Urteil des BVerwG vom 14.03.2012

Neue Beweismittel, Besondere Härte, Strafurteil, Unrichtigkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 5.12
OVG 3d A 1869/10.O
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. März 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. von der Weiden
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Oktober 2011
wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Der geltend
gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne von § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 67 Satz 1 Landesdisziplinargesetz - LDG NRW -, liegt
nicht vor.
Der 1964 geborene Beklagte ist seit 1980 im Polizeidienst und seit 1988 in
Diensten des klagenden Landes, zuletzt als Kriminaloberkommissar. Nach Ein-
leitung strafrechtlicher Ermittlungen im September 2005 wurde er durch amts-
gerichtliches Urteil aus dem Jahre 2007 u.a. wegen gemeinschaftlichen Betru-
ges in 19 Fällen, wegen gemeinschaftlichen Veruntreuens und Vorenthaltens
von Arbeitsentgelt in 14 Fällen und wegen Bankrotts zu einer Freiheitsstrafe
von elf Monaten verurteilt, deren Vollziehung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts betrieben der Beklagte und ein mit-
angeklagter weiterer Polizist eine GmbH mit der Ehefrau des Beklagten als
Strohfrau. Die GmbH war im Bauträgergeschäft tätig und gab u.a. seit Mitte
2002 im Wissen um die mangelnde Zahlungsfähigkeit Leistungen in Auftrag.
Bei Bauherren und Subunternehmern ist hierdurch ein Schaden von über
200 000 € entstanden. Das Amtsgericht - Schöffengericht - hatte zuvor eine
Strafobergrenzenzusage erklärt; der Beklagte hatte daraufhin ein Geständnis
abgelegt. Auf die im Jahre 2009 erhobene Disziplinarklage hat das Verwal-
tungsgericht den Beklagten aus dem Dienst entfernt; seine Berufung blieb er-
folglos.
1. Der Beklagte rügt der Sache nach zum einen, dass auch das Oberverwal-
tungsgericht sich auf die Feststellungen im Strafurteil gestützt habe, statt weite-
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re Ermittlungen anzustellen und Beweise zu erheben. Er sieht hierin einen Auf-
klärungsmangel. Damit ist ein Verfahrensfehler nicht dargelegt (§ 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO, § 3 Abs. 1 LDG NRW).
Das Oberverwaltungsgericht war nach § 56 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW an die
tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren ge-
bunden. Diese Bindungswirkung stand einer vom Beklagten geforderten hiervon
losgelösten, eigenständigen Beweiserhebung entgegen. Zwar hat das Gericht
nach § 56 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW die erneute Prüfung solcher Feststellungen
zu beschließen, die offenkundig unrichtig sind. Eine solche offenkundige Un-
richtigkeit hat der Beklagte aber weder behauptet noch dargelegt. Insoweit trägt
er zur Begründung der Aufklärungsrüge lediglich pauschal vor, im behördlichen
und gerichtlichen Verfahren seien umfassend Umstände dargelegt worden, die
eine von der Entscheidung des Amtsgerichts im Strafurteil abweichende Wer-
tung - nicht Feststellung - des Verhaltens und damit eine Aufhebung des durch
die strafrechtliche Verurteilung erfolgten Verdikts zuließen; eine Konkretisierung
ist nicht erfolgt. Dies genügt ersichtlich nicht den Darlegungserfordernissen des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Abgesehen davon hat sich das Oberverwaltungsgericht ausführlich und im Ein-
klang mit der Rechtsprechung des Senats mit der Frage einer etwaigen nach
§ 56 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW gebotenen Lösung von den tatsächlichen Fest-
stellungen des Strafgerichts auseinandergesetzt und die Voraussetzungen hier-
für als nicht gegeben erachtet. Nach § 56 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW haben die
für Disziplinarsachen zuständigen Gerichte zu Gunsten des Beamten die
nochmalige Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen, deren Richtigkeit
sie bezweifeln. Danach ist die Lösung von den Tatsachenfeststellungen des
rechtskräftigen Strafurteils nur zulässig, wenn das Disziplinargericht ansonsten
auf der Grundlage eines unrichtigen Sachverhalts entscheiden müsste. Dies ist
z.B. anzunehmen, wenn neue Beweismittel vorgelegt werden, die dem Strafge-
richt nicht zur Verfügung standen, und nach denen die Tatsachenfeststellungen
jedenfalls auf erhebliche Zweifel stoßen (Beschlüsse vom 24. Juli 2007
- BVerwG 2 B 65.07 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 4 Rn. 10, 11 m.w.N.,
vom 26. August 2010 - BVerwG 2 B 43.10 - Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 3
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Rn. 5 m.w.N. und vom 28. Dezember 2011 - BVerwG 2 B 74.11 - juris Rn. 13;
stRspr). Wird dies geltend gemacht, so sind die Verwaltungsgerichte erst dann
befugt, dem Vorbringen weiter nachzugehen und schließlich über eine Lösung
nach der entsprechenden Norm zu entscheiden, wenn das Vorbringen hinrei-
chend substanziiert ist. Pauschale Behauptungen oder bloßes Bestreiten genü-
gen nicht. Es müssen tatsächliche Umstände dargetan werden, aus denen sich
die offenkundige Unrichtigkeit im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW er-
geben kann (Beschlüsse vom 26. August 2010 a.a.O. Rn. 6 und vom 28. De-
zember 2011 a.a.O.). Daran fehlt es hier.
