Urteil des BVerwG vom 01.07.2014

Treu Und Glauben, Beendigung des Dienstverhältnisses, Mehrarbeit, Überstunden

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 39.13
OVG 2 A 10626/12.OVG
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Juli 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hartung
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 14. Januar 2013 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf
5 960,68 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der 1952 geborene Kläger stand als Polizeihauptkommissar (Besoldungs-
gruppe A 11) im Dienst des Beklagten und war Leiter einer Diensthundegruppe.
Von April 2009 bis zu seiner Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit mit Wir-
kung vom 1. November 2010 war der Kläger ununterbrochen dienstunfähig
krank. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich auf seinem Arbeitszeitkonto 341 Über-
stunden aus den vorangegangen Jahren angesammelt. Seinen Antrag aus dem
Oktober 2010 auf Vergütung dieser Stunden lehnte der Beklagte ab. Die nach
erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage haben die Vorinstanzen abgewiesen.
Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen auf Folgen-
des abgestellt:
Mangels angeordneter Mehrarbeit habe der Kläger keinen Anspruch auf Mehr-
arbeitsvergütung. Auch aus der Fürsorgepflicht ergebe sich kein finanzieller
Ausgleichsanspruch, zumal seine Wochenarbeitszeit unter der höchstzulässi-
gen Zahl von 48 Stunden geblieben sei. Ein Ausgleichanspruch folge auch nicht
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aus Treu und Glauben, weil er nicht in zeitlichem Zusammenhang mit der Ent-
stehung dieser Überstunden geltend gemacht worden sei. Schließlich gewähre
auch Unionsrecht dem Kläger keine Ansprüche. Weder gehe es um Mehrarbeit
über die nach Art. 6 der Richtlinie 2003/88/EG festgesetzte durchschnittliche
Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum von 48 Stunden hinaus noch sei die
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs über die finanzielle Abgeltung
von nicht genommenem Jahresurlaub auf die Unmöglichkeit der Inanspruch-
nahme eines durch Mehrarbeit erworbenen Freizeitausgleichsanspruchs über-
tragbar.
2. Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine - vom Beschwer-
deführer zu bezeichnende - konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche
Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt
ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechts-
fortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr, Beschlüsse
vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz
310 § 132 VwGO Nr. 18 und vom 2. Februar 2011 - BVerwG 6 B 37.10 - NVwZ
2011, 507 Rn. 2). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Die erste als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
„Setzt der Anspruch auf zeitlichen oder finanziellen Aus-
gleich für geleistete Mehrarbeit unter Berücksichtigung
von Art. 6 der Richtlinie 2003/88EG i.V.m. der Rechtspre-
chung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 25. No-
vember 2010, Rs. C-429/09) unter richtlinienkonformer
Auslegung abweichend von der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 29. September
2012 - BVerwG 2 C 32.10) einen Antrag bzw. eine Gel-
tendmachung voraus?“
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie in der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist.
In mehreren Urteilen vom 26. Juli 2012 u.a. im Verfahren BVerwG 2 C 29.11
(BVerwGE 143, 381) hat der Senat ausgeführt, dass der unionsrechtliche
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Staatshaftungsanspruch keinen vorherigen Antrag beim Dienstherrn voraus-
setzt (a.a.O. Rn. 25), während bei nicht gesetzlich geregelten nationalrechtli-
chen Ausgleichsansprüchen es einer Geltendmachung im Sinne einer Rügeob-
liegenheit oder Hinweispflicht des Beamten bedarf, wobei an eine solche Rüge
keine hohen Anforderungen zu stellen sind (a.a.O. Rn. 27). Das Oberverwal-
tungsgericht hat im Berufungsurteil diese Rechtsprechung ausdrücklich zugrun-
de gelegt.
Zwar kann eine bereits revisionsgerichtlich geklärte Rechtsfrage wieder im Sin-
ne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO klärungsbedürftig werden. Das setzt aber vo-
raus, dass neue Gesichtspunkte von Gewicht vorgebracht werden, die die bis-
herige Rechtsprechung in Frage stellen und eine erneute revisionsgerichtliche
Entscheidung geboten erscheinen lassen (Beschlüsse vom 25. November 1992
- BVerwG 6 B 27.92 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 306 S. 224 m.w.N.
und zuletzt vom 14. Mai 2014 - BVerwG 2 B 96.13 - juris Rn. 9). Dies ist der Be-
schwerdebegründung des Klägers nicht zu entnehmen.
