Urteil des BVerwG vom 24.09.2010

Ablauf des Verfahrens, Rüge, Beweismittel, Beförderung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 40.10
OVG 3 LB 4/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. September 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts vom 19. März 2010 wird zurück-
gewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 25 483,77 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I. Die auf Verfahrensmängel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Nichtzu-
lassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Der 2009 beförderte Kläger macht für den Zeitraum seit 2006 Schadenser-
satz wegen verspäteter Beförderung zum Steueroberamtsrat (Besoldungsgrup-
pe A 13 BBesO) geltend.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat
die Berufung zurückgewiesen und sich gemäß § 130b Satz 2 VwGO den Ent-
scheidungsgründen der Vorinstanz mit der Maßgabe angeschlossen, dass die
Klage mangels eines schuldhaften Verhaltens des Finanzamtes selbst dann
erfolglos bliebe, wenn man der Begründung der Vorinstanz nicht folge. Offen
bleiben könne, ob es auch am Merkmal der adäquaten Kausalität fehle.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Entscheidung des
Beklagten, im Jahr 2006 keine Beförderungsstelle der Besoldungsgruppe A 13
auszuweisen, den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt habe. Hierbei habe es
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sich um eine Entscheidung im Bereich der Stellenbewirtschaftung gehandelt,
die dem Organisationsermessen des Dienstherrn zuzuordnen sei. Beamte kön-
nten nicht verlangen, dass Planstellen für die in Betracht kommenden Beförde-
rungsämter bereitgestellt würden. Das subjektive Recht auf leistungsgerechte
Einbeziehung in die Bewerberauswahl nach Art. 33 Abs. 2 GG entfalte erst
Wirksamkeit, wenn der Dienstherr eine Planstelle zur Besetzung mit einem Be-
förderungsbewerber ausgebracht habe. An dieser organisatorischen Vorent-
scheidung fehle es hier.
2. a) Die Rüge des Klägers, das angegriffene Urteil sei im Sinne von § 138
Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, greift nicht durch.
aa) Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung nur, wenn sie so man-
gelhaft begründet ist, dass die Entscheidungsgründe ihre doppelte Funktion
- die Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und
rechtlichen Erwägungen zu unterrichten und dem Rechtsmittelgericht die
Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit in prozessrechtli-
cher und materiellrechtlicher Hinsicht zu ermöglichen - nicht mehr erfüllen kann.
Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt
keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die Begründung völ-
lig unverständlich und verworren ist, so dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen
lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind.
Der grobe Formmangel liegt immer dann vor, wenn die Entscheidungsgründe
rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen
derart unbrauchbar sind, dass die angeführten Gründe unter keinem denkbaren
Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen. Nach allgemeiner An-
sicht verletzt ein Urteil dagegen § 138 Nr. 6 VwGO nicht schon dann, wenn die
Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig
sind (vgl. zum Vorstehenden: Beschlüsse vom 5. Juni 1998 - BVerwG 9 B
412.98 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 32 S. 6 f. und vom 20. Oktober
2006 - BVerwG 2 B 64.06 - juris Rn. 6).
Will das Berufungsgericht den Erwägungen der Vorinstanz vollständig oder in
bestimmten Punkten folgen, so kann es seiner Begründungspflicht dadurch
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nachkommen, dass es die Berufung gemäß § 130b Satz 2 VwGO aus den
Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung zurückweist. Dabei sind die in Be-
zug genommenen Gründe genau zu bezeichnen. Unter diesen Voraussetzun-
gen werden sie Bestandteil der Begründung des Berufungsurteils (Beschluss
vom 4. August 2005 - BVerwG 2 B 5.05 - Buchholz 235.1 § 66 BDG Nr. 1 S. 1
m.w.N.). Stellt ein Beteiligter die tatsächliche oder rechtliche Wertung des erst-
instanzlichen Gerichts, auf die dessen Entscheidung gestützt ist, substanziiert
in Frage, so muss das Berufungsgericht darauf in den Gründen seiner Ent-
scheidung inhaltlich eingehen (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2
VwGO). Insoweit kommt eine Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen
