Urteil des BVerwG vom 05.03.2009

Einstellung des Verfahrens, Richteramt, Disziplinarverfahren, Erfüllung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 42.08
OVG 14 LB 4/07
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. März 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:
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Die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberver-
waltungsgerichts über die Nichtzulassung der Revision
gegen sein Urteil vom 16. Mai 2008 wird aufgehoben.
Die Revision wird zugelassen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Zulassung der Revision auf Grund
eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 41 Abs. 1 LDG
sowie §§ 69 und 55 BDG.
1. Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Beklagten erhobene Disziplinar-
klage mit Urteil vom 21. Mai 2007 mit der Begründung abgewiesen, das be-
hördliche Disziplinarverfahren leide an einem schwerwiegenden Verfahrensfeh-
ler, der die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme ausschließe. Der Kläger
habe gegen § 51 Abs. 5 Satz 1 des Mitbestimmungsgesetzes Schleswig-
Holstein (MBG Schl.-H.) verstoßen, weil er den Personalrat ohne Zustimmung
des Beklagten beteiligt habe. Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzli-
che Urteil aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwie-
sen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Mitwirkung der Personalvertretung
stelle im vorliegenden Fall keinen wesentlichen Verfahrensfehler dar, auf den
sich der Beklagte mit Erfolg berufen könne. Zwar habe er keine Zustimmung
nach § 51 Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H. erteilt, doch habe er die Abgabe dieser
Erklärung treuwidrig unterlassen. Außerdem hätte der Kläger die Disziplinarkla-
ge unabhängig von einer Mitwirkung der Personalvertretung erhoben. Ein mög-
licher, in der ohne Zustimmung des Beklagten erfolgten Mitwirkung des Perso-
nalrats liegender Verfahrensfehler sei daher nicht kausal.
2. Das Disziplinarverfahren leidet an einem Verstoß gegen § 51 Abs. 5 Satz 1
MBG Schl.-H. Dieser Verstoß stellt einen Mangel des behördlichen Disziplinar-
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verfahrens dar und zieht einen Verfahrensmangel i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO nach sich. Das Tatsachengericht - hier das Berufungsgericht (§ 65
Abs. 1 Satz 1 BDG) - könnte die sich aus § 55 BDG ergebende Verpflichtung
verletzt haben, auf die Beseitigung eines solchen Mangels durch den Dienst-
herrn hinzuwirken (Beschluss vom 26. Februar 2008 - BVerwG 2 B 122.07 -
Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 2).
Nach § 51 Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H. setzt eine nach Abs. 1 Satz 1 dieser
Vorschrift zulässige und gebotene Mitbestimmung der Personalvertretung die
Zustimmung des Betroffenen voraus, soweit über die beabsichtigte Maßnahme
hinaus schutzwürdige persönliche Interessen von Beschäftigten berührt sind.
Mit der im vorliegenden Fall erfolgten Beteiligung der Personalvertretung war
deren Information über die dem Beamten vorgehaltenen Dienstvergehen ver-
bunden. Das führte zur Offenlegung sehr persönlicher, zum Intimbereich gehö-
render Tatsachen und berührte schutzwürdige persönliche Interessen des Be-
amten i.S.d. § 51 Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H.
Das Argument des Berufungsgerichts, der Beklagte habe trotz mehrfacher Auf-
forderung des Klägers, die Zustimmung zur Mitwirkung der Personalvertretung
zu erteilen, keine Erklärung abgegeben und sich damit treuwidrig verhalten,
greift nicht. Denn das Gesetz bindet die Mitwirkung in den Fällen des § 51
Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H. an die Zustimmung des Betroffenen. Es macht eine
zulässige Erhebung der Disziplinarklage nicht von der nach § 51 Abs. 1 Satz 1
MBG Schl.-H. an sich gebotenen Mitwirkung der Personalvertretung abhängig.
Im Gegenteil: Eine Disziplinarklage kann unter den Voraussetzungen des § 51
Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H. auch ohne Zustimmung der Personalvertretung
erhoben werden. Der Beklagte war gesetzlich nicht gehalten, sich zu der Anfra-
ge des Klägers zu äußern. Sein Schweigen kann ihm daher nicht als treuwidrig
vorgehalten werden. Die weitere Erwägung des Berufungsgerichts, die der
Personalvertretung bekannt gegebenen Tatsachen seien bereits Gegenstand
einer öffentlicher Verhandlung vor dem Strafgericht gewesen, ändert an der
durch § 51 Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H. vorgegebenen Rechtslage ebenfalls
nichts. Auch der Gesichtspunkt, der Verfahrensfehler habe sich nicht aus-
gewirkt, weil die Klage ohnehin erhoben worden wäre, wird der dem Schutz des
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Betroffenen dienenden Regelung des § 51 Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H. nicht
gerecht. Kann nämlich die Klage schon von Gesetzes wegen unabhängig von
der Beteiligung der Personalvertretung erhoben werden, kann es auf die Frage
der Kausalität einer Nichtbeachtung des § 51 Abs. 5 Satz 1 MBG Schl.-H.
schon logisch nicht ankommen.
