Urteil des BVerwG vom 07.11.2006

Ausbildung, Beurteilungsspielraum, Test, Gutachter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 46.06
VGH 1 UE 1691/05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. November 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kugele und Dr. Heitz
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 1. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Revisionszulassungsgründe des Verfahrensmangels gemäß § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO und der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ge-
stützte Beschwerde ist nicht begründet. Aus der Beschwerdebegründung ergibt
sich nicht, dass einer der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe vor-
liegt.
Mit seiner Klage greift der Kläger die Entscheidung des Auswahlausschusses
an, ihn nicht zur Ausbildung für den höheren Polizeivollzugsdienst (Laufbahn-
aufstieg) zuzulassen. Der Ausschuss hat aus den Ergebnissen der drei Ab-
schnitte des Auswahlverfahrens den Schluss gezogen, das Leistungs- und Per-
sönlichkeitsbild des Klägers weise deutliche Mängel auf. Die Leistungen des
Klägers in den Testteilen A und B waren mit „entsprechen teilweise den Anfor-
derungen“ und „entsprechen überwiegend nicht den Anforderungen“ bewertet
worden. Für die Tätigkeit in der Qualifikationsverwendung hatte der Kläger die
Beurteilung „für den Aufstieg geeignet“ erhalten. Die Richtlinien des Hessischen
Innenministeriums vom 28. Februar 2002 (Staatsanzeiger S. 2524), die das
laufbahnrechtlich vorgeschriebene Auswahlverfahren näher regeln, treffen kei-
ne Aussage über die Bedeutung der Teilergebnisse für die Ermittlung und Fest-
stellung des Gesamtergebnisses.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage - unter Aufhebung des erstinstanzli-
chen Bescheidungsurteils - durch Beschluss gemäß § 130a VwGO abgewiesen,
weil sich die ablehnende Entscheidung im Rahmen des Beurteilungsspielraums
halte, der dem Auswahlausschuss gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung
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über die Laufbahnen des hessischen Polizeivollzugsdienstes vom 18. Juli 1996
- HPolLVO - (GVBl S. 326) eingeräumt sei. Es sei sachgerecht, den Lauf-
bahnaufstieg Bewerbern vorzubehalten, die ihre Eignung in allen Abschnitten
des Auswahlverfahrens unter Beweis gestellt hätten. Dagegen habe der Kläger
den Testteil B nicht bestanden. Der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auf-
fassung, die Richtlinien müssten den Einfluss der Teilergebnisse auf das Ge-
samtergebnis generell festlegen, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis
auf seine Rechtsprechung widersprochen.
Mit der Verfahrensrüge trägt der Kläger vor, die Berufungsentscheidung stelle
eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Der Verwaltungsgerichtshof
habe versäumt darauf hinzuweisen, dass er den Auswahlausschuss bereits
aufgrund des Beurteilungsspielraums gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 HPolLVO für
berechtigt gehalten habe, dem Nichtbestehen eines der drei Teile des Aus-
wahlverfahrens Sperrwirkung für die Zulassung zum Laufbahnaufstieg
beizumessen. Daher habe der Kläger zu diesem die Berufungsentscheidung
tragenden rechtlichen Gesichtspunkt im Berufungsverfahren nicht Stellung
nehmen können. Mit diesem Vorbringen rügt der Kläger sinngemäß, ihm sei
das rechtliche Gehör versagt worden.
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG,
§ 108 Abs. 2 VwGO gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich
nicht nur zu den tatsächlichen Umständen des Falles, sondern auch umfassend
zur Rechtslage äußern zu können. Allerdings besteht regelmäßig keine Pflicht
des Gerichts, ihnen mitzuteilen, welche Rechtsauffassung es zu vertreten ge-
denkt. Vielmehr müssen die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle rechtlichen
Gesichtspunkte, auf die es nach den Umständen des Falles ankommen könnte,
von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen. Eine Ge-
hörsverletzung liegt nur vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen
rechtlichen Gesichtspunkt stützt, dessen entscheidungserhebliche Bedeutung
auch ein gewissenhafter und kundiger Verfahrensbeteiligter unter Berücksichti-
gung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu erkennen vermag
(BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133
<144 f.>; stRspr). Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn das Gericht auf
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eine Vorschrift oder einen Rechtssatz abstellt, der im gesamten Verfahren keine
Rolle gespielt hat (Beschluss vom 20. Juni 2006 - BVerwG 3 B 91.05 - juris
Rn. 2).
Davon ausgehend liegt die geltend gemachte Gehörsverletzung nicht vor. Der
anwaltlich vertretene Kläger musste damit rechnen, dass der Verwaltungsge-
richtshof die ablehnende Entscheidung des Auswahlausschusses aufgrund des
Nichtbestehens des Testteils B als vom Beurteilungsspielraum gemäß § 5
Abs. 2 Satz 1 HPolLVO gedeckt und generelle Vorgaben für die Ermittlung und
Feststellung des Gesamtergebnisses als entbehrlich ansehen würde. Denn
diese Rechtsauffassung hatte der Beklagte mit Schriftsatz vom 29. Juli 2005, in
dem er die Berufung begründet hat, ausführlich dargelegt. Der Beklagte hat
darauf verwiesen, dass seine Ausführungen mit der Rechtsprechung des Ver-
waltungsgerichtshofs übereinstimmten und hierfür auf ein mit Datum und Ak-
tenzeichen angegebenes Urteil Bezug genommen. Schon deshalb kann keine
Rede davon sein, der tragende rechtliche Gesichtspunkt der Berufungsent-
scheidung habe in dem Berufungsverfahren keine Rolle gespielt. Vielmehr hat
sich ein rechtlicher Hinweis des Verwaltungsgerichtshofs bereits aufgrund des
Vortrags des Beklagten erübrigt.