Entscheidung gemäß § 130b Satz 2 VwGO nicht in Betracht (Beschluss vom
4. August 2005 a.a.O. S. 1 f.).
bb) Hieran gemessen ist das Berufungsurteil mit Gründen versehen. Aus dem
in Bezug genommenen erstinstanzlichen Urteil erschließt sich, warum der Vor-
trag des Klägers nach der Rechtsauffassung der Vorinstanzen nicht zu einer
anderen Entscheidung Anlass gab: Das Verwaltungsgericht hat dargelegt, dass
dem Dienstherrn für die Organisationsentscheidung, ob und welche Planstellen
er zur Besetzung mit Beförderungsbewerbern bereitstellt, ein weitreichendes
Organisationsermessen eröffnet ist, das nur einer gerichtlichen Willkürkontrolle
unterliegt. Das Verwaltungsgericht hat weiter ausgeführt, dass Art. 33 Abs. 2
GG Beamten auch bei besten dienstlichen Beurteilungen nicht die Möglichkeit
eröffnet, auf die Bereitstellung der für sie passenden Beförderungsplanstelle
hinzuwirken oder dies gar zu beanspruchen. Diese Rechtsauffassung steht im
Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 25. April 1996
- BVerwG 2 C 21.95 - BVerwGE 101, 112 <114> = Buchholz 232 § 8 BBG
Nr. 51 S. 2 f. und vom 25. November 2004 - BVerwG 2 C 17.03 - BVerwGE
122, 237 <240> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 31 S. 23).
Auf den Vortrag zur Weiterleitung von Listen von Beförderungskandidaten von
den Finanzämtern an das Ministerium kam es nicht an, weil ein Missbrauch
zulasten des Klägers von vornherein nicht darin liegen kann, dass das vom Fi-
nanzamt auf Beförderungsstellen aufzuteilende Budget bei einer anderen Auf-
teilung grundsätzlich auch seine Beförderung erlaubt hätte. Dem rechtlichen
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Ansatz des Verwaltungs- und des Berufungsgerichts, Organisations- und Aus-
wahlentscheidung strikt voneinander zu trennen, ist es geschuldet, dass der auf
eine Vermischung der Ebenen zielende Vortrag des Klägers unbeachtet blieb.
Hieraus ergibt sich auch, dass das Vorgehen des Berufungsgerichts nach
§ 130b VwGO nicht mit durchgreifenden Einwendungen in Frage gestellt wor-
den ist. Der Kläger macht geltend, bereits das Verwaltungsgericht habe Teile
seines Sachvortrages zum Ablauf des Verfahrens der Zuweisung von Budget-
mitteln auf Beförderungsstellen und der Auswahl der zu Befördernden in den
Entscheidungsgründen übergangen, so dass schon das erstinstanzliche Urteil
ohne Gründe geblieben sei. Dies habe er im Berufungsverfahren erläutert, das
Berufungsgericht habe sich aber ohne zusätzliche Ausführungen gemäß § 130b
VwGO dem Verwaltungsgericht angeschlossen, so dass auch dieses Urteil
ohne Gründe geblieben sei. Hiernach waren die in Rede stehenden Ge-
sichtspunkte bereits Teil der Klagebegründung. Damit hat der Kläger in das
berufungsgerichtliche Verfahren keine neuen Gesichtspunkte eingebracht, die
das Berufungsgericht im Lichte des Art. 103 Abs. 1 GG zu ergänzenden Aus-
führungen zwingen konnten.
b) Ohne Erfolg bleiben auch die Aufklärungsrüge und die Rüge einer in der Ver-
letzung des Amtsermittlungsgrundsatzes liegenden Verletzung rechtlichen Ge-
hörs.
