuten Gelder oder Gegenstände die Schwelle der
Geringfügigkeit insgesamt deutlich übersteige.
Der Beklagte hat nicht aufgezeigt, dass das Oberverwaltungsgericht diese
Rechtsgrundsätze im vorliegenden Fall als unrichtig außer Acht gelassen hat.
Es hat zwar auch auf Entscheidungen des Disziplinarsenats des Bundesverwal-
tungsgerichts verwiesen, die nach Inkrafttreten des § 13 BDG überholt sind.
Jedoch hat das Oberverwaltungsgericht der dargestellten Senatsrechtspre-
chung nicht widersprochen, sondern sie der Einzelfallprüfung zugrunde gelegt.
In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung hat es die festgestellten Verun-
treuungen aufgrund ihrer Schwere der Disziplinarmaßnahme „Entfernung aus
dem Beamtenverhältnis“ zugeordnet, der für Ruhestandsbeamte hinsichtlich der
im aktiven Dienst begangenen Dienstvergehen gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG
die Aberkennung des Ruhegehalts gleichsteht (Beschluss vom 13. Oktober
2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2).
Im Anschluss daran hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, die für den
Beklagten sprechenden Gesichtspunkte könnten die von der Schwere ausge-
hende Indizwirkung nicht entkräften. In Anbetracht von Art und Häufigkeit der
hier festgestellten Veruntreuungen sowie der Höhe des Gesamtschadens hät-
ten außergewöhnliche Umstände vorliegen müssen, um aufgrund einer Ge-
samtwürdigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG von der Entfernung aus
dem Beamtenverhältnis bzw. von der Aberkennung des Ruhegehalts absehen
zu können. Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, die Gesichtspunkte
„langjährige beanstandungsfreie Dienstausübung“, „berufliches Engagement“
und „Wiedergutmachung des Schadens nach Entdeckung“ reichten hierfür nicht
aus, lässt eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-
gerichts nicht erkennen (vgl. Beschluss vom 5. Dezember 2007 - BVerwG 2 B
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87.07 - juris Rn. 9 unter Hinweis auf die stRspr des Disziplinarsenats). Die Be-
schwerdebegründung legt nicht dar, welche weiteren entlastenden Umstände
bei Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beklagten maßgebend hät-
ten ins Gewicht fallen können. Die Länge der Verfahrensdauer ist für sich ge-
nommen nicht geeignet, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw.
der Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten
ist (stRspr, vgl. Urteile vom 22. Februar 2005 - BVerwG 1 D 30.03 - juris Rn. 80
und vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris Rn. 27).
2. Die Verfahrensrüge hat bereits deshalb keinen Erfolg, weil die ihr zugrunde
liegende Tatsachenbehauptung, der Beklagte sei zu Beginn der ersten Ver-
nehmung am 13. Dezember 2001 nicht ordnungsgemäß über seine Rechte be-
lehrt worden, im Widerspruch zu den Tatsachenfeststellungen des Oberverwal-
tungsgerichts steht. Danach hat die Belehrung den Anforderungen des noch
anwendbaren § 26 Abs. 2 Satz 3 BDO entsprochen (S. 14 f. des Berufungsur-
teils; vgl. zum Übergangsrecht Beschluss vom 10. November 2005 - BVerwG
2 B 48.05 - Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 10). Der Beklagte hat diese Feststel-
lungen nicht substanziiert in Frage gestellt. Sie beruhen ersichtlich auf der
schriftlichen Erklärung des Beklagten vom 13. Dezember 2001 über seine Ver-
nehmung an diesem Tag (Ermittlungsakte, S. 3). Darin hat er durch seine Un-
terschrift bestätigt:
„Ich bin darauf hingewiesen worden, dass es mir freisteht,
mich mündlich oder schriftlich zu äußern oder nicht zur
Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor der ers-
ten Anhörung, einen Verteidiger zu befragen.“
Demgegenüber befasst sich die Beschwerdebegründung nur mit der Nieder-
schrift über die Vernehmung vom 13. Dezember 2001 (Ermittlungsakte, S. 4 ff.).
Auf die Erklärung des Beklagten vom gleichen Tag geht sie nicht ein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG. Ge-
richtsgebühren werden gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht erhoben.
Herbert Groepper Dr. Heitz
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