Urteil des BVerwG vom 25.07.2014

Soldat, Weisung, Entlassung, Ausbildung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 42.14
OVG 10 A 10926/13.OVG
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juli 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dollinger
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 21. Februar 2014 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 29 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde ist unbegründet.
1. Der 1979 geborene Kläger ist seit Jahresanfang 1999 Soldat auf Zeit. Seine
Dienstzeit endet Mitte 2019. Für das Studium der Humanmedizin war der Klä-
ger von Oktober 1999 bis Dezember 2005 beurlaubt. Er ist Sanitätsoffizier und
wurde im Dezember 2005 zum Stabsarzt befördert. Seit 2005 leidet der Kläger
unter Ekzemen an den Händen. Medizinische Tests in Krankenhäusern der
Bundeswehr ergaben eine erhebliche Sensibilisierung gegenüber Inhaltsstoffen
von Gummi. Unter Berufung auf diese Allergie, die auch dazu führe, dass er
keine ABC-Schutzausrüstung mehr tragen könne und seine Einsatzfähigkeit im
Ausland auf Dauer verneint worden sei, beantragte der Kläger seine Entlassung
aus der Bundeswehr. Der nach dem erfolglosen Beschwerdeverfahren erhobe-
nen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Im erneuten Berufungsver-
fahren hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufung der Beklagten das
Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Be-
gründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
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Der Kläger habe keinen Anspruch auf Entlassung aus der Bundeswehr, weil er
nicht dienstunfähig sei. Unerheblich sei, dass der Kläger Soldaten nicht medizi-
nisch behandeln könne. In Friedenszeiten gebe es bei der Bundeswehr eine
Vielzahl von Stellen für Stabsärzte mit rein administrativen Aufgaben, auf wel-
chen sie in zumutbarer Weise verwendet werden könnten. Die Beklagte habe
konkret auf mehrere freie und für eine Besetzung mit dem Kläger geeignete
Stellen für Stabsärzte verwiesen. Wegen des Verteidigungsauftrags der Bun-
deswehr müsse ein Soldat aber auch unter den spezifischen Bedingungen des
Verteidigungsfalles verwendbar sein. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt, weil
der Kläger nach den Festlegungen der Beklagten bei einer auch im Verteidi-
gungsfall möglichen rein administrativen Verwendung keine ABC-Schutzaus-
rüstung tragen und infolgedessen die Handhabung dieser Ausrüstung in Frie-
denszeiten auch nicht üben müsse. Damit setze sich die Beklagte nicht über die
in Dienstvorschriften und Weisungen niedergelegten dienstlichen Anforderun-
gen an den Kläger hinweg. Dementsprechend sei die Frage, welche gesund-
heitlichen Folgen für den Kläger mit dem Tragen einer ABC-Schutzmaske ver-
bunden seien, nicht klärungsbedürftig.
2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.
Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache
nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätz-
liche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im
Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung
des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung
des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr.; u.a. Beschluss vom 2. Okto-
ber 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier in Bezug
auf die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen nicht der Fall.
a) Die Frage,
„welche militärischen Anforderungen, denen ein Soldat im
Verteidigungsfall unterliegen muss, unverzichtbar sind“,
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könnte im angestrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Zunächst ist
die Frage auf tatsächliche Umstände und nicht auf die Klärung einer Rechtsfra-
ge gerichtet. Ferner ist Gegenstand des Verfahrens die Frage einer Verpflich-
tung zum Tragen einer ABC-Schutzausrüstung, so dass die generelle Frage
nach den von einem Soldaten im Verteidigungsfall zu erfüllenden militärischen
Anforderungen nicht beantwortet werden könnte. Zudem hat der Senat bereits
entschieden, dass es Sache des Dienstherrn ist, die sich aus den spezifischen
Bedingungen des Verteidigungsfalles ergebenden militärischen Anforderungen
zu bestimmen, die für jeden Soldaten unverzichtbar sind (Urteil vom 27. Juni
2013 - BVerwG 2 C 67.11 - NVwZ-RR 2013, 1007 Rn. 17).
b) Die weiter aufgeworfene Frage,
„ob und ggfs. unter welchen Voraussetzungen Soldaten
vom Erfordernis des Beherrschens einer Individuellen
Grundfertigkeit gem. der Weisung zur Ausbildung und zum
Erhalt der Individuellen Grundfertigkeiten (Weisung IGF)
befreit werden können“,
betrifft die „Weisung des Bundesministeriums der Verteidigung zur Ausbildung
und zum Erhalt der Individuellen Grundfertigkeiten - Weisung IGF“ vom 9. Juni
2009. Die Verwaltungsvorschriften der Beklagten zur Festlegung der Anforde-
rungen an Soldaten stellen jedoch kein revisibles Recht dar. Verwaltungsvor-
schriften sind keine Rechtsnormen, sondern Willenserklärungen, die Rück-
schlüsse auf eine entsprechende Verwaltungspraxis zulassen. Ihre Auslegung
unterliegt der revisionsgerichtlichen Prüfung nur insoweit, als es um die Einhal-
tung der für Willenserklärungen geltenden allgemeinen Auslegungsgrundsätze
geht (stRspr; vgl. Urteile vom 2. Februar 1995 - BVerwG 2 C 19.94 - Buchholz
237.6 § 75 NdsLBG Nr. 3 S. 2 f., vom 17. Januar 1996 - BVerwG 11 C 5.95 -
NJW 1996, 1766 und vom 10. April 1997 - BVerwG 2 C 38.95 - Buchholz 236.1
§ 3 SG Nr. 16 S. 34).
