Urteil des BVerwG vom 11.05.2010

Disziplinarverfahren, Rüge, Emrk, Beamtenverhältnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 5.10
VGH 28 A 2446/08.D
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Mai 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Hartung
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Hessischen Verwaltungsge-
richtshofs vom 10. November 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 42 431,35 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache und auf Verfahrensrügen im
Sinne des § 73 HDG, § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde
des Beklagten ist unbegründet.
1. Für grundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde,
ob das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK enthaltene Beschleuni-
gungsgebot auf die Rechtsfolge im Disziplinarverfahren Einfluss
hat in der Weise, dass unter bestimmten, hier gegebenen
Voraussetzungen auf Grund eines Verstoßes gegen das Be-
schleunigungsgebot die Höchststrafe, nämlich die Aberkennung
des Ruhegehalts a) unzulässig ist oder b) mit einer Kompensa-
tion gemäß § 13 Abs. 3 HDG verbunden werden muss, die die
überlange Verfahrensdauer angemessen ausgleicht.
Zunächst ist klarzustellen, dass das Disziplinarverfahren anderen Zwecken
dient als das Strafverfahren und dass im Disziplinarverfahren deshalb keine
Strafen, sondern disziplinarische Maßnahmen verhängt werden. Hiervon abge-
sehen ist die aufgeworfene Frage nicht klärungsbedürftig. Sie ist vielmehr durch
die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahingehend geklärt, dass
- unabhängig davon, ob darin zugleich ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1
EMRK zu sehen ist (vgl. hierzu Beschluss vom 16. Februar 2010 - BVerwG 2 B
62.09 - juris) - eine überlange Verfahrensdauer sich bei solchen Disziplinar-
maßnahmen als Milderungsgrund auswirken kann und u.U. muss, die der
Pflichtenmahnung dienen. Hierbei steht die Überlegung im Vordergrund, dass
das Disziplinarverfahren als solches belastend ist und der von ihm ausgehende
andauernde Leidensdruck und die mit ihm verbundenen Nachteile bereits
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pflichtenmahnende Wirkung haben. Deswegen kann eine pflichtenmahnende
Disziplinarmaßnahme unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
werden, wenn das Disziplinarverfahren unverhältnismäßig lange dauert. Bei
Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen
ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die
mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen
Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben (Beschlüsse vom 26. Au-
gust 2009 - BVerwG 2 B 66.09 - juris und vom 5. März 2010 - BVerwG 2 B
22.09 - juris; vgl. auch Urteil vom 14. November 2007 - BVerwG 1 D 6.06 - ZBR
2008, 200 = NVwZ 2008, 1375
§ 4 BDO Nr. 3>).
Demgegenüber ist geklärt, dass die Verfahrensdauer es nicht rechtfertigt, von
der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder der Aberkennung des Ruhe-
gehalts abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Bei der Dienstentfer-
nung geht es darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwie-
gender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst
untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust, den er durch
sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermag eine lange Verfahrensdauer nichts
zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wieder-
hergestellt werden. Dies gilt gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 HDG gleichermaßen für
die Aberkennung des Ruhegehalts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober
1977 - 2 BvR 80/77 - BVerfGE 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom 9. August
2006 - 2 BvR 1003/05 - DVBl 2006, 1372; BVerwG, Urteile vom 22. Februar
2005 - BVerwG 1 D 30.03 - juris Rn. 80 und vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D
3.04 - juris Rn. 27; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 -
Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 8, vom 28. Oktober 2008 - BVerwG 2 B
53.08 juris, vom 26. August 2009 - BVerwG 2 B 66.09 juris und vom
16. Februar 2010 - BVerwG 2 B 62.09 juris).
2. Auch die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
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a) Die Beschwerde beanstandet als Verfahrensmangel, dass dem Beklagten
das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen nicht mitgeteilt und ihm die Möglich-
keit nicht eingeräumt worden sei, weitere Ermittlungen zu beantragen und sich
abschließend zu äußern.
Das Berufungsgericht hat diesen im behördlichen Verfahren unterlaufenen Feh-
ler erkannt und den Kläger unter Fristsetzung aufgefordert, die Mitteilung und
die Anhörung nachzuholen. Wie der Beklagte selbst vorträgt, ist dies gesche-
hen. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Rüge
(noch) durchgreifen könnte.
b) Ferner rügt die Beschwerde, dass der Kläger zwei im Zuge der Anhörung
gestellten Beweisanträgen des Beklagten nicht stattgegeben hat. Hierin liege
ein Mangel, da der Dienstherr innerhalb der ihm zur Nachbesserung gesetzten
Frist die aufgezeigten Mängel zu beheben, nicht aber neue zu produzieren ha-
be.
Auch diese Rüge greift nicht durch. Zwar ist der Dienstherr nach pflichtgemä-
ßem Ermessen verpflichtet, Beweisanträgen nachzugehen (§ 27 Abs. 3 Satz 1
HDG). Verletzt er diese Pflicht, stellt dies jedoch keinen zur Einstellung des
Disziplinarverfahrens führenden Verfahrensmangel dar; vielmehr kann der Feh-
ler im gerichtlichen Verfahren geheilt werden, weil die Festsetzung der zu tref-
fenden Disziplinarmaßnahme Sache des Gerichts ist. Das Berufungsgericht hat
im Einzelnen ausgeführt (UA S. 19), dass dem Beklagten aus einem Schriftsatz
des Klägers die Gründe bekannt waren, weshalb der Kläger den Anträgen des
Beklagten auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens und auf
Vernehmung des Vertreters der Einleitungsbehörde nicht nachgegangen war.
Wie das Berufungsgericht hierzu zutreffend ausgeführt hat, war es dem Beklag-
ten möglich, hierzu Stellung zu nehmen, und dem Kläger, den Vortrag des Be-
klagten während des laufenden Klageverfahrens zur Kenntnis zu nehmen und
hierauf zu reagieren. Schließlich hat das Berufungsgericht mit Recht auf die
Möglichkeit des Beklagten hingewiesen, im gerichtlichen Verfahren Beweisan-
träge zu stellen.
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c) Ohne Erfolg bleibt auch die weitere Rüge des Beklagten, verfahrensfehlerhaft
sei seinem Antrag nicht entsprochen worden, ein Sachverständigengutachten
zu seiner Behauptung einzuholen, er sei im Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen
Straftat dienstunfähig gewesen.
Bei der Prüfung, ob das Berufungsgericht seine Aufklärungspflicht verletzt hat,
ist seine materiell-rechtliche Auffassung zu Grunde zu legen. Nach Auffassung
des Berufungsgerichts kam es darauf an, ob der Beklagte krankheitsbedingt nur
eingeschränkt für sein Handeln verantwortlich gemacht werden konnte, nicht
dagegen darauf, ob seine Dienstfähigkeit zum Tatzeitpunkt eingeschränkt war.
Von diesem materiell-rechtlichen Standpunkt aus war die beantragte Beweis-
aufnahme nicht erforderlich.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 81 Abs. 1 und 4 HDG i.V.m. § 154
Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 82 Abs. 1 HDG
i.V.m. § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG.
Herbert
Groepper
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