2. Außerdem rügt der Beklagte, dass angesichts der erheblichen Dauer des
Verfahrens nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine positive diszipli-
narrechtliche Prognose geboten gewesen sei. Einem Zulassungsgrund ordnet
er dieses Vorbringen nicht zu; insbesondere ist ein Aufklärungsmangel nicht
dargelegt.
Abgesehen davon ist geklärt, dass eine lange Verfahrensdauer den Verbleib im
Beamtenverhältnis nicht rechtfertigen kann, wenn der Beamte durch ein Dienst-
vergehen das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört hat. Daran vermögen eine
lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens
nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wieder-
hergestellt werden (vgl. zuletzt Beschluss vom 26. Oktober 2011 - BVerwG 2 B
69.10 - juris Rn. 33 m.w.N.; stRspr). Abgesehen davon liegt hier auch keine
lange Verfahrensdauer in diesem Sinne vor.
3. Schließlich rügt der Beklagte, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts,
ihm keinen über sechs Monate hinausgehenden Unterhaltsbeitrag zuzubilligen,
bedenklich sei, weil er bislang keinen anderen Beruf ausgeübt habe, aufgrund
seiner Suspendierung und seines Lebensalters auf dem Arbeitsmarkt nur
schwer vermittelbar sei und für zwei Kinder Unterhaltspflichten habe. Die Nicht-
zuerkennung eines Unterhaltsbeitrages für einen längeren Zeitraum stelle für
ihn und seine Angehörigen eine derart unbillige Härte dar, „dass diese von
grundsätzlicher Bedeutung und aus diesem Umstand anfechtbar“ sei. Auch
insoweit verfehlt er ersichtlich das Darlegungserfordernis nach § 133 Abs. 3
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Satz 3 VwGO für die Rüge der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache
nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Er rügt lediglich in der Art einer Berufungsbe-
gründung die seiner Ansicht nach unrichtige Anwendung materiellen Rechts im
Einzelfall. Damit kann die Zulassung der Revision nicht erreicht werden.
Im Übrigen lassen Auslegung und Anwendung des § 10 Abs. 3 Satz 1
LDG NRW durch das Oberverwaltungsgericht einen rechtsgrundsätzlichen Klä-
rungsbedarf nicht erkennen. Durch die Gewährung eines Unterhaltsbeitrages
für die Dauer von sechs Monaten soll dem Beamten der Übergang in einen an-
deren Beruf oder in eine andere Art der finanziellen Existenzsicherung erleich-
tert werden. Diesem Zweck liegt die Erwartung zugrunde, dass sich der Beamte
nachweisbar und in ausreichendem Maße, d.h. fortlaufend um die Aufnahme
einer anderen Erwerbstätigkeit oder um eine andere Art der Sicherung seiner
finanziellen Grundlagen bemüht. Der Nachweis dieser Bemühungen und deren
Erfolglosigkeit sind auch Voraussetzung einer etwaigen Weiterbewilligung des
Unterhaltsbeitrags (stRspr; vgl. Urteil vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 -
juris Rn. 28 m.w.N.). Die vom Beklagten vorgetragenen Umstände liegen inner-
halb des von § 10 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW erfassten üblichen Bereichs und
begründen keine besondere Härte nach § 10 Abs. 3 Satz 3 LDG NRW.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 74 Abs. 1 LDG NRW.
Ein Streitwert für das Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil
die Gerichtskosten gesetzlich betragsgenau festgesetzt sind (§ 75 Satz 1 LDG
NRW, Nr. 10 und 62 Gebührenverzeichnis zum LDG NRW).
Herbert Dr. Heitz Dr. von der Weiden
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