Mit der Divergenzrüge macht der Kläger eine Abweichung der Berufungsent-
scheidung von dem Urteil des Senats vom 22. September 1988 - BVerwG 2 C
35.86 - BVerwGE 80, 224 geltend. Er trägt vor, der Senat habe entschieden,
der Dienstherr dürfe die Entscheidung über die Auswahl von Beamten für den
Laufbahnaufstieg nicht auf externe Dritte wie hinzugezogene Psychologen
übertragen. Demgegenüber habe der Verwaltungsgerichtshof gebilligt, dass der
Auswahlausschuss die negativen Wertungen des externen Psychologen über
die Leistungen des Klägers im Testteil B ungeprüft übernommen habe.
Eine die Revision eröffnende Divergenz liegt vor, wenn das Berufungsgericht
mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem Rechts-
richt einen solchen Rechtssatz in dem zu entscheidenden Fall übergeht oder
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rechtsfehlerhaft anwendet (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B
261.97 - NJW 1997, 3328; stRspr). Danach liegt die geltend gemachte Diver-
genz nicht vor.
In dem Urteil vom 22. September 1988 (a.a.O. S. 226 f.) hat der Senat ausge-
führt:
„Der Dienstherr kann die hiernach allein ihm obliegende
umfassende Eignungsbeurteilung und die ihm dabei zu-
kommende Beurteilungsermächtigung nicht auf außen-
stehende Dritte übertragen. Der Dienstherr darf aber im
Rahmen seiner eigenen Beurteilung unterstützend einen
psychologischen Eignungstest heranziehen (vgl. Urteil des
Senats vom 7. Mai 1981 - BVerwG 2 C 42.79 - Buchholz
232 § 8 BBG Nr. 19 = DVBl. 1982, 198; Beschluss vom
11. Februar 1983 - BVerwG 2 B 103.81 - a.a.O.) … Der
Test kann auch durch außenstehende Sachverständige
durchgeführt werden (§ 26 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG i.V.m. § 1
Abs. 1 Nds. VwVfG). Für die dabei zugrunde zu legenden
Anforderungen an die Bewerber sind die Vorgaben des
Dienstherrn maßgeblich. Das Ergebnis der Begutachtung
darf der Dienstherr nicht etwa ‚blindlings’ übernehmen.
Vielmehr muss die psychologische Eignungsbegutachtung
nach Ergebnis und Begründung so verständlich sein - ggf.
nach zusätzlicher Erläuterung -, dass der Dienstherr sie
sich zu eigen machen kann. Das ist hier in dem ‚zusam-
menfassenden Eindruck’ der Gutachter geschehen. So-
weit sich der Dienstherr auf dieser Grundlage Ergebnisse
der Begutachtung zu eigen macht, darf er sie neben et-
waigen dienstlichen Beurteilungen und Berichten, ggf.
Prüfungsergebnissen u.a. als Beitrag zu seinem eigenen
umfassenden Eignungsurteil verwerten.“
Der Verwaltungsgerichtshof hat dieser Rechtsauffassung nicht widersprochen,
sondern sich ihr angeschlossen. So heißt es in den Gründen der Berufungsent-
scheidung (Seiten 5 unten und 6 des Beschlussabdrucks):
„Auch bei der Auswahl von Beamten für den Laufbahn-
aufstieg steht dem Dienstherrn ein Beurteilungsspielraum
zu, der sich auf die prognostische Feststellung der Eig-
nung für eine erfolgreiche Teilnahme an der Ausbildung
für den höheren Polizeivollzugsdienst bezieht. Unumstrit-
ten ist weiter, dass der Dienstherr berechtigt ist, die Er-
gebnisse psychologischer Eignungsuntersuchungen für
seine eigene Urteilsbildung auszuwerten (vgl. dazu grund-
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legend BVerwG, Urteil vom 22. September 1988,
BVerwGE 80, 224 = NJW 1989, 1297).“
Aus diesen Formulierungen wird deutlich, dass der Verwaltungsgerichtshof ge-
rade nicht die Rechtsauffassung vertreten hat, der Dienstherr, d.h. hier der
Auswahlausschuss dürfe seine Verantwortung für die Beurteilung der Leistun-
gen der Bewerber auf externe Psychologen übertragen. Dementsprechend hat
der Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass sich der Auswahlausschuss auf-
grund der Berichte und Wertungen des Psychologen, der den Testteil B durch-
geführt hat, ein eigenes Urteil über die Leistungen des Klägers in diesem Test-
teil gebildet hat (vgl. Seiten 7 unten und 8 des Beschlussabdrucks).
Nicht zu entscheiden ist, ob der Rechtssache im Hinblick auf die Auslegung des
§ 5 Abs. 2 Satz 1 HPolLVO durch den Verwaltungsgerichtshof rechtsgrundsätz-
liche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommt. Denn der
Kläger hat nicht dargelegt, welche konkrete Rechtsfrage aus welchen Gründen
rechtsgrundsätzlich bedeutsam sein könnte; die Beschwerdebegründung ent-
hält hierzu keine Ausführungen (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 52 Abs. 2 GKG n.F.
Albers Dr. Kugele Dr. Heitz
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