Urteil des BVerwG vom 23.01.2014

Strafbefehl, Verschulden, Disziplinarverfahren, Beamtenverhältnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 52.13
OVG 3d A 84/12.O
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Januar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und Dollinger
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. März 2013 wird
zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf Divergenz
gestützte Beschwerde (vgl. § 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 des Disziplinargesetzes für
das Land Nordrhein-Westfalen - LDG NRW - i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2
VwGO) hat keinen Erfolg. Die gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO auf die in der
Beschwerdebegründung vorgebrachten Gesichtspunkte beschränkte Prüfung
zeigt keinen Grund auf, der die Zulassung der Revision zu rechtfertigen ver-
mag.
1. Der Beklagte steht als Polizeikommissar (Besoldungsgruppe A 9) im Dienst
des Klägers. Im Jahr 2009 wurde er durch Strafbefehl wegen des Besitzes und
der Verbreitung kinderpornographischer Schriften in 7 Fällen nach § 184b
Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten
verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beklagte
hatte sich in den Jahren 2004 und 2008 mindestens 352 Bilder und 6 Videos
mit kinderpornografischem Inhalt verschafft, besessen und durch die Nutzung
eines Filesharing-Tools öffentlich zugänglich gemacht. Im sachgleichen Diszi-
plinarverfahren hat ihn das Verwaltungsgericht wegen des außerdienstlich be-
gangenen Dienstvergehens aus dem Dienst entfernt. Das Oberverwaltungsge-
richt hat die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Beklagte habe sich eines so schweren
außerdienstlichen Dienstvergehens schuldig gemacht, dass es bei einer Ge-
samtwürdigung aller für und gegen ihn sprechenden Umstände und seines Per-
sönlichkeitsbildes unumgänglich sei, ihn aus dem Beamtenverhältnis zu entfer-
nen. Aus den vom Beklagten nicht bestrittenen strafgerichtlichen Feststellungen
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ergebe sich, dass er ein Dienstvergehen begangen habe, das wegen der An-
zahl der kinderpornografischen Darstellungen, ihres Inhalts mit teilweise massi-
vem Missbrauch von Kleinkindern und der erheblichen Zeitspanne von fast vier
Jahren besonders schwer wiege. Aus dem Persönlichkeitsbild des Beklagten
seien keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine andere Einschätzung zu
entnehmen, zumal sich auf dem beschlagnahmten Computer auch tierporno-
graphische Bilder befunden hätten.
2. Die vom Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechts-
sache rechtfertigt die Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht. Die mit der
Beschwerde aufgeworfene Frage, unter welchen Voraussetzungen das außer-
dienstliche Verhalten eines Beamten die Entfernung aus dem Beamtenverhält-
nis zu rechtfertigen vermag, ist für die vom Beklagten begangene Straftat nach
§ 184b Abs. 1 StGB in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
hinreichend geklärt.
Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß
§ 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG und den inhaltsgleichen Bemessungsregelungen
der Landesdisziplinargesetze (hier: § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 3 LDG NRW) nach
der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der
Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen
herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Der Bedeutungsgehalt dieser ge-
setzlichen Begriffe ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt (stRspr; vgl.
Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258
ff.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 S. 5 sowie vom 25. Juli 2013 - BVerwG
2 C 63.11 - ZBR 2014, 47 Rn. 13
sammlungen BVerwGE und Buchholz vorgesehen>). Danach müssen die sich
aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ergebenden Bemessungskriterien mit dem
ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht ermittelt und in die Entscheidung
eingestellt werden. Dieses Erfordernis beruht letztlich auf dem im Disziplinarver-
fahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(Übermaßverbot). Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaß-
nahme muss unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Um-
stände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienst-
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vergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. grundlegend: Urteil
vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 258 f. bzw. S. 5; stRspr).
Hiernach ist die Schwere des Dienstvergehens maßgebendes Bemessungskri-
terium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies be-
deutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im
Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Für
die Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens hat die Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts generelle Maßstäbe für einzelne Fallgruppen
entwickelt. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinar-
maßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten
und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung nach § 13 Abs. 1 Satz 3
und 4 BDG im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die
durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten ist (stRspr; vgl. zuletzt Urteil
vom 25. Juli 2013 a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
Für die disziplinarrechtliche Relevanz außerdienstlicher Straftaten (Disziplinar-
würdigkeit) und für die Bestimmung der hierfür angemessenen Disziplinarmaß-
nahme kommt dem gesetzlichen Strafrahmen maßgebende Bedeutung zu. Die
Orientierung am Strafrahmen gewährleistet eine rationale und gleichmäßige
disziplinarrechtliche Bewertung außerdienstlichen Fehlverhaltens (stRspr, vgl.
Urteile vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 = Buch-
holz 235.1 § 13 BDG Nr. 11, jeweils Rn. 18 und vom 19. August 2010 - BVerwG
2 C 13.10 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 12 Rn. 17). Disziplinarwürdigkeit und
Schwere außerdienstlichen Fehlverhaltens hängen maßgebend davon ab, ob
ein Bezug zur Dienstausübung des Beamten gegeben ist. Dies setzt voraus,
dass das Fehlverhalten nachteilige Schlüsse auf die Wahrnehmung der dienst-
lichen Aufgaben zulässt oder eine Beschädigung von Autorität und Ansehen
des Beamten zur Folge hat, die ihn in der Amtsführung dauerhaft beeinträchtigt
(Urteile vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C 13.10 - a.a.O. Rn. 14 ff. und
- BVerwG 2 C 5.10 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 14 f. und 23).