Soweit die Beschwerde auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union
vom 25. November 2010 (Rs. C-429/09, Fuß - NZA 2011, 53 Rn. 80 f.) ver-
weist, stellt dies keinen neuen Gesichtspunkt dar; dieses Urteil ist in den oben
genannten Urteilen des Senats vom 26. Juli 2012 umfassend berücksichtigt
worden und war maßgeblich dafür, dass der Senat für den unionsrechtlichen
Staatshaftungsanspruch ein Antragserfordernis verneint hat (z.B. BVerwG 2 C
29.11, a.a.O. Rn. 25). Soweit die Beschwerde meint, beim Anspruch aus Treu
und Glauben handele es sich um Unionsrecht, so dass deshalb auch für diesen
Anspruch ein Antragserfordernis zu verneinen sei, geht dies fehl: In den Fällen
von über das unionsrechtlich zulässige Maß hinausgehender Wochenarbeitszeit
kann neben einem unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch auch ein beam-
tenrechtlicher - und damit nationalstaatlicher - Ausgleichsanspruch aus dem
Grundsatz von Treu und Glauben in Verbindung mit den Regeln über einen
Ausgleich von Mehrarbeit gegeben sein, der - wie bereits dargelegt - der Gel-
tendmachung im Sinne einer Rügeobliegenheit oder Hinweispflicht des Beam-
ten bedarf. Auch dies hat der Senat in den Urteilen vom 26. Juli 2012 ausge-
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führt (z.B. BVerwG 2 C 29.11, a.a.O. Rn. 26). Weiterer Klärungsbedarf hierzu
besteht nicht.
Auch die zweite als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
„Ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
zur finanziellen Abgeltung von Urlaub (Urteil vom 3. Mai
2012, Rs. 337/10) auf die Möglichkeit der Inanspruchnah-
me eines durch Mehrarbeit erworbenen Freizeitaus-
gleichsanspruchs wegen krankheitsbedingter Dienstunfä-
higkeit übertragbar mit der Folge, dass ein nicht gewährter
Freizeitausgleichsanspruch bei Beendigung des Dienst-
verhältnisses abzugelten ist?“
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie lässt sich ohne Durchführung
eines Revisionsverfahrens auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts dahingehend beantworten, dass kein Anspruch
auf Ausgleich besteht.
Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG regelt den Jahresurlaub. Danach treffen die
Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen
bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält (Absatz 1). Der bezahlte
Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht
durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden (Absatz 2). Der Gerichtshof der
Europäischen Union hat in dem von der Beschwerde angeführten Urteil vom
3. Mai 2012 (Rs. C-337/10, Neidel - NVwZ 2012, 688 Rn. 21 ff.) zwar seine
Rechtsprechung fortgeführt, wonach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG
einen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bezahlten Jahresurlaub ge-
währt, den der Beamte oder sonstige Arbeitnehmer im Sinne dieser Richtlinie
nicht genommen hat, weil er aus Krankheitsgründen keinen Dienst geleistet hat.
In diesem Urteil (Rn. 35) hat er aber auch klargestellt, dass sich diese Richtlinie
auf die Aufstellung von Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheits-
schutz bei der Arbeitszeitgestaltung beschränkt und die Mitgliedstaaten für die
Arbeitnehmer günstigere Regelungen schaffen können. Da für Beamte keine
andere Anspruchsgrundlage als der unmittelbar anwendbare Art. 7 Abs. 2 der
Richtlinie 2003/88/EG besteht, hat der Senat entschieden, dass der Umfang
dieses Urlaubsabgeltungsanspruchs auf den vierwöchigen Mindesturlaub nach
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Absatz 1 der Richtlinie beschränkt ist und weder darüber hinausgehenden Er-
holungsurlaub noch den Schwerbehindertenzusatzurlaub nach § 125 Abs. 1
Satz 1 SGB IX noch Arbeitszeitverkürzungstage erfasst (Urteile vom 31. Januar
2013 - BVerwG 2 C 10.12 - NVwZ 2013, 1295 Rn. 18 ff. und vom 30. April 2014
- BVerwG 2 A 8.13 - juris Rn. 18). Hiervon ausgehend ist eindeutig, dass nicht
durch Freizeitausgleich ausgeglichene Überstunden oder Mehrarbeit ebenfalls -
und erst recht - keinen Urlaubsabgeltungsanspruch nach Art. 7 Abs. 2 der
Richtlinie 2003/88/EG auslösen können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 52 Abs. 3, §§ 47 und 40
GKG.
Domgörgen
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