Urteil des BVerwG vom 11.07.2014

Schüler, Meldung, Unfallfolge, Körperschaden

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 37.14
OVG 2 A 10549.12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juli 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und Dollinger
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 18. März 2014 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf
5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin begehrt die Anerkennung eines Schadensereignisses als Dienst-
unfall.
1. Die 1951 geborene Klägerin stand bis zu ihrer vorzeitigen Ruhestandsver-
setzung als Lehrerin im Dienst des Beklagten. Im Jahr 2002 wurde sie über
mehrere Monate hinweg von einem damals 15-jährigen, wiederholt durch Ge-
waltanwendung auffällig gewordenen Schüler bedrängt, ihm bessere Noten zu
erteilen. Der Schüler äußerte mehrfach Todesdrohungen gegen die Klägerin
und kündigte an, auch ihrer Tochter könne etwas zustoßen; er habe Freunde,
denen schon etwas einfallen werde. Die Klägerin meldete die Vorfälle ihrem
Schulleiter, der nachfolgend auch das Ministerium hiervon in Kenntnis setzte.
Der Schüler wurde anschließend wegen Bedrohung zu einer Jugendstrafe ver-
urteilt.
Im September 2007 kam es zu einem weiteren Vorkommnis, bei dem eine
Schere aus einer hinter der Klägerin stehenden Schülergruppe vom Fußboden
weggetreten wurde und mit großer Wucht am Kopf der Klägerin vorbei flog und
ihre Schulter nur knapp verfehlte. Das nachfolgende Ermittlungsverfahren we-
gen versuchter gefährlicher Körperverletzung wurde wegen Strafunmündigkeit
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des dieser Tat beschuldigten Schülers eingestellt. Anschließend war die Kläge-
rin dienstunfähig erkrankt und wurde im Jahr 2011 wegen dauernder Dienstun-
fähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt.
Den Antrag, den Vorfall vom September 2007 als Dienstunfall anzuerkennen,
lehnte der Beklagte ab. Ausweislich der Stellungnahme des Amtsarztes sowie
der ergänzenden Gutachten sei das Ereignis nicht geeignet gewesen, eine see-
lische Störung in dem von der Klägerin beschriebenen Ausmaß auszulösen. Es
sei daher von einer anlagebedingten, dienstunfallunabhängigen Vorschädigung
auszugehen.
Im Klageverfahren hat das Oberverwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet,
den Vorfall vom September 2007 als Dienstunfall anzuerkennen. Die Ursäch-
lichkeit des Vorfalls für die bei der Klägerin bestehende psychische Erkrankung
ergebe sich aus der Stellungnahme des vom Gericht bestellten weiteren Sach-
verständigen. Zwar reiche die „Scherenattacke“ für sich genommen als Ursache
für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht aus. Der Vor-
fall vom September 2007 sei jedoch im Zusammenhang mit den Geschehnis-
sen des Jahres 2002 zu sehen und stelle eine wesentliche Teilursache für die
vom Sachverständigen diagnostizierte Erkrankung dar. Die Klägerin habe die
damalige Bedrohungslage zwar ohne Ausbildung einer posttraumatischen Be-
lastungsstörung bewältigt, die Vorfälle hätten aber zu einem erhöhten Anspan-
nungsniveau geführt, das die nach dem Vorfall des Jahres 2007 gezeigte
Symptomatik erkläre.
2. Die allein auf das Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssa-
che (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten hat kei-
nen Erfolg.
Die aufgeworfene Frage, ob Ereignisse, die in Ausübung oder infolge des
Dienstes eingetreten und selbst nicht fristgerecht entsprechend § 45 BeamtVG
als Dienstunfall gemeldet worden sind, als mitwirkende Ursache eines späteren
Dienstunfalls berücksichtigt werden können, würde sich in einem Revisionsver-
fahren nicht stellen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwal-
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tungsgerichts, die vom Beklagten nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden
sind und daher gemäß § 137 Abs. 2 VwGO auch einem Revisionsverfahren
zugrunde gelegt werden müssten, hat die Klägerin die Vorfälle des Jahres 2002
ihrem dienstvorgesetzten Schulleiter zeitnah gemeldet; Entsprechendes gilt für
das Ereignis vom September 2007. Die mit der Beschwerde bezeichnete Frage
wäre in einem Revisionsverfahren daher nicht entscheidungserheblich.
Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG sind Unfälle, aus denen Unfallfürsorgean-
sprüche nach dem Beamtenversorgungsgesetz entstehen können, innerhalb
einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalls bei dem
Dienstvorgesetzten zu melden. Anknüpfungspunkt der Fristenregelung ist damit
weder eine Unfallfolge noch ein bereits entstandener Anspruch, sondern der
Unfall selbst. Unabhängig davon, ob der Beamte das Ereignis als Dienstunfall
einstuft, soll er seinen Dienstherrn in die Lage versetzen, selbst die hierfür er-
forderlichen Ermittlungen anzustellen und eine zeitnahe Klärung des Sachver-
halts sicherzustellen. Damit werden einerseits Aufklärungsschwierigkeiten ver-
mieden, die sich bei späteren Ermittlungen ergeben könnten; zum anderen wird
der Dienstherr in die Lage versetzt, präventive Maßnahmen zur Vermeidung
weiterer Schäden zu ergreifen (vgl. etwa Urteile vom 18. Dezember 1969
- BVerwG 2 C 37.68 - BVerwGE 34, 343 <345> = Buchholz 232 § 150 BBG
Nr. 7 S. 10 f., vom 28. Februar 2002 - BVerwG 2 C 5.01 - Buchholz 239.1 § 45
BeamtVG Nr. 5 S. 6 und vom 28. April 2011 - BVerwG 2 C 55.09 - Buchholz
240 § 31 BBesG Nr. 1 Rn. 28). Folgerichtig muss sich aus der Meldung selbst
noch nicht die Art der Verletzung ergeben, auch müssen mit ihr nicht bereits
Unfallfürsorgeansprüche erhoben werden (Urteil vom 6. März 1986 - BVerwG
2 C 37.84 - NJW 1986, 2588).
Ist der eingetretene Gesundheitsschaden zunächst nicht erkennbar aber noch
innerhalb der Zehnjahresfrist des § 45 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG diagnostiziert,
muss diese Unfallfolge nach § 45 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG innerhalb dreier Mo-
nate gemeldet werden (vgl. Urteile vom 21. September 2000 - BVerwG 2 C
22.99 - Buchholz 239.1 § 45 BeamtVG Nr. 4 S. 2 und vom 28. April 2011 a.a.O.
Rn. 29).
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Die Klägerin hat das Unfallgeschehen des Jahres 2002 ihrem Dienstvorgesetz-
ten unverzüglich angezeigt. Eine weitergehende Meldung war ihr zum damali-
gen Zeitpunkt nicht möglich, weil sich Krankheitsanzeichen noch nicht einge-
stellt hatten und sie damit nicht „Verletzte“ im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1
BeamtVG war. Nachdem sich - ausgelöst durch den Vorfall vom September
2007 - entsprechende Symptome ergaben, hat sie diese förmlich und innerhalb
der Dreimonatsfrist aus § 45 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG gemeldet. Das vom Ober-
verwaltungsgericht als Mitursache der bestehenden Erkrankung der Klägerin
herangezogene Geschehen aus dem Jahr 2002 war daher fristgemäß gemel-
det.
Im Übrigen verkennt der Beklagte, dass Gegenstand des Rechtsstreits nicht ein
im Jahr 2002 erlittener Dienstunfall ist; vielmehr hat das Oberverwaltungsge-
richt allein die Verpflichtung ausgesprochen, den Vorfall vom September 2007
als Dienstunfall anzuerkennen. Insoweit liegt eine fristgerechte Meldung unstrei-
tig vor. Die mit der Beschwerde vertretene Auffassung zielt deshalb im Ergebnis
darauf, der Fristenregelung des § 45 BeamtVG eine Präklusionswirkung für
nicht gemeldete Dienstunfälle auch als Mitursache späterer Gesundheitsschä-
den beizumessen. Für eine derartig weitgehende Rechtsfolge bietet § 45
BeamtVG indes keinen Anhalt.
Ein derartiges Ergebnis erschiene im Übrigen sachwidrig, weil entsprechende
Vorschädigungen aus dem privaten Bereich des Beamten der Annahme eines
Dienstunfalls nicht entgegenstünden, sofern das spätere Dienstunfallgeschehen
die wesentliche, den Körperschaden nicht nur auslösende Mitursache begrün-
det (vgl. etwa Urteil vom 29. Oktober 2009 - BVerwG 2 C 134.07 - BVerwGE
135, 176 = Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 22 jeweils Rn. 26 sowie zuletzt
Beschluss vom 23. Oktober 2013 - BVerwG 2 B 34.12 - juris Rn. 6 m.w.N.).
Eine Auslegung, die gerade dann zur Ausblendung entsprechender Vorerkran-
kungen führt, wenn deren Ursache in der Dienstausübung liegt, wäre mit dem
Normzweck der Vorschriften zur Unfallfürsorge nicht in Einklang zu bringen.
Diese bezwecken gerade, dem Beamten Schutz bei Körperschäden zu gewäh-
ren, die in seiner dienstlichen Tätigkeit wurzeln (Urteil vom 18. April 2002
- BVerwG 2 C 22.01 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 12 S. 3).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht in Anlehnung an Nr. 10.8 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf § 47 Abs. 1 und 3,
§ 52 Abs. 2 GKG.
Domgörgen
Dr. Kenntner
Dollinger
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