Für die disziplinarrechtliche Ahndung des außerdienstlichen Besitzes kinder-
pornografischer Schriften hat der Senat aus dem seit April 2004 geltenden
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Strafrahmen des § 184b Abs. 4 StGB von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe
geschlossen, dass für die Maßnahmebemessung jedenfalls dann auf einen Ori-
entierungsrahmen bis zur Zurückstufung abzustellen ist, wenn das Dienstver-
gehen keinen Bezug zu den dienstlichen Aufgaben des Beamten aufweist (Ur-
teil vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C 13.10 - a.a.O. Rn. 26). Hat der Beamte
nicht nur kinderpornografische Schriften besessen, sondern diese auch öffent-
lich zugänglich gemacht, sieht § 184b Abs. 1 StGB in der Fassung des Geset-
zes vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3007) für dieses Vergehen eine Frei-
heitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. Dieser höhere Strafrahmen
ist nach den dargestellten Grundsätzen bei der Maßnahmebemessung er-
schwerend zu berücksichtigen, sodass der Orientierungsrahmen bis zur Dienst-
entfernung reicht (Beschluss vom 26. Juni 2012 - BVerwG 2 B 28.12 - juris
Rn. 12).
Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht bei der Bestimmung
des Orientierungsrahmens auch ausgegangen. Die darauf aufbauende Annah-
me des Oberverwaltungsgerichts, das Fehlverhalten des Beklagten wiege in
seiner Gesamtheit so schwer, dass er das Vertrauen seines Dienstherrn und
der Allgemeinheit endgültig verloren habe, ist einer Grundsatzrüge aber nicht
zugänglich. Insoweit richtet sich die Beschwerde gegen die fallbezogene diszi-
plinarrechtliche Würdigung.
3. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen. Der Vortrag, das
Oberverwaltungsgericht habe es unterlassen, sich mit der Tatsache auseinan-
derzusetzen, dass eine Ansehensschädigung hier nicht tatsächlich, sondern nur
potentiell erfolgt sei, zeigt eine „Abweichung“ im Sinne des § 67 Satz 1, § 3
Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO bereits nicht auf.
Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von
Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung
aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge
nicht. Eine die Revision eröffnende Divergenz setzt gemäß § 67 Satz 1, § 3
Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO vielmehr voraus, dass die
Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tra-
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genden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die
Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift
widersprochen hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffas-
sungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvor-
schrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (stRspr; vgl. Beschlüsse vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14 f. = NJW 1997, 3328 und vom 1. August 2013 - BVerwG 2 B
77.12 - juris Rn. 22). Derartiges ist der Beschwerde nicht zu entnehmen.
Im Übrigen weicht das Berufungsurteil auch nicht von den Bemessungsgrund-
sätzen ab, die der Senat in dem benannten Urteil vom 19. August 2010
- BVerwG 2 C 5.10 - (Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 20 ff.) für die
Bestimmung der Disziplinarmaßnahme bei einem außerdienstlichen Dienstver-
gehen im Zusammenhang mit kinderpornografischen Schriften aufgestellt hat.
Vielmehr kommt es für die maßgebliche Bewertung der Vertrauensbeeinträchti-
gung nicht darauf an, ob und inwieweit das Dienstvergehen im konkreten Ein-
zelfall in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist.
Bei der disziplinarischen Ahndung eines Dienstvergehens sind das Schuldprin-
zip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Aus dem Zusam-
menspiel von Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip sowie der wertset-
zenden Entscheidung des Art. 1 Abs. 1 GG folgt, dass jede Strafe, nicht nur die
Strafe für kriminelles Unrecht, sondern auch die strafähnliche Sanktion für sons-
tiges Unrecht Schuld voraussetzt. Die Strafe muss in einem gerechten Verhält-
nis zur Schwere der Tat und dem Verschulden des Täters stehen (BVerfG, Be-
schlüsse vom 7. Mai 1974 - 2 BvR 276/71 - BVerfGE 37, 167 <185> und vom
4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 - BVerfGE 46, 17 <27>; Kammerbeschlüsse
vom 19. Februar 2003 - 2 BvR 1413/01 - NVwZ 2003, 1504 = juris Rn. 28 und
vom 18. Januar 2008 - 2 BvR 313/07 - NVwZ 2008, 669 f. = juris Rn. 10). Mit
dem Schuldprinzip wäre es nicht zu vereinbaren, die Schwere der Sanktionie-
rung eines Dienstvergehens von der Zufälligkeit abhängig zu machen, ob die
Medien den gegen einen Beamten erhobenen Vorwurf eines Dienstvergehens
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als so bedeutsam ansehen, dass sie darüber berichten (Urteil vom 28. Februar
2013 - BVerwG 2 C 62.11 - NVwZ-RR 2013, 693 Rn. 56 f.).
Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht die Tatsache, dass der Beklagte
den Strafbefehl akzeptiert hat, auch nicht in erschwerender Weise „angelastet“.
Ausgeführt ist vielmehr allein, dass dieser Umstand den Beklagten nicht nach-
haltig entlasten könne.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 154 Abs. 2
VwGO. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es
nicht, weil die Gerichtskosten streitwertunabhängig bestimmt werden (§ 75
Satz 1 LDG NRW i.V.m. Nr. 10 und 62 des Gebührenverzeichnisses zu § 75
LDG NRW).
Domgörgen Dr. Kenntner Dollinger
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