In der Beschwerdebegründung trägt der Kläger vor, die Vorgaben der genann-
ten Verwaltungsvorschrift der Beklagten ließen es tatsächlich nicht zu, einen im
administrativen Bereich tätigen Soldaten von der sog. Individuellen Grundfertig-
keit „Beherrschen elementarer ABC-Schutzmaßnahmen“ zu befreien. Damit
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wirft der Kläger aber keine rechtsgrundsätzliche Frage auf, sondern setzt der
rechtlichen Würdigung des Oberverwaltungsgerichts zur Auslegung der Verwal-
tungsvorschrift lediglich seine eigene abweichende rechtliche Bewertung ent-
gegen.
c) Die schließlich als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage,
„unter welchen Voraussetzungen ein Soldat im Verteidi-
gungsfall den unverzichtbaren militärischen Anforderun-
gen nicht genügt und damit dienstunfähig im Sinne von
§ 55 Abs. 2 und § 44 Abs. 3 Satz 1 SG ist“,
erfüllt ebenfalls nicht die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn
sie betrifft, wie die erste von der Beschwerde aufgeworfene Frage, tatsächliche
Umstände. Eine rechtsgrundsätzliche Klärung in einem Revisionsverfahren wä-
re nicht möglich. Zudem hat der Senat bereits entschieden, dass die Bestim-
mung der Anforderungen, denen die Soldaten genügen müssen, Sache des
Dienstherrn ist.
3. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zu-
zulassen.
Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass das
Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen inhaltlich bestimmten, das
Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem
Rechtssatz widersprochen hat, den das Bundesverwaltungsgericht in Anwen-
dung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Das ist der Fall, wenn das Be-
rufungsgericht einen im zu entscheidenden Fall erheblichen Rechtssatz des
Bundesverwaltungsgerichts nicht anwendet, weil es ihn für unrichtig hält. Eine
Divergenz liegt demgegenüber nicht vor, wenn das Berufungsgericht einen
Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall rechtsfehlerhaft an-
wendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die
Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (stRspr; vgl. Beschlüsse vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14; vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG
Nr. 1 Rn. 4 und vom 28. Oktober 2008 - BVerwG 2 B 53.08 - juris Rn. 3).
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Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Denn die Beschwerde macht
nicht einmal geltend, das Oberverwaltungsgericht sei von dem vom Bundes-
verwaltungsgericht im Urteil vom 27. Juni 2013 (- BVerwG 2 C 67.11 -) aufge-
stellten Rechtssatz abgewichen, ein Soldat sei dienstfähig, wenn es sowohl in
Friedenszeiten als auch im Verteidigungsfall eine Stelle gibt, auf der er zumut-
bar verwendet und mit ihm besetzt werden kann. Dabei ist es Sache des
Dienstherrn, die sich daraus jeweils ergebenden militärischen Anforderungen zu
bestimmen, die für den Soldaten unverzichtbar sind. Denn die Beschwerde trägt
in Bezug auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO lediglich vor,
das Oberverwaltungsgericht habe seine Auffassung, der Kläger könne auch in
einem möglichen Verteidigungsfall wegen der Befreiung von der Verpflichtung
zum Tragen einer ABC-Schutzausrüstung zumutbar verwendet werden, unzu-
reichend „in einem Satz“ begründet.
4. Auch die von der Beschwerde gerügten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
a) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht dadurch gegen die ihm nach § 86
Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts ver-
stoßen, dass es nicht der Frage nachgegangen ist, welche körperlichen Auswir-
kungen das Tragen der ABC-Schutzausrüstung für den Kläger hat.
Für die dem Gericht obliegende Verpflichtung zur Klärung des Sachverhalts ist
die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts maßgeblich. Umstände, auf
die es nach seiner Rechtsansicht nicht ankommt, sind auch nicht aufzuklären.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Verneinung des Anspruchs des Klägers auf
Entlassung aus dem Wehrdienstverhältnis darauf gestützt, dass dieser nicht im
Sinne von § 55 Abs. 2 Satz 1 SG dienstunfähig ist. Dies hat das Berufungsge-
richt damit begründet, dass es sowohl in Friedenszeiten als auch im Verteidi-
gungsfall eine Stelle im administrativen Bereich der Bundeswehr gibt, die für
den Kläger gerade wegen der fehlenden Verpflichtung zum Tragen einer ABC-
Schutzausrüstung und zum Üben der Handhabung dieser Ausrüstung zumutbar
ist. Dementsprechend kommt es für den mit der Klage geltend gemachten An-
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spruch auf Entlassung aus dem Wehrdienstverhältnis nicht darauf an, welche
gesundheitlichen Folgen beim Kläger beim Tragen einer ABC-Schutzausrüs-
tung eintreten.
b) Der Sache nach erhebt die Beschwerde den weiteren Vorwurf, das Oberver-
waltungsgericht habe auch dadurch gegen seine Pflicht zur Aufklärung des
Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen, dass es nicht der Fra-
ge nachgegangen sei, ob der Kläger auch für den Verteidigungsfall von der
Verpflichtung zum Tragen einer ABC-Schutzausrüstung im administrativen Be-
reich befreit werden kann. Dieser Vorwurf ist unbegründet. Denn das Oberver-
waltungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger auch bei einer administrativen
Verwendung im Verteidigungsfall keine ABC-Schutzausrüstung tragen und in-
folgedessen in Friedenszeiten die Handhabung dieser Ausrüstung auch nicht
üben muss.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 40, § 47 Abs. 1 und 3
sowie § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG n.F.
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