Der Senat sieht davon ab, die Sache an das Tatsachengericht gemäß § 133
Abs. 6 VwGO, § 41 Abs. 1 LDG, § 69 BDG zurückzuverweisen, weil höchstrich-
terlich ungeklärt ist, ob der vorliegende Mangel des behördlichen Disziplinarver-
fahrens in dem anhängigen Verfahren beseitigt werden kann. Falls dies wegen
der Besonderheit des Verfahrensverstoßes nicht möglich sein sollte, wäre eine
Fristsetzung durch das Tatsachengericht nach § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG über-
flüssig. Eine Zurückverweisung an das Tatsachengericht kommt schließlich
auch deshalb nicht in Betracht, weil höchstrichterlich ungeklärt ist, ob dann statt
der Einstellung des Verfahrens die Abweisung der Klage erfolgen müsste.
3. Die übrigen Rügen des Beklagten sind unbegründet.
a) Zu Unrecht macht er einen Verfahrensverstoß i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO mit der Begründung geltend, dem Oberverwaltungsgericht sei es wegen
des Grundsatzes der Verfahrensbeschleunigung verwehrt gewesen, die Sache
an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Zwar wurde mit Blick auf diesen
Verfahrensgrundsatz der Ausschluss des § 130 Abs. 2 VwGO im Disziplinar-
klageverfahren im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens diskutiert. Dies ergibt
sich aus einer Entwurfsempfehlung während des Gesetzgebungsverfahrens
zum Bundesdisziplinargesetz (vgl. § 66 Abs. 2 Entwurf eines Gesetzes zur
Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts, BTDrucks 14/5529 S. 33). Dieser
Gesetzesvorschlag ist indes nicht Gesetz geworden. § 130 Abs. 2 VwGO ist da-
her grundsätzlich anwendbar. Dass die spezifischen Voraussetzungen der hier
angewandten Vorschrift des § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, namentlich dass das
Verwaltungsgericht in der Sache selbst noch nicht entschieden hat und dass ein
Beteiligter die Zurückverweisung beantragt hat, nicht vorgelegen haben, be-
hauptet der Kläger nicht. Der Verweis des Beklagten auf die Regelung in § 70
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Abs. 2 BDG für das Revisionsverfahren geht ins Leere; denn diese Regelung
enthält keine Aussage zum Berufungsverfahren.
b) Mit diesen Erwägungen ist zugleich auch die Grundsatzrüge i.S.d. § 132 Abs.
2 Nr. 1 VwGO als unbegründet zurückzuweisen. Es bedarf keines Revisions-
verfahrens, um die als vermeintlich rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage zu
beantworten, ob § 130 Abs. 2 VwGO im Verfahren nach §§ 64 ff. BDG, § 41
Abs. 1 LDG Anwendung findet. Sie ergibt sich aus dem Gesetz. Ob es im Ein-
zelfall Konstellationen gibt, in denen die Anwendung des § 130 Abs. 2 VwGO
mit Blick auf das in Abs. 1 dieser Vorschrift an das Oberverwaltungsgericht ge-
richtete Gebot, in der Sache selbst zu entscheiden, ein Verfahrensfehler wäre,
braucht mangels entsprechenden Vortrags in der Beschwerdebegründung nicht
geprüft zu werden.
Rechtsbehelfsbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen
BVerwG 2 C 15.09 fortgesetzt; der Einlegung einer Revision durch den Be-
schwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu
begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simson-
platz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom
26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung
der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch einen Rechtsanwalt oder einen
Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmen-
gesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen.
Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der
von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammen-
schlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richter-
amt einschließlich Diplomjuristen im höheren Verwaltungsdienst oder durch
Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt einschließlich Diplomjuristen im
höheren Verwaltungsdienst anderer Behörden oder juristischer Personen des
öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen
Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Herbert Prof. Dr. Kugele Thomsen
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