Urteil des BVerwG vom 23.09.2013

Strafbefehl, Reue, Parteibezeichnung, Vertreter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 51.13
OVG 6 LD 4/11
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. September 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. von der Weiden
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen das Urteil des Nie-
dersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. März
2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten kann keinen Erfolg haben. Der
Beklagte hat nicht dargelegt, dass die geltend gemachten Revisionszulas-
sungsgründe der Divergenz und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 2
und Nr. 3 VwGO, § 69 BDG) vorliegen.
Der Beklagte ist Polizeihauptkommissar; seit dem 30. Juni 2008 befindet er sich
im Ruhestand. Er wurde durch rechtskräftigen Strafbefehl zu einer Geldstrafe
von 90 Tagessätzen verurteilt, weil er vor seiner Pensionierung auf seinem pri-
vaten Computer kinderpornographische Dateien gespeichert hatte.
Wegen dieser Straftat hat ihm das Verwaltungsgericht das Ruhegehalt ab-
erkannt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurück-
gewiesen. In den Gründen des Berufungsurteils heißt es, die Disziplinarklage
sei von dem dafür zuständigen Präsidenten der Bundespolizeidirektion H. erho-
ben worden. Bei der Bezeichnung der Bundesrepublik als Klägerin in der Diszi-
plinarklageschrift handele es sich um ein Versehen, sodass das Verwaltungsge-
richt zu Recht das Rubrum berichtigt habe. Die Aberkennung des Ruhegehalts
sei geboten, weil der Beklagte während des Tatzeitraums als Polizeibeamter
eine hervorgehobene Stellung bekleidet habe. Ihm seien keine mildernden Um-
stände von erheblichem Gewicht zugute zu halten. Den Strafbefehl habe er
nicht in erster Linie aus Reue oder Einsicht, sondern wegen des Strafmaßes ak-
zeptiert.
1. Mit der Verfahrensrüge macht der Beklagte geltend, die Disziplinarklage sei
unzulässig, weil sie von einer unzuständigen Stelle erhoben worden sei. Aus
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dem Rubrum der Disziplinarklageschrift ergebe sich eindeutig, dass der Präsi-
dent der Bundespolizeidirektion H. die Disziplinarklage nicht im eigenen Na-
men, sondern als Vertreter der hierfür nicht zuständigen Bundesrepublik erho-
ben habe. Jedenfalls leide die Disziplinarklageschrift aus diesem Grund an ei-
nem wesentlichen Mangel; das Oberverwaltungsgericht habe es versäumt, den
Kläger zur Beseitigung des Mangels aufzufordern.
Der Begriff des Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO er-
fasst Verstöße des Verwaltungsgerichts gegen verwaltungsprozessrechtliche
Vorschriften und Rechtsgrundsätze. Ein davon prinzipiell zu unterscheidender
wesentlicher Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Diszipli-
narklageschrift zieht einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO nach sich, wenn das Verwaltungsgericht die sich aus § 55 Abs. 3 Satz 1
BDG ergebende Verpflichtung verletzt hat, auf die Beseitigung eines wesentli-
chen Mangels durch den Dienstherrn hinzuwirken. Diese Verpflichtung gilt nach
§ 65 Abs. 1 Satz 1 BDG auch für das Berufungsgericht. Verfahrensmangel im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kann nur der gerichtliche Verstoß gegen
§ 55 Abs. 3 Satz 1 BDG sein, nicht aber der Mangel des behördlichen Diszipli-
narverfahrens oder der Disziplinarklageschrift selbst (Urteil vom 24. Juni 2010
- BVerwG 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 Rn. 18 f.; Beschluss vom 26. Februar
2008 - BVerwG 2 B 122.07 - Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 2 Rn. 3).
Ein wesentlicher Mangel der Disziplinarklageschrift liegt vor, wenn diese nicht
den gesetzlichen Anforderungen an die ordnungsgemäße Erhebung entspricht.
