Urteil des BVerwG vom 31.01.2006

Beschränkung, Verfahrensmangel, Beamtenverhältnis, Disziplinarverfahren

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 37.05
VGH DB 17 S 2/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Januar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M ü l l e r und Dr. H e i t z
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 20. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 69 BDG) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO, § 69 BDG) gestützte Beschwerde ist nicht begründet.
Der Verwaltungsgerichtshof, der mangels hinreichend eindeutiger und zweifelsfreier
Feststellungen zur inneren Tatseite (Schuld) von einer unzulässigen Beschränkung
der Berufung auf die Disziplinarmaßnahme ausgegangen ist und deshalb - wie bei
einer unbeschränkten Berufung - eigene Feststellungen getroffen hat, hat den Aus-
spruch der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis für geboten gehal-
ten, weil dieser durch Zugriff auf ein ihm dienstlich anvertrautes Päckchen mit Bank-
noten im Wert von 500 € ein schweres Dienstvergehen begangen habe. In seinem
Urteil hat das Berufungsgericht ausgeführt, wegen der besonderen Schwere des
Vertrauensbruchs komme bei einem Zugriffsdelikt eine Fortsetzung des Beamten-
verhältnisses "nur" in Betracht, wenn ein in der Rechtsprechung anerkannter außer-
gewöhnlicher Milderungsgrund die Annahme rechtfertige, der Beamte habe das in
ihn gesetzte Vertrauen seiner Vorgesetzten und der Allgemeinheit noch nicht endgül-
tig verloren. Derartige Umstände lägen hier nicht vor. Der Beklagte könne sich ins-
besondere nicht mit Erfolg auf den Milderungsgrund des Handelns in einer besonde-
ren Versuchungssituation berufen. Eine freiwillige Offenbarung der Pflichtverletzung
vor Entdeckung der Tat sei ebenfalls nicht gegeben. Unter Berücksichtigung aller
Umstände verstoße die ausgesprochene Maßnahme auch nicht gegen den Grund-
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satz der Verhältnismäßigkeit. Der Beamte habe im Kernbereich seiner Dienstpflich-
ten versagt und die Vertrauensgrundlage für die Fortsetzung des Beamtenverhältnis-
ses zerstört.
1. Der Beklagte hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob neben den bisher von der Rechtsprechung entwickelten Mil-
derungsgründen noch weitere "gleichstehende" Milderungs-
gründe in Frage kommen und vom Gericht zu prüfen sind.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO,
wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Einzelfall erhebliche Frage des
revisiblen Rechts von über diesen Fall hinausgehender Bedeutung aufwirft, die im
Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtsfortbildung der Klä-
rung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG
8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; stRspr). Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, § 69
BDG muss der Beschwerdeführer darlegen, dass diese Voraussetzungen gegeben
sind.
Die Beschwerdebegründung genügt diesen Darlegungsanforderungen nicht. Erfor-
derlich ist danach die Formulierung einer hinreichend konkreten Rechtsfrage, die
Darlegung des Bedarfs an ihrer Klärung und ihrer Entscheidungserheblichkeit für den
konkreten Fall. Der Beschwerdeführer hat bereits keine konkrete Rechtsfrage
aufgeworfen. Er hat lediglich auf die theoretische Möglichkeit weiterer Milderungs-
gründe verwiesen, ohne einen dafür in Betracht kommenden Grund inhaltlich zu
konkretisieren. Zudem ist er nicht darauf eingegangen, weshalb von der Beantwor-
tung der aufgeworfenen Rechtsfrage die Entscheidung über die gegen ihn gerichtete
Disziplinarklage abhängt. Es ist nicht dargetan, dass solche weiteren "gleichstehen-
den" Milderungsgründe im vorliegenden Fall vorhanden sind und entscheidungser-
heblich wären.