aa) Wird eine Beschwerde auf die Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung
gestützt, gehört es zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Verfahrens-
mangels, dass dargelegt wird, welche Beweise angetreten worden sind oder
welche Ermittlungen sich dem Tatsachengericht hätten aufdrängen müssen,
welche Beweismittel in Betracht gekommen wären, welches mutmaßliche Er-
gebnis die Beweisaufnahme gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu
einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können
(vgl. Urteil vom 12. Februar 1998 - BVerwG 3 C 55.96 - BVerwGE 106, 177
<182> = Buchholz 421.8 Stiftungsrecht Nr. 6 S. 10, stRspr).
bb) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
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Soweit der Kläger geltend macht, die Vorinstanzen hätten auf seine Aufforde-
rung hin Erlasse des Finanzministeriums zur Durchführung des Verfahrens der
Freimachung von Stellen für Beförderungen ermitteln müssen, setzt sich die
Beschwerdebegründung nicht damit auseinander, dass der Beklagte im erstin-
stanzlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 23. August 2007 Erlasse des Fi-
nanzministeriums vom 3. November 2005 und vom 2. Oktober 2006 vorgelegt
und auf seine auf diesen Schriftsatz hin erhobene Rüge, es sei nicht vorstellbar,
dass es nicht auch weitere Vorgaben gebe, mit Schriftsatz vom 5. November
2007 festgehalten hat, bezüglich der vom Finanzamt zu treffenden Beförde-
rungsentscheidungen habe es ministerielle Vorgaben über die im Verfahren
vorgelegten Erlasse hinausgehend nicht gegeben. Ausweislich der Nieder-
schriften über die öffentlichen Sitzungen des Verwaltungsgerichts und des Be-
rufungsgerichts hat der Kläger keine Beweisanträge gestellt. Vor diesem Hin-
tergrund hätte er darlegen müssen, wieso sich den Gerichten dennoch weitere
Ermittlungen hätten aufdrängen müssen und mithilfe welcher Beweismittel eine
weitere Aufklärung möglich gewesen sein sollte.
Eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes ist auch nicht dargelegt, so-
weit der Kläger weitere Aufklärungen hinsichtlich der Art und Weise des Zu-
sammenwirkens des Beklagten mit dem Personalrat vermisst. Auch zu diesem
Themenkomplex hat er Beweisanträge nicht formuliert. Die Beschwerdebe-
gründung äußert sich nicht dazu, welche konkreten Tatsachen das Ergebnis
einer möglichen Beweiserhebung gewesen wäre und mithilfe welcher Beweis-
mittel eine Aufklärung hierüber möglich gewesen wäre.
c) Die Beschwerde rügt ferner, das Berufungsgericht sei von einem falschen
Sachverhalt ausgegangen, indem es anführe, der Kläger habe nicht geltend
gemacht, vom Finanzamt bei der Beförderungsaktion „schuldhaft“ übergangen
worden zu sein. Es kann dahin stehen, ob damit die Verfahrensrügen eines
Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) oder der
Aktenwidrigkeit überhaupt in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO genügenden Weise dargetan sind (vgl. hierzu Beschluss vom 2. No-
vember 1999 - BVerwG 4 BN 41.99 - UPR 2000, 226 f.). Denn die fragliche
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Feststellung trägt die Entscheidung nicht allein. Die nicht mit durchgreifenden
Verfahrensrügen angegriffene Bezugnahme auf die Gründe der erstinstanzli-
chen Entscheidung trägt die Zurückweisung der Berufung als unbegründet
vielmehr auch selbstständig neben der Feststellung, das Verhalten des Beklag-
ten sei nicht schuldhaft gewesen.
II. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssa-
che (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zu
zulassen. Die Beschwerde behauptet nicht einmal das Vorliegen dieser Zulas-
sungsgründe. Sie greift das Berufungsurteil nur nach Art einer Berufungsbe-
gründung an. Damit werden die Zulassungsgründe nicht dargelegt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung
über den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 5 Satz 2
i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG.
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