Dies ist der Fall, wenn die Disziplinarklage von einer unzuständigen Behörde
oder einem Beamten erhoben wird, der nicht befugt ist, für die zuständige Be-
hörde tätig zu werden (Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - NVwZ
2013, 1087 = juris Rn. 8
gen BVerwGE und Buchholz vorgesehen>). Hierunter fällt auch, dass der für
die Klageerhebung zuständige Dienstvorgesetzte die Disziplinarklage nicht im
eigenen Namen, sondern im Namen der von ihm geleiteten Behörde oder des
Dienstherrn erhebt (Beschluss vom 18. Dezember 2007 - BVerwG 2 B 113.07 -
juris Rn. 7 ).
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Ein solcher Mangel kann dadurch geheilt werden, dass die zuständige Stelle
(Behörde oder Dienstvorgesetzter) eine neue Disziplinarklageschrift im eigenen
Namen einreicht. Dies setzt allerdings voraus, dass dem Vorgehen keine
schutzwürdigen Interessen des Beamten entgegen stehen (Beschluss vom
18. Dezember 2007 a.a.O.).
Eine derartige Fallgestaltung liegt hier jedoch nicht vor: Nach dem Sachverhalt,
den das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat, hat der für die Klageerhebung
zuständige Präsident der Bundespolizeidirektion H. die Disziplinarklage im ei-
genen Namen erhoben. An diese tatsächliche Feststellung ist der Senat nach
§ 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil der Beklagte hiergegen keine durchgrei-
fende Verfahrensrüge erhoben hat.
Die Bezeichnung eines Verfahrensbeteiligten (Parteibezeichnung) in einer Kla-
geschrift ist Teil der prozessualen Erklärung, Klage zu erheben. Sie ist - wie der
gesamte Vortrag in der Klageschrift - der Auslegung zugänglich. Es kommt da-
rauf an, wie die Bezeichnung bei objektiver Würdigung aus der Sicht der Emp-
fänger (Gericht und Gegenpartei) zu verstehen ist. Bei einer unrichtigen oder
mehrdeutigen Bezeichnung gilt diejenige Person oder Behörde als Verfahrens-
beteiligte, die erkennbar durch den Klagegegenstand betroffen wird. Dies ist
durch Auslegung des Rubrums unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts
der Klageschrift zu ermitteln (Beschluss vom 22. März 2001 - BVerwG 8 B
262.00 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 20 S. 10; BGH, Urteile vom 26. Februar
1987 - VII ZR 58/86 - NJW 1987, 1946 und vom 27. November 2007 - X ZR
144/06 - NJW-RR 2008, 582).
Der durch Auslegung bestimmte Inhalt einer Parteibezeichnung stellt eine tat-
sächliche Feststellung im Sinne des § 137 Abs. 2 VwGO dar. Ebenso wie die
Feststellung des Erklärungsinhalts anderer Prozesshandlungen und Willens-
erklärungen kann sie vom Revisionsgericht nur daraufhin nachgeprüft werden,
ob sie auf einem Rechtsirrtum oder einem Verstoß gegen Auslegungsgrundsät-
ze, allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze beruht. Nur wenn der Ausle-
gung des Tatsachengerichts ein solcher Rechtsfehler anhaftet, kann das Revi-
sionsgericht die Erklärung selbst auslegen (Urteile vom 1. Dezember 1989
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- BVerwG 8 C 17.87 - BVerwGE 84, 157 <162>, vom 24. September 2009
- BVerwG 2 C 63.08 - BVerwGE 135, 14 Rn. 9 und vom 17. Juni 2010
- BVerwG 2 C 86.08 - BVerwGE 137, 138 Rn. 14).
Das Aktivrubrum der Disziplinarklageschrift lautet: „Bundesrepublik Deutsch-
land, vertreten durch den Bundesminister des Innern, dieser vertreten durch
den Präsidenten der Bundespolizeidirektion H.“. Dieser Wortlaut könnte zwar
darauf schließen lassen, dass der für die Klageerhebung zuständige Präsident
die Disziplinarklage als Vertreter der Bundesrepublik erhoben habe. Nach der
Auffassung des Verwaltungsgerichts, der sich das Oberverwaltungsgericht an-
geschlossen hat, ist der durch den Wortlaut des Rubrums vermittelte Eindruck
nicht ausschlaggebend. Vielmehr ergebe sich aus Briefbogen und Briefkopf der
Klageschrift („Bundespolizeidirektion H.“; „Präsident“), dass der Präsident im
eigenen Namen gehandelt habe. Hinzu komme, dass er die Klageschrift unter-
zeichnet habe.
Danach ist die Parteibezeichnung mehrdeutig, sodass die Verwaltungsgerichte
ihren Inhalt zu Recht durch Auslegung der Disziplinarklageschrift nach den so-
eben dargestellten Grundsätzen ermittelt haben. Weder hat der Beklagte darge-
legt noch ist sonst ersichtlich, dass dem Auslegungsergebnis, der Präsident sei
als Kläger aufgetreten, ein Rechtsirrtum oder ein Verstoß gegen Auslegungs-
grundsätze anhaftet. Vielmehr wird es durch den Grundsatz bestätigt, dass bei
einer mehrdeutigen Parteibezeichnung diejenige Person oder Behörde Partei
wird, die erkennbar durch den Klagegegenstand betroffen wird. Dies ist hier der
Präsident der Bundespolizeidirektion H., weil er als Funktionsnachfolger des
früheren Dienstvorgesetzten, des Leiters des früheren Bundespolizeiamtes H.,
für die Erhebung der Disziplinarklage gegen den Beklagten zuständig war.
2. Mit der Verfahrensrüge macht der Beklagte zudem eine Verletzung seines
Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108
Abs. 2 VwGO geltend. Der Beklagte trägt vor, er habe sich nicht zu der Fest-
stellung des Oberverwaltungsgerichts äußern können, er habe den Strafbefehl
nicht in erster Linie aus Reue oder Einsicht, sondern wegen des ausgesproche-
nen Strafmaßes akzeptiert.
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Das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs gewährleistet jedem Verfahrens-
beteiligten die Möglichkeit, zu dem gesamten Stoff des gerichtlichen Verfahrens
in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen. Das Gericht darf
bei seiner Entscheidung nur solche Teile des Prozessstoffes berücksichtigen,
zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Dies setzt deren Kenntnis vom
Prozessstoff voraus (stRspr; BVerfG, Beschlüsse vom 8. Februar 1994 - 1 BvR
765, 766/89 - BVerfGE 89, 381<392> und vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR
385/90 - BVerfGE 101, 106 <129>).
Die Behauptung des Beklagten, er habe sich nicht zu den Motiven äußern kön-
nen, aus denen er den Strafbefehl akzeptiert habe, trifft schon deshalb nicht zu,
weil er hierzu bereits in der Klageerwiderung vom 25. August 2009 vorgetragen
hat. Dort hat er erklärt, auf seine Initiative habe die Staatsanwaltschaft die An-
klage zurückgenommen und den Erlass eines Strafbefehls beantragt. Weiterhin
hat er auf seine Erklärung gegenüber dem Amtsgericht verwiesen, wonach er
den Strafbefehl akzeptiere, obwohl das Gericht von einer deutlich überhöhten
Anzahl von Bilddateien ausgegangen sei, weil er sein Fehlverhalten grundsätz-
lich einräume, bereue und die vorgesehene Geldstrafe als eine Sanktion emp-
finde, die sich im angemessenen Rahmen bewege.
Das Gericht muss die Beteiligten nicht eigens darauf hinweisen, dass es deren
eigenen Vortrag in die Entscheidungsfindung einbeziehen werde. Der Beklagte
hat damit rechnen müssen, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Bewer-
tung seines Nachtatverhaltens im Rahmen der Maßnahmebemessung auf seine
Erklärungen in der Klageerwiderung zurückgreifen würde.
Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nur
dann, die Beteiligten vorab darauf hinzuweisen, dass es in seiner Entscheidung
auf einen bestimmten tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt abstellen
wird, wenn auch ein gewissenhafter Beteiligter dessen Entscheidungserheb-
lichkeit nicht zu erkennen vermag (stRspr; BVerfG, Beschluss vom 19. Mai
1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144>).
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Danach hat das Oberverwaltungsgericht den Beklagten nicht darauf hinweisen
müssen, dass es dessen Motive für die Hinnahme des Strafbefehls in bestimm-
ter Weise würdigen würde. Es hat nur tatsächliche Umstände einbezogen, die
dem Beklagten bekannt waren oder bekannt sein mussten. Sie ergaben sich
entweder aus seinem Vortrag oder lagen nach dem Verlauf von Straf- und Dis-
ziplinarverfahren auf der Hand. Dies gilt für die Annahmen, der Beklagte habe
sein Fehlverhalten erst nach dessen Aufdeckung zugestanden und er sei bei
Fortführung des Strafverfahrens Gefahr gelaufen, dass weitere Dateien mit kin-
derpornographischem Inhalt entdeckt würden.
Das Ergebnis der gerichtlichen Beweiswürdigung selbst kann nicht mit der Ge-
hörsrüge angegriffen werden. Es ist vom Revisionsgericht nur daraufhin nach-
zuprüfen, ob es gegen Logik (Denkgesetze) und Naturgesetze verstößt oder
gedankliche Brüche und Widersprüche enthält (stRspr; Urteil vom 3. Mai 2007
- BVerwG 2 C 30.05 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 50 Rn. 16).
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch die Annahme, der Beklagte
habe den Strafbefehl ausschließlich aus Reue und Einsicht hingenommen, auf
der Grundlage des nicht angegriffenen Rechtsstandpunkts des Oberverwal-
tungsgerichts zur Schwere des Dienstvergehens nicht zu einer milderen Diszi-
plinarmaßnahme, d.h. zu einer Kürzung des Ruhegehalts (§ 5 Abs. 2 Nr. 1, § 11
BDG), hätte führen können. Bekundungen von Reue und Einsicht nach Entde-
ckung des Fehlverhaltens kommt ohne Hinzutreten weiterer mildernder Um-
stände von einigem Gewicht regelmäßig keine entscheidungserhebliche Bedeu-
tung für die Maßnahmebemessung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG zu,
wenn aufgrund der Schwere des Dienstvergehens die Entfernung aus dem Be-
amtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts indiziert ist. Anders
liegt es, wenn der Beklagte das Fehlverhalten freiwillig offenbart oder tätige
Reue zeigt, etwa indem er zur vollständigen Aufdeckung der Taten beiträgt oder
den entstandenen Schaden aus eigenem Antrieb wieder gutmacht (Urteil vom
28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 16.10 - BVerwGE 140, 185 Rn. 39).
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3. Schließlich liegt die vom Beklagten behauptete Divergenz des Berufungs-
urteils zu dem Beschluss des Senats vom 18. Dezember 2007 (BVerwG 2 B
113.07) nicht vor. Nach diesem Beschluss leidet die Disziplinarklageschrift an
einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 55 BDG, wenn der für die Klage-
erhebung zuständige Dienstvorgesetzte die Disziplinarklage als Vertreter für
eine andere Behörde oder den Dienstherrn erhoben hat. Eine Abweichung des
Berufungsurteils scheidet von vornherein aus, weil im vorliegenden Fall - wie
dargelegt - nach dem bindend festgestellten Sachverhalt die Zuständigkeit für
die Klageerhebung gewahrt ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Streitwert für das
Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil die Höhe der Ge-
richtsgebühren betragsgenau festgelegt ist (§ 85 Abs. 12 Satz 1 und Satz 2,
§ 78 Satz 1 BDG, Nr. 10 und 62 des Gebührenverzeichnisses der Anlage zu
diesem Gesetz).
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