Bereits diese Darlegungsmängel schließen es aus, die Grundsatzrüge in eine Rüge
der nachträglich eingetretenen Divergenz zu Rechtssätzen im Urteil des Senats vom
20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - umzudeuten. Die Darlegungsmängel hin-
sichtlich der Frage der Entscheidungserheblichkeit müssten auch insoweit durch-
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schlagen (vgl. Beschluss vom 20. März 1985 - BVerwG 3 B 83.84 - Buchholz 310
§ 132 VwGO Nr. 230).
Die weitere als klärungsbedürftig bezeichnete Rechtsfrage,
welche disziplinarrechtliche Auswirkung im Hinblick auf § 14
Abs. 1 BDG dem Umstand zukommt, dass das Strafverfahren
gegen den Beklagten nach § 153 a StPO eingestellt worden ist,
ist nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung, weil sie sich dem Berufungsge-
richt nicht gestellt hat. Denn nach dem eindeutigen, einer Auslegung nicht zugängli-
chen Wortlaut kommt ein Maßnahmeverbot gemäß § 14 Abs. 1 BDG bei der Entfer-
nung aus dem Beamtenverhältnis nicht in Betracht.
2. Schließlich ist auch der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht in einer den
gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise bezeichnet. Der Beschwerdeführer
hält für verfahrensfehlerhaft, dass sich der Verwaltungsgerichtshof über die aufgrund
der maßnahmebeschränkten Berufung eingetretene Bindungswirkung hinsichtlich der
tatsächlichen Feststellungen zum objektiven und subjektiven Disziplinartatbestand
hinweggesetzt und unzulässigerweise neue Tatsachen zur inneren Tatseite festge-
stellt hat.
Ein Verfahrensmangel ist im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, § 69 BDG nur
dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen
als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. Beschluss
vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO (n.F.)
Nr. 26 m.w.N.). Die Beschwerde hat also auch die Umstände darzulegen, aus denen
sich ergibt, weshalb die angefochtene Entscheidung auf dem behaupteten Verfah-
rensmangel beruhen kann (vgl. Beschluss vom 13. Dezember 1960 - BVerwG 8 B
130.60 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 5; Beschluss vom 29. August 1984
- BVerwG 9 B 11247.82 - Buchholz 300 § 191 GVG Nr. 2; stRspr). Dieser Bezeich-
nungslast, von der der Beschwerdeführer nicht gemäß § 138 VwGO, § 69 BDG be-
freit war, ist er nicht nachgekommen. Sein Beschwerdevorbringen beschränkt sich
vielmehr auf die Beschreibung des vermeintlichen Verfahrensmangels als solchen,
ohne auf dessen Entscheidungserheblichkeit einzugehen und darzulegen, dass der
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Verwaltungsgerichtshof andernfalls zu einer für ihn, den Beschwerdeführer, sachlich
günstigeren Entscheidung hätte kommen können.
Es kann zunächst dahingestellt bleiben, ob die gerügte Verfahrensweise des Beru-
fungsgerichts überhaupt einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO darstellt. Denn jedenfalls beruht das angefochtene Urteil auch auf einem sol-
chem Mangel nicht. Hätte der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsmittelbeschränkung
beachtet und wäre diese wirksam gewesen, wäre er an die erstinstanzlichen Tat- und
Schuldfeststellungen gebunden gewesen. Ausweislich der Entscheidungsgründe
ging das Verwaltungsgericht - freilich ohne hierfür ausdrückliche Tatsachenfeststel-
lungen zu treffen - davon aus, dass nach seinen Feststellungen der Beklagte durch
einen Zugriff auf ihm dienstlich anvertrautes Geld ein schweres Dienstvergehen im
Kernbereich der ihm obliegenden Dienstpflichten begangen hat (UA S. 6, 7). Der
Verwaltungsgerichtshof ist aufgrund der Annahme einer unbeschränkt eingelegten
Berufung zum gleichen Ergebnis, dem Vorliegen eines Zugriffsdelikts, gelangt. Der
vermeintliche Verfahrensmangel war danach nicht entscheidungserheblich.
Auch ein Verfahrensfehler des Berufungsgerichts liegt aber in Wahrheit nicht vor.
Dabei mag dahingestellt bleiben, ob in Disziplinarverfahren, die sich nach dem Bun-
desdisziplinargesetz und gemäß § 3 BDG ergänzend nach der Verwaltungsgerichts-
ordnung richten, eine Beschränkung der Berufung auf das Disziplinarmaß nach der
eigenständigen Regelung des § 64 Abs. 1 BDG im allgemeinen zulässig ist. Wäre sie
es nicht, so würde eine aus diesem Grunde unzulässige Beschränkung die Berufung
nicht unwirksam machen. Es ist allgemein anerkannt und wäre gegebenenfalls ohne
weiteres vorauszusetzen, dass sowohl bei einer Zulassung eines Rechtsmittels wie
auch bei der Einlegung desselben eine Unzulässigkeit der Beschränkung im all-
gemeinen nur die Beschränkung als solche erfasst und unwirksam macht, nicht aber
die Zulassung oder die Einlegung des Rechtsmittels insgesamt, dieses dann viel-
mehr als unbeschränkt zugelassen bzw. eingelegt anzusehen ist. Ein Rechtsmittel
richtet sich grundsätzlich gegen das gesamte vorausgegangene Urteil, d.h. im Zwei-
fel wird die gesamte Entscheidung angegriffen (BGH, Urteil vom 29. September 1992
- VI ZR 234/91 - NJW 1993, 269). Etwas anderes gilt nur, wenn nach den Ge-
samtumständen ein Rechtsmittelverzicht vorliegt oder die Berufungseinlegung insge-
samt unbestimmt ist (vgl. zu allem Urteil vom 16. Oktober 1975 - BVerwG 2 C 43.73 -
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BVerwGE 49, 232 <234 f.>; Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE
50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 7. Juli 1983 - III ZR 119/82 - NJW 1984, 615; BAG,
Urteil vom 14. November 1984 - 7 AZR 133/83 - NJW 1986, 2271; BAG, Urteil vom
4. August 1993 - 4 AZR 511/92 - NZA 1994, 271; BFHE 71, 95). Ein Rechtsmittel-
verzicht aber war hier nicht anzunehmen. Die Klägerin hat unmissverständlich zu
verstehen gegeben, dass sie sich mit dem erstinstanzlichen Urteil im Ergebnis auf
keinen Fall abfinden, sondern es zu Lasten des Beklagten abgeändert wissen wollte.
In der Rechtsmittelbeschränkung sah sie nur den dafür vermeintlich aussichtsreichs-
ten prozessualen Weg. Die Berufung war auch nicht unbestimmt, weil die Klägerin
auch nach der erst im Verlaufe des Berufungsverfahrens versuchten Beschränkung
der Berufung an ihrem Antrag festhielt, "unter Abänderung des angefochtenen Urteils
die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis" zu erreichen. - Sieht man
hingegen nach § 64 Abs. 1 BDG die Beschränkung der Berufung im Allgemeinen als
zulässig an, hält sie jedoch für den vorliegenden Fall in Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom
8. November 2000 - BVerwG 1 D 52.99 -) deswegen für unzulässig, weil es an
ausreichenden und widerspruchsfreien Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsge-
richts zum Pflichtverstoß und insbesondere zur Zueignungsabsicht fehlt, so kann sich
nichts anderes ergeben. Auch hier kann die Unzulässigkeit aus denselben Er-
wägungen wiederum nur zur Wirkungslosigkeit der Beschränkung, nicht aber zur
Unwirksamkeit der Berufung im Ganzen führen. Die Berufung war also in jedem Falle
als eine unbeschränkte anzusehen mit der Folge, dass das Berufungsgericht den
Sachverhalt selbst festzustellen hatte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG. Gerichts-
gebühren werden gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht erhoben.
Albers
Dr. Müller
Dr. Heitz
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