Urteil des BVerwG vom 26.01.2010

Entlassung, Widerruf, Wiederherstellung, Ermessen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 47.09
OVG 6 A 356/06
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Januar 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. Hartung
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Februar
2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 6 838,39 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
1. Die Klägerin wendet sich gegen ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis
auf Widerruf (Vorbereitungsdienst für das Lehramt für die Sekundarstufe II).
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Entlassungsverfügung abge-
wiesen, das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung aus folgenden Gründen
zurückgewiesen: Zwar solle Beamten auf Widerruf nach § 35 Abs. 2 Satz 1
LBG NRW a.F. die Gelegenheit gegeben werden, den Vorbereitungsdienst zu
einem Abschluss zu bringen. Eine Entlassung während des Vorbereitungs-
dienstes komme aber ausnahmsweise für den Fall in Betracht, dass der Beam-
te aus gesundheitlichen Gründen auf nicht absehbare Zeit an der Beendigung
des Vorbereitungsdienstes und der Ablegung der zweiten Staatsprüfung gehin-
dert sei. Dabei genügten ernsthafte Zweifel, ob der Beamte das Ziel des Vorbe-
reitungsdienstes erreichen könne. Bereits aus dem Umstand, dass die Klägerin
in dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entlassung maßgeblichen
Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids trotz des angeordneten Wechsels der
Ausbildungsstätte seit zwei Jahren durchgehend dienstunfähig erkrankt sei,
folgten Zweifel daran, dass sie ihre Dienstfähigkeit innerhalb eines absehbaren
Zeitraums wiedererlangen werde. Die Behauptung der Klägerin, sie würde im
Falle einer Überprüfung des Schulleitergutachtens vom 5. August 2003 sofort
oder alsbald genesen, finde in den vorliegenden amts- und privatärztlichen
Stellungnahmen keine hinreichende Stütze. Nach einem amtsärztlichen Attest
hätte es zur Beurteilung der Frage, ob die Klägerin in absehbarer Zeit (sechs
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Monate) wieder dienstfähig sein werde, vielmehr einer mehrtätigen stationären
psychiatrischen Begutachtung bedurft, die die Klägerin verweigert habe. Das
der Behörde nach § 35 LBG NRW a.F. hinsichtlich der Entlassung eröffnete
Ermessen sei auch nicht dadurch eingeschränkt, dass ein fürsorgepflichtwidri-
ges oder sonst rechtswidriges Verhalten von Bediensteten des Beklagten die
Erkrankung der Klägerin zurechenbar hervorgerufen hätte. Aus den Mobbing-
Vorwürfen der Klägerin ergebe sich nicht, dass sie unabhängig vom Schullei-
tergutachten einem fürsorgepflichtwidrigen Verhalten des Schulleiters, des
Ausbildungskoordinators oder des Ausbildungslehrers ausgesetzt gewesen sei.
Diese Vorwürfe der Klägerin seien wertend und pauschal und damit mangels
eines Tatsachenkerns einer Überprüfung nicht zugänglich gewesen. Das Er-
messen der Behörde über die Entlassung der Klägerin wäre auch dann nicht
eingeschränkt, wenn zugunsten der Klägerin die Rechtswidrigkeit des Schullei-
tergutachtens vom 5. August 2003 unterstellt und ferner angenommen werde,
dieses Gutachten habe die Erkrankung der Klägerin verursacht. Denn dem Be-
klagten sei nicht jede Folge einer rechtswidrigen Handlung seiner Bediensteten
zuzurechnen, sodass sein Entlassungsermessen reduziert sei. Um die Verant-
wortung des Dienstherrn nicht ausufern zu lassen, seien diesem objektiv au-
ßergewöhnliche, nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu
lassende Geschehensabläufe nicht zuzurechnen. Die Dienstunfähigkeit der
Klägerin sei aber keine adäquate Folge des - unterstellt rechtswidrigen - Schul-
leitergutachtens vom 5. August 2003. Von einem Beamten sei eine psychische
Konstitution zu erwarten, die ihn befähige, sich mit einer im sachlichen Rahmen
bleibenden Kritik auch dann konstruktiv auseinanderzusetzen, wenn diese un-
berechtigt ist. Einwände gegen eine solche Beurteilung könne der Beamte ins-
besondere in einem rechtsstaatlichen Verfahren erheben. Das Oberverwal-
tungsgericht hat in seinem Beschluss die Revision nicht zugelassen. Hiergegen
richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
2. Es erscheint bereits fraglich, ob das Vorbringen in der Beschwerdebegrün-
dung zum Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
genügt. Eine solche Darlegung setzt im Hinblick auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
die Herausarbeitung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und
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für die Revisionsentscheidung erheblichen Frage des revisiblen Rechts und
zudem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausge-
hende Bedeutung bestehen soll (Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG
8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f.
und vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14). Die Beschwerde muss konkret auf die Rechtsfrage, ihre
Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit und ihre über den Einzelfall hi-
nausgehende Bedeutung eingehen. Einwendungen gegen die sachliche Rich-
tigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts allein reichen nicht aus.
Die Frage der Erfüllung der Darlegungsanforderungen kann hier dahingestellt
bleiben. In der Beschwerdebegründung wird sinngemäß die Frage aufgeworfen,
ob die Entlassung einer dienstunfähigen Widerrufsbeamtin
ermessensfehlerhaft ist, wenn andere Bedienstete durch
pflichtwidriges Verhalten eine Ursache für die
Dienstunfähigkeit gesetzt haben.
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Be-
deutung nicht, weil sie auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats auch
ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens im Sinne der Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts beantwortet werden kann.
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats hat das Oberverwal-
tungsgericht angenommen, dass das Entlassungsermessen des Dienstherrn
hinsichtlich der Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst im Hinblick darauf
beschränkt ist, dass diesen Beamten grundsätzlich Gelegenheit gegeben
werden soll, den Vorbereitungsdienst abzuleisten und die Prüfung abzulegen.
Daher ist die Entlassung eines Widerrufsbeamten nur dann ermessensfehlerfrei
möglich, wenn die tragenden Ermessenserwägungen mit Sinn und Zweck des
Vorbereitungsdienstes in Einklang stehen. Dies ist anerkanntermaßen der Fall,
wenn der Widerrufsbeamte wegen seines Gesundheitszustandes auf un-
absehbare Zeit an der Fortsetzung des Vorbereitungsdienstes und der Able-
gung der Prüfung gehindert ist. Dabei kommt es nicht darauf an, auf welche
Ursachen dieser Zustand zurückzuführen ist. Maßgebend ist, dass der Zweck
des zeitlich befristeten Dienstverhältnisses auf unabsehbare Zeit nicht erreicht
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werden kann. Das Beamtenverhältnis auf Widerruf dient der Ausbildung und
nicht der Unterhaltssicherung. Widerrufsbeamte können nicht verlangen, auf
unabsehbare Zeit im Vorbereitungsdienst zu bleiben und Unterhaltsleistungen
zu erhalten, obwohl sie das Ausbildungsziel aus gesundheitlichen Gründen
nicht erreichen können (Beschluss vom 9. Oktober 1978 - BVerwG 2 B 74.77 -
Buchholz 237.0 § 39 LBG BW Nr. 3; Urteil vom 9. Juni 1981 - BVerwG 2 C
48.78 - BVerwGE 62, 267 <270> = Buchholz 237.1 Art. 43 BayBG Nr. 4 S. 4 f.;
vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Oktober 1992 - 2 BvR 1318/92 -
DVBl 1992, 1597). Hiernach ist es mit Sinn und Zweck des Vorbereitungsdiens-
tes unvereinbar, das bisherige Dienstverhältnis fortzusetzen, obwohl nach den
tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, die den Senat ge-
mäß § 137 Abs. 2 VwGO binden, nicht absehbar ist, ob und wann die Klägerin
wieder Dienst leisten kann.
Hinsichtlich des dem Oberverwaltungsgericht unterstellten Verfahrensfehlers
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) erfüllt das Vorbringen in der Beschwerdebegrün-
dung nicht die Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
In Bezug auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wird vorgetragen, das Berufungsgericht
habe zwar die Dienstunfähigkeit der Klägerin festgestellt, nicht aber die Frage
geklärt, ob und wann mit der Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit gerechnet
werden könne. Damit wird der Sache nach ein Verstoß gegen die aus § 86
Abs. 1 VwGO folgende Pflicht des Gerichts geltend gemacht, den Sachverhalt
von Amts wegen zu erforschen. Ein Verfahrensfehler ist nur dann ausreichend
bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen
als auch in seiner rechtlichen Würdigung substanziiert dargetan wird. In Bezug
auf den Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO)
muss dementsprechend substanziiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher
tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet
und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht ge-
kommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der
unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären.
Ferner muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem
Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unter-
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bleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht
die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus
hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 -
Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265).
Die Darlegungen in der Beschwerdebegründung zu § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
genügen diesen Vorgaben nicht. Sie beschränken sich auf Ausführungen zu
Grundsätzen der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zwischen den Par-
teien eines Amtshaftungsprozesses, die von Gerichten der ordentlichen Ge-
richtsbarkeit für die Entscheidung über dort zu erhebende Amtshaftungsklagen
entwickelt worden sind.
Auch in der Sache kann die Aufklärungsrüge keinen Erfolg haben. Maßgebend
für die Feststellung eines Aufklärungsmangels ist die Rechtsauffassung des
Berufungsgerichts. Für das Oberverwaltungsgericht war aber die Frage, „ob
und wann“ mit der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit der Klägerin konkret
gerechnet werden kann, nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht ist
vielmehr auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 9. Juni
1981 a.a.O. S. 269 f. bzw. S. 4 f.) davon ausgegangen, aus dem Umstand,
dass die Klägerin in dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ent-
lassungsverfügung maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids bereits
seit zwei Jahren durchgehend dienstunfähig erkrankt gewesen sei, ohne dass
der angeordnete Wechsel der Ausbildungsstätte eine Besserung ihres
Gesundheitszustandes habe bewirken können, folgten die für die Rechtmäßig-
keit der Verfügung ausreichenden ernsthaften Zweifel daran, dass sie ihre
Dienstfähigkeit innerhalb eines absehbaren Zeitraums wiedererlangen werde
und damit das Ziel des Vorbereitungsdienstes erreichen könne. Die durchgrei-
fenden Zweifel an der Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit seien durch das
Ergebnis des amtsärztlichen Gutachtens vom 8. Juni 2004 erhärtet worden,
wonach sich die Frage, ob Aussicht auf eine Wiedererlangung der Dienstfähig-
keit innerhalb der nächsten sechs Monate bestehe, aufgrund der vorliegenden
Befunde nicht habe beantworten lassen.
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Die in der Beschwerdebegründung angesprochene Frage nach der Darlegungs-
und Beweislast würde in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheb-
lich sein, weil nach den tatsächlichen, von der Klägerin nicht mit Verfahrensrü-
gen angegriffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts die Vorausset-
zungen für eine rechtmäßige Entlassung der Klägerin aus dem Vorbereitungs-
dienst nach § 35 LBG NRW a.F. vorliegen.
Die Revision ist auch nicht wegen des geltend gemachten Verstoßes des an-
gegriffenen Beschlusses gemäß § 35 Abs. 2 LBG NRW a.F. zuzulassen. Abge-
sehen davon, dass insoweit kein Zulassungsgrund dargelegt ist, gebietet die
Fürsorgepflicht die Fortsetzung eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf nicht,
wenn nicht absehbar ist, ob und wann der Beamte wieder Dienst leisten kann.
Schließlich führen auch die Darlegungen auf Seite 4 der Beschwerdebegrün-
dung vom 21. April 2009 („Im Übrigen“) nicht zur Zulassung der Revision. Der
Sache nach wird mit diesen Ausführungen geltend gemacht, das Berufungsge-
richt sei hinsichtlich der Dienstfähigkeit der Klägerin vor dem Beginn der Som-
merferien „2003“ (wohl 2005) von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.
In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass die Unrichtigkeit tatsächlicher
Feststellungen des Berufungsurteils, unabhängig davon, ob sich die unrichtige
oder unvollständige Tatsachenfeststellung im Tatbestand oder in den Entschei-
dungsgründen des Urteils befindet, keinen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO) darstellt. Vielmehr kann ein solcher Fehler, sofern er tatsächlich
vorliegt, nur mittels eines fristgebundenen Antrags auf Berichtigung gemäß
§ 119 VwGO geltend gemacht werden (Beschlüsse vom 7. Juni 1989 - BVerwG
2 B 70.89 - Buchholz 310 § 119 VwGO Nr. 5 und vom 3. Januar 2005 - BVerwG
2 B 46.04 - juris).
Das nachträglich mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2009 geltend gemachte neue
Beschwerdevorbringen muss wegen des Ablaufs der Frist für die Begründung
der Beschwerde (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) außer Betracht bleiben.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung
des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 3 sowie § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG.
Herbert Dr. Heitz Dr